Picknick Date
Hektisch ließ ich meinen Blick durch die kleine Wohnung schweifen. Im Kopf ging ich alles durch, was ich mitnehmen musste. Selbstgemachte Eierkuchen? Im Beutel, der über meiner Schulter hing. Frische Erdbeeren und Himbeeren? In der Kühltasche in meiner Hand. Zitronenlimonade? In der selben Kühltasche. Handy und Portemonnaie? Auch eingesteckt. Mein Blick blieb an den Blumen auf der Anrichte hängen. Mist! Die gab es ja auch noch. Schnell flitzte ich hin und hob mit der freien Hand den Strauß Schmuckkörbchen aus der Vase. Ich wusste, dass das Noah's Lieblingsblumen waren, deswegen hoffte ich, er würde sich freuen. Ein Blick auf die Uhr an der Wand gegenüber verriet mir, dass ich mal wieder viel zu spät war. Wenn ich noch pünktlich kommen wollte, musste ich jetzt ganz schnell los. Mit einem Finger nahm ich den Schlüssel von dem Haken neben der Tür, öffnete diese mit meinem Ellenbogen und schob mich dann, beladen wie ich war, hindurch. Schnell zog ich die Tür hinter mir zu. Auf Abschließen musste ich heute mal verzichten, dazu fehlte mir die Zeit. Ich sprintete die Treppe runter, stolperte drei mal und war froh, als ich endlich unten ankam.
Gerade als ich die Eingangstür öffnen wollte, schwang sie von selbst auf und ich prallte mit einem Jungen zusammen. Ich hatte ihn schon einmal aus der Ferne gesehen, als er hier rauskam. Da er in fast meinem Alter war und es nur eine weitere Person in diesem Haus gab, die auch so alt war, schlussfolgerte ich, das er der beste Freund von Finn sein musste. Ich hatte Finn neulich erst kennen gelernt, er machte auf mich einen echt netten Eindruck. Bei dem Jungen vor mir konnte ich das noch nicht so genau beurteilen, da er mir nur ein kleines Lächeln schenkte.
"Sorry", murmelte er, ehe er sich an mir vorbei schob und den Weg für mich frei machte. Ich machte einen großen Schritt auf die Straße vor unserem Haus, ehe dir Tür zufallen konnte. Das Hupen vieler Autos begrüßte mich und prompt rannte die nächste Person in mich rein. Schnell schloss ich mich dem Fußgängerstrom an und manövrierte mich geschickt zwischen den Leuten hindurch. Nach kürzester Zeit hatte ich die Straßenbahnhaltestelle erreicht, an der Sekunden später die Bahn einfuhr. Erschöpft ließ ich mich auf einen freien Sitz fallen und atmete auf. Gerade so geschafft. Ein Blick in die Kühltasche und den Beutel verriet mir, dass es allen Lebensmitteln noch gut ging. Wenigstens die hatten den Zeitstress gut überstanden. Was man von mir nicht behaupten konnte. Es war ziemlich warm für Ende Frühling und obwohl ich nur ein dünnes Sweatshirt trug, merkte ich, wie sich der Schweiß unter meinen Armen sammelte. Ich hoffte, mein neues Deo hielt, was es versprach und schützte mich wirklich wenigstens für die nächsten 5 Stunden.
Als ich endlich ankam, war ich tatsächlich noch pünktlich. Schnurstracks lief ich nach Links in Richtung des Parks, in dem Noah und ich verabredet waren. Nach kurzer Zeit sah ich das Grün des Parks in einiger Entfernung auftauchen. Nach weiteren 3 Minuten betrat ich die große Wiese, die sich vor mir erstreckte. Ich ließ meine Augen einmal rund herum schweifen und entdeckte Noah im gleichen Augenblick mitten auf der Grünfläche. Ein wenig verloren saß er da auf einer roten Picknickdecke und guckte sich die Leute an. Mit einem Lächeln auf den Lippen lief ich in sein Richtung. Als er mich bemerkte stahl sich auch ein Grinsen auf sein Gesicht und mit beiden Armen winkte er mir stürmisch zu. Ein Lachen verließ meinen Mund und ich beschleunigte meine Schritte. Als ich bei Noah angelangt war, stellte ich meine Beutel neben ihm ab, ließ mich zu ihm auf die Picknickdecke fallen und streckte ihm die Blumen entgegen. Ich sah, wie seine Augen groß wurden und ein Funkeln in sie trat.
"Oh mein Gott, Louis, sind die für mich?" Er nahm sie entgegen, vergrub seine Nase darin und inhalierte den süßen Duft.
"Danke!" Noah fiel mir um den Hals und ich drückte ihn mit einem kleinen Lachen zurück.
