7. Der Weg nach Willhelmsburg

Fünf Söhne habe ich in den Krieg geschickt. Fünf Söhne. Jeder einzelne von ihnen war eine schwere Schwangerschaft und eine noch schwierigere Geburt. Aber ich habe jede überlebt und jeden von ihnen von Herzen geliebt. Und jetzt sind sie tot. Gefallen in einem sinnlosen Krieg gegen Bärenstein. Niemand kann gegen seine Übermacht und die Macht dieser Hexe Nelenia bestehen. Ich wusste das und habe sie angefleht zu bleiben oder zu fliehen, doch sie wollten kämpfen.
Wollten für mich kämpfen. Ich wäre lieber gestorben, als sie in den Tod gehen zu sehen, aber für keinen meiner Söhne war aufgeben eine Option. Da sind sie ihrem sturen, verschiedenen Vater viel zu ähnlich. Meine lieben Kinder. Was soll ich nur ohne sie tun? Das Haus ist leer, die Stadt verwüstet, der Krieg tobt weiter und ich bin zu alt um in dieser stürmischen Zeit alleine zu bestehen. Schon bald werden Bärensteins Horden einfallen und noch die letzten Reste Zivilisation von den Knochen unserer schönen Stadt picken, aber ich werde das nicht miterleben. Meine Familie wartet bereits auf mich und ich habe nicht vor sie weiterhin warten zu lassen.

Hermine, 49 eine Stunde vor ihrem Selbstmord

Der Sonnenaufgang wurde von schmerzvoller Stille begleitet. Reina hatte seit ihrem Gespräch dem Tag zuvor kein Wort gesagt und auch Brandon hütete sich davor zu sprechen. Er wusste nicht was er sagen sollte. Für ihn änderte die Gefahr in Willhelmsburg nichts an seiner Mission, doch für Reina schon. Wie konnte er sie fragen ein nicht kalkulierbares Risiko einzugehen? Durfte er das überhaupt? Als Reina schweigend ihre Vorräte einpackte schrieb Brandon den Brief für Graham und Celeste.

>Anna und Diana. Ich verbürge mich für Graham und Celeste. Ihre Mutter Ernestine und ich haben eine Abmachung. Liebe Grüße an Honora. W & F<

"Ich bin fertig.", meinte Brandon und wusste gar nicht genau warum er dies laut aussprach. Vielleicht war es der Wunsch die Stille zu füllen oder das Bedürfnis Reinas Stimme wieder zu hören. Sie sah ihn nur gleichgültig an. Ein Blick der mehr schmerzte als tausend Schläge. Sie stand im Schatten der Bäume und beobachtete die Landstraße zum Bauernhof. Der Schatten ließ sie gefährlich und unnahbar wirken. Tief durchatmend nahm Brandon seinen Mut zusammen. Er hatte Mist gebaut, nun würde er es wieder gerade biegen müssen.

"Reina.", flüsterte er und trat zu ihr. Sie mied seinen Blick. Zögerlich strich er über ihre Wange.

"Bitte sieh mich an." Leicht schüttelte sie den Kopf und blieb still. Brandon seufzte.

"Es tut mir leid, Ree, ich bin ein Dummkopf." Ihr Blick schnellte zu seinem Gesicht und ärger stand in ihren dunklen Augen.

"Nein, bist du nicht. Ich weiß, dass du klug bist, Brandon. Sehr klug. Du hast eine Revolution aufgebaut, die Bärenstein endlich in die Enge getrieben hat. Du hast Sklaven befreit und Menschen Mut gemacht. Du bist vieles, aber nicht dumm." Stumme Tränen traten in ihre Augen. Bestürzt versuchte Brandon sie zu umarmen, doch sie stieß ihn weg.

"Ich verstehe nicht? Warum bist du dann wütend? Ich habe alles geplant und ausgemacht. Es wird nichts schief gehen, versprochen." Die Fäuste geballt kam sie näher.

"Du hast diesen Deal mit Ernestine ausgehandelt ohne dabei an die Gefahr für unser Leben zu denken. In deinem Kopf war alles schon berechnet, aber dir war es egal ob ich einverstanden war oder nicht. Du hast weder an mich noch an die Gefahr für mein Leben gedacht."

Brandon zuckte hilflos die Schultern. "Ich..ich."

"Genau. Du..du. Wo war ich bei dieser Planung?" Reina verdrehte die Augen und verschränkte die Arme.

"Also kommst du nicht mit?", fragte Brandon widerwillig und gestand sich ein, dass er tatsächlich nicht an Reina und die Gefahren in Willhelmsburg gedacht hatte. Ihre Schultern fielen hinunter und ein besiegter Ausdruck trat in ihr Gesicht. Leicht den Kopf schüttelnd meinte sie:

"Ich hab doch keine Wahl. Du würdest dich noch umbringen ohne mich." So sehr ihr der Gedanke und diese Worte auch zu wider schienen, machten sie Brandon doch sehr glücklich. Erleichterung durchflutete ihn und erst jetzt merkte er wie sehr er auf diese Erwiderung gehofft hatte. Ohne Reina würde er diesen Trip nicht überleben. Er war so dankbar, sie bei seiner Seite zu haben. Gleichzeitig kam es ihm so vor als würde er Reinas Gutmütigkeit ausnutzen. Sie schien in dieser Situation mehr wie ein Wachhund und weniger wie seine Freundin und dies gefiel ihm ganz und gar nicht.

"Es tut mir wirklich leid. Ich werde dafür sorgen, dass wir mehr Infos über Roger und Willhelmsburg kriegen. Wir werden nicht blind in diese Stadt fahren und ich werde solche Sachen nie wieder über deinen Kopf hinweg entscheiden."

Einem Ertrinkenden gleich umarmte er sie fest und strich über ihr Haar. In seinen Armen wurde sie zunächst streif und gab schließlich nach. Er konnte ihren Körper zittern fühlen. Nach wenigen Minuten lösten sie sich voneinander. Schnell wischte Reina sich die Tränen von den Wangen und nahm seine Hand.

"Los jetzt. Wir müssen diese Straße sowieso noch mal entlang um auf den Autobahn zu kommen, dann können wir unsere Rucksäcke auch gleich hier lassen."

Brandon nickte und genoss das Gefühl ihrer Hand in seiner. Er war bei diesem Streit mit einem blauen Auge davongekommen und versprach sich selbst nie wieder so gedankenlos über Reinas Sicherheit zu entscheiden. Zusammen gingen sie die staubige Landstraße entlang zum Bauernhof. Wie beim letzten Mal erwartete sie ein gelbes Weizenfeld, doch diesmal vollkommen leer. Es war so früh am Morgen, dass selbst die Arbeiter noch nicht bereit waren. Bereits bevor Brandon an die Tür des Bauernhauses klopfen konnte wurde sie geöffnet. Eine nervös aussehende Ernestine erwartete sie, scheuchte sie sogleich ins Wohnzimmer des Hauses.

Ein junger Mann mit einer Augenklappe über dem rechten Auge und eine hochschwangere Frau mit langem blonden Haar erwartete sie. Die beiden saßen Hand in Hand auf der Bank. Sobald Graham sie sah sprang er auf und stellte sich ihren Gästen vor.

"Es freut mich so sehr euch kennenzulernen.", meinte er aufgeregt. Brandon lächelte den jungen Mann an. Es war seltsam, obwohl er älter als er selbst zu sein schien, fühlte Brandon sich dem Mann überlegen. Er fühlte sich älter, erfahrener. Vielleicht lag es an den Dingen die er gesehen hatte, oder an der Verantwortung, die er so lange schon trug. Ohne Eile nahm er den Brief aus seiner Hosentasche und reichte ihn Graham.

"Hier. Der wird euch sicher durch Terra Caldas Sicherheitsnetz bringen und ein neues Leben anfangen lassen." Graham nahm den Brief dankbar entgegen und reichte ihn Celeste weiter. Diese verstaute ihn sicher in ihrer Tasche.

"Das Auto ist bereit, wenn du mal einen Blick darauf werfen willst?", fragte der Mechaniker ihn. Brandon verneinte lächelnd.

"Ich bin nicht so der Technikbegabte. Reena ist da viel besser."

"Stimmt.", erwiderte sie lächelnd und folgte Graham hinters Haus. Ernestine trat zu ihm.

"Die Vorräte sind bereits eingeladen."

"Danke, aber da wäre noch etwas.", erklärte Brandon vorsichtig. Er wollte die gute Stimmung zwischen ihnen nicht strapazieren.

"Spucks aus Junge.", erwiderte die ältere Frau nur. "Hat einer deiner Arbeiter viel Erfahrung mit den Behörden in Willhelmsburg?" Ernestine stieß ein humorloses lachen aus.

"Die haben alle Erfahrung, deshalb sind sie ja hier. Geflüchtet alle samt. Aber wenn du nach einem Führer für dich und deine Freundin suchst, dann wüsste ich da jemanden. Er redet ständig davon zurück zu gehen um seine kleine Schwester zu holen. Er wäre sicher bereit euch zu begleiten." Brandon konnte sein Glück kaum fassen, doch zügelte er die Freude mit eiskalter Skepsis. Zuerst wollte er den Mann treffen, danach würde sich der Rest zeigen.

"Könntest du ihn für mich holen?", bat Brandon. Nickend verschwand Ernestine die Stiegen hinauf in das zweite Geschoss des Hauses. Neugierig folgte Brandon ihr mit seinem Blick.

"Die Arbeiter schlafen auf dem Dachboden.", hörte er plötzlich die Schwangere flüstern. Sanft strich sie über ihren geschwollenen Bauch und sah ihn an.

"Gut zu wissen. Was hältst du von eurem Umzug?", fragte er um Smalltalk zu machen. Mit ihrer Reaktion allerdings hatte er nicht gerechnet. Sie weinte leise und schmerzvoll.

"Ich werde mein Zuhause vermissen. Eigentlich will ich hier nicht weg."

"Das tut mir leid." Schniefend wischte sie die Tränen von ihren Wangen.

"Tja naja. Ist nicht so als wurde ich gefragt. Natürlich weiß ich das wir nicht wirklich eine Wahl haben, aber.."

"Du würdest gerne eine Stimme in der Entscheidung haben." Celeste nickte. Brandons Herz wurde schwer. Um nichts mehr hatte Reina kaum eine halbe Stunde zuvor gebeten. Wie hatte er nur so gedankenlos sein können. Die Wut auf sich selbst war groß. Ernestine kam zurück, ihr folgte ein junger Mann mit dunkelbrauner Haut und sanftem schwarzen Haar. Sein interessierter Blick glitt von Celeste zu Brandon.

"Brad, das hier ist Malekai." Freundlich reichte Brandon dem Mann die Hand und erkannte sofort Kraft in seinem Griff. Starke Muskeln zeichneten sich auf seinen Armen ab. Dazu kam die beachtliche Größe des Mannes.

"Freut mich Malekai."

"Die Leute nennen mich Kai." Brandon nickte verständnisvoll. In diesem Moment trat Reina zu ihnen. Nickend bestätigte sie Brandon das Fahrzeug und die Vorräte.

"Reena, das ist Kai." Auch sie schüttelte ihm die Hand.

"Also was habt ihr vor?", fragte Kai misstrauisch.

"Wir wollen nach Willhelmsburg. Ernestine meinte, du würdest dort auch gerne hin."

"Ja, hab noch was zu erledigen dort."

"Wenn du uns hinführst und erklärst wie die Stadt funktioniert, nehmen wir dich mit. Und helfen dir falls das möglich ist." Kai überlegte, knirschte mit den Zähnen und taxierte sie genau. Brandon lächelte Reina an, er wollte ihr zeigen, dass er einen Plan hatte und das Kai ihr weg in die Stadt war. Reina verdrehte nur unbeeindruckt die Augen. Sie war sich nicht sicher wie weit man Kai tatsächlich trauen konnte. Schließlich nickte er.

"In Ordnung. Ich komme mit euch. Wann geht's los?"

"Jetzt.", meinte Brandon und ließ sich von Reina zu dem wartenden Auto führen. Kai, Ernestine und Graham folgten leise. Das Auto war nicht groß, hatte aber genug Platz für vier Mitfahrer. Im offenen Kofferraum konnte Brandon Körbe mit Lebensmitteln sehen. Zufrieden schloss er ihn wieder und sah zu wie Reina sich verabschiedete und dann auf der Fahrerseite einstieg. Sie war eine begabte Fahrerin und würde sie schneller nach Willhelmsburg bringen. Kai stieg ebenfalls ein, allerdings verschwendete er keinen Gedanken daran sich zu verabschieden.

Vorsichtig um sich den Kopf nicht zu stoßen, verschwand er auf der Rückbank des dunkelgrauen Autos. Möglicherweise war es nicht dunkelgrau sondern nur wirklich schmutzig und alt. Es schien durchaus schon bessere Tage gesehen zu haben, aber wenn Reina sagte, der Wagen würde laufen, dann vertraute Brandon auf ihr Urteil. Dankbar schüttelte er Ernestine die Hand.

"Vielen Dank für deine Hilfe, Ernestine."

"Ach Junge. Es war ein Geschäft und schließlich haben wir beide etwas davon.", sie lächelte ihn freundlich an," allerdings hoffe ich das ihr heil an eurem Ziel ankommt." Brandon erwiderte das Lächeln und stieg in das wartende Auto.

"Bereit?", fragte Reina und zündete den Motor.

"Bereit."

Sie fuhren ohne Eile die Landstraße entlang und als ihre Rucksäcke in Sicht kamen, hielten sie noch einmal. Neugierig beobachtete Kai wie seine neuen Kameraden ihre Ladung im Kofferraum verstauten.

"Ihr seid also von OneSheep." meinte er als sie wieder im Wagen saßen und auf der beinahe vollkommen leeren Autobahn Richtung Willhelmsburg fuhren. Reina und Brandon ließen sich ihre Überraschung nicht anmerken und während Reina sich auf das Fahren konzentrierte, versuchte Brandon ihre Rolle in seiner Revolution zu mindern.

"Ja, wir sind einfache Soldaten."

"Danach habe ich gar nicht gefragt.", erwiderte er geheimnisvoll lächelnd. Brandon knirschte mit den Zähnen, ihr neuer Mitstreiter schien klüger zu sein als er sich anmerken ließ. Zufrieden lehnte Kai sich zurück.

"Hört mal es ist mir egal, wer ihr seid und was ihr vorhabt. Ich gehöre weder zu Bärenstein noch zu OneSheep und habe auch vor das es so bleibt. Aber wenn wir zusammenarbeiten sollen, wäre es schon gut zu wissen wo euer Ziel liegt. Dann kann ich euch besser hinbringen.

" Natürlich hatte er Recht und Kai schien wie ein netter Kerl, aber konnten sie ihm wirklich vertrauen? Brandon seufzte geschlagen.

"Wir müssen einmal quer durch die Stadt. Unser Ziel liegt hinter der Stadt in der Gegend Bercelona." Kai stieß einen beeindruckten Pfiff aus.

"Wow, ihr habt echt Mut. Ich nehme an drum herumfahren, klappt nicht?" Brandon schüttelte den Kopf.

"Leider nicht. Wie ist es so in der Stadt?", fragte er neugierig. Ein nicht von Bärenstein regierter Ort war ihnen noch nie untergekommen. Kai seufzte traurig.

"Es ist eine Hölle auf Erden."

"So schlimm kann es doch unmöglich sein oder?", widersprach Reina skeptisch.

"Du hast keine Ahnung, Missy. Ich habe in Willhelmsburg gelebt seit ich ein kleiner Junge war. Meine Eltern sind gestorben und ich hab bei einer reichen Familie gearbeitet. Es war nie ein schöner Ort, aber nicht so wie jetzt. Dieser Roger und seine grausame Frau Zemine haben die Stadt zugrunde gerichtet. Ihre Regeln sind noch extremer als Bärensteins."

"Und du suchst deine Schwester."

Kai verzog das Gesicht. Er verheimlichte etwas und Brandon wollte wissen was. "Wie du sagtest, wir können einander nicht helfen wenn wir nicht wissen was unser Ziel ist."

Kai verschränkte die Arme, ballte die Fäuste, blieb ansonsten aber still. So fuhren sie Stunde um Stunde. Hielten nur an um zu essen oder eine Toilettenpause zu machen. Sie sprachen so wenig wie möglich und benutzen die Decknamen weiterhin. Ihre Sicherheit war wichtig.

Als die Sonne an ihrem höchsten Stand war, tauschten Brandon und Reina Plätze und er fuhr eine Weile. Auf der Autobahn waren immer weniger Autos zu sehen, bis sie schließlich alleine waren. Gespenstische Ruhe weilte über der Autobahn. Jedoch waren sie durch diesen Umstand sehr viel schneller als gedacht. Als es Abend wurde stoppten sie am Rand der Fahrbahn.

"Morgen sollten wir ankommen.", meinte Kai und stieg aus. Brandon und Reina taten es ihm gleich. Sofort begann Reina sich zu dehnen und angestrengt zu seufzen.

"Dieses lange autofahren macht mich fertig.", beschwerte sie sich. Brandon konnte nur zustimmen. Sein gesamter Körper fühlte sich steif an. Er wollte sich gar nicht vorstellen wie sein Gang gerade aussah.

"Wie lange glaubst du müssen wir morgen noch fahren?", fragte er Kai und nahm sich währenddessen einen Apfel aus dem Kofferraum. Ernestine hatte ihnen einige Leckereien eingepackt. Kai zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Ich kann die Schilder nicht lesen. Aber es sollte nicht so lange dauern. Ich kann die Meeresluft schon riechen." Mitfühlend legte Reina ihm eine Hand auf den Arm.

"Brauchst du eine Brille? Ist es das?" Verwirrt sah Kai sie an und schüttelte dann den Kopf.

"Nein. Ich kann nicht lesen. Hab es nie gelernt." Erschrocken zuckte Reina zurück und warf Brandon einen Blick zu. Auch er sah Kai verwundert an. Verständnislos zuckte Kais Blick von einem zum anderen.

"Ihr tut ja so als wäre das was Außergewöhnliches."

"Ist es auch!", erwiderte Brandon und trat zu ihnen. Da die Sonne nun endgültig hinter dem Horizont verschwand, knipste er die Taschenlampe in seiner Hand an. Das Licht war nicht viel, aber genug um Kais Kopfschütteln zu sehen.

"In Willhelmsburg ist das ganz normal. Wenn du als Waisenkind einer Familie als Arbeiter übergeben wirst, gibt's keine Schule und auch niemanden der dir was beibringt. Ich erkenne die wichtigsten Wörter, aber nur weil die Tochter des Hauses mir ein bisschen was beigebracht hat."

"Gibt es viele die eine ähnliche Geschichte haben wie du Kai?", fragte Brandon und gestand sich nun vollkommen ein, dass er über den Süden Beerellons kaum etwas wusste. Als Henotello war es ihm nicht gestatten gewesen zu reisen und die Nachrichten wurden stark zensiert.
In Reinas Fall war es ebenso nur anders. Sie hatte ihre Kindheit und Jugend stark isoliert in dem Bunker verbracht und nur geringe Informationen über den Rest des Landes erhalten. Der Gedanke sein Land verändern zu wollen, ohne das Land überhaupt zu kennen schien ihnen nun verrückt. Kai nickte gleichgültig.

"Ist nichts besonders. In Willhelmsburg hat es immer eine Art Klassenunterschied gegeben. Ist nicht schlimmer als die Sklaverei in Ohama seinerzeit oder die Sache mit den Henotellos." Brandon verstand nun, dass es in Beerellon mehr als eine Sorte Sklaven gab. Die Henotellos waren nicht die einzigen Opfer dieser furchtbaren Regierung.

"Und deine kleine Schwester arbeitet immer noch bei einer Familie?" Kai biss den Kiefer zusammen und nickte schweigend.

"Scheiße.", war die einzige Bemerkung die Brandon dazu einfiel. Betreten schweigend sahen sie sich an.

"Wir sollten uns ausruhen. Morgen geht es weiter.", sagte Reina mit einiger Autorität in der Stimme. Die Männer gehorchten und organisiert bauten sie ihr Nachtlager auf. Brandon reichte Kai seinen Schlafsack und schlüpfte dann zusammen mit Reina in ihren.

Es war eng, aber nach ihrem Streit war es genau das was er brauchte. Da es immer noch einiges Misstrauen zwischen Kai und ihnen gab, entschied Brandon sich dafür den Schlüssel des Autos gut in Reinas Schlafsack zu verstecken. Der Mond ging gerade auf als sie endlich zur Ruhe kamen und schließlich einschliefen.

Am nächsten Tag fuhren sie weiter. Über Nacht hatte sich nichts verändert und langsam wurden sie miteinander vertraut. Kai sang im Auto leise und seine tiefe, dunkle Stimme machte ihnen die Stunden des monotonen Fahrens etwas leichter. Hin und wieder stimme Brandon mit ein. Seine Stimme war etwas höher und zusammen ergaben sie ein schönes Duett.

"Ich wünschte ich hätte meine Gitarre dabei.", meinte Brandon geistesabwesend.

"Spielst du?", fragte Kai interessiert und beugte sich nach vorne. Brandon lächelte.

"Hab ich früher. Mann, ich hatte einen gut Rock drauf. Meine ältere Schwester hat dann um mich herum getanzt. Nicht gesungen. Sie ist....", Brandon hielt inne und schluckte hart, "sie war eine schreckliche Sängerin." Brandons Lächeln verblasste und mit ihm auch Kais.

"Das tut mir leid.", mitfühlend legte Kai ihm eine Hand auf die Schulter. Ein nicken war alles was Brandon zustande brachte. Mit seinen Worte hatte er Kyrie für tot erklärt. Wie so oft fragte er sich was sie wohl gerade tat und ob sie ihn so sehr vermisste wie er sie.

"Es ist hart Familie zu verlieren.", versuchte Kai ihn zu trösten. Gerade als Brandon etwas sagen wollte, unterbrach Reina.

"Bei welcher Ausfahrt müssen wir raus. Wo ist es am Sichersten?" Kais Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Vergessen oder vielleicht nur verdrängt rückte Brandons Trauer in den Hintergrund.

"Wir müssen die Küste entlang." Skeptisch runzelte Brandon die Stirn.

"Bist du sicher? Ist dort normalerweise nicht mehr Sicherheitspersonal." Kai nickte und lehnte sich wieder zurück.

"Normalerweise sicher. Aber vor gut einem Jahr sind dort zwei Ölschiffe zusammengestoßen und keiner hatte bis jetzt die Mittel oder das Interesse den Mist sauber zu machen. Der Hafen ist ein einziges schwarzes Ölloch. Da legen keine Schiffe mehr an und eigentlich tat das auch kaum jemand. Willhelmsburg ist von Ackerland umgeben. Es produziert ungeheuerliche Mengen. Beinahe alles für Beerellon. Wenn wir uns bedeckt halten, der allgemeinen Masse gleich dreckig und hungrig aussehen, sollte niemand Grund zur Neugierde haben."

Reina nickte und nahm die Ausfahrt mit dem Schild >Hafen<.

Brandons Neugierde auf Willhelmsburg stieg. Was war das nur für eine Stadt?

Anmerkung der Autorin: Sorry für die unregelmäßigen Updates. Die Kapitel sind lang und ich hab grad angefangen zu arbeiten. Ist momentan echt heftig. Hoffe ihr verzeiht mir das.

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