Die Nacht beginnt
Es war mittlerweile dunkel geworden. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen und die Sterne strahlten. So, wie es jetzt aussah, versprach es, eine schöne Nacht zu werden. Wer allerdings so dachte, hatte sich sehr schwer getäuscht. Emila hatte beschlossen, auch nach draußen zu gehen. Sie brauchte einmal wieder etwas Abstand. Nein, sie liebte ihre Familie über alles und sie hatten auch keinen Streit, aber die einzige zu sein, die anders ist, als alle andere, war nicht wirklich immer leicht. Einerseits waren weder ihre Eltern noch ihre Schwestern magisch oder begabt und auch von keinem aus der entfernteren Verwandtschaft war so etwas bekannt. Sie war eine Außenseiterin in ihrer eigenen Familie, wenn man so wollte. Natürlich wurde sie respektiert und geliebt, als wäre nichts anders, aber sie würde nie so sein, wie sie.
Klar, ihre Gabe war auch nicht schlecht, das war keine, sie half ihr sogar und schaffte ihr so manchen Vorteil. Und es gab allein in ihrer Stadt mindestens genauso viele magische, wie normale Menschen. Deswegen wollte sie wieder etwas unter die Menschen gehen, die sie verstanden. In der Stadtmitte würde sie auf die meisten treffen.
Um diese Uhrzeit waren noch viele unterwegs und genossen die laue Nacht. Sie brauchte nicht mit den Leuten zu reden, es reicht ihr, in deren Nähe zu sein und etwas Magie zu spüren. Wenn so viele begabte Menschen auf einem Platz waren, konnten manchmal auch normale Menschen eine gewisse positive Spannung spüren.
Emilas Mutter war bereits weg. Sie musste ein paar Mal im Monat nachts arbeiten und so blieben ihre zwei kleinen Schwestern, ihr Vater und natürlich sie selbst übrig. Sie wussten alle Bescheid, dass sie sich manchmal nicht wohl fühlte und respektierten ihren Freiraum. Deswegen ging sie auch diese Nacht wieder.
Emila kramte ihre Sneakers unter dem Bett hervor und zog noch schnell einen Pulli über ihr Shirt. Die Ärmel hatte sie nach oben gekrempelt und ihre schokobraunen Haare steckte sie schnell nach oben, damit sie sie nicht störten.
„Dad?", rief sie ins Wohnzimmer und steckte ihren Kopf durch die Tür. „Ich geh mal wieder weg. Ich weiß nicht genau, wann ich wieder zurückkomme."
„Ist okay, Schatz. Pass auf dich auf."
„Werde ich machen", lächelte sie. Sie war ihren Eltern unglaublich dankbar, dass sie so verständnisvoll waren. „Bis später."
„Tschüss."
Sie wollte gerade zur Wohnungstür gehen, als ihre zwei kleinen Wirbelwinde von Schwestern aus einem der Zimmer rannten.
„Hallo Emila", rief ihr Rose, die kleinere von beiden zu und verschwand gleich darauf im nächsten Zimmer.
„Tschüss Emila", kam die Antwort von Nelly, der älteren der beiden kleinen. Emila schüttelte nur ihren Kopf. Ihre Schwestern waren wirklich seltsam, aber irgendwie liebte sie genau das an ihnen.
Endlich trat sie aus der Wohnung und ging die Treppen des Mehrfamilienhauses nach unten. Draußen angekommen zog sie die Eingangstür hinter sich zu und machte sich endlich auf den Weg in die Innenstadt.
Der Weg dorthin war mit orange leuchtenden Laternen gesäumt und trotzdem konnte sie noch das Funkeln der Sterne ausmachen. Es war einfach perfekt. Da sie mit ihrer Familie am Stadtrand wohnte, musste sie etwas länger gehen, aber gerade das gefiel ihr. So konnte sie ihre Gedanken schweifen lassen, wohin und oft auch wie lange sie wollte. Obwohl sie noch nicht volljährig war, ließen ihre Eltern sie gehen. Sie hatten ihr einmal gesagt, dass sie ihr gerne mit ihrer Gabe helfen würden. Da sie das aber nicht konnten, würden sie ihr jeglichen Freiraum geben, den sie brauchte und immer für sie da sein, wenn sie sie an ihrer Seite haben wollte. Und Emila war ihnen unendlich dankbar dafür.
Ein weiterer Vorteil, nachts spazieren zu gehen, war, dass um diese Uhrzeit fast nie ein Auto fuhr, obwohl ihre Stadt nicht unbedingt klein war. Die kleinen Straßen, in denen sie bis jetzt gegangen war, wurden langsam größer oder mündeten in breitere Straßen. Ein Zeichen dafür, dass sie näher zur Stadtmitte gelangte. Sie ging noch einige Straßen entlang und bog an verschiedensten Stellen ab, bis sie zum Park kam.
Er war der kleinere der drei Parks hier und hatte dementsprechend auch weniger Bäume, war aber dennoch am Beliebtesten. Es konnte natürlich auch daran liegen, dass er das exakte Zentrum war. Um ihn herum war vor hunderten von Jahren die Stadt erbaut worden und er war immer noch im Mittelpunkt. Ein paar große Straßen trennten den Park von den umliegenden Gebäuden. Die meisten auf Emilas Seite waren Bürogebäude und auf der anderen Seite lagen Restaurants und dergleichen. Sie ging den restlichen Weg, bis sie alles komplett überblicken konnte.
Rechts von ihr lagen eine Reihe von Büros mit einer Glasfassade und Balkonen zu jedem Bereich und Stock. Links von ihr führte eine Straße lange gerade aus, bis man nicht mehr sehen konnte, ob oder wie sie endete oder eine Kurve machte. Schräg links vor ihr lag der Eingang des Parks. Er war nicht etwa eingezäunt oder so etwas, aber dort begann der Weg, der weiter hinein führte. Bäume fand man meistens nur in der Mitte, weswegen der erste Teil, den sie jetzt sah, eher von spätblühenden Blumen und Grasflächen übersäht war. Zwischendurch schlängelte sich ein Weg und Bänke waren so platziert, dass man eine wunderschöne Aussicht auf den kleinen Fluss in der Mitte hatte, der am Ende der Grünanlage unter der Erde verschwand und erst nach der Stadt wieder an die Oberfläche kam.
Auch hier war alles mit warmem orangenem Licht überflutet und es wirkte einfach friedlich. Emila trat etwas näher und konnte allmählich die Magie fühlen. Heute waren wieder viele Menschen nach draußen gegangen und trotzdem war es still. Sie redeten miteinander aber in keiner Lautstärke, die unangenehm war. Im Gegenteil, sie trug sogar zur entspannenden Atmosphäre bei. Menschen mit den unterschiedlichsten Gaben waren unterwegs. Klar, es gab fast niemanden, der die gleiche Gabe hatte, wie jemand anderes. Sie waren alle so unterschiedlich und trotzdem wurde sie von jedem respektiert. Man sah begabte oder magische Menschen schon lange nicht mehr als schlecht oder außergewöhnlich an. Das war lange Zeit nicht so gewesen, aber jetzt lebten alle so miteinander, als würde es keinen Unterschied geben. Und Emila war so dankbar, in dieser Zeit zu leben.
Sie schloss kurz die Augen und ließ alles auf sich wirken. Es war wirklich beruhigend. Gerade wollte sie weiter gehen und eine Runde durch den Park machen, als sie plötzlich einen spitzen Schrei wahrnahm. Er war entfernt, aber er klang schrecklich. Sofort riss sie die Augen wieder auf und sah sich um. Was war passiert? Es musste natürlich nicht zwingend etwas Schlimmes gewesen sein, aber durch ihre Gabe war sie wahrscheinlich sensibler, als andere. Jeder Begabte hatte diese Eigenschaft. Sie war dazu da, ihre magischen Kräfte zu schützen. Sie waren nicht dafür bestimmt, früh zu sterben und somit die Gabe zu verlieren. Jede einzelne von ihnen war wichtig, deswegen konnten die Menschen auch so friedlich miteinander leben, aber das friedlich sollte jetzt vorbei sein.
