simon vs. the homo sapiens agenda - becky albertalli

Triggerwarnung: Homophobie, Alkohol, Mobbing, Fremdouting

(Wie immer, wenn etwas fehlt, gerne drauf hinweisen und ich ersetze!)

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5 von 5 Sternen – Einer der besten queeren coming-of-age-Romane

Becky Albertalli schreibt Bücher über queere Kids, die in ihren Alltagen nicht unterschiedlicher sein könnten und trotzdem die gleichen Probleme bewältigen müssen: Verlieben, Pubertät, fiese Gerüchte, Selbstzweifel, Angst. Simon vs. The homo sapiens agenda ist da keine Ausnahme. Die Bücher von Becky werden als „love child of John Green and Rainbow Rowell" bezeichnet und ich könnte nicht mehr zustimmen. John Green und Rainbow Rowell sind ebenfalls populäre YA-Autoren und sind durch Werke wie Looking for Alaska, The Fault in Our Stars, Eleanor & Park und Carry On bekannt, weswegen eine solche Aussage natürlich ziemlich viel Gewichtung hat.

Der titelgebende sechzehnjährige Simon Spier ist schwul, aber noch nicht out und würde am liebsten jedwedes Drama nur im Schulmusical sehen. Sein Alltag besteht eigentlich darin, mit seinem Kumpel Nick in dessen Keller Videospiele zu zocken oder mit Freundinnen Leah und Abby abzuhängen, Waffeln zu essen und fürs Schulmusical zu proben. Das größte Drama war immer nur, welcher Schüler dieses Mal seine Zeilen vergessen wird – bis Simons Mitschüler, Mit-Musical-Darsteller und Klassenclown Martin eine ziemlich eindeutige Email von ihm findet und beginnt ihn damit zu erpressen, damit dieser ihm ein Date mit Abby besorgt. Auf dem schulinternen Tumblr-Blog hat sich erst kürzlich ein anderer Mitschüler anonym als ebenfalls homosexuell geoutet und Simon hat all seinen Mut zusammengenommen, und diesem Mitschüler über eine neue Email-Adresse geschrieben. Er und Blue sind ins Gespräch gekommen und reden über ihre Neigung – und Martin hat genau diese Emails entdeckt. Für Simon das schlimmste aller Dramen.

Was ich am meisten an diesem Buch geliebt habe, sind die Charaktere und ihre Art, wie sie reden. Denn alles, von kleinen Dialogen bis hin zu seitenlangen Gesprächen ist so natürlich und jugendlich, dass man eigentlich nicht anders kann, als sich vorzustellen, dass Becky einfach nur einer Gruppe von Freunden gefolgt ist und ihre Gespräche aufgeschrieben hat. Sie reden nicht, als wären sie in einem Buch und müssten auf jede Grammatik-Regel achten, sondern nutzen die verrückten Abkürzungen, Eigennamen und Pop-Referenzen, die man so kennt. Sie reden vom „fucking Tumblr" und sagen „this is so goddamn awesome", sie erwähnen Phänomene wie Harry Potter, Assasins Creed, die TARDIS. Sie fühlen sich an, wie Teens, die im 21. Jahrhundert leben.

Simon, seine Freunde, seine Familie, Mitschüler, Fremde – alle sind reale Personen mit realen Problemen und realen Dingen, die sie interessiert. Simons beste Freundin Leah spielt Schlagzeug. Nick ist Fußballer und zockt an der PlayStation. Simons Eltern sind mit seinem langsamen Erwachsenwerden obsessed. Alle haben so ihre Hobbys und Dinge, die sie ausmachen, die irgendwie zusammenspielen, die für Simon mal mehr und mal weniger wichtig sind.

Als Protagonist hat Simon sofort dieses gewisse Etwas an sich, womit er es schafft, dass man sich als Leser sofort mit ihm identifizieren kann. Ob man nun selbst schwul ist, ob man einfach nur ein Geheimnis hat, ob man einfach nur ein Teenager ist – man fühlt Simon. Es ist schmerzhaft, seine Geschichte zu verfolgen, weil sie wieder eine Seite zeigt, wie hässlich diese Welt ist. Er wird erpresst, er fühlt sich unwohl mit seinem Geheimnis, er weiß nicht, ob und wie er es jemandem sagen soll, er hat Teenagerprobleme und seine Freunde haben auch noch Teenagerprobleme.

