Ohne Erfolg

Die Gummisohlen quietschten, als Yoongi kehrtmachte. Vom Scheitel bis hinab zu den Crocs war er patschnass.

Trotzdem ging er zurück.

„Die Apotheke hat zu."

Die Werbeanzeigen priesen die KI-Systeme der Servas, die sie in die Lage versetzten, Texte zu verstehen, zu analysieren und selbst zu generieren in den höchsten Tönen. Chatbots mit einprogrammierten Putzfimmel, die ihren Besitzern nicht nur das Bad schrubben, sondern dabei noch Kochrezepte recherchieren, Tipps für Bewerbungsgespräche parat haben oder Liebesbriefe verfassen.
Für den Serva mit seiner Highspeedverbindung ins World Wide Web sollte es also ein Klacks sein, zu checken, dass der Laden längst dicht hatte. Trotzdem starrte er auf das Schild an der Ladentür wie ein Erstklässer auf eine mathematische Kurvendiskussion. Wobei der Vergleich hinkte, denn Grundschüler zappeln - bei Yoongi und seinem Gegenüber zuckte kein Draht und kein Muskel.

Nur der Regen spann dichte Fäden. Der Trenchcoat des Fremden hatte sich vollgesogen; statt beige war er dunkelbraun. Auch Yoongi hatte das Gefühl, die Haut an seinen Armen löse sich unter der Trainingsjacke bereits auf.

Er las: „Öffnungszeiten. Montag bis Samstag. 08:00 Uhr bis 18:30 Uhr." Während er eine Strähne, die ihm auf der Wange klebte, hinters Ohr strich, schielte er zum Roboter. „Notdienste sind nicht vermerkt", fügte er an, als dieser sich weiter nicht rührte. Den Kommentar, dass es Sonntag morgen um halb zwei Uhr, und damit mitten in der Nacht war, verkniff er sich. Selbst Backöfen verfügten heutzutage über Datums- und Uhrzeitanzeigen.

Und dennoch, irgendwie ... widerstrebte es ihm, den Serva als Ding zu sehen. Alles an ihm wirkte so menschlich. Er war klatschnass, und trotzdem fucking awesome und unter seiner Hochglanzfassade spürte Yoongi etwas, dass er selbst nur zu gut kannte; Verzweiflung.

Na, wenigstens löst sich bei dem Serva nichts auf, wegen des bisschen Wassers. Oder doch? Der Gedanke, dass die fortschrittliche Technik in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, lies Yoongis Herz schneller klopfen.

„Was brauchst du denn?" In seiner Stimme schwang ein Mix aus Angst, Neugier und Mitleid. Trotz des Februarregens bekam Yoongi warme Ohren und hoffte, dass die KI für so etwas nicht sensibel genug war.

„Hämorridensalbe."

Yoongi stutze. In Gedanken hatte er das Chaos in seiner Bude bereits nach einem Erstehilfekasten durchwühlt. Erfolglos. Selbstverständlich.

Und anscheinend völlig umsonst!

„Deshalb stehst du um die Zeit hier?" Sein Tonfall troff vor Fassungslosigkeit wie sie beide vor Regen.
„Ohne kann ich nicht zu meinem Besitzer zurück." Die Stimme des Servas war überraschend weich wie warme Butter und überhaupt nicht elektronisch.

„Ah." Yoongi nickte, in dem hilflosen Versuch, die Situation zu verarbeiten. Doch eigentlich verstand er nicht die Bohne. „Warum nicht?"

„Weil ich so programmiert bin. - Nur Erfolg zählt. Die korrekte Ausführung der erledigten Aufgabe. Darauf kommt es an." Endlich sah der Serva ihn an.

Seine Augen bündelten das Licht der Umgebung; so klar waren sie.

Sie leuchteten mit allen Farben, die der triste Ort zu bieten hatte; grün wie das kleine Kreuz über der Apotheke, versetzt mit dem Orange der Straßenlaternen. Umwerfend.

Auch die Worte des Fremden erreichten Yoongi; wie Wassertropfen, die langsam in eine Pfütze fallen.

Denn Yoongi kannte diese Haltung; es war seine eigene beim Komponieren. Nur Erfolg zählt. Doch in letzter Zeit ging es nicht, egal, welche Töne er auch wählte. Das Ergebnis war immer scheiße.

Ihn fröstelte. Er zog an der Jacke, doch sie klebte auf der Haut.
„Also, äh. Ich muss dann mal. Raus aus dem Regen." Er würde sich den Tod holen, oder zumindest ne fette Lungenentzündung, wenn er länger hier herumstand.

Doch trotz aller Vorsätze schienen seine Füße am Gehweg festzupappen. Er vergrub die klammen Finger in den feuchten Taschen seiner Jogginghose, als er die Frage stellte, die ihn die ganze Zeit schon bewegte: „Gehst du eigentlich kaputt, wenn du nass wirst?"


Der Serva gab keine Antwort.

„Falls ja, wäre das kein gutes Ergebnis." Yoongi sah hinab auf seine Füße und wackelte mit den halberfrorenen Zehen in den Crocs.

Wieder nichts.

„Ich gehe jetzt ins Trockene. Du kannst gern mitkommen."

Mit einem Lächeln stiefelte Yoongi los. Er hatte er es nicht nur eilig, aus dem Regen rauszukommen; er freute sich auf sein warmes Nest.

Seine Crocs schmatzten und er spitzte die Ohren.

Und da hörte er sie.

Die gleichmäßig gesetzten Schritte des Servas hinter ihm. Yoongi lauschte ihnen wie Musik und für die letzten Meter vergaß er alles. Sogar den Regen.

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