Ein weiterer Schrei ertönte und langsam wurden auch die Menschen, die näher am Parkende saßen, unruhig. Ein Mann, der auf einer Bank gesessen hatte, stand auf und ging in Richtung Mitte des Parks, wahrscheinlich um den Grund für die Schreie ausfindig zu machen. Er war kaum zwischen den Bäumen verschwunden, als bereits weitere Schreie erklungen und sie wurden lauter. Immer mehr Menschen schienen herausgefunden zu haben, was da vor sich ging.
Emila bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Was war da los? Es hatte schon seit Ewigkeiten niemanden mehr gegeben, der eine solche Unruhe verursacht hatte, aber das hier schien ziemlich ernst zu sein.
Wieder wurden die Schreie lauter und kamen näher und dann konnte Emila die ersten Menschen sehen, die um ihr Leben rannten. Der Mann war nicht dabei. Eine Frau mit blonden Haaren sah total verängstigt aus und wenn sie das aus dieser Entfernung richtig sehen konnte, hatte sie eine große Wunde am Kopf, die ihre Haare schon zum Teil rot gefärbt hatte.
Emila hatte gerade den Entschluss gefasst, auch hinzugehen und möglicherweise zu helfen als etwas über ihrem Kopf, dicht über den Häusern, in Richtung Parkmitte schoss. Sie riss ihren Blick nach oben und wollte ihren Augen nicht trauen.
Nein, das konnte nicht sein. Diese Tiere existierten doch nur in Geschichten, Büchern und Legenden. Aber sie hatte schon so oft darüber gelesen, dass für sie kein Zweifel bestand. Sie sah wieder zurück zum Park und wich vor Schock einige Schritte zurück, näher an die Glaswand des Gebäudes hinter ihr.
Im Park war das reinste Chaos ausgebrochen. Menschen liefen schreiend um ihr Leben, riefen nach Hilfe und versuchten, so schnell wie möglich, so weit wie möglich wegzukommen. Und nein, sie hatte sich wirklich nicht getäuscht. Dort wimmelte es von Drachen. Aber es waren keine Drachen, wie man sie aus Märchen oder Sagen kannte. Man hatte sie eigentlich für ausgestorben erklärt, weil man massenweise Skelette von ihnen gefunden hatte, aber das sah ganz und gar nicht nach ausgestorben aus.
Ihre Schwester hatte diese Tiere einmal mit kleinen T-Rex und großen Flugsauriern verglichen und jetzt, da Emila diese Kreaturen vor ihren Augen sah, konnte sie es wirklich nachvollziehen.
Ein Tihgna, das T-Rex ähnliche Tier jagte gerade einem jungen Mann hinterher. Man konnte die messerscharfen Zähne im Licht der Straßenlaternen funkeln sehen und die Klauen an den Gliedmaßen waren außerordentlich lang und spitz. Die Augen, soweit man das beurteilen konnte, funkelten dunkelrot. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Tihgna genauso groß waren, wie die Menschen. Das half dem Mann letztendlich nichts. Er stolperte und rutschte ein Stück weit über den Boden. Emila streckte im Reflex ihre Arme aus. Sie wollte ihm helfen, aber jede Hilfe würde zu spät kommen. Der Tihgna stand direkt vor ihm. Er versuchte noch, sich aufzurappeln, aber da schlug das Tier mit den Klauen seiner Beine zu, um den Mann am Boden zu halten. Ein qualvoller Schrei erklang. Das Mädchen konnte die pure Angst in den Augen des Mannes sehen, bevor er durch einen Biss getötet wurde.
Sie schloss die Augen. Das konnte nur ein Traum sein, ein schlechter Scherz, aber es hatte sich nichts geändert, als sie die Augen wieder aufmachte. Mittlerweile waren es immer mehr Ungeheuer und Menschen geworden. Die Leute waren wahrscheinlich aus dem hinteren Teil des Parks geflohen, nur um von anderen dieser Art angegriffen zu werden.
Es kamen auch immer mehr Zhyqix, die flugsaurierähnlichen Drachen mit den Flügeln, hinzu. Sie waren fast dreimal so groß, wie die Tihgna. Das Wort Drachen hatten diese Monster sich nicht verdient. Normale Drachen, so wie Emila sie kannte, waren loyal, mutig und prächtig. Diese sahen aus, wie urzeitliche Dinosaurier und waren zu einer unzähligen Zahl in die Stadt eingefallen, um reihenweise Personen zu töten.
