❥ Chapter 21

Lyas POV

"Lya", erklingt Maddies Stimme überrascht neben mir. "Ich dachte du wärst schon längst weg." Sie sieht mich verwundert an.

"Oh, normalerweise schon, aber ich wollte auf dich warten", gebe ich lächlend zurück.

"Okay. Nicht, dass mich das nicht freuen würde oder so, aber wieso?" Typisch Maddie. Immer ein bisschen skeptisch und besorgt.
Lachend verdrehe ich meine Augen. "Du bist meine beste Freundin, ist das nicht Grund genug?"

Sie lacht nervös, wie immer, wenn sie nicht weiß, was sie antworten soll. Also ergreife ich erneut das Wort. "Gut, ich wollte dich fragen, ob wir ein Eis essen gehen sollen oder so."

"Jetzt?", fragt sie perplex. Ich nicke. "Ja, warum nicht?"

Ihr Miene erhellt sich sofort. "Klar. Ich habe Zeit. Also los." Sie steckt ihre Hände in die Taschen ihrer Jeansjacke und geht voran.

*

"Wow, es ist schon lange her, dass wir das letzte Mal hier waren", stellt Maddie fest, als wir uns mit unserem Eis auf die Parkbank setzen, die neben einem kleinen Fluss steht.

"Ja." Viel zu lange. Das letzte Mal waren wir Anfang Mai dieses Jahres hier. Seitdem hat sich nicht viel verändert, außer dass sich die Blätter verfärbt haben, einige bereits auf dem Boden liegen und es kühler gworden ist. Vielleicht ist es auch einfach nur mein Empfinden. Obwohl von Außen betrachtet nicht viel anders ist und diese Veränderungen auch wieder vergehen, habe ich das Gefühl, jetzt wieder hier zu sein, stellt eine konstante Veränderung her, die für immer bleiben wird. Und der bin ich noch nicht gewachsen.

"Ich habe es vermisst. Außerdem ist es hier viel schöner als in dem Eiscafé selbst", reißt Maddie mich aus meinen Gedanken.

"Ja, zum Glück ist es noch nicht zu kalt, um Eis zu essen."

Maddie schnaubt. "Weil dir Kälte beim Eisessen auch so viel ausmacht", sagt sie ironisch und verdreht lachend die Augen. Das bringt mich ebenfalls zum Lachen. Es fühlt sich fast wieder so an wie damals. Damals. Hört sich an, als wäre es Ewigkeiten her, dass alles normal war, was sich auch so anfühlt, obwohl noch vor einigen Monaten alles in Ordnung war. Für uns jedenfalls.

"Was ähm, wie war's bei Mrs Prentiss?", fragt sie mich zögerlich.

Kurz halte ich inne. "Ganz okay. Ich habe ihr gesagt, dass ich schon in Therapie bin und dann war alles gut." Mehr oder weniger, aber zusammengefasst ist es das.

"Okay." Wir wenden uns wieder unserem Eis zu.

"Wie war eigentlich dein Date mit Jonah letzte Woche? Du hast mir noch gar nichts davon erzählt", unterbreche ich die Stille und werfe meinen leeren Eisbecher in den Mülleimer neben uns.

Maddie kann ein Lächeln kaum unterdrücken und schaut auf ihre Schuhe. "Es war... echt nett."

Mit einer hochgezogenen Augenbraue mustere ich sie skeptisch. "Ach ja?"

Ihre Wangen werden rot. "Okay, es war wirklich wunderschön. Wir waren in dieser neuen Pizzeria und es war einfach perfekt. Er ist perfekt. Oh Gott Lya, ich liebe ihn so sehr!", schwärmt sie.

"Oookaaayyyy." Ich weiß nicht genau, was ich darauf antworten soll.

"Entschuldige, aber es läuft einfach perfekt. Danke."

"Wofür?", frage ich verwirrt.

"Dass ihr uns gedrängt habt, miteinander zu reden. Sonst wäre es jetzt bestimmt nicht so wie es ist."

