XXIII

Das erste was ich tat als ich das Zimmer meiner Mum betrat war es die Fenster zu öffnen.
Sie schlief, weshalb ich mich möglichst leise an den Stuhl neben ihrem Bett setzte.
Meine Augen studierten ihr eingegangenes Gesicht.
Ich konnte mich noch daran erinnern, wie sie immer leicht rosige und volle Wangen hatte. Mein Dad hatte sie immer Rotbäckchen genannt, woraufhin sie jedes Mal amüsiert ihre Augen gerollt hatte.
Es waren jetzt zehn Jahre her, seitdem er uns verlassen hatte und sein verschwinden war mir bis zu diesem Tage immer noch ein Rätsel.
Ich war zwölf und Olivia elf Jahre alt als er seine Koffer gepackt und ohne zurückzublicken seine Familie allein gelassen hatte.
In meiner Erinnerung, waren meine Eltern immer glücklich gewesen. Sie hatten sich in ihrer Ehe nur einmal gestritten und dieser Streit war der Auslöser für sein gehen.
Ich frage mich immer noch um was es ging. Es musste etwas Schlimmes gewesen sein, sonst hätte er uns nicht verlassen.
Ich starrte aus dem Fenster als ich an meine Kindheit dachte.
Das Geld war bei uns daheim schon immer knapp. Seitdem ich denken konnte teilten Olivia und ich Klamotten, Zimmer, Spielsachen und nachdem er weg war sogar ein Bett.
Ungefähr zwei Monate nach seinem verschwinden, hatten wir unsere damalige Wohnung verloren.
Mit dem wenigen Hab und Gut, was wir hatten, waren wir als Notlösung für eine kurze Zeit zu Amelie gezogen.
Amelie war die beste als auch einzige Freundin die meine Mum jemals hatte. Sie wussten alles über sich.
Mums Verhältnis zu ihren Eltern war mehr als nur schlecht, weshalb Olivia und ich sie nie kennengelernt hatten.
Aber das wollte ich nicht mal, ich brauchte keine Leute in meinem Leben, die meine Mutter schlecht behandelten.
Mein Blick wanderte runter zu ihrer schmalen Hand und ein melancholisches Lächeln zog sich über meine Lippen.
Diese schwachen Hände, waren mal so stark, dass sie zwei Kinder alleine großgezogen hatten.
Mum arbeitete Tag und Nacht ohne sich zu beschweren bis wir uns endlich das heruntergekommene Apartment, in welchem wir jetzt wohnten, leisten konnten.
Sie zauberte aus dem verwahrlosten Ort ein liebevolles Zuhause, in dem wir aufwuchsen.
Gott, ich konnte mich noch so gut erinnern wie ich mir zum ersten Mal mit sechszehn Jahren eine neue Jeans aus einer Boutique gekauft hatte.
Es war das erste Kleidungsstück, was nicht aus einem Second-Hand Geschäft kam und ich zog es mit Stolz an, denn ich hatte es mit dem Geld gekauft, was ich beim Zeitung austragen verdient hatte.
Ich lachte in mich hinein und wischte über mein Gesicht, was durch meine Tränen feucht wurde.
Olivia war so neidisch, dass ich ihr die Jeans schließlich geschenkt hatte. Der Hintern war aber so ausgeleiert, dass sie es zunächst versuchte mit Watte auszufüllen.
Jup, leider hatte ich schon immer einen größeren Hintern als meine Schwester, weswegen es mit dem Alter immer schwerer wurde Klamotten zu teilen.
Sie hatte die großen Brüste und ich den Po.
"Rena?", unterbrach die heisere Stimme meiner Mutter meine Gedanken.
"Ja, ich bin hier Mama. Alles okay?", antwortete ich ihr sofort und sah zu ihr runter.
Sie schenkte mir ein kleines Lächeln bevor sie wieder ihre Augen schloss.
"Ich weiß. Mein kleines Mädchen ist immer an meiner Seite", sprach sie sanft.
"Danke", atmete sie aus und eine Träne rollte ihre Wange runter.
Mein Herz fing an weh zu tun als ich sie so sah.
Ich lehnte mich vor und küsste ihre Schläfe.
"Einer für alle. Alle für einen", gab ich schmunzelnd von mir und dachte dabei an die Zeit in der Mum, Olivia und ich das bei jeder Gelegenheit gesagt hatten.
Meine Mum hatte es eingebracht, da sie das Buch 'Die Musketiere' so gefeiert hatte und uns jeden Tag predigte, dass wir gemeinsam stark waren.
Sie lachte auf, wobei ihre Stimme kratzig klang. Sofort schenkte ich ihr Wasser ein und half ihr dabei es zu trinken.
"Willst du mir etwas aus der Zeitung lesen? Ich bin zu müde um es selbst zu tun", bat sie mich.
"Klar. Was willst du hören? Politik, Sport oder Kultur?", fragte ich und nahm die Zeitung von heute, die an dem Beistelltisch lag, in die Hand.
"Kultur. Politik muss ich mir kurz vor meinem Tod nicht antun", antwortete sie leichtherzig, was mir aber die Luft aus der Brust schlug.
Es machte es für mich nicht leichter, wenn sie darüber scherzte.
Ohne einen Kommentar abzugeben, suchte ich einen interessanten Artikel raus und begann zu lesen.

Ein kühler Wind wehte als ich aus der Klinik kam.
"Ms. Troypes!", hörte ich jemanden meinen Namen rufen bevor ich den Mann sah, der mir entgegenrannte.
Ich konnte ihn als einen von Felipes Männern zuordnen. Er hieß Roy, wenn ich mich nicht irrte.
"Herr Monteiro hat mir aufgetragen Sie Heim zu fahren", teilte er mir mit.
Meine Mundwinkel zuckten hoch. Felipe war ungelogen ein Geschenk Gottes.
"Okay", antwortete ich schließlich und folgte ihm ans Auto.
Er fuhr an meinem Apartmentblock vorbei, weswegen ich meine Augenbrauen verwirrt zusammenzog und Panik in mir aufkam.
"Hey, du bist gerade an meiner Wohnung vorbeigefahren!", beschwerte ich mich und lehnte mich dabei zu ihm nach vorne, da ich auf dem Rücksitz saß.
Er fing plötzlich an zu schmunzeln.
"Herr Monteiro hat als 'Heim' sein Anwesen definiert und gemeint Sie sollen dort auf ihn warten, damit ihr gemeinsam Abendessen könnt", antwortete er und lächelte.
Oh...
Ich konnte spüren wie ich errötete als Roy mich mit wissender Mimik über den Rückspiegel musterte.
Schweigend lehnte ich mich wieder zurück und sah aus dem Fenster.
"Du kannst mich Lorena nennen und duzen", gab ich irgendwann von mir, woraufhin er lächelnd nickte.

Die Haustür wurde mir von Caleb aufgemacht.
"Hey", grüßte ich ihn und trat ein. Das Haus war ungewohnt leise.
"Hey", kam es von ihm freundlich zurück bevor er in die Richtung der Küche lief.
"Wo ist denn jeder?", hakte ich nach und folgte ihm.
"Xavier, Alec und ich machen gerade Hausaufgaben. Felipe ist arbeiten und Angi ist krank", erklärte er.
In der Küche wurde ich von Xavier durch ein süßes Lächeln und von Alec durch ein müdes 'Hallo' begrüßt.
"Hey", gab ich von mir und sah den Jungs über die Schultern.
"Und klappt's?", erkundigte ich mich.
Xavier nickte, Caleb antwortete mit einem 'ja' während Alec genervt mit einem 'nein' antwortete.
"Wo hast du Probleme? Vielleicht kann ich ja helfen", sprach ich und setzte mich auf den leeren Stuhl neben ihn.
"BWR. Voll- und Teilkostenrechnung."
"Ahh...easy", antwortete ich, es war eines der wenigen Themenbereiche die ich in BWR gut konnte.
"Easy my ass", murmelte er, weshalb ich auflachte ehe ich mich daran machte ihm das Thema näher zu bringen.
Caleb und Xavier gingen nach einer halben Stunde ins Wohnzimmer, da sie bereits fertig mit ihren Aufgaben waren. Alec und ich hingegen hatten noch viel zu tun, weil er so viele Lücken hatte und ich ihm das Thema von Anfang an erklären musste.
Nachdem er es langsam zu begreifen schien, ließ ich ihn eine Aufgabe alleine lösen und fing derweil an zu kochen.
Die drei hatten noch kein Mittagessen gegessen und ich konnte meine süßen Babys doch nicht hungern lassen.
Okay, selbst ich konnte das mit den süßen Babys nicht ernst nehmen. Süß beschrieb Xavier zwar noch ganz gut aber Caleb und Alec konnte ich definitiv nicht so bezeichnen.
Die beiden würden meinen Kopf ins Klo halten, wenn sie wüssten, dass ich sie in Gedanken 'süße Babys' genannt hatte.
Ich fing an in mich reinzulächeln.
Egal wie schlecht es mir ging, in diesem Haus konnte ich nicht anders als glücklich zu sein.

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