Aber als sie genauer hinsah, konnte sie sehen, dass einige Menschen mitten im Geschehen standen, helfen wollten, aber selbst nicht angegriffen wurden. Die Tihgna und Zhyqix rannten und flogen um sie herum und schienen sie überhaupt nicht zu beachten. Emila dachte zurück an etwas, was sie einmal gelesen hatte. Eine Legende. Und das hier kam ihr viel zu ähnlich vor. Drachen, die Menschen angriffen. Es waren aber nur magische Menschen und Menschen mit besonderen Gaben. Alle normalen Menschen blieben verschont. Sie hatte immer gedacht, es wäre nur eine Legende gewesen, aber allem Anschein nach, war die gerade Wirklichkeit geworden.
Diese Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hatten es auf Magie abgesehen und konnte wahrscheinlich die Magie in jedem Begabten spüren, sonst würde sie nicht so genau wissen, wer nicht magisch war. Immer mehr Schreie hallten durch die Luft.
Erst jetzt bemerkte Emila, dass sie noch fast mitten auf dem Gehweg stand und das perfekte Ziel wäre. Hinter ihr war das Glasgebäude und plötzlich fiel ihr siedend heiß etwas ein. Im Haus hinter ihr waren ausschließlich magische Menschen. Dort wurde Kindern das Wichtigste über ihre Magie beigebracht, das sie nicht in der eigentlichen Schule lernten. Sie selbst war auch dort gewesen. Sie musste sie warnen.
Mit einem Satz stieß sie sich vom Boden ab und flog zum nächsten Balkon im zweiten Stock. Das war ihre Gabe. Fliegen.
Sie schwang sich über das Geländer und landete direkt vor der Balkontür. Sie hoffte inständig, dass die Drachen Magie nicht besser spürten, wenn sie benutzt wurde, aber sie bezweifelte das sofort wieder, als sie es dachte. Sie musste sich beeilen.
Sie drückte die gläserne Tür auf. In diesem Gebäude waren Türen nie verschlossen. Es sollte immer offen für jeden sein. Emila stand in einem kurzen Gang. Rechts und links von ihr waren mehrere Türen. Sie und die Wände waren aus Glas. Man konnte nach drinnen sehen. Es war relativ dunkel. Keine einzige der Deckenlampen war angeschaltet. Nur das bläuliche Licht der Computer, die in jedem Raum standen, leuchtete durch die Glasfronten hindurch. Vor jedem Computer saß ein Kind und in jedem Raum war ein Erwachsener, der ihnen alles erklärte, was sie wissen wollten. Die Räume waren relativ klein. In jedem von ihnen waren in etwa nur fünfzehn Personen.
Es schien so friedlich hier. Das wenige blaue Licht schaffte eine entspannte Atmosphäre. Noch dazu kam, dass das Glas mehr oder weniger schalldicht war. Man konnte nur gedämpfte Gespräche hören. Emila sah eines der Kinder lachen. Sie wollte diese Idylle nicht nehmen. Sie wollte ihnen noch wenigstens zwei Minuten geben, glücklich zu sein und zu leben. Länger würden die Tihgna und Zhyqix nicht brauchen, um die begreifen, dass dieses Gebäude nur so von begabten und magischen Menschen wimmelte. Und die Glaswände würden sie nicht im Geringsten aufhalten. Sie würden alle hier drinnen ohne Gnade töten.
Gerade wollte sie sich in Bewegung setzten, als sie hinter sich Glas zersplittern hörte. Schon wieder hörte sie Menschen schreien, aber das Gebrüll eines Zhyqix übertönte alles. Glassplitter flogen um sie herum, schlugen in entgegengesetzte Wände und zerfetzten, was in ihrem Weg lag. Einige Splitter trafen auch sie. Emila wollte sich schützen und warf sich auf den Boden, die Arme schützend über ihrem Kopf gelegt. Die scharfen Kanten des gesplitterten Glases, schnitten sich problemlos durch ihren Pulli und ihre Haut. Ihre Arme, Beine und ein Teil ihres Gesichtes waren zerkratzt und an manchen Stellen, an denen die Schnitte tiefer waren, blutete sie stärker.
Sie rappelte sich so schnell wie möglich wieder auf, als kein Glas mehr durch die Gegend flog. Sie drehte sich um, um zu sehen, was genau eigentlich passiert war, aber sie wünschte sich, sie hätte es nicht getan. Nicht einmal fünf Meter von ihr entfernt ragte der Kopf eines riesigen Zhyqix durch die jetzt gebrochene Glaswand. Der Balkon existierte nicht mehr und die Räume, die an der Außenwand gelegen hatten, waren komplett zerstört. Die Flügel des Monsters hatten die Glasfront eingerissen und alles im Zimmer zu Schutt zerlegt.
Sie wich mehrere Schritte zurück, aber das Tier hatte sie schon entdeckt. Es zappelte, um seine Flügel frei zu bekommen und begann, wild mit seinem langen spitzen Schnabel nach ihr zu schnappen. Ein weiterer Schrei riss ihre Aufmerksamkeit nach draußen zum Fenster. Es war kein Mensch, der geschrien hatte, es war das Gebrüll zwei weiteren Zhyqix.
Sie stolperte weiter zurück zu einem Zimmer am anderen Ende des Ganges. Das Gebäude war mittlerweile in heller Aufregung. Menschen rannten um ihr Leben und einige der Lehrer versuchten, die Ungeheuer von ihren Schülern fern zu halten. Emila erreichte den letzten Raum auf ihrer rechten Seite und rannte hinein. Gerade, als sie komplett aus dem Gang verschwunden war, krachte ein weiterer Drache ins Gebäude. Er konnte bis fast ans andere Ende des Ganges gelangen und ein Mann, der versucht hatte, seine Schützlinge in Sicherheit zu bringen, wurde Opfer des spitzen Schnabels.
Die Flügel der Tiere rissen reihenweise Glaswände ein und brachten alles in ihrem Weg zu umfallen. Mehrere Menschen waren schon unter Regalen oder Tischen begraben worden. Die Kinder im Raum, in den das Mädchen flüchten konnte, waren starr vor Schreck. Viele weinten und wollten nach Hause zu ihren Eltern.
Sie hörte weiteres Gebrüll und Lärm vom Treppenhaus. Einige Lehrer hatten es geschafft, ihre Schüler aus dem Gefahrenbereich zu bringen und wollten sie entweder aufs Dach oder auf die Straße bringen. Was in diesem Fall besser war, wusste Emila auch nicht. Sie sah sich um und bemerkte einen kleinen blonden Jungen, der sich immer noch an seinem Stuhl festkrallte, seine strahlend blauen Augen starrten geradeaus, durch die Glaswand auf einen der Zhyqix, der immer näher kam. Glücklicherweise behinderten ihn seine großen Flügel.
Der Rest der Klasse war schon beinahe komplett aus dem Raum und im Treppenhaus verschwunden, als das Gebrüll von dort lauter wurde. Tihgna. Sie waren auch schon ins Gebäude gelangt und die Kinder rannten ihnen direkt entgegen. Zuerst hatte Emila vorgehabt, mit dem Jungen zusammen zu seiner Klasse zu laufen, aber somit würde sie ihrem sicheren Tod entgegen gehen. Wenn der Zhyqix sie nicht aufspießen würde, wären die Tihgna sofort da, um sie zu zerreißen. Sie hatte auf der Straße gesehen, was sie anrichten konnten und egal, wie sie sich entscheiden würden, sie mussten es schnell tun.
Sie griff nach der Hand des Jungen, der jetzt erst bemerkte, dass er nicht alleine im Raum war. In seinen Augen spiegelte sich pure Angst.
„Komm mit mir mit! Ich bringe uns hier raus!", versuchte sie ihm klar zu machen, aber in seinem Schockzustand brachte der Junge keine Reaktion hervor. Sie bezweifelte, dass er gehört hatte, was sie von ihm wollte. Ein weiterer Schrei ließ die beiden aufschauen. Eine Lehrerin hatte aus Verzweiflung die Tür zu den Treppen zugeschlagen, aber es würde nicht lange dauern, bis alle Monster hier drinnen wären. Und bestimmt waren sie nicht das einzige Stockwerk, das überfallen worden war.
Fieberhaft sah sich Emila nach einem Fluchtweg um und entdeckte auf der anderen Seite des Raumes eine Tür. Ihre einzige Chance! Zuerst wollte sie den Jungen fragen, wohin diese Tür führte, aber sie gab es schnell auf. Stattdessen zog sie ihn von seinem Stuhl und mit ihr mit in Richtung Ausgang. Sie riss die Tür auf und schubste zuerst den Jungen hindurch, ehe sie sie hinter sich zuknallen ließ.
Gerade in dem Moment, in dem sie aus dem Raum verschwunden waren, krachte der erste Tihgna durch die Tür, aus der die restlichen Schüler geflohen waren, in das Stockwerk, in dem sie bis vor einer Sekunde noch waren. Sie sah sich erst nach ihrem Schützling um und half ihm auf. Er sah sie an, als wäre sie ein Wunder. Vielleicht war sie das für ihn auch. Er konnte höchstens acht Jahre alt sein und sie wollte plötzlich alles dafür tun, damit er noch länger leben konnte.
Erst jetzt bemerkte sie, dass die Wände hier nicht mehr aus Glas, sondern solidem Beton bestanden und nur durch ein paar wenige Fenster fiel Licht. Vor ihnen waren Treppen. Eine führte nach oben, die andere nach unten. Emila schloss, dass sie auf der Straße vielleicht doch mehr Glück und Fluchtmöglichkeiten hatten, also schnappte sie sich wieder die Hand des Jungen und rannte mit ihm die Treppen nach unten.
Kaum waren sie ein Stockwerk tiefer, hörten sie über sich einen Knall und wieder Gebrüll. Es hatte sich so angehört, als ob einer der Drachen eine Tür aus den Angeln gerissen hatte. Sie sah nach oben und sobald sie besagte Tür die Treppen nach unten schlittern sah, nach sie ihre Beine in die Hand und rannte schneller als bisher. Der Junge kam mit ihrem Tempo kaum mit, aber in dieser Situation hatte sie keine andere Wahl, als ihn mit sich zu zerren. Sie nahm immer zwei Treppen auf einmal und stolperte selbst öfters.
Am Fuß der nächsten Treppe war sie so schnell, dass sie beinahe gegen eine Tür gekracht wäre. Geistesgegenwärtig riss sie sie auf und stolperte mit dem Jungen zusammen hindurch. Sie atmete einmal tief durch, als sie einen Gang aus Glas vor sich sah. Eine Etage tiefer und sie wären im Keller gelandet. Von da hätte es kein Entkommen mehr gegeben.
Durch das Glas konnte sie so etwas, wie einen Hinterhof auf ihrer rechten und Büsche auf der anderen Seite sehen und mehrere Meter vor ihnen war eine Tür, die auf die Straße zurück führte.
Schwere Schritte und einschüchternde Laute, die von der Tür hinter ihnen kamen, ließ sie wieder zu sich kommen und sie rannte mit dem Kind den Gang entlang. Sie wollte so schnell wie möglich aus dem Gebäude kommen und den Jungen in Sicherheit bringen. Dieser hatte sich, seit sie angefangen hatten zu laufen, an ihrer Hand festgeklammert und würde sie wahrscheinlich nicht mehr loslassen. Sie hatte auch nichts dagegen, dann hatte sie wenigstens Gewissheit, dass er noch immer bei ihr war.
Sie hatten gerade einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als sie einen Schrei über sich hörten. Die beiden sahen nach oben und mussten mit Schrecken feststellen, dass sie von einem weiteren Zhyqix entdeckt worden waren. Dieser flog im Sturzflog auf sie zu und würde jeden Augenblick durch das Dach des Ganges krachen. Sie liefen schneller.
Der blonde Junge konnte fast nicht mehr mit Emilas Tempo mithalten, aber er kämpfte und auch sie selbst war völlig außer Atem. Nur Sekunden später war wieder ein ohrenbetäubendes Geräusch zu hören und schon wieder flogen ihnen scharfe Glassplitter um die Ohren. Doch dieses Mal hatte Emila keine Zeit, sich oder der Jungen zu schützen. Sie rannte weiter.