"Maddie", fange ich an, doch dann bemerke ich das Strahlen in ihren Augen und rede nicht weiter. Es ist schön, sie glücklich zu sehen. Sie verdient es und Jonah verdient es auch. "Freut mich, dass es so gut funtioniert mit euch beiden." Das tut es wirklich. Wenigstens jetzt kann ich eine gute Freundin sein, wenn ich den Sommer über schon nicht war, was wirklich unfair von mir war. Nur weil etwas in meinem Leben kaputt gegangen war, bedeutet es noch lange nicht, dass andere auch so sehr leiden mussten wie ich. Ich weiß, dass Maddie, Jonah und Nicks Familie auch darunter leiden, wie könnten sie auch nicht. Nur sie haben verstanden, dass das Leben weitergeht, irgendwie zumindest. Das sollte ich auch endlich mal verstehen. Ich meine, Nicks Tod ist jetzt schon Monate her und ich stehe immer noch komplett neben mir wie an dem ersten Tag danach. Gott, warum fällt es mir nur so schwer, damit klarzukommen? Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir wünschen, dass das nie passiert wäre und Nick, Maddie, Jonah und ich jetzt alle hier zusammensitzen würden und wir über unsere Zukunft reden würden. Wir hätten viel gelacht und Pläne gemacht, die so verrückt wären, dass uns die Möglichkiet, sie in die Tat umzusetzten, nicht mal so unmöglich vorkäme.

"Alles in Ordnung?" Maddie holt mich aus meinen Wunschfantasien raus und legt eine Hand leicht auf meine Schulter.

Ich räuspere mich und wische mir mit meinem Ärmel die kleinen Tränen aus dem Gesicht. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel geheult wie in diesem Jahr. Selbst die Zeit nach Nicks Tod konnte ich wochenlang nicht weinen und jetzt ist es, als würde jede Kleinigkeit den Damm in mir zum Brechen bringen. "Ja, alles gut", sage ich zuerst, doch dann denke ich daran, dass ich mit Maddie rede und wir nie Geheimnisse voreinander hatten, außer das eine und das war schon schlimm genug vor ihr geheim zu halten. "Nein, eigentlich nicht. Ich habe gerade daran gedacht, was wir jetzt machen würden, wenn Nick noch hier wäre."

Maddie hört aufmerksam zu. "Das kann ich mir vorstellen. Irgendwas sinnvolles wäre es bestimmt nicht gewesen", sagt sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

Das entlockt mir ebenfalls ein Lächeln. "Stimmt. Das war ja nie unsere Spezialität." Nick und ich hatten oft verrückte Einfälle. Einmal sind wir mit unseren Fahrrädern den abgesperrten Teil des Hügels im Park runtergefahren und er hat sich dabei das Handgelenk verstaucht. Im Sommer vor ein paar Jahren sind wir mit einem Kanu über den Fluss gefahren und sind alle paar Meter ins Wasser gefallen. Aber wir sind trotzdem wieder ins Kanu gestiegen und hatten die Tage darauf eine schlimme Erkältung und haben auch noch Ärger von unseren Eltern bekommen. Oder als wir damals um Mitternacht auf dem Spielplatz in unserer Stadt waren und da bis 6 Uhr morgens waren und uns zum Glück niemand erwischt hat. Das und noch viel mehr haben wir gemacht. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, kommt es mir vor, als wäre das nicht in meinem Leben passiert, sondern in irgendeinem Film. Wenn die Lya vom Anfang des Jahres mir jetzt gegenüberstehen würde, würde sie mich wahrscheinlich gar nicht mehr wiedererkennen. Gott, wie ist es möglich, dass eine einzige Sache jemanden so aus der Bahn wirft? Dass ein Tod so viel mehr anrichtet, als man vielleicht vermutet? Als ich noch jünger war, sind meine Großeltern gestorben und ich war ziemlich traurig deswegen, aber irgendwann ging das vorrüber und ehrlich gesagt, habe ich sie auch nicht ganz so gut gekannt. Aber Nicks Tod war wie ein Dominospiel. Er hat den ersten Stein angestubst und es kam zu einer Welle von Chaos. Ich habe nie verstanden, warum Menschen sich selbst das Leben nehmen, wo es doch sowieso so kurz ist. Jetzt glaube ich, dass das vielleicht sogar mein Problem war. Ich habe mich gar nicht mit dem Thema beschäftigt und erst recht hätte ich niemals gedacht, dass jemand aus meinem Umfeld mit solchen Gedanken leben würde. Aber was soll man dazu sagen: Psychische Erkrankungen können nunmal jeden treffen. Das habe ich jetzt verstanden.

Maddie und ich reden noch einige Zeit über lustige Erlebnisse, die wir alle gemeinsam erlebt haben und lachen. Viel und ehrlich. Das ist der erste Nachmittag, an dem ich mich wieder wirklich gut fühle und Spaß habe. Ich bin wirklich froh, jemanden wie Maddie an meiner Seite zu haben.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top