Leah steht auf Nick, aber Nick steht auf Abby und Abby steht auch irgendwie auf Nick. Martin steht auch auf Abby und dadurch erpresst er erst Simon. Simon muss ihn zu Dingen mitschleppen, auf Halloweenpartys oder zum Waffel essen, wo man Martin zwar von seiner verdammt seltsamen Art sieht, aber auch, dass er ebenfalls nur ein Junge mit Teenagerproblemen ist, der eine einfache und schnelle Lösung gesucht hat. Man glaubt ihm, wenn er sagt, dass er nie jemandem weh tun wollte.

SPOILERWARNUNG

Und trotzdem – TROTZDEM! Man kann nicht umhin, als Martin ab einem gewissen Punkt zu hassen. Er tut genau das, wovor Simon die ganze Zeit Angst gehabt hat. Er veröffentlicht die Emails, nachdem Abby ihn abserviert und die ganze Schule erfährt, dass Simon Spier schwul ist und dass er mit seinem anonymen Mitschüler Blue schreibt. Und plötzlich ist Simon allein auf der Welt. Er hat seine Freunde, die ihn unterstützen, er hat Ms. Albright und Taylor Metternich, die dumme Idioten für ihn verprügeln würden, er hat seine Schwester, seinen Hund, aber er ist allein. Blue kann es nicht riskieren, ebenfalls geoutet zu werden und löscht seine Email-Adresse.

Lasst mich euch eines sagen. Jemanden zu outen ist das widerlichste und menschenunwürdigste, was ihr tun könnt. Jemanden das Recht zu nehmen, der Welt zu sagen, wer er ist, ist schrecklich. Es ist, als würdet ihr einen Teil dieser Person nehmen, es den Leuten vor die Füße werfen und sagen: „Da. Guckt. Und jetzt fresst." Es liegt nicht an euch. Nicht, wenn ihr es wisst. Nicht, wenn ihr es vermutet. Nicht bei eurem besten Freund, eurer Cousine, eurem Nachbarn, dem ruhigen Jungen in der hintersten Reihe aus eurer Klasse, bei niemandem. Es ist nicht euer Ding zu entscheiden. Und falls es noch immer nicht klar war, lasst es mich mit Simons Worten sagen:

You don't get to say it's not a big thing. This is a big fucking thing, okay? This was supposed to bethis is mine. I'm supposed to decide when and where and who knows and how I want to say it." (Übersetzung: „Du hast nicht das Recht zu sagen, es sei keine große Sache. Es ist eine verdammt große Sache, okay? Es sollte – das ist meins. Ich entscheide, wann und wo und wer es wissen soll und wie ich es sagen will.")

Simon musste durch genau das durch. Geoutet werden. Soetwas kann Leben zerstören. Ihr denkt euch, es sei keine große Sache, bestimmt sind alle cool damit, es würde der Person besser gehe, ich sage es jetzt allen, damit das durch ist und dann – BUMM. Die Bombe platzt. Die plötzlich liebenden Eltern sind verstört, weil sie nicht mit Schwulen klarkommen. Die besten Freunde fühlen sich hintergangen und kehren dir den Rücken zu. Deine Tante aus Berlin blockt deine Nummer und will nichts mit dir zu tun haben. Kinder, mit denen du noch nie geredet hast, nennen dich plötzlich Schwuchtel und werfen Eier nach dir. Du bist zum Zentrum des Gelächters geworden.

Natürlich kann es anders gehen. Alle können fröhlich und glücklich sein und die Happy-End-Melodie trudelt im Hintergrund, aber? Weiß man das vorher? Nein. Also, haltet eure verdammten Fressen und outet niemanden, selbst wenn diese Person es euch bereits gesagt hat. Outing ist die eine Sache, die eine LGBT-Person hat, die sie sich aussuchen kann. Ich kann mir selbst aussuchen, wem ich sage, dass ich schwul bin und wem nicht. Ich kann mir auch sagen, ich möchte es niemandem sagen. Ich kann mir sagen, es ist mir egal und alle sollen es wissen, indem ich T-Shirts mit subtilen Hinweisen trage, die so subtil wie eine verdammte Flugzeugexplosion sind. Aber es bleibt dabei. ICH entscheide es. Nicht du, nicht Inge von nebenan, niemand. Niemand außer ich.

Ich kann ranten, das haben wir jetzt alle mitbekommen, aber dieses Thema geht mir ziemlich nah. Wenn ich mir ausmale, was gewesen wäre, wenn mich jemand in meiner Schulzeit geoutet hätte? Ich glaube, ich wäre einfach richtig daran kaputt gegangen.

Zurück zum Buch: Simon muss eben jetzt genau damit klarkommen, versucht immernoch herauszufinden, wer Blue ist, versucht, seine auseinanderfallende Freundesclique zusammenzuhalten und muss sich den Gesprächen mit seinen Eltern und Freunden stellen.

Während des Buches schreiben Simon und Blue sich immer wieder Emails, führen Gespräche über Oero-Kekse, die Gründerväter, Outing, was Blue als Jude an Weihnachten macht, wie sie die Feiertage verbringen, welche Band sie mögen – man bekommt eine Charakterdynamik zwischen dem Protagonisten und seinem Love Interest, obwohl wir bis zum Ende des Buches nicht einmal wissen, wer das ist. Simon hat ein paar Ahnungen und versucht immer wieder, es herauszufinden. Er denkt, es könnte Cal aus dem Musical-Club sein und plötzlich sieht er versteckte Anzeichen in ihm, achtet auf ihn, sieht in einem anderen Licht, weil er ein kleines bisschen in Blue verliebt hat und Cal könnte Blue sein, also denkt er, Cal hat tolle Augen und süße Haare. Sowas. Simon ist verliebter Teenager und das spürt man. Man spürt, wie sein Herz sich nachdem dem Endlich sehnt, in dem er seinen Angebeteten endlich küssen kann und einfach alles vergessen kann, was vor sich geht.

Und man rätselt ebenfalls mit. Man will als Leser wissen, wer Blue ist. Wer ist der Junge aus dem Emails, der lustig und irgendwie seltsam und ein bisschen süß und charmant ist? Ist es Cal? Ist es Nick? Ist es Garret? Ist es ein gänzlich Unbekannter?

Diese ganze Sache – das ist es, was dieses Buch neben der wichtigen Botschaft zu einem tollen Buch macht. Als Leser ist man gefesselt und das nicht nur wegen der realistischen Charaktere. Man möchte einfach wissen, wer denn nun der Email-Junge ist. Man liest vom Love Interest, man liest, wie dieser mit Simon interagiert, wie Simon sich verliebt, wie man für die beiden rootet – aber man sieht ihn nie! Das ist es einfach. Das, was dieses Buch so großartig macht. Es zeigt nicht nur, dass jeder Liebe findet, sondern auch, dass sie in verschiedenen Formen kommt. Als Simon denkt, Cal ist Blue, fängt er langsam an sich mehr und mehr für Cal zu interessieren. So entwickelt sich etwas zwischen den beiden, auch wenn man nicht weiß, was. Als Leser ist man so integriert in diese Geschichte, dass man gar nicht mehr aufhören will zu lesen.

Und dann liest man nicht mal nur von Simon und seinen Liebesproblemen! Abby, Nick, Martin, Leah, die alle haben auch ihre Probleme, die man mitbekommt, die für Simon wichtig sind, die ihn mitnehmen und sein Leben durcheinanderbringen. Liebesdreiecke sind ausgelutscht und stinken, das wissen wir alle, aber was an Leah/Abby/Nick so genial ist, ist der Fakt, dass man nicht mal weiß, wer denn nun mit wem enden wird. Man rootet vielleicht für Abby und Nick, oder für Nick und Leah oder für Leah und Abby! Es ist ein wahres Paradis für Shipper, lasst euch das sagen.

(Nicht umsonst hat Leah ein Sequel bekommen, in dem sie ihre eigene Liebesgeschichte erleben darf, die unfassbar süß ist, aber psssst!)

Zum Abschluss kann ich nur sagen, dass jeder, der gerne YA oder Coming-of-Age Geschichten liest, oder jeder, der gerne queere Protagonisten hat oder auch jeder, der gerne ein Hayley Kiyoko Lied als Buchform lesen möchte, mit Simon vs. The homo sapiens agenda genau richtig liegt. Und wenn ihr das Buch durchhabt, dürft ihr dann noch den Film gucken, Love, Simon. Und dann dürft ein Sequel mit Leah in der Hauptrolle lesen, Leah on the offbeat. Und ihr dürft in einem anderen Sequel über Abbys Cousine in der Großstadt lesen, The Upside of Unrequitted, welches ich definitiv auch noch rezensieren werde. Es ist so süß und so toll und ich liebe es. Genau wie Leah. Genau wie der Simon-Film. Gott, hab ich geheult!

Lest das Buch, liebt es, rätselt um Blue und versucht mit Simon die Schule zu überstehen.

Love, Roiben (Yeah, I really did that.)

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