Der Drache schlitterte ihnen durch seine Geschwindigkeit hinterher und die Spitze seines Schnabels kam ihnen immer näher. Wie durch ein Wunder wurde keiner der beiden von großen Splittern getroffen und sie konnten weiter laufen. Als sie dreiviertel der Strecke zurückgelegt hatten, kam der Zhyqix endlich zum Stehen. Seine Flügel hatten ihn wieder aufgehalten.
Einige Meter weiter blieben Emila und der Junge stehen, um wieder genügen Sauerstoff in ihre Lungen zu bekommen. Sie atmeten schwer und der Junge klammerte ihre Hand immer noch fest. Der Zhyqix vor ihnen begann, sie zu bewegen und versuchte, seine Flügel zu befreien, um die beiden anzugreifen.
Sie wollten sich umdrehen und weiter in Richtung Straße und Freiheit zu laufen, als ein tiefes Brüllen hinter ihnen sie blitzschnell umdrehen ließ. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und der Junge schluchzte einmal auf. Nicht einmal zwei Meter vor ihnen stand ein Tihgna und starrte sie drohend aus seinen roten Augen an. Seine Zähne waren rot und Emila konnte sich leider nur zu gut vorstellen, wovon das kam.
Sie wollte zurück weichen, aber da gab auch der Zhyqix wieder einen grollenden Laut von sich. Sie saßen in der Falle. Der Gang war zu eng, um am Tihgna vorbei zu kommen und selbst wenn, würde er sie sofort erwischen.
Sie wusste nicht, wie stark sie noch kämpfen konnte. Ihr Kampftraining lag einige Monate zurück und selbst da waren sie nicht auf einen solchen Kampf trainiert worden. Sie hatte nichts bei sich, womit sie sich wehren konnte.
Der Tihgna kam bedrohlich einen Schritt näher und wenn sie noch weiter zurückgehen würden, wäre dort der Zhyqix, der nur darauf wartete, sie entweder aufzuspießen oder zu fressen. Der Tihgna vor ihnen setzte zu einem Angriff an und ließ seinen Kopf nach vorne schnellen um in einem von ihnen seine Zähne zu vergraben. Geistesgegenwärtig duckte Emila sich nach unten und riss ihren Schützling mit sich. Sie hatten nur Sekunden, um zu handeln, also schubste sie den Jungen zwischen den Beinen den Tihgna hindurch und rutschte selbst in Rekordgeschwindigkeit nach.
Sie rappelte sich gerade wieder auf ihre Beine, als das Monster vor ihr sich umdrehte. Sie hatte nur eine mögliche Lösung im Kopf und auch die würde ihnen nur wieder Sekunden verschaffen, aber sie musste es riskieren. Die Tür zur Freiheit war nur noch wenige Meter entfernt, aber sie hätte jetzt keine Chance.
Sie nahm alle ihre Kraft zusammen und versuchte sie fieberhaft an die Bewegungsabläufe zu erinnern, die sie vor Monaten gelernt hatten. Endlich stieß sie sich vom Boden ab, riss einen Fuß nach oben und trat mit aller Kraft, die sie hatte, gegen den Kopf des Tihgna. Sie drehte sich in der Luft weiter und kam schließlich wackelnd am Boden auf. Ihre Beine gaben nach und sie rutschte auf den Glassplittern aus. An der Landung würde sie noch arbeiten müssen.
Emila sah nach oben und hatte beinahe damit gerechnet, dass der Tihgna nun endgültig auf sie losgehen würde, aber dieser taumelte zur Seite und stieß mehrere klägliche Laute aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihn anscheinend im Auge getroffen haben musste. Er stolperte einige Schritte weiter zurück und krachte schließlich durch die Glaswand in den Hinterhof.
Gerade in dem Augenblick, in dem Emila wieder auf ihre Beine kam und mit dem Jungen weiter laufen wollte, konnte der Zhyqix seine Flügel befreien. Dabei wurde ein Stück des Daches über ihnen weggerissen und landete direkt auf dem Tihgna, der immer noch versucht hatte, Kontrolle über sich selbst zu erlangen. Er hatte keine Chance, zu fliehen und wurde unter dem schweren Eisenteil begraben.
Jetzt hatten sie allerdings ein größeres Problem mit dem Zhyqix. Er war komplett frei und würde sie ohne Probleme erwischen. Sie drehte sich zu dem Jungen um und traute ihren Augen nicht. Der kleine Junge hielt ihr eine Eisenstange entgegen. Sie konnte später darüber nachdenken, wo er die herhatte. Sie griff danach und in der Sekunde, in der der Zhyqix nach ihr schnappen wollten, riss sie die Stange mit aller Kraft nach unten.
Sie knallte direkt auf den Kopf des Zhyqix und dieser ließ nur noch einen erstickten Laut erklingen und sackte dann leblos zu Boden. Schnell ging sie mit dem Jungen ein paar Schritte zurück und ließ vor Schreck die Eisenstange fallen. Das hatte sie in ihrem Kampftraining definitiv nicht gelernt. Sie sah wieder zu dem Jungen, der immer noch total verängstigt aussah.
„Wir müssen hier raus!", erklärte sie ihm. Er nickte nur leicht, aber Emila war froh, dass er sie zu verstehen schien. Sie nahm wieder seine Hand und er hielt sie fest. Sie rannten die letzten Meter zur Tür. Sie hatte keine Lust, noch einmal überrascht zu werden. Schnell machte sie die Tür auf und dann waren sie endlich aus dem Gebäude draußen.
Wieder atmete sie tief ein und aus und sah dann erst, wo sie waren. Sie standen am Ende der Straße, von der sie am Anfang des Abends gekommen war. Weiter vorne konnte sie den Park sehen und das Chaos, das in ihm herrschte. Immer noch rannten Menschen um ihr Leben, während andere hilflos daneben standen. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Drachen zwar nur magische Menschen töteten, aber auf normale Menschen, die durch ihre Attacken zu Schaden kamen, keine Rücksicht nahmen.
Ihr Blick schweifte zum Gebäude, aus dem sie gerade geflohen waren und sie schnappte erschrocken nach Luft. Die komplette Glasfassade war eingerissen und zersplittert. Die Zhyqix mussten überall dagegen geflogen sein. Alles war zerstört.
Gerade wollte sie sich wieder zu dem Jungen drehen, als sie einen Knall hörte und ein Feuerball aus einem der kaputten Fenster schoss. Sie wichen ein paar Schritte zurück. Endlich sah sie wieder zu dem kleinen Jungen. Er sah mit Tränen in den Augen zurück. Sie kniete sich vor ihn hin und legte ihre Arme auf seine Schultern
„Wir müssen hier weg, verstehst du mich?" Der Junge nickte.
„Wir müssen dich in Sicherheit bringen." Wieder ein nicken.
„Wie heißt du?"
„Nickolas"
„Gut, Nickolas, vertraust du mir?"
„Ja", kam ein Flüstern zurück.
„Gut, ich bin Emila. Ich verspreche dir, es wird dir nichts passieren. Ich bringe dich hier raus. Komm." Sie stand wieder auf und sofort nahm der Junge sie wieder an der Hand.
„Was ist mit meinen Freunden?" Die Frage war so kläglich, dass es Emila einen Stich im Herzen versetzte.
„Sie sind stark. Ich bin sicher, sie finden einen Ausweg, aber es kann dauern, bis du sie wieder siehst", versuchte sie ihm und auch sich selbst einzureden. Nickolas nickte nur.
Sie lief mit ihm vom Park und dem Hauptgeschehen weg. Sie hatte keine Ahnung, wie viele dieser Monster sich wo noch auf den Straßen herum trieben, aber sie wusste, wo ihre einzige Hoffnung war.
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Tadaaa! Das wäre das erste Kapitel! Was sagt ihr?
Also um das mal klarzustellen...die Szene in dem Gang aus Glas hab ich wirklich geträumt! Man, war das ein Schock, als da auf einmal zwei von den Dingern waren!
Ich hoffe ich hab den Traum einigermaßen gut umgesetzt. :)
Ach ja, ich werde zu jeden Kapitel das Lied dazu tun, das ich beim Schreiben gehört habe.
Lasst doch Votes und Kommis da, wenn es euch gefallen hat...
Eure
moontosun <3
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