25. Neue Karten, neues Glück

Ich bin verliebt. So unglaublich verliebt. Mein Herz geht über, mein Magen ist voller Schmetterlinge. Alles sollte so schön sein. Warum es nicht so ist? Nun der Mann, denn ich liebe, der mein Herz gestohlen hat, ist ein Henotello. Aber er ist nicht wie die anderen. Nicht wie Bärenstein oder seine Schwester Nelenia. Er ist gütig und freundlich. Und leider auch verheiratet. Ich sollte mich von ihm fernhalten, ihn vergessen, aber wenn er mich anlächelt, dann klopft mein Herz so laut. Ich denke immer er müsste es hören, so laut ist es. Und er liebt mich auch. Ich sehe es in seinen Augen. Wenn ich ihn halte, findet er Frieden.
Er hatte nicht viel Frieden in seinem Leben. Zuerst Soldat und dann die Sache mit seinen Kinder. Ach davon haben Sie nicht gehört? Bärenstein hat ihm die kleinen weggenommen. Die Mutter der Kinder hat offenbar nicht dagegen gesprochen und so war es entschieden, bevor mein John etwas tun konnte. Es tut mir so leid um ihn. Es tut weh ihn so bedrückt zu sehen.
Ich weiß er wäre ein guter Vater. Vielleicht gibt es ja doch eine Zukunft für uns beide. Ein Weg zusammen zu sein, eine Familie zu haben. Ich wünschte mir so sehr, diese Hoffnung wäre keine Falsche.
Felicity, 25, bringt den Mut nicht auf, ihrem Freund zu sagen, dass sie schwanger ist

BRANDON
Das Auto war eine Tragödie. Wahrlich ein Wrack auf vier Rädern. Reina hatte es kaum zum Laufen gebracht und es starb alle paar Kilometer ab und rauchte wie wild. Aber es war das Beste, das sie in der alten Werkstadt von Ernestines Sohn gefunden hatten. Ernestine selbst hatten sie tot in ihrem Wohnzimmer gefunden. Ein Schuss in die Brust. Aus der Nähe. Brandon fühlte Mitleid mit der alten Frau, die ihnen doch so bereitwillig geholfen hatte ein Auto zu bekommen. Nur dank ihr waren sie überhaupt nach Willhelmsburg gekommen. Zumindest war ihr Sohn und dessen Familie davongekommen. Ein tröstender Gedanke.

"Das wird ewig dauern.", schrie Reina über den brüllenden Motor.

"Fahr einfach weiter. Wir kommen schon an. Wir schaffen das!", antwortete Brandon in derselben Lautstärke. Reina verdrehte die Augen, fuhr jedoch weiter. Sie würden es schon schaffe, sofern ihnen das Auto nicht in Flammen aufging oder spontan explodierte.

Brandon hatte da weitaus mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten als sie. Tage vergingen, sie hielten nur um zu essen oder aufs Klo zu gehen. Das Essen hatten sie in Ernestines Haus gefunden und sich daran gütlich getan. Es war Tage her gewesen, dass sie ordentliche Nahrung zu sich genommen hatten. Als sie Ohama endlich näher kamen, sahen sie schon von weitem die neuen Holzbauten außerhalb der Stadt.

Es waren solide Holzhäuser mit Nutztieren. Rund um die festen Mauern Ohamas hatte sich eine weitere Stadt gebildet. Plötzlich trat ein Soldat in die Mitte der Straße und streckte seine Hände aus um sie anzuhalten. Reina und Brandon ersparten sich das herunterkurbeln der Autofenster, da diese nicht vorhanden waren.

"Wer seid ihr?", verlangte der Soldat zu wissen und sah sie grimmig an. Er schien zu allem entschlossen. Brandon hätte bei seinem Anblick fast ein mulmiges Gefühl gehabt und war froh, dass es gewissenhafte Soldaten in seiner Organisation gab. Reina räusperte sich und lächelte den Soldaten schließlich an.

"Ich heiße Flower und bringe den großen, bösen Wolf nach Hause." Mit einem vielsagenden Blick sah sie auf Brandon. Dieser lächelte unbeholfen. Er hasste diesen Codenamen. >großer, böser Wolf<, hörte sich wie aus einem schlechten Märchen an. Der Soldat verlor jegliche Farbe im Gesicht und schluckte hart.

"Natürlich sofort. Fahren Sie durch. Kann ich nur..ich will nur sagen, danke. An sie beide." Reina nickte ihm freundlich zu und fuhr dann weiter. Je näher sie den offiziellen Mauern Ohamas kamen auf umso mehr Häuser trafen sie. Nicht nur aus Holz, viele aus Stahl und Stein. Unsicher schalteten sie vor dem großen Eingangstor den Motor aus und verließen das Fahrzeug.

"Hier hat sich ja einiges getan.", meinte Reina mit einem Blick auf die neuen Häuser und die darin lebenden Menschen.

"Das müssen Flüchtlinge aus ganz Beerellon sein.", erwiderte Brandon und griff nach ihrer Hand. Gemeinsam schritten sie zu den wachhabenden Soldaten am eisernen Tor und wiederholten die Parole noch einmal.

Der Soldat am Tor war ebenso überrascht wie sein Kollege und funkte seine Vorgesetzte Viktoria an. Wenige Minuten später erschien sie auch schon. Groß, stark, die weinroten Zöpfe boten einen starken Kontrast zu der hellen Haut. Ihre mächtigen Oberarme zeugten von vielen Kämpfen. Freudig umarmte sie Brandon und Reina und lachte als sie in deren Gesichter blickte.

"Ihr glaubt gar nicht wie sehr ich mich freue euch zu sehen. Eine Zeitlang dachten wir, ihr kommt gar nicht wieder nach Hause."

"Tut uns leid, Viktoria. Wir wurden etwas aufgehalten." Viktoria lächelte traurig. "Ich habe es gehört."

"Was?", fragte Brandon verwirrt. Sie konnte unmöglich von dem Labor in Bercelona wissen. Oder doch?

"Terra Calda. Eine Tragödie. Aber ich glaube, es gibt da jemand der euch gerne wiedersehen würde. Kommt mit. Ich habe den anderen schon Bescheid gesagt."

Zögerlich folgten sie Viktoria durch das Tor und hinein in die hektische Stadt. Über den Sommer war vieles neu gebaut worden. Es waren Brunnen angelegt und neue Häuser entstanden. Ihre Stadt florierte und wuchs mit ungeheuerlicher Geschwindigkeit. Brandon konnte nicht glauben, was aus dieser furchtbaren Fabrikstadt in nur wenigen Jahren geworden war.

"Ihr habt ja ganz schön was erlebt.", meinte Viktoria und strich über einen ihrer Zöpfe. Reina nickte. "Du hast keine Ahnung."

"Naja so ganz stimmt das nicht. Es kursieren eine Menge Geschichten über euch in Ohama herum. Angeblich habt ihr eine hochrangige NKS-Spionin getötet. Und einen Gefangenenkonvoi gerettet. Aus Bercelona haben wir seltsame Nachrichten von Monstern erhalten. Die meisten erzählen sich, dass ihr sie bekämpft habt. Monster? Verrückt oder? Und dann hält sich da noch hartnäckig die Geschichte, das ihr zwei jetzt einen ganzen Haufen Kinder habt. Ich sags euch. Als nächstes glauben noch alle Brandon könnte fliegen."

Viktoria schüttelte amüsiert den Kopf und öffnete die Tür des Rathauses. Es war eine der ältesten Fabriken und wurde aufgrund ihres Alters und der bestehenden Gefahr für die Arbeiter nicht mehr verwendet. Stattdessen wurde sie nun als öffentlicher Versammlungsort genutzt. Das nackte Stahlgerüst und das Blech waren vieleicht nicht schön anzusehen, aber es war das Beste das sie hatten. Und darüber würden sie sich nicht beschweren. Ihr Rathaus hatte Charme und Nutzen. Sofort als Cassandra ihre Freundin sah, rannte sie los. Brandon wurde ebenso herzlich umarmt. Nacheinander umarmten Nate, Rami, Zack, Nasreen und, zum Schluss zu Brandon und Reinas Überraschung, Diana sie.

"Du lebst!", rief Reina freudig aus und umarmte sie fest. "Honora, was ist mit.."

"Ich bin hier.", flüsterte das Mädchen hinter Diana und sah sie zitternd an. Tränen spiegelten sich in ihren hellgrünen Augen. Überwältigt von Erleichterung stürzten sie auf das Mädchen zu umarmten sie fest und flüsterten liebevolle Worte. Brandons Herz heilte in diesem Moment zumindest ein Stück. Freudentränen zurückkämpfend lächelte er Honora an.

"Ich bin so froh." Honora presste sich an ihn.

"Ich hatte solche Angst."

"Die brauchst du nicht mehr haben. Ich bin da und werde dich auch nie nie wieder verlassen, versprochen." Reina sah ihn über Honora hinweg traurig an. Dieses Versprechen hätte er niemals geben dürfen. Nicht wo ein weiterer Gegner auf ihrer Karte erschienen ist und ihre Zukunft ungewisser schien denn je. Doch Brandon konnte sich nicht stoppen. Liebevoll drückte er Honora einen Kuss auf die Stirn und sah Diana dankbar an. Diese schüttelte kummervoll den Kopf.

"Sie hat mich gerettet. Diese Bastarde haben Anna getötet und ich wäre beinahe mit ihr in den Tod gegangen. Nur dank Honora bin ich rechtzeitig rausgekommen."

Betrübt nickte Brandon, Annas Verlust war ein großer Schmerz für sie alle, doch er wollte sich nicht einmal vorstellen was in Diana vor sich ging. Wäre es Reina, die in den Flamen Terra Caldas gestorben war, wüsste Brandon nicht was er tun sollte.

"Brandon!", rief jemand von der Eingangstür und Brandon erkannte Noah und Aurora. Die anderen Kinder waren nirgends zu sehen. Nasreen sah sie freundlich an und winkte sie näher.

"Noah und seine kleine Gruppe sind vor nicht mal einen Tag angekommen. Er hat euch doch sehr treffend beschrieben, aber wir wollten sichergehen, dass ihr euch wirklich kennt." Brandon schüttelte leicht den Kopf. Nasreen war zu vertrauensselig wenn es um Henotellos ging.

Sie versprach ihnen nur zu gerne einen Platz in Ohama. Aus diesem Grund hatte Viktoria Anweisungen, sehr kritisch gegenüber neuen Henotellos zu sein. Brandon warf Viktoria einen Blick zu. Diese zuckte entschuldigend mit den Achseln.

"Das waren ein Haufen Kinder.", meinte sie entschuldigend. Brandon seufzte und wusste doch genau, dass er nicht anders gehandelt hätte. Kinder waren Kinder.

"Ja wir kennen sie. Ohne Frage. Wo hast du die Kinder und Giselle gelassen? Du solltest doch auf sie aufpassen?" missbilligend hob Brandon einen Finger. Entschuldigend zuckte Noah mit den Achseln. Nasreen kam zu seiner Rettung. "Das war meine Entscheidung. Die Kinder waren ausgehungert und kränklich. Dazu kommen ihre durchaus gefährlichen Kräfte. Ich habe sie bei unseren Freunden im Henotellohaus gelassen und nur Noah und Aurora gebeten herzukommen."

"Du bist eine Henotello?", fragte Honora neugierig und trat auf das andere Mädchen zu. Aurora blickte sie defensiv an. "Und?" Honora reichte ihr die Hand.

"Ich bin auch eine Henotello. Vielleicht können wir Freunde werden?" Auroras Gesichtszüge blieben gleichgültig.

"Wieso würdest du das wollen?" Honora legte den Kopf schief.

"Jeder braucht doch Freunde."

"Ich weiß nicht..." Hilflos sah das Mädchen zu Brandon und dieser nickte ermutigend. Aurora zuckte mit den Schultern, doch Brandon sah in ihren milchweißen Augen die Furcht vor einer Zurückweisung.

"Ich kann dir mal die Stadt zeigen.", versuchte Honora es weiter und lächelte aufrichtig.

"Okay.", flüsterte das andere Mädchen schließlich und ließ sich von Honora nach draußen ziehen.

"Komm mit, die Erwachsenen haben etwas zu bereden.", waren Honoras letzte Worte bevor sie im Sonnenschein des milden Tages verschwand und Aurora hinter sich herzog.

"Äh und was soll ich jetzt machen?", fragte Noah etwas hilfloser als es Aurora war. Brandon schmunzelte und sah Reina an. Diese lächelte schief.

"Am besten gehst du zurück. Die Kinder werden dich sicher schon vermissen." Erleichtert nickte Noah und verschwand wieder.

"Er hat eine einzigartige Gabe.", murmelte Nasreen nachdenklich.

"Ja nur komm seinem Blut nicht zu nahe. Ehrlich. Wir haben echt fiese Mutationen gesehen, die nur aufgrund seines Blutes entstanden sind."

"Vielleicht kannst du morgen mal bei mir vorbeikommen und die ganze Geschichte erzählen. Ich würde die Gaben der Kinder gerne katalogisieren und einen Trainingsplan erstellen. Wir können sie erst frei in der Stadt herumlaufen lassen wenn sie ihre Gaben unter Kontrolle haben."

"Und wir sollten auch dringend über die Flüchtlingssituation reden. Der Winter ist bald und wir müssen einen Plan haben.", mischte Nate sich ein. Brandon hob beruhigend die Hände bevor die anderen auch noch was sagen konnten und ihn und Reina damit überforderten.

"Wir werden alles machen. Aber zuerst. Wie ist die Situation mit den NKS?" Betreten sahen seine Kommandeure zu Boden. Ein Thema das ihnen allen offensichtlich schwer im Magen lag. Cassandra trat vor.

"Sie haben Sankt Sandrina. Loke ist auf der Flucht, wohin wissen wir nicht. Und von Terra Calda wissen wir, dass die NKS keine Gnade kennen."

"Das Gute daran ist, dass Lokes Armee ihren Weg zu uns findet. Langsam, stetig, aber sie treffen alle ein. Und sie wollen nicht mehr für Loke kämpfen." Reina griff sich nachdenklich ans Kinn.

"Das heißt wir haben einen neuen Feind und eine neue Armee. Und als wir Ohama verlassen haben, war der Krieg so gut wie vorbei." Bekümmert fluchte sie.

REINA und CASSANDRA
Müde lehnte Reina sich auf der Bank zurück und legte die Füße hoch. Cassandra neben ihr seufzte genießerisch als auch sie sich endlich zurücklehnen und entspannen konnte. Sie saßen auf Cassandras Balkon. Ihre Wohnung lag im vierten Stock eines Arbeiterhauses.

Es war nichts besonderes, doch Cassandra und vor allem deren langjähriger Freund Nate hatten sie zu einem echten Zuhause gemacht. Auf dem Balkon sitzend sahen sie über Ohama hinweg auf den Sonnenuntergang. Es war ein wunderschöner Anblick, der Reina das Herz wärmer werden ließ. Das Gefühl von Geborgenheit und Heimat war überwältigend.

"Was für ein Tag.", meinte sie und lächelte Reina liebevoll an, "ich hab dich vermisst, Flower."

Reina erwiderte das Lächeln schief und griff nach der Hand ihrer besten Freundin. Ihr Verhältnis hatte sich so sehr verändert. Das schüchterne, zurückhaltende Mädchen das Cassandra einmal gewesen war, war in den Jahren verschwunden und hatte einer selbstbewussten Frau Platz gemacht. Reinas Gefühle Cassandra gegenüber waren immer noch beschützend, aber nun wusste sie, dass sie auch über ihre Probleme mit Cassandra reden konnte.

"Ich hab dich auch vermisst, Cassie. Wir waren zu lange fort."

"Und hast viel erlebt?", fragte Cassandra und sah in Reinas trauriges Gesicht.

"Vielleicht zu viel." Fürsorglich legte Cassandra ihrer Freundin die Arme um die Schultern.

"Willst du es mir erzählen?" Reina schüttelte den Kopf. Scham drückte ihre Lippen aufeinander und ließ sie verstummen.

"Ich bin für dich da. Egal was es ist.", flüsterte Cassandra und brach damit Reinas Dämme. Sie schnaubte und merkte in diesem Moment das ihr die Tränen kamen.

"Wo soll ich nur anfangen?"

"Fang beim Anfang an und Ende in meinen Armen." Reina biss sich auf die Unterlippe und begann zu erzählen. Sie schüttete ihr gesamtes Herz aus, jede Begegnung, jeder Verrat. Der Missbrauch von Mr. Smith und das Labor. Selbst die Probleme und die Versöhnung mit Brandon ließ sie nicht aus. Und als die Geschichte zu Ende war, seufzte Reina erleichtert. Sie fühlte sich so frei und sicher.

"Wow. Das ist ganz schön viel.", hauchte Cassandra mit einem Lächeln und drückte ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange, "da bin ich froh, dass du es zurück zu mir geschafft hast. Wer sonst sollte meine Brautjungfer sein." Erschrocken riss Reina die Augen auf.

"Was? Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt." Cassandra lachte nur als sie Reinas Ungläubigkeit sah. Nickend strahlte sie Reina an.

"Nate hat mich gefragt und jetzt da du endlich wieder da bist, können wir heiraten."

Überwältigt umarmte Reina Cassandra und konnte es nicht fassen. Ihre schüchterne Freundin hatte Nate, den Frauenheld gezähmt und in ihm wahre Liebe gefunden.

"Ich freue mich so für dich.", flüsterte sie Cassandra ins Ohr.

BRANDON und NATE
Ein paar Tage später zeigte Nate seinem Boss Brandon die Organisation der Flüchtlingssituation. Zusammen gingen sie durch die kleine Stadt vor Ohama und besahen sich einige der neuen Häuser. Beeindruckt hörte Brandon Nates Erzählungen zu.

"Du hast keine Ahnung was hier abgegangen ist. Wir hatten immer einen steten Flüchtlingsstrom und der war auch kein Problem, aber so viele Menschen, das hätten wir fast nicht geschafft.", meinte Nate und winkte einigen Kinder zu. Diese lachten ihn an und erwiderten das Winken fröhlich.

"Ich habe es mir fast gedacht. Nachdem wie die Soldaten in Willhelmsburg auf uns reagiert haben, dürftet ihr auch einige aus dieser Stadt haben." Nate nickte.

"Wir haben aus ganz Beerellon die Leute. Die NKS dürften sehr viel grausamer als Bärenstein sein, sie haben kein Mitleid. Alle die jung und gesund genug sind zu fliehen, tun das auch."

Bedrückt schüttelte Nate den Kopf und führte Brandon zu einem Steinhaus vor dem einige Soldaten saßen. Mit einem einfachen Gruß traten sie ein. Das Haus war nicht groß, hatte genau ein großes Zimmer in dem sechs Schreittische und Schränke standen. Auf jedem Schreibtisch stand ein Computer und an jedem Computer saß ein Arbeiter. Es herrschte eine geschäftige Stimmung.

"Hier sammeln wir die Daten der Flüchtlinge. Du weißt schon, Sachen wie Name, Ausbildung und so. Hauptsächlich damit wir sie in die richtige Jobbranche stecken können und falls sie Verwandte haben, können wir sie damit besser wiedervereinen."

"Das hast alles du auf die Beine gestellt?" Brandon sah sich bewundernd in dem Haus um. Es war sauber und gut organisiert. Der ganze Prozess schien zu funktionieren. Nate lächelte.

"Eine der Henotellos kann fliegen und macht regelmäßige Erkundungsflüge über Ohama und die Umgebung. Sie hat die ersten Gruppen schon Tage vorher gesehen und uns Bescheid gegeben. Danach habe ich mich einfach auf mehr eingestellt und dementsprechend Arbeitskraft und Versorgung zusammengestellt. Nachdem sich alle eingearbeitet hatten, war es nicht mehr schwer."

"Gibt es Probleme innerhalb der Flüchtlingsgruppen oder mit Menschen die bereits länger in Ohama leben?" Nate runzelte die Stirn.

"Du meinst Streitigkeiten?" Brandon nickte und wartete gespannt auf die Antwort. Als sie damals in Ohama angefangen hatten, war ihre Gruppe von Rebellen auch ein bunter haufen gewesen. Streitigkeiten waren da vollkommen normal. Wichtig war zu wissen, wo die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten lagen.

"Nun ja schon. Vor allem mit ehemaligen Loyalen von Bärenstein. Aber Nasreen und die Henotellos versuchen da wie eine Brücke zu wirken. Die Henotellos kommen ja aus allen Teilen Beerellons und verstehen sich ganz gut darin, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen.", meinte Nate und war sichtlich stolz auf die Zusammenarbeit mit Nasreen, "Schwierig wird es wenn Bärenstein oder die NKS einen Angriff starten."

"Habt ihr Evakuierungspläne am Start?", fragte Brandon und setzte sich mit Nate an einen der Schreibtische. Ein hölzernes Schild wies es als den Arbeitsplatz von >der unglaubliche Nate< aus. Nate nickte und griff sich nachdenklich ans Kinn.

"Ja schon, aber wir kommen nicht dazu sie tatsächlich zu üben und du weißt ja wie es mit Plänen ist, die man nicht zumindest einmal durchgespielt hat."

"Sie funktionieren nur mit sehr viel Glück."

"Genau! Und auf Glück kann man sich selten verlassen. Viktoria versucht so viele ausgebildete Soldaten wie möglich hier draußen zu haben. Die können bei einem Ernstfall zumindest ein wenig Druck machen und die Leute durch das Tor scheuchen, aber wir riskieren bei einem solchen Szenario eine Panik."

Seufzend lehnte Brandon sich zurück und sah aus dem Fenster. Ein paar Kinder standen davor und schnitten Grimassen. Brandon wollte sich den Ernstfall nicht einmal vorstellen, doch so wie Terra Calda aussah, würde der Krieg demnächst auch zu ihnen kommen.

"Wir brauchen einen anderen Plan.", flüsterte er.

NOAH und GISELLE
Unsicher saß Noah an Giselles Bett. Sie lag wie die meisten Kinder in einem Krankenbett und wurde von Cassandra und deren freundlichen Kollegen betreut. Neben Giselle saß Esmeralda, ihre Tochter, und spielte leise mit einer Puppe, die ein Mädchen namens Honora vor einigen Tagen vorbeigebracht hatte.

"Ich habe heute mit Nasreen und Zack gesprochen. Sie wollen mir einige Aufgaben im Haus der Henotellos geben. Ich darf mir dann dort auch ein Zimmer aussuchen."

Giselle lächelte und nickte. Ihre Fähigkeit zu kommunizieren beschränkte sich auf Gestik und Mimik. Ihr Mund war mit einer Art Beißkorb fest verschlossen und am Hinterkopf mit Bändern befestigt. Sie sah zugegebener maßen gruselig aus, doch auf keinen Fall wollte sie jemanden aus Versehen verletzten und Noah konnte diese Gefühl nur zu gut nachvollziehen.

Ihre Nahrungsaufnahme war schwierig genug und die Menschen im Krankenhaus hatten zurecht Angst vor ihr. Jeden Morgen wurde sie in den Keller gebracht um dort ihre Mahlzeit für den Tag zu sich zu nehmen.

Nur dort löste sie den Beißkorb und öffnete ihren gespenstigen Schlund. Das Haus bebte jedes Mal, einer der Gründe warum Giselle nur einmal am Tag Nahrung erhielt. Schuld ließ Noahs Herz schwer werden.

Er hätte ihr diese Qualen so gerne erspart. Liebevoll strich Giselle ihrem kleinen Mädchen über den Kopf. Noah seufzte. In seinem gläsernen Gefängnis hatte er sich so selbstsicher gefühlt, nun war er in der Welt und wusste nicht wie er sich fühlen sollte. Alles war neu und unbekannt.

Diese Tatsache löste unbändige Furcht in ihm aus, selbst in diesem Moment fehlten ihm die Worte. Giselle beugte sich vor und strich sanft über seine Wange.

"Es geht alles so schnell. Ich fühle mich als würde ich ständig taumeln. Da ist kein stabiler Boden unter mir."

Giselle griff an seine Brust, deutete auf sein Herz und griff dann auf ihr Herz. Noah wusste, sie wäre bei ihm, würde ihm helfen, aber er wollte kein Hindernis sein, kein Klotz am Bein. Giselle hatte doch wahrlich schon genug zu bewältigen. Niedergeschlagen ließ er den Kopf hängen.

"Giselle könnte ja mit dir ziehen.", meinte Erik fröhlich und setzte sich auf Giselles Bett. Diese lächelte freundlich und tätschelte seine Hand. Verwirrt runzelte Noah die Stirn.

"Wieso würde sie das wollen? Wieso würdest du das wollen?", richtete er die Frage an Giselle. Sie legte den Kopf schief und sah ihn an als müsste er die Antwort auf diese Frage längst wissen. Erik griff sich an den Kopf.

"Sie hat dich gern, dummi." Noahs Blick glitt zwischen Erik und Giselle hin und her.

"Wirklich?", fragte er immer noch verwundert und bekam die Antwort in Form eines leichten Kuss auf die Wange. Errötend nickte er. Das Herz schlug wild in seiner Brust und andere Regionen seines Körpers fühlten sich ebenfalls seltsam lebendig an.

"Ich sage Nasreen Bescheid. Sie wird sicher nichts dagegen haben. Was ist mit dir Erik. Wohin geht's für dich?"

Der Junge zuckte die Schultern.

"Keine Ahnung. Die Ärztin sagt mir geht's gut, aber sie hat noch keinen Platz für mich gefunden."

"Das wird sicher bald was. Du kannst uns jederzeit besuchen kommen." Erik lächelte bei dieser Vorstellung, doch Noah konnte seine Traurigkeit in den tief grünen Augen sehen. Der Junge wollte ein Zuhause, eine Familie, Menschen die ihn liebten.

Die anderen Kinder waren genauso, doch tatsächlich hatten sich viele Henotellos und auch andere bereiterklärt sie aufzunehmen. Nur Erik war irgendwie übrig geblieben.

Anmerkung der Autorin: Ich weiß, ich hau grad ein Kapitel nach dem anderen raus. Der Grund ist, dass ich nur noch ein Kapitel zum Schreiben hab und auch das so gut wie fertig ist. Und wenn ein Buch fertig ist gehört es raus, da hab ich keinen Bock mehr auf Regelmäßigkeit. Schließlich will ich, dass ihr nicht so lange warten müsst.

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