"Hab ich gerne gemacht", antwortete ich mit einem Lächeln. Er ließ mich wieder los, setzte sich neben mich, schnupperte noch ein letztes Mal an dem Strauß Schmuckkörbchen, dann legte er sie vorsichtig neben sich auf die Decke. Ich zog derweil meinen Beutel und die Kühltasche zu mir und packte meine mitgebrachten Sachen aus. Ich stellte sie neben seinen Kuchen und den Obst- und Nudelsalat, den er mitgebracht hatte. Als Noah sich wieder mir zugewandt hatte, legte ich mich auf den Bauch und sah unschuldig zu ihm hoch. Noah musterte mich strafend.
"Wenn du was vom Essen abbekommen willst, musst du dich wieder hinsetzen. So kann man nicht essen!", sagte er. Ich lachte auf, doch als er mir noch einen weiteren mahnenden Blick zu warf, rappelte ich mich doch auf, setzte mich normal hin und schnappte mir eine Erdbeere.
"Zufrieden?", fragte ich mit einem Schmunzeln und als er nickte steckte ich mir die süße Frucht in den Mund. Mit einer schnellen Bewegung leckte ich mir unbewusst den Saft von den Lippen und mir entging nicht, wie Noah der Bewegung meiner Zunge folgte. Doch schon Sekunden später hatte er sich wieder gefangen und nahm sich nun selbst eine Himbeere.
Wir lachten, redeten und aßen, bis wir fast alles verdrückt hatten und beschlossen, eine Pause einzulegen. Wir ließen uns mit dem Rücken auf die Decke fallen und beobachteten die Wolken. Hin und wieder zeigte einer auf eine der Wolken und erläuterte dem anderen, was er mit dieser assoziierte. Es war sehr lustig und als ich Noah versuchte pantomimisch darzustellen, dass eine der Wolken wie eine Ente mit Hut aussah, kriegten wir beide so einen Lachanfall, dass uns danach die Bäuche wehtaten. Immer noch kichernd setzte ich mich auf und schaute auf Noah hinunter, der mit zusammengekniffenen Augen gegen die Sonne zu mir hoch blinzelte. Einem plötzlichen Instinkt hinaus streckte ich die Hand nach einem Gänseblümchen aus, das direkt neben der Picknickdecke wuchs. Ich riss es ab und steckte es Noah hinters Ohr. Als ich dabei ungewollt seine Wange streifte und sein weiches Haar an meinen Fingern fühlen konnte, lief mir ein angenehmer Schauer über den Rücken. In Noahs Augen trat ein warmer Ausdruck, doch direkt darauf räusperte er sich und setzte sich abrupt auf, sodass unsere Köpfe fast zusammen stießen. Ein Hauch von Rosa zierte seine Wangen und schnell wandte er den Kopf ab.
"Lust auf Nachtisch?", fragte Noah. Kurz war ich überfordert von dem schnellen Themenwechsel, dann jedoch stimmte ich mit einem Nicken zu. Mit einem Messer schnitt er den Kuchen gekonnt an.
"Hast den Kuchen selber gebacken?" Ich lehnte mich nach vorne, um das Gebäckstück zu inspizieren. Es schien sich um Bienenstich zu handeln, doch er sah nicht aus, als hätte Noah ihn nur schnell vom Bäcker geholt.
"Ja, habe ich", beantwortete Noah meine Frage und schwer beeindruckt setzte ich mich wieder normal hin. Wenige Sekunden später reichte er mir einen Teller mit einem Stück Bienenstich drauf, dann tat er sich selber auch auf. Mit einer Kuchengabel spießte ich das erste kleine Stück auf, dann schob ich es in den Mund und seufzte genießerisch auf.
"Das ist der Himmel auf Erden, wo hast du so backen gelernt?", fragte ich mit vollem Mund.
"Meine Oma hat es mir beigebracht", antwortete er sichtlich beschämt, auch wenn es dazu gar keinen Grund gab. "Als sich herausgestellt hat, das ich beim Kochen völlig unbegabt bin, fand sie, dass sie mir dann wenigstens Backen beibringen müsste."
"Und offensichtlich hat es geklappt", bemerkte ich. Noah nickte leicht mit dem Kopf, wohl um meine Aussage zu bestätigen. Dann aßen wir stillschweigend unseren Kuchen und so hatte ich genug Zeit, ihn unauffällig zu betrachten. Das Licht der tief stehenden Sonne verfing sich in seinen Harren und ließ sie fast golden aussehen. Zudem brachte es die Sommersprossen auf seiner Nase zum Tanzen. Seine Gesichtszüge wirkten entspannt, seine Augen wanderten über die Wiese und folgten einer dicken Hummel, die von einer Blume zur anderen summte. Seine Lippen waren leicht geöffnet und mein Blick blieb an seiner vollen Unterlippe hängen. Wie er da saß, so friedlich auf der roten Picknickdecke, wirkte er wie ein Engel.
Widerstrebend ließ ich meine Augen von seinem Mund zu seinen schönen Augen wandern, die die Farbe von flüssigem Karamell hatten, als er mir seinen Kopf zuwandte.
"Was ist?", fragte er, als er merkte, