20. Für die Möglichkeit zu leben

Ich bin Gefangener. Kein Kriegsgefangener, ich bin in diesem Lager, weil ich die falsche Religion, die falsche Hautfarbe habe. Welche die Richtige ist? Keine Ahnung. Ich weiß nur ich habe nichts getan, dass gegen die Gesetzte meines Gottes verstößt. Ich habe nicht getötet, nicht gestohlen, nicht verletzt und auch niemandes Ehefrau verführt. Mein Leben habe ich stets in dem Glauben geführt, dass guten Menschen, gute Dinge wiederfahren. Dieser Glaube, ist schon lange verblasst. Mit mir kamen auch meine Eltern, Geschwister, Tanten, Onkel und Cousinen in dieses Lager. Ihnen allen musste ich beim Sterben zusehen und egal was ich auch tue, egal wie sehr ich auch bettle. Mit meiner kleinen Schwester will niemand Gnade walten lassen. Sie ist doch noch ein Kind. Sie hat dieses Ende nicht verdient. Ich weiß, dass es für mich kein Entrinnen gibt, aber zumindest für sie erhoffe ich mir ein besseres Leben.
Amir, 23, hat seine kleine, zitternde Schwester im Arm

BRANDON
"Wir müssen verschwinden! Brandon, komm mit. Sonst sitzen wir hier mit den Monstern fest!", rief Dreizehn verzweifelt und zog an den breiten Schultern des Mannes vor ihr. Wütend riss er sich von ihr los und murmelte liebevolle Worte in das Ohr seiner toten Schwester.
Es half nichts. Brandon war in einem Delirium des Schmerzes und egal wie viel Dreizehn auch redete oder ihn zu berühren versuchte, er wies sie ab. Coraline war inzwischen kalt und steif in seinen Armen. Dreizehn seufzte angespannt und öffnete die Tür der Zelle einen Spaltbreit.
Der Flur war leer. Bis auf die Schüsse, Schreie und das gespenstisch flackernde Licht, war alles ruhig. Die Monster arbeiteten sich anscheinend durch das Labor.

Keine angenehme Vorstellung, jedoch musste Dreizehn sich eine gewisse Genugtuung zugestehen. Sie war ihr Leben lag in diesem Gefängnis eingesperrt gewesen, kannte weder Eltern noch Freiheit. Der Gedanke diese furchtbaren Ärzte und die Soldaten tot zu sehen, war etwas das ihr Erleichterung verschuf. Sie war froh, dass sie ihr nicht mehr wehtun konnten. Dennoch hoffte sie sehr, dass ihre Freunde irgendwo in Sicherheit waren. Zuletzt hatte sie durch das Funkgerät von Giselles Fund, Noah, erfahren. Vielleicht wusste diese Reina mehr? Vielleicht konnte sie ihr mit Brandon helfen? Verzweifelt nahm sie das Walkie-Talkie und drückte auf den Sprechknopf.

REINA
"Hallo. Hallo. Ist da jemand? Bitte kommen. Ich weiß nicht was ich tun soll. Brandon geht's es nicht gut.", kam die Stimme eines Mädchens aus dem Walkie- Talkie. Reinas Herz stand still, als Clark sie küsste.

Zärtlich und doch leidenschaftlich drückte er seinen Körper an ihren. Und obwohl es sich nicht unangenehm anfühlte, stimmte doch etwas nicht. Reinas Herz schien sich gegen eine Hingabe zu wehren und sanft schob sie den Mann von sich. Clark ließ es sofort geschehen, sah sie nur mit verwirrten Augen an.

"Ich dachte du wolltest es?", fragte er leise und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. Reina hielt ihren Blick am Boden und schüttelte leicht den Kopf. Wieder hörte sie das Mädchen von Brandon sprechen. Was sie wollte, wonach ihr Verstand, ihr Herz und ihr Körper schrie war Brandon. Sie wollte seine Arme um sich spüren, seinen Geruch einatmen und sich wieder heil fühlen. Nichts davon konnte Clark ihr geben.

"Nein, ich...ich kann nicht.", entgegnete sie während ihre Schultern nach unten fielen und sie ein schlechtes Gewissen bekam. Vorsichtig griff Clark nach ihrem Kinn und bog ihr Gesicht seinem entgegen. Mit einem leichten Lächeln nahm er ihre jegliche Schuld und Scham.

"Ist okay. Falls du deine Meinung änderst, lass es mich wissen." Reina lächelte erleichtert und setzte sich wieder an den Computer. Schnell griff sie nach dem Walkie- Talkie.

"Hier ist Reina. Wer spricht da?" Es knisterte.

"Dreizehn..ich meine Aurora. Bitte. Da draußen sind Soldaten und Monster und Brandon geht es nicht gut. Ich weiß nicht was ich tun soll." Die Angst und Verzweiflung des Mädchens waren deutlich hörbar und um eine ruhige Stimme bemüht antworte Reina.

"Keine Panik. Ich bin da und ich habe eine Idee wie ich die Monster weg krieg. Ist Brandon verletzt?", fragte sie mit einiger Sorge. Falls ja, wäre es schwierig ihn rauszubekommen.

"Coraline, seine Schwester. Sie ist...sie ist tot. Er lässt sie nicht los. Sie ist schon ganz kalt. Und er weint und schreit und Coraline sie sieht so alt aus. Sie war jung aber jetzt ist sie alt und ich weiß nicht... ich krieg ihn nicht dazu sie loszulassen."

Reina fühlte ihren Körper kalt werden. Coraline. Das knapp zwölfjähre Mädchen, an dessen Rettung Brandons gesamtes Herz gehangen hatte.

Tot.

Es würde ihn zerstören, dieser Verlust würde ihm die letzte Hoffnung auf seine Familie nehmen. Reina wusste, sie sollte etwas sage, sollte Aurora beruhigen, doch die Worte blieben in ihrer Kehle stecken. Schienen zu banal um auf diese Entwicklung gerecht zu antworten. Clark nahm ihr das Walkie- Talkie ab.

"Okay. Auf mein Zeichen wirst du folgendes tun. Du wirst ihn schlagen. Ordentlich. Fest. Es muss wehtun. Und dann gibst du ihm Anweisungen. Erwarte nicht, dass er von sich aus etwas tut. Gib ihm einfach Befehle.", meinte er ernst und blickte Reina entschlossen an.

"Du musst uns hier rausholen. Sobald sie zugeschlagen hat, haben wir ein paar Minuten bis die Realität ihn wieder in die Trauer reißt. Wir müssen bis dahin hier raus sein." Reina nickte. Eine Idee ließ ihre Finger wie wild über die Tastatur wandern.

"Da gibt es noch ein Kommando, das wir probieren können."

"Und das wäre?" Zittrig atmete sie durch.

"Gas. Die haben hier ein besonderes Nervengas entwickelt, das alle lahmlegen sollte. Wir sind geschützt, genauso wie Brandon und das Mädchen in der Zelle. Giselle und die Kinder weiß ich leider nicht, aber..." Clark nickte.

"Es ist unsere einzige Chance. Wie lange dauert es bis das Gas an den Monstern wirkt?"

"Laut den Akten sollte es sofort wirken. Danach geht die Sicherheitstür auf und entlässt das Personal, also uns. Aber das Gas wirkt nicht lange. Vielleicht fünfzehn Minuten. "

"Dann haben wir ein Zeitfenster. Das schaffen wir. Du läufst Brandon und Aurora entgegen, ich hole Giselle und die Kinder. Wir treffen uns draußen und laufen so schnell es geht zurück zum Wagen. Einverstanden?" Reina nickte angespannt. Clark rollte mit den Schultern und machte sich bereit zu laufen. Er musste in eine untere Ebene gelangen und das sehr schnell.

"Aurora. Warte auf mein Zeichen, dann schlag zu.", meinte Clark im Befehlston und gab Reina ein Zeichen um das Gas zu entlassen. Mit Schwung drückte sie auf die Tastatur und ein zischendes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Sicherheitstür. Hellgrünes Gas waberte langsam über den Boden und verteilte sich von strategisch angebrachten Ventilen.

"Verstanden.", kam Auroras ängstliche Stimme aus dem Walkie-Talkie und Reina konnte sehen wie das Mädchen die Zellentür schloss und damit aus ihrem Blickfeld verschwand.

"Wann öffnen sich die Türen?", fragte Clark mit Blick auf die Glastür. Reina zuckte mit den Achseln.

"Diesen Teil übernimmt der Computer. Er misst den gasgehalt in der Luft. Sobald wir gefahrlos raus können, öffnet sich die Tür von alleine." "Schlauer Computer.", entgegnete Clark und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. "Hoffen wir nur das es klappt.", entgegnete sie nur unruhig. Sie würden eine Menge Glück brauchen um diesem verfluchten Labor zu entkommen.

GISELLE
Schmerzen schossen von ihrem Bauch zu jeder Faser ihres Körpers. Die Kreatur lag tot zu ihren Füßen, doch der Preis für den Sieg war groß gewesen. Im Kampf hatte sie Giselle verwundet und nun sickerte ihr Blut durch das T-Shirt und verteilte sich über dem Boden. Salome, das kleine Mädchen mit der Gabe der Zerstörung machte das Loch in Noahs Glaskasten größer und heraus kamen eine Handvoll Kinder, die sich nun alle um sie scharten.

"Tut es sehr weh?", fragte Erik mit besorgter Miene. Giselle versuchte zu lächeln, aber so richtig wollte ihr Gesicht da nicht mitspielen.

"Das war ziemlich beeindruckend.", meinte Noah und trat von hinten auf sie zu. Giselle atmete schwer und merkte wie ihr schwindelig wurde. Bevor sie nach hinten kippen konnte, fing Noah sie auf. In seinen Armen liegend versuchte sie die Blutung zu stoppen. Die Kinder um sie herum sahen ihr traurig beim Sterben zu.

"Ich hab mein bestes gegeben.", antwortete Giselle mit einem Lächeln. Noah zog sie näher und strich zärtlich eine verschwitzte Haarsträhne hinter ihr Ohr. Die Verletzungen waren groß und hatten immensen Schaden in ihrer Körpermitte hinterlassen. Schon während des Kampfes hatte Noah gewusst, dass sie dieser Verletzung erliegen würde.

"Und du hast gewonnen."

"Ich hatte ja auch..etwas wofür es sich zu...kämpfen lohnt.", brachte sie mühsam hervor und suchte in der Kindergruppe nach dem grünen Gesicht ihrer Tochter. Noah folgte ihrem Blick.

"Wieso?" Verwirrt zog Giselle die Augenbrauen zusammen und sah Noah von unter herauf an.

"Wieso würdest du ein Monster haben wollen?" Leises lachen wurde zu blutigem Husten und nachdem Giselle wieder atmen konnte, lächelte sie den nun endlich Befreiten an.

"Sie ist...kein Monster. Sie gehört zu mir...immer." Versucht zärtlich berührte Esmeralda ihre Mutter und weite grüne Tränen. Noah sah ihr beklommen zu.

"Kann...einer von euch..zufällig..heilen?", stöhnte Giselle und sah sich hoffnungsvoll um. Keines der Kinder sagte ein Wort und während Giselles Blut langsam eine Lacke auf dem Boden formte und ihr Körper kalt wurde, überkam sie ein tiefes Gefühl der Trauer. Verzweifelt zog Giselle ihre Tochter zu sich und küsste sie liebevoll. All die Jahre, die sie hätten gemeinsam verbringen können würden mit Giselle sterben und auch die Liebe die sie ihrer Tochter hatte weitergeben wollen. Nun konnte sie nur noch auf die Güte und Freundlichkeit ihrer neuen Freunde hoffen. Vielleicht konnten diese Esmeralda ein gutes Leben ermöglichen. Zittrig atmete sie ein.

"Eine Möglichkeit gibt es noch.", flüsterte Noah und sah sie geheimnisvoll an. Seine Augen verrieten nichts, der Gesichtsausdruck war gezwungen neutral. "Was?" Noah drückte sie stärker an sich und seufzte leise, als würde ihm die Antwort selbst nicht gut gefallen.

"Mein Blut. Es verursacht Mutationen aber mit denen kommt auch die Möglichkeit der Heilung. Wenn du Glück hast, heilst du und veränderst dich nur wenig."

"Und...wenn..nicht? Wenn ich..Pech habe?", fragte Giselle mit einer bösen Vorahnung. Noahs Gesicht verzog sich zu einer traurigen Maske.

"Nun entweder zu stirbst oder du wirst so wie die da." Noah zeigte auf das tote Monster das vor ihnen am Boden lag. Unter all dem Haar und den Klauen, konnte man tatsächlich noch die Gesichtszüge und den Körperbau einer Jugendlichen erkennen. Ein misshandeltes Kind.

Giselle zitterte und versuchte sich auf die ihr gebotene Wahl zu konzentrieren doch in Wahrheit war es keine Wahl. Sie würde alles tun um eine Chance auf ein Leben mit ihrer Tochter zu haben. Sie würde selbst zu einem Monster werden, wenn dies der Preis dafür wäre.

"Tu es.", flüsterte sie schwach atmend und sah zu wie Noah nach ihrem Messer griff.

"Es wird wehtun.", meinte er noch als er sich selbst in die Hand schnitt und die Tropfen seines mächtigen Blutes auf die Wunde an ihrem Bauch fallen ließ. Die Worte sollten sie offenbar auf das Kommende vorbereiten, doch sie waren eine schwache Warnung. Es fühlte sich an als würde Feuer von ihrem Bauch aus in alle Körperteile wandern und sie von innen heraus verbrennen. Ihre Muskeln zuckten unwillkürlich. Schreiend warf sie sich herum und kroch krampfend von Noah und den Kindern fort. Sie wollte keine Gefahr darstellen. Noah kam ihr dennoch nach und legte seine Hand federleicht auf ihre Schulter.

"Du musst ruhig atmen. Giselle, atme! Alles ist gut."

Natürlich wusste er das nicht und am liebsten hätte Giselle ihm das ins Gesicht geschrien, doch seine ruhige Stimme bot ihr tatsächlich ein wenig Trost während das Feuer sie verbrannte und die Schmerzen sie blind machten. Langsam, nur ganz langsam ebbte der Schmerz ab und ließ Raum für andere Gedanken. Die Wunde an ihrem Bauch schloss sich.

Sie würde nicht sterben. Erleichterung und Erschöpfung brachen über sie herein wie ein Erdrutsch. Müdigkeit ließ sie zusammenbrechen und mit einem letzten Blick auf ihre Tochter und Noah schloss sie die Augen.

NOAH
"Ist sie tot?", fragte Melanie und tippte Giselle vorsichtig an.

"Nein. Sie schläft.", murmelte Noah und zog die bewusstlose Frau auf seinen Schoss. Zumindest würde die Verletzung sie nicht mehr umbringen. Obwohl es nicht seine Wahl gewesen war, nicht seine Schuld fühlte er sich für ihren Zustand verantwortlich. Sein Blut hatte ihr zuvor Schmerzen bereitet und nun auch noch das Bewusstsein geraubt.

Giselles schönes Gesicht wirkte in seinen Armen beinahe friedlich und er hoffte inständig, dass sie nun zumindest keine Schmerzen mehr hatte. Was sollte jetzt tun? Er war noch nie außerhalb seines Glaskäfigs gewesen und diese Kinder sahen ihn an als müsste er die Entscheidungen treffen. Vollkommen überfordert sah er sich um. Der Flur lag im unheimlichen Dämmerlicht vor ihm und beunruhigt erkannte er eine zusätzliche drohende Gefahr. Hellgrünes Gas kroch den Flur entlang und panisch klammerten die Kinder sich aneinander.

"Was ist das?", fragte Erik erschrocken und in Noahs Kopf drehten sich die Zahnräder. Das Nervengas. Dieses verfluchte Nervengas, dieser verfluchten Ärzte.

"Schnell. Da hinten. In dem Schrank sind Gasmasken. Holt so viele wie möglich.", rief Noah und schickte die Kinder los. Panisch versuchte er Giselle aufzuwecken, doch die junge Frau in seinen Armen rührte sich nicht und es war an ihm zu Handeln. Schnell befestigte er die Gasmasken auf den Gesichtern der Kinder und Giselle.

"Nicht abnehmen. Egal was passiert. Behaltet sie oben!", bläute er den Kindern ein und sah sie streng an. Sobald er die Gasmaske selbst trug versuchte er ruhig weiter zu atmen und das erstickende Gefühl der beengenden Gesichtsmaske zu ignorieren. Ächzend hob er Giselle auf seine Arme und ging mit den Kinder im Schlepptau den Flur entlang. Da er keine Ahnung hatte wohin es ging, überließ er es den kleinen Monstern sie zu führen. Jeder Schritt war eine ungeheure Überwindung für ihn.

Er hatte schlichtweg Angst. Seit so vielen Jahren hatte er in diesem Gefängnis gelebt und nur davon geträumt zu fliehen.

Die Realität fühlte sich so viel beängstigender und aufregender an als er sich jemals hätte vorstellen können. Als sie zu dem Stiegenhaus kamen, verzog sich das Gas allmählich, doch Noah hütete sich davor die Gasmaske abzunehmen. Dieses Zeug konnte einen ganz schön umhauen und er wollte eine Ohnmacht auf keinen Fall riskieren. In den Fluren lagen Leichen, Monster, Ärzte und Soldaten gleichermaßen. Nicht alle waren tot und zuckten in der Bewusstlosigkeit wie Fische an Land.

Um Ruhe bemüht schlichen sie an den Menschen vorbei und versuchten dabei möglichst zusammen zu bleiben. Ächzend veränderte Noah seine Tragweise von Giselle. Die Frau wurde langsam schwer. Überraschend kam ihnen jemand entgegen. Ein junger Mann, mit Gewehr in der Hand und provisorischem Mundschutz. Verwirrt sah er zunächst Noah, dann die Kinder und zum Schluss die bewusstlose Giselle an. Schnell kam er zu ihnen und fasste an Giselles Pulsander.

"Gott sei dank, sie lebt.", stöhnte der Mann, nahm seinen Mundschutz ab und sah Noah an, "Wer bist du?", fragte er harsch. Aufgeregt legte Noah Giselle auf den Boden und nahm die Gasmaske ab. Sein Mund klappte einige Male auf und zu bevor tatsächlich Worte rauskamen.

"Ich bin Noah." Der Mann nickte ungeduldig, als hätte er sich das schon gedacht und scheuchte sie weiter.

"Wir müssen hier raus und zwar jetzt. Das Gas ist weg und wir haben nicht viel Zeit."

Noah nickte. "Okay. Aber kannst du sie nehmen? Sie wird langsam schwer. Und wie geht's hier raus?" Der Fremde schüttelte nur den Kopf.

"Ich hab das Gewehr, nimmt du sie." Stöhnend beugte Noah sich hinunter und hob Giselle wieder hoch. Ihre Haut schien zu schimmern, das kurze Haar fiel in Büscheln zu Boden. Die Mutation begann bereits. Beunruhigt sah der Mann Giselle an.

"Was ist mit ihr passiert?"

"Äh, also.." Ein Schuss ließ ihn zusammenzucken und die Worte verstummen. Der Mann vor ihm krümmte sich schmerzvoll und verzog das Gesicht zu einer angespannten Maske. Hellrotes Blut sickerte aus einer Schusswunde knapp über seinem Magen. Noah konnte die Aufgerissenen Gedärme des Mannes aus seinem Shirt hängen sehen. Das war kein einfaches Projektil. Hinter ihm erkannte Noah einen hinter der Ecke hockenden Soldaten mit Gasmaske.

"Verschwindet. Lauft zur Einzelhaft. Dort sind Brandon und die anderen! Sie bringen euch raus. Los jetzt!", schrie ihnen der Mann entgegen und eröffnete das Feuer auf die Bedrohung. Schnell packte Noah Giselle fester und drängte die Kinder zu einem rasanten Sprint den Flur hinunter. Die Kinder wussten genau wo die Einzelhaft war und führten ihn ohne Probleme hin.

BRANDON
"Jetzt", kam es aus dem Walkie- Talkie und Dreizehn bereitete sich innerlich vor. Entschlossen trat sie vor Brandon und tippt auf seine zittrige Schulter. Nur langsam hob er das verweinte Gesicht um ihr entgegen zu blicken. In diesem Moment schlug sie zu. Mit aller Kraft und Überzeugung. Eine schallende Ohrfeige, die Brandons Gesichtszüge ungläubig werden ließen.

"Steh auf!", schrie sie ihn an und Brandon tat es tatsächlich. Vorsichtig legte er seine tote Schwester auf den Boden und stand auf. "Komm mit!", und Brandon folgte. Einem Zombie gleich trottete er hinter Dreizehn her, als diese die Zellentür öffnete und heraus sah.

Auf dem Flur lag ein Monster, bewusstlos und ungefährlich. Dreizehn griff nach Brandons Hand und zog ihn aus der Zelle. Brandon warf noch einen letzten Blick auf Coraline, ließ sich jedoch ohne weitere Gewalt aus der Zelle ziehen. Dreizehn versuchte schnell zu laufen, doch Brandon schien nur mäßig Kraft aufbringen zu können. Beunruhigt stellte sie fest, dass die Minuten verstrichen und sie ihr Zeitfenster verloren.

REINA
Sie lief panisch die Flure entlang, hüpfte über Leichen, Monster und Soldaten. Versuchte dabei stets den größeren Blutlacken auszuweichen um nicht auszurutschen. Ihrem inneren Plan von der Einrichtung folgend bog sie um die letzte Ecke vor der Einzelhaft und lief in eine Gruppe von Kinder. Ein Mann mit langem Bart und unzähligen Narben, bekleidet nur mit einem Kittel war der Anführer der bunten Schar. In seinen Armen lag die bewusstlose Giselle.

"Oh meine Güte. Was ist mit ihr passiert?", rief Reina erschrocken und berührte Giselles friedliches Gesicht.

"Lange Geschichte. Aber wir müssen hier raus. Weißt du wo es lang geht? Der Mann vorhin konnte uns den Weg nicht mehr erklären." Verwirrt runzelte Reina die Stirn.

"Das war sicher Clark. Er sollte euch abholen. Wo ist er?" Noah seufzte genervt.

"Vermutlich tot. Der Wunde nach zu urteilen. Ich will dich echt nicht stressen, aber die Monster hier wachen bald wieder auf und wir sollten echt abhauen!" Reinas Mund klappte auf. Die Vorstellung von Clarks Tod erschien ihr so unwahrscheinlich, dass sie beschloss Noah einfach mal nicht zu glauben.

"Okay, was auch immer. Ich kenne den Weg. Wir müssen.."

"Reina!", rief ein junges Mädchen hinter Noah. An ihrer Hand lief ein völlig gefühlloser Brandon. Er wirkte wie eine Marionette, blass und gleichgültig.

"Aurora?" Das Mädchen mit den spitzen ohren nickte und sah sich panisch um.

"Wir müssen hier raus." Reina nickte. Sie sah selbst, dass die Wirkung des Gases bereits nachließ. Sie hatten keine Zeit mehr nach Clark zu suchen. Ihrer aller Leben stand auf dem Spiel.

"Folgt mir.", sagte sie und spürte, wie schwer ihr diese Worte fielen. Mit jedem Meter den sie durch die zuvor schneeweißen Flure liefen, entfernten sie sich weiter von Clark und die Wahrscheinlichkeit, dass er überleben würde, wurde geringer. Noah ächzte unter Giselles Gewicht, beschwerte sich allerdings nicht. Die Kinder blieben still, als sie den Erwachsenen aus dem unterirdischen Labor folgten. Angst nahm ihnen die Stimme während sie sich furchtsam aneinander klammerten. Nacheinander kletterten sie aus dem Ausgang. Zuletzt Reina, die noch einen letzten Blick auf die erwachenden Menschen warf.

Noch waren sie nicht sicher. Ihre zugegeben seltsame Gruppe rannte weiter bis sie das Auto sahen mit dem sie gekommen waren. Es war dunkel, die Sonne hatte sich während ihres Abenteuers unter der Erde vollends verabschiedet und nun war es der Mond der ihnen den Weg wies. Ein wunderschöner Vollmond, der die menschenleeren Straßen beleuchtete. Ohne auf Sicherheitsmaßnahmen zu achten verfrachteten sie alle Kinder in das Auto und quetschen sich hinein. Giselle legten sie kurzerhand in den Kofferraum.

Das Schreien der Monster wurde wieder lauter, Schüsse fielen. Panik kroch über Reinas Arme, hinterließ eine Gänsehaut auf ihrem Weg. Offenbar hatten die Monster ebenfalls den Ausgang gefunden. Niedergeschlagen zündete Reina den Motor und fuhr davon. Clark blieb zurück. Im Rückspiegel konnte sie die entkommenen Monster sehen und wusste, dass für deren Morden nur sie alleine verantwortlich waren. Eine furchtbare Schuld drückte auf ihrem Herzen und gesellte sich zu den anderen emotionalen Schmerzen.

"Das ist also die Welt.", flüsterte Noah auf dem Rücksitz und drückte seine Nase gegen die Fensterscheibe.

"Genau. Das ist sie. Ist sie nicht wundervoll.", entgegnete Reina sarkastisch und biss die Zähne zusammen. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Noah war frei, aber wirklich besser fühlte sie sich nicht. Im Gegenteil.

"Und wohin fahren wir jetzt?" Reina warf Brandon einen Blick zu. Er sah apathisch nach vorne, rührte keinen Muskel und schien vollkommen in Gedanken versunken. Seine Wange war rot von Auroras Schlag und die ebenso roten Augen waren zeugen seines Verlustes. Reinas Herz schmerzte wenn sie an seine Trauer dachte. Es gab nur einen Ort der ihnen helfen konnte. Ein Ort, der ihnen Frieden geben würde.

"Wir fahren zurück nach Terra Calda. Dort können uns unsere Freunde weiterhelfen."

"Darf ich mitkommen?", fragte Noah etwas schüchtern und Reina lächelte leicht über diese dumme Frage. Als hätte sie all diese Probleme auf sich genommen um Noah dann schutzlos und ohne Unterstützung zurück zu lassen.

"Ich auch?", fragte Erik und sofort stimmten die anderen Kinder mit ein. Reina lachte leise und spürte wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Mit Kummer dachte sie an den Freund, den sie dafür zurück gelassen hatten. Sie hatten diese Kinder gerettet, ihnen ein grausames Schicksal erspart, doch um einen hohen Preis. Niemals würde sie Clarks Andenken beschmutzen in dem sie sein Opfer für diese Kinder ignorierte, indem sie diese Kinder ignorierte.

"Ihr kommt mit uns. Ihr alle und wir werden dafür sorgen, dass euch niemals wieder etwas passiert." Die Kinder lachten und freuten sich als plötzlich ein rumpeln aus dem Kofferraum zu hören war. Ein Rumpeln, dass sie alle verstummen ließ.

"Also, Noah, was ist da geschehen mit dir und Giselle?", fragte Reina etwas forscher und wartete auf eine Antwort. Noah zog die Schultern hoch und sah schuldig in Richtung des Kofferraums.

Anmerkung der Autorin: Ach meine Freunde. Wir neigen uns dem Ende. Also nicht ihr. Ich. Ich muss noch drei Kapitel schreiben und das zweite Buch ist fertig. Für euch sind es noch ein bisschen mehr, weil ihr etwa vier kapitel hinter mir seid. Ich hoffe ihr habt die Reise bis jetzt gut überstanden.

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