Die Leiter!
„Suchst du wen?", fragt mich Nathan auf einmal und reißt mich somit aus meinen wirren Gedanken. Das macht Nathans - nein, Namjoons! - Anblick auch nicht besser. Er hält sich eine Tasse unter seine Haarspitzen und fängt damit das Blut auf, welches aus seinem Haar tropft. Meine Augen weiten sich, als er die Tasse an seine Lippen führt und daraus trinkt als wäre es ein Tee. Mir wird augenblicklich schlecht und ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich verdrehe die Augen, presse meine Hand gegen meine Brust und lasse meinen Blick umherschweifen. Meine Umgebung fängt an sich zu drehen. Immer schneller und schneller, bis ich die Orientierung verliere und drohe einfach umzukippen.
„Alles gut Justin? Was ist denn los mit dir?", fragt er mit seiner so aufgesetzt-besorgten Stimme und hält mich fest. Ein offensichtlich Toter hält mich davon ab auf den Boden zu stürzen. Das ist doch Wahnsinn und er weiß ganz genau was nicht stimmt. Er weiß viel mehr als er zugibt, das hat er schon immer.
Auf einmal ist alles so klar und bei einem Blick in seine Augen bin ich mir sicher, dass er derjenige ist, der an dem hier die Schuld trägt. Ich kann sehen, wie er sich über mich lustig macht, wie er meine Situation für sich ausnutzt. Mir wird bewusst, dass er es gewesen sein muss, der mich hat bewusstlos werden lassen und mich schließlich hierher verschleppt hat. Diese Erkenntnis schreit mich förmlich an, während ich ihn weiter wie versteinert anstarre. Ich bin einfach nur total fassungslos und geschockt. Er hatte mich all die Zeit benutzt, verarscht, mir etwas vorgespielt und sich meine Freundschaft erschlichen. Dieses ungute Gefühl in meinem Magen macht auf einmal so viel Sinn und all diese merkwürdigen Momente...
Nathan – nein Namjoon! - hatte seinen ganzen Aufenthalt auf dem Jahrmarkt geplant nur um mich zu entführen, aber... warum? Warum hatte er so einen riesigen Aufwand betrieben, um mich von sich zu überzeugen, nur um mich dann hierher zu verschleppen?
„Ist alles in Ordnung Justin?", fragt er mich und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Verwirrt sehe ich ihn an, blinzele dabei ein paar Mal, bevor ich mich aus seinem Griff befreie und ein paar Schritte vor ihm zurückweiche. Ich strecke meine Hände aus, halte sie so, dass er nicht näherkommen kann und halte ihn somit auf Abstand.
„Komm mir nicht zu nahe", hauche ich fast tonlos dabei. Ich kann immer noch nicht fassen, dass ich auf diesen Mann hereingefallen bin. Wie hatte er mich nur so derbe täuschen können? Gut, ich wusste wie er es geschafft hatte, denn er hatte meinen psychischen Zustand schamlos ausgenutzt. Wäre die Funkstille zwischen Hope und mir nicht gewesen, dann hätte er womöglich gar nicht die Chance gehabt mir so nah zu kommen. Ich weiche noch einen Schritt zurück.
„Warum hast du das getan, Nathan? Nein – Namjoon, oder? So heißt du doch wirklich, oder?", frage ich und spüre deutlich, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Natürlich verletzt es mich, schließlich habe ich diesem Mann die letzten zwei Monate vertraut.
„Warum? Du kennst die Antwort Justin!"
Ich verziehe das Gesicht, schüttle den Kopf und presse dann meine Lippen fest aufeinander. Kenne ich die Antwort?
Mein Blick schweift über den Jahrmarkt – wenn es überhaupt jener ist – und bleibt an dem Karussell hängen. Es bleibt stehen und eröffnet mir den Blick auf Taehyung und Jimin. Ein Paar, welches ich auf dem Jahrmarkt in der Nähe von New York kennengelernt und welches ihr Interesse an mir bekundet hatte. Die beiden waren wirklich süß gewesen und letztendlich war ich der ausschlaggebende Punkt gewesen, warum die beiden zusammengekommen waren. Ich war unheimlich froh darüber gewesen, dass ich sie hatte glücklich machen können und ich hatte im Verlauf meines Treffens mit Hope über die beiden geschwärmt. Ich hatte ihm erzählt, wie süß sie gewesen waren und dass sie auf mich abgefahren waren. Eigentlich hatte ich ihm sogar die ganze Geschichte erzählt und er hatte schweigend zugehört. Es waren nur kurze Reaktionen von ihm gekommen, bevor er geschickt das Thema gewechselt und mir anschließend das Hirn rausgevögelt hatte.
Ich schlucke schwer, schwenke meinen Blick wieder zu Namjoon, der sich nachdenklich in der Wunde herumpult und sich schließlich ein Stück seiner Schädeldecke herauszieht. Angewidert verziehe ich das Gesicht, während ich ihn dabei beobachte wie er das Stück Knochen einfach wegschnippt. Gruselig... wirklich unfassbar unheimlich, weswegen ich meinen Blick erneut umherschweifen lasse.
Das Karussell hat sich bewegt und nun kann ich Jin sehen, der immer noch an seinen Handgelenken gefesselt von der Decke hängt. Er war damals zu meiner Süßigkeitenbude gekommen und hatte mich um Rat gebeten für einen perfekten Heiratsantrag. Natürlich hatte ich ihm eine wundervolle Vorlage gegeben, die er wohl auch komplett umgesetzt hatte und als die beiden den Jahrmarkt verlassen hatten, waren sie wild entschlossen gewesen zu heiraten, doch dazu war es nie gekommen. Jin hatte mich nicht zu seiner Hochzeit eingeladen.
Ich fahre mir fahrig durch mein Haar, beiße mir auf die Unterlippe und lasse meinen Blick sinken. Ich hatte Hope auch von Jin erzählt, doch ich hatte nie Namen genannt. Das ist Blödsinn. Alleine der Gedanken ist völlig absurd, weswegen ich nachdrücklich den Kopf schüttle. Wieder versucht Namjoon mich zu kontrollieren, mich zu manipulieren. Nein! Das lasse ich dieses Mal nicht zu.
„NEIN!", fahre ich ihn ungehalten und laut an. Ich glaube ihm kein Wort. Er ist derjenige, der an allem die Schuld trägt. Der Grund ist mir egal. Ich trete auf ihn zu, schlage mit meinen Händen gegen seine Brust und stoße ihn von mir. Schnell wende ich mich um, laufe zum Karussell, welches wieder fröhlich seine Runden dreht, so als ob es nur für mich kurz angehalten hatte, damit ich sie habe sehen können. Ich springe auf die drehende Scheibe, während ich den absurden Gedanken von mir schüttle und laufe zu Jin. Hastig versuche ich ihn zu befreien und als ich es schaffe, fange ich ihn auf, falle mit ihm aber zu Boden und bleibe in seiner Blutlache hocken. Meine Hand schlägt einmal, zweimal gegen seine Wange, doch es regt sich nichts. Ich schlucke schwer, gleite mit meinen Fingern an seine Hauptschlagader am Hals und suche nach einem Puls, doch da ist keiner – hart schluchze ich auf.
„Du kannst sie nicht retten!" Seine Stimme ist beißend. Ich knurre, drehe meinen Kopf und versuche ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen, doch ich kann ihn nicht sehen. Ich weiß nicht wo er ist, weswegen ich mich wieder zu Jin wende und meine Hand über seine Augen lege, um die Lider vorsichtig zu schließen.
„Ruhe in Frieden, Jin... Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte", hauche ich leise und lege ihn dann vorsichtig auf dem Boden ab, bevor ich mich langsam erhebe und mich über das Karussell zu Jimin und Taehyung vorkämpfe. Das Atmen fällt mir unglaublich schwer und ständig höre ich ein verächtliches Lachen in meinem Kopf widerhallen. Es ist unheimlich und trotzdem ignoriere ich es so gut wie ich kann und hocke mich dann endlich zu dem Paar. Sofort fühle ich nach ihrem Puls, doch auch hier kann ich keinen spüren. Weitere Tränen laufen mir unaufhörlich über die Wangen, ohne dass ich sie aufhalten kann. Es ist grausam und ich hasse mich dafür, dass ich diese Menschen nicht habe beschützen können.
„Du bist ein Narr, Justin!"
„Warum? WARUM hast du das getan?", schreie ich ihn verzweifelt an und da steht er auf einmal lachend neben mir, wobei ich immer noch bei Taehyung und Jimin auf dem Boden hocke und ihn erstarrt ansehe. Wie kommt er auf einmal hierher und was will er überhaupt von mir? Ich verstehe das alles nicht und das Einzige was mir jetzt noch in den Kopf schießt ist – Hope.
„Wo ist Hope? Was hast du ihm angetan?", frage ich panisch, wobei ich meine Augen immer weiter aufreiße, weil Nathan einfach nur wie verrückt lacht. Das Bild ist absolut skurril und erschreckend, wie er vor mir steht in seinem schicken Anzug, der überall mit Blut besudelt ist. Wie er sich vor Lachen den Bauch hält und gleichzeitig die Tasse in der anderen Hand balanciert, um nichts daraus zu verschütten.
„Was ist so lustig, Arschloch? Sag mir wo er ist!" Auffordernd sehe ich ihn an, während er sich mit blutverschmierten Fingern die Tränen aus dem Augenwinkel wischt, sie dann in die Tasse taucht und mit noch mehr Blut daran an seine Lippen führt. Ich kann deutlich erkennen, wie kleine Tropfen auf seine blutleeren Lippen tropfen und sie schließlich rot färben. Dann leckt er sich den Lebenssaft genüsslich von seinen Fingern, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtet.
„Du glaubst immer noch, dass dein großer Held, der Gute ist, oder?", fragt er mich und pult schon wieder in seiner Wunde an seinem Schädel herum, als ob er mir damit sagen wolle, dass Hope sie ihm zugefügt habe. Was für ein Bullshit. Ich verziehe leicht das Gesicht, raffe mich auf und stehe wieder auf meinen wackeligen Beinen. Schnell befeuchte ich mir meine Lippen mit der Zunge und lasse das Böse in Menschengestalt nicht aus den Augen.
„Natürlich ist er das", sage ich fest und deute mit meinem Finger dann auf ihn, mache noch einen Schritt auf ihn zu und bohre ihn in seine Brust, „Du allein bist schuld an dem hier. Du hast mich von ihm weggerissen und dann in dieses Horrorhaus geschleppt. Ich will zu ihm! Sag mir wo er ist." Mein Ausdruck ist fordernd, unnachgiebig und ein wenig verzweifelt. Ich will endlich wieder in seinen Armen liegen, mich fest an ihn drücken und mein Gesicht an seiner starken Brust verstecken. Ich möchte diesen Albtraum einfach nur noch vergessen.
Nathan – nein Namjoon hebt seine Hand und streckt seinen Zeigefinger nach oben aus. Es hängt noch ein Büschel Haare an dem Finger, was mich angewidert das Gesicht verziehen lässt. Trotzdem verstehe ich seinen Deut und reiße mich von seinem grotesken Anblick los. Noch einmal fällt mein Blick auf Jimin und Taehyung, bevor ich mich durch die Karussellfiguren schlängle und von der Plattform springe. Kurz sehe ich noch einmal über meine Schulter, bevor ich Richtung Tür gehe – zumindest vermute ich sie dort.
Meine Schritte werden immer schneller bis ich schließlich laufe und den Ausgang fixiere. Ich habe das Gefühl, dass er sich immer weiter von mir entfernt, anstatt näherzukommen. Deutlich kann ich die verzweifelten Tränen über mein Gesicht laufen spüren und dann beginne ich seinen Namen zu rufen. Erst leise, dann immer lauter, verzweifelter... Ich will zu ihm, von ihm gehalten werden, getröstet werden. Halt finden, weinen. Ich kann nicht mehr...
Ich falle, schlage hart auf dem Boden auf und bleibe regungslos liegen. Mein Körper schmerzt. Meine Kehle brennt. Meine Sicht ist verschwommen. Meine Hand versucht nach dem Licht zu greifen, welches langsam immer greller wird. Ist er das? Hoffnung keimt in mir auf und dann schreie ich. Eine kalte Hand hat sich um mein Fußgelenk geschlungen und zieht mich zurück in den dunklen Schlund der Hölle. Ich versuche mich verzweifelt mit den Fingern irgendwo am Boden festzuhalten, doch ich finde keinen Halt.
Erbarmungslos wird mein Körper zurück über den Boden gezogen, doch spüren kann ich nichts mehr. Ich versuche mich trotzdem weiter gegen den Zug zu wehren, trete aus, will mich irgendwo festhalten und schreie verzweifelt nach Hope. Meine Stimme erfüllt sicher das ganze Gebäude – oder die Hölle – oder was auch immer, doch der Zug lässt nicht nach. Der Griff wird fester, kälter, erbarmungsloser und dann taucht vor mir eine Hand auf. Sofort greife ich danach, sehe in das Licht und sehe ihn. Er strahlt so hell. Sein Lächeln. Sein Lachen. Er ganz allein kann meine Dunkelheit in ein warmes Licht verwandeln. Die Kälte fällt von mir ab und wird von einer angenehmen Hitze ersetzt. Plötzlich wird alles dunkel.
*
Langsam öffne ich meine Augen, blinzle gegen das Licht und versuche etwas zu erkennen, dabei steigt mir ein beißender Geruch in die Nase. Ich lasse langsam meinen Kopf zur Seite sinken und spüre meinen Atem heiß gegen meinen Oberarm schlagen, während ich meinen Arm betrachte, der nach oben geführt ist. Ich schiele hoch und erkenne, dass meine Hände an etwas gefesselt sind. Die Erkenntnis, dass ich mich nicht frei bewegen kann, sickert nur langsam in mein Bewusstsein, genauso wie die Tatsache, dass ich nackt bin und nur eine dünne Decke über meinem Unterkörper liegt. Mein Atem ist schwer, meine Sicht immer noch leicht verschwommen und mein Körper fühlt sich total matt und kraftlos an. Ich kann mich kaum bewegen, fühle mich betäubt und dann verlässt ein klägliches Wimmern meine Kehle.
„Hope? Hope bist du hier?", frage ich krächzend, versuche immer noch schlau aus meiner Situation zu werden, denn auf dem Jahrmarkt bin ich ganz eindeutig nicht mehr. Es ist eher ein großes Zimmer und ich liege definitiv auf einem Bett, da der Untergrund schön weich und angenehm warm ist.
Ein spitzer Schrei verlässt plötzlich meine Kehle, als auf einmal jemand über mich krabbelt und ich stöhne auf, als das Gewicht der Gestalt mich in die Matratze drückt. Ein dunkles Augenpaar taucht direkt über mir auf und ich erschauere bei dem eisigen Blick, der mich mustert. Das sind nicht Hopes Augen.
„Du~" Mich durchfährt ein unangenehmer Schauer, als die dunkle, tiefe und unheimliche Stimme meine Ohren erreicht. Dazu trifft mich ein zuckersüßes Lächeln. Meine Zunge schnellt hervor und befeuchtet zögernd meine Lippen. Ich bemerke, wie mich ein leichtes Zittern gefangen nimmt und dann spüre ich seine Hände auf meinem Bauch. Ich ziehe ihn fast sofort ein, spanne meine Bauchmuskeln an, halte die Luft an und sehe zu ihm. Das fremde Gesicht ist blass, wirkt puppenhaft und nur der Adamsapfel verrät, dass über mir ein Mann hockt, der mich gerade ungefragt berührt. Ich weiß nicht was ich davon halten soll und dieser nichtssagende Ausdruck in seinen Augen gibt mir auch kein besonders gutes Gefühl.
Ich sehe an seinem Gesicht vorbei auf seine Hände und da baumelt sie – die Kette. Oder besser gesagt der Rosenkranz. Die dicken Gebetsperlen schimmern in einem blaugrünen, hellen Ton, abgesetzt mit ein paar Holzperlen und das massiv aussehende Kreuz, welches vielleicht aus Bronze ist, baumelt vor seiner Brust. Dieses ausgefallene Schmuckstück ist mit Sicherheit eine Sonderanfertigung und ich erkenne es wieder. Ich habe diesen Rosenkranz schon mehrmals gesehen, schemenhaft, aber ich würde ihn überall wiedererkennen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top