elf

V E L V E T


Geschockt starrte ich ihn an. Wieso war er denn jetzt auf einmal so wütend? Er wusste doch überhaupt gar nicht, was passiert war, geschweige denn hätte er ein Recht dazu, so auszurasten.

Schließlich waren wir nicht einmal Freunde.

Ganz im Gegenteil.

Als er erneut ansetzte, um etwas zu sagen, galt meine gesamte Aufmerksamkeit seinen Worten, aufgrund der Kälte, die mit ihnen mitschwang.

„Verdammt, sag' mir, wer es war und ich bringe denjenigen um", brüllte mich der schwarzhaarige Junge mittlerweile an. Dabei zeigte er mit seiner Hand auf meinen Hals.

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das hatte ich komplett vergessen.

Die Male an meinem Hals.

Beschämt versuchte ich die blauen Flecken mit meinen Händen vor ihm zu verstecken und starrte aus dem Fenster.

Wie hatte ich nur so unfassbar dumm sein können? Innerlich schlug ich mir mehrmals mit der Hand gegen die Stirn, was mir aber um ehrlich zu sein nicht ausreichte.

Lieber hätte ich gerade eine Wand gehabt, gegen die ich meinen Schädel donnern konnte.

Von allen verdammten Menschen auf diesem Planeten musste ausgerechnet Levon dort auftauchen, wo ich leidend versuchte, die Bilder vom gestrigen Abend aus meinem Kopf zu verbannen - was übrigens vergeblich gewesen war.

„Velvet", knurrte er erneut.

„Ich weiß, wie ich heiße", erwiderte ich kühl, weiterhin bedacht, beleidigt aus dem Fenster zu starren.

„Schön für dich, dann kannst du ja jetzt auch meine verdammte Frage beantwortet! Wer zum Henker hat dir das angetan?"

Was dachte er denn, wer er war?! Gott, wieso musste mir das ausgerechnet heute passieren. Mein Leben musste mich wirklich hassen.

„Das geht dich nichts an", murmelte ich vor mich hin.

„War es der Typ, der dich letzten Freitag aus der Schule abgeholt hat?" Überrascht flog mein Kopf zu Levon herum. Wie konnte er das wissen?

Bei dem zornigen Funkeln in seinen Augen musste ich hart schlucken.

„Woher...?", setzte ich an, doch er dachte gar nicht daran, mich ausreden zu lassen.

„Also war er es? Sag' mir, wo ich ihn finde und er wird dafür bezahlen!"

Bei seinem Anblick wurde mir ganz anders, denn ich war mir noch nie so sicher, dass jemand etwas genau so meinte, wie er es in diesem Augenblick tat. Wenn ihm Daniel über den Weg laufen würde, dann hätte der ganz sicher nicht gut Kirschen essen.

Dieser Typ machte mich verrückt. Einfach nur verrückt.

Es wollte nicht in meinen Kopf, wieso es ihm so nahe ging. Man hatte fast das Gefühl, er wolle mich beschützen, aber das konnte doch nicht sein. Hatte ich ihm nicht oft genug Gründe gegeben, mich zu verabscheuen?

Gebannt beobachtete ich seine Hände, die jetzt das Lenkrad so stark umfassten, dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Velvet!" Erschrocken wanderte mein Blick wieder zu seinen Augen.

Seine wütend funkelnden trafen auf meine trüben, hoffnungslosen.

„Gott, nein. Daniel würde mich niemals anfassen", widersprach ich ihm.

„Wer war es dann? Velvet mein Geduldsfaden reißt gleich. Also wenn du nicht willst, dass ich gleich alles um mich herum zerlege, dann antworte mir jetzt!"

In meinem Inneren wurde eine Flamme entfacht. Es tat so gut, dass sich jemand dafür interessierte, wie es mir ging. Jemand, der mich beschützen wollte. Lange war es her, dass sich so ein Glücksgefühl in mir regte.

Und ausgerechnet der Junge, mit dem ich mich bis jetzt nur in den Haaren hatte, schaffte es, mich so fühlen zu lassen.

Da stimmte etwas nicht.

Verzweifelt schlug ich meine Hände vor das Gesicht und atmete einmal tief ein und aus.

So lange war es her, dass ich vor einer anderen Person geweint hatte, doch jetzt in diesem Augenblick war ich den Tränen unfassbar nahe.

Ich wollte in Moment nichts Geringeres, als dass Levon mich in seine starken Arme schloss und mir die Nähe schenkte, die ich so sehr in meinem Leben misste.

Nur durfte das leider nicht sein. Ich hatte schon viel zu viel von mir Preis gegeben und dass mir ausgerechnet jetzt Tränen über die Wangen liefen, war eindeutig zu viel.

Ein lautes Schluchzen verließ ungewollt meine Lippen, woraufhin ich sie entsetzt zusammenpresste.

Neben mir hörte ich, wie Levon leise vor sich hin fluchte und versuchte, sich durch tiefes Ein und wieder Ausatmen, zu beruhigen.

Auch ich versuchte, mich dadurch davon abzuhalten, jetzt in ein richtiges Heulen auszubrechen.

Ein paar Minuten verstrichen, in denen der Schwarzhaarige auf dem Fahrersitz mir Zeit gab und wartete.

Als ich dann jedoch meine Hände vom Gesicht nahm und starr gerade aus starrte, war seine Geduld wohl am Ende.

„War es dein Vater?", versuchte er bedacht ruhig zu fragen, doch ich konnte anhand seiner Stimme immer noch heraushören, dass er auf 180 war.

Mein Puls schoss bei seiner Frage in die Höhe und ein fetter Kloß sammelte sich in meinem Hals an.

Ding, Ding, Ding, einmal ins Schwarze getroffen.

Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Kopf auf Hochtouren arbeitete, wie ich diese Situation und Fragerei beenden konnte.

Bestimmt schüttelte ich den Kopf, schaute Levon aber trotzdem nicht an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mir nicht ganz glaubte, da er nur verächtlich schnaubte.

Langsam aber sicher, geriet ich in Panik, was sich damit bemerkbar machte, dass ich nervös mit meinen Händen über meine Oberschenkel hin und her strich.

Immer wieder huschte mein Blick über die einzelnen Details meines Umfeldes, auf der Suche nach meiner Rettung.

Und dann plötzlich entschied ich, der Konfrontation so aus dem Weg zu gehen, wie ich es am besten konnte.

Blitzartig griff ich nach dem Türgriff und wollte die Tür öffnen, doch ich war zu langsam.

Auch Levon hatte schlagartig reagiert und das Auto verriegelt.

Winselnd rüttelte ich an dem Griff, bis ich resigniert meinen Kopf gegen die Scheibe sinken ließ.

„Vergiss' es, ich lasse dich erst hier raus, wenn du mir deine Adresse verrätst."

Verzweifelt kreischte ich auf und schlug einmal mit der flachen Hand gegen das Fenster.

„Hey", fauchte Levon, „wenn jemand mein Auto zerlegen darf, dann bin einzig und allein ich das. Jetzt rück' raus mit der Sprache."

Widerwillig schüttelte ich den Kopf.

„Bitte. Lass' mich einfach gehen, Levon", quengelte ich.

Es war unmöglich, ihn zu mir zu führen, das würde viel zu riskant sein. Ich wusste nämlich nicht, ob er noch zu Hause war.

Zwar hatte er sich vorhin von mir verabschiedet und wollte längst weg sein, doch er hatte noch einen wichtigen Anruf bekommen, weswegen er in seinem Arbeitszimmer verschwunden war, was bedeutete, dass das auch noch länger dauern konnte.

„Das kannst du vergessen. Glaub' mir, ich habe den ganzen Tag und die Nacht Zeit. Hab' nichts mehr geplant", gab Levon abwertend von sich.

Um seine Haltung zu verdeutlichen, lehnte er sich in seinem Sitz zurück und machte es sich bequem, woraufhin er sein Handy aus der Hosentasche zückte und am Bildschirm seines Armaturenbretts herumfummelte.

Kurze Zeit später begann auch schon, leiser Rap aus den Lautsprechern zu spielen. Ab und zu versuchte Levon, mit zu rappen, was jedoch kläglich scheiterte.

Ein sachtes Grinsen bildete sich auf meinen Lippen ab, wobei ich gleichzeitig unfassbar wütend war. 

Gerade eben hatte er sich kaum noch unter Kontrolle und jetzt plötzlich war er die Ruhe selbst? Ich glaubte auch.

Konnte er nicht einfach locker lassen?

Erneut arbeitete es in meinem Kopf, um eine Lösung zu finden.

Ich konnte ihm natürlich einfach meine Adresse sagen und wenn wir ankamen, aus dem Auto springen und los sprinten.

Nur war ich mir nicht sicher, ob er vielleicht nicht schneller war, als ich - was ziemlich wahrscheinlich war.

Meine zweite Idee war, ihm eine falsche Adresse zu sagen und dann, wenn wir ankamen einfach so zu tun, bis er weiterfuhr.

Leider hatte auch dieser Plan eine Schwäche, da ich bezweifelte, dass er einfach wegfahren würde. Ganz im Gegenteil, er würde mich verfolgen, schließlich wollte er noch jemandem eine Lektion erteilen.

Die dritte Möglichkeit wäre, hier mit ihm zu bleiben, bis er aufgab. Doch ich war später noch mit Zac verabredet, um was durchzuziehen und darauf konnte ich nach gestern Abend bestimmt nicht verzichten.

Außerdem bezweifelte ich, dass er vor mir aufgeben würde.

Nachdem ich alle Möglichkeiten mehrere Male durchgegangen war, stand meine Entscheidung fest.

Es blieb einzig und allein die Idee Nummer eins.

„Murray Boulevard 132", murmelte ich kaum hörbar.

„Wie war das?"

Genervt drehte ich meinen Kopf zurück und starrte Levon wieder gefasst aus kühlen Augen an.

„Murray Boulevard 132", wiederholte ich um einiges lauter.

„Geht doch", erwiderte der Junge neben mir und startete den Motor, „das ist ja direkt hier um die Ecke."

Kaum fuhren wir, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und starrte, wie schon so oft an diesem Nachmittag, aus dem Fenster.

Als mir die Häuser langsam wieder bekannt vorkamen, begann mein Herz schneller zu schlagen.

Unauffällig versuchte ich, mich auf meinen Sprint vorzubereiten, indem ich meinen Schlüssel bereits aus meiner Jackentasche fischte.

Angespannt hoffte ich, dass Levon keinen Verdacht schöpfte.

Nur noch einen Block, dann waren wir da.

Adrenalin wurde durch meinen Körper gepumpt, bereit, um um mein Leben zu rennen.

Kaum war unser Haus in Sichtweite, verkrampfte ich.

„Das da", zeigte ich auf die weiße Villa, die nicht mehr weit entfernt war.

Kurz vor unserem Grundstück wurde der Wagen langsamer.

Mit Entsetzten musste ich feststellen, dass das Tor der Ausfahrt offen stand, was bedeutete, dass der Wagen immer noch in der Tiefgarage stand und jemand im Haus war, oder sie sich schon auf dem Weg zum Flughafen befanden.

Dementsprechend eine fünfzig zu fünfzig Chance.

Unglücklicherweise galt meine Aufmerksamkeit der Einfahrt zu lange, denn so konnte ich nicht auf das Folgende reagieren.

Ruckartig landete Levon's Hand in meinem Schoß, wo sie geschickt nach meinem Schlüsselbund griff und es mir mit Leichtigkeit entriss.

„Glaubst du wirklich, in bin dumm?", fragte er schelmisch grinsend, während er den Wagen locker zum Stehen brachte.

In diesem Augenblick rutschte mir mein Herz in die Hose. Schockiert starrte ich den Jungen mit offen stehenden Mund an.

„Gib ihn zurück!", schrie ich panisch und versuchte, nach meinem Schlüssel zu angeln. Doch es nützte nichts.

Ohne Schwierigkeiten entzog sich Levon meinem Griff und stieg aus dem Auto.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Das Adrenalin in meinem Körper, was eben noch einer Aufregung zu Grunde lag, war nun auf purer Angst, die sich in mir breit machte, begründet.

Hektisch fummelte ich am Türgriff herum, bis ich es schaffte, Levon aus dem Auto zu folgen.

Dieser stolzierte bereits durch unseren Vorgarten.

„Stopp, Levon, bitte!", jaulte ich und sprintete ihm hinterher. Ich griff nach seinem Hoodie und versuchte ihn zum Stehen zu bringen, doch erfolglos.

Mehrere Male entwich mir ein Wimmern, während ich meine Arme um seinen Oberkörper schlang und mich mit meinem gesamten Gewicht an ihn hängte.

Alles, was ich in diesem Augenblick empfand, war panische, allumfassende Angst.

Die Tränen, die ich eben noch erfolgreich geschafft hatte, weg zu blinzeln, liefen mir unkontrolliert über die Wangen.

Schniefend hoffte ich weiterhin, dass er endlich auf mich hören würde, doch vergeblich.

„Levon, bitte, er wird mich umbringen", weinte ich bitterlich.

Jegliche Kraft wich aus meinen Knochen und ich fiel wie ein nasser Sack auf meine Knie. Meine Arme fielen schlaff in meinen Schoß, während ich meinen Kopf hängen ließ.

Zu meinem Erstaunen, blieb er tatsächlich stehen.

Schluchzend wandte ich ihm mein Gesicht zu und flehte ihn mit meinem Blick an, nicht zu gehen.

Schmerzhaft verzog er sein Gesicht und betrachtete mich eingehend.

„Bitte", formte ich erneut mit meinen Lippen.

Immer wieder verschwamm meine Sicht, aufgrund von neuer Tränen, die nicht aufhören wollten, zu fließen.

Ein Hoffnungsschimmer breitete sich aus, als er immer noch nicht weiter lief. Jedoch hielt der nur kurz an.

Der Schmerz in seinem Gesicht wich plötzlich erneut einer Wut. Im selben Moment wirbelte er mit zusammen geballten Fäusten herum und setzte seinen Weg zum Haus fort.

„Nein!", schrie ich, während ich mich aufrappelte und ihm hinterher stolperte. Doch ich war zu langsam, er war bereits an der Tür und hatte den richtigen Schlüssel gefunden.

Mit einem Klicken öffnete sich die Tür, die Levon kraftvoll aufstieß.

„Hallo?", brüllte er durch das gesamte Haus. Während er dort stehen blieb, stürmte ich an ihm vorbei, auf der Suche nach hinweisen, ob hier noch jemand war.

Als ich einen Zettel vor der Treppe liegen sah, hielt ich kurz inne, bevor ich den kurzen Weg überbrückte und nach dem kleinen Stück Papier griff.

Im Hintergrund hörte ich immer wieder das laute Brüllen von Levon, der den Schuldigen für meine Schmerzen ausfindig machen wollte.

Liebe Velvet,
Daniel und ich sind schon auf dem Weg zum Flughafen. Bin bald wieder da, werde dich vermissen.
Kuss

Eine riesige Last fiel von meinen Schultern. Mit einem lauten Schnaufen sackten meine Knie unter mir zusammen, sodass ich erneut auf dem Boden landete.

Zum Glück.

„Wo ist der Arsch?", knurrte Levon nun ziemlich nah hinter mir.

Meine Wut galt momentan zu einhundert Prozent diesem verdammten Arschloch hinter mir, der ohne Rücksicht auf mich, seinen Willen hatte durchsetzen wollen.

„Verschwinde", flüsterte ich.

„Wie bitte?" Er kam noch einen Schritt näher.

„Verschwinde!", schrie ich nun.

Wutentbrannt kam ich auf die Beine und drehte mich zu ihm um.

„Mach' dass du hier weg kommst und dich aus meinem Leben raushältst!", ging ich nun auf ihn zu. Bei ihm angekommen, schubste ich ihn mit meinen Händen an der Brust rückwärts.

Er torkelte ausdruckslos drein blickend einen Schritt zurück.

Tränen, die kurze Zeit verebbt waren, fanden erneut ihren Weg aus meinen Augen.

Einen Schritt auf ihn zugehend, schubste ich ihn erneut weg.

„Du, Arschloch!", schrie ich weiter, „deinetwegen hätte ich riesige Probleme bekommen können!"

Schluchzend schlug ich mit meinen Fäusten auf seine Brust ein, ließ meinen Gefühlen freien Lauf.

Die Angst hatte sich in Luft aufgelöst, stattdessen war ich wütend und erleichtert zugleich.

„Hau. Ab. Verschwinde einfach!"

„Velvet."

Seine Stimme machte mich umso wilder. Wieso war er hier? Wieso wollte er mir helfen? Warum? Ich verstand es nicht, es wollte nicht in meinen Kopf.

„Velvet." Beim erneuten nennen meines Namens hielt ich kurz inne, fing dann jedoch erneut an, auf ihn einzuprügeln.

„Hör' auf", sagte Levon bestimmt und griff nach meinen Handgelenken, die er von seiner Brust fern hielt.

„Lass dir doch von mir helfen."

„Wieso? Wieso verdammt willst du mir helfen?", kniff ich die Augen zusammen, um seinem Blick zu entgehen.

„Weil ich weiß, wie du dich fühlst."

Verwirrt öffnete ich meine Augen und starrte ihn an. Mein Blick folgte seiner Hand, die mein Handgelenk losließ und zu seinem Shirt wanderte, was er an seinem Bauch anhob.

Es entblößte einen riesigen blau, lilafarbenen Bluterguss.

Schockiert riss ich meine Augen auf und begegnete seinem Blick. Ich sah so viel Schmerz in seinen Augen aufblitzen, sodass mir die Luft wegblieb.

Entgeistert schüttelte ich leicht meinen Kopf.

„Nein, bitte nicht", flüsterte ich kaum hörbar.

-

hallo.
willkommen bei einem neuen kapitel meiner story lol.
wie gefällt's euch? lasst es mich mit kommentaren, votes oder kritik wissen.
hoffe verschönere dem ein oder anderen den montag höhö.

irgendwie werden meine kapitel in letzter zeit immer ziemlich lang, schon wieder über 2400 wörter...
was soll's

man sieht sich, friends.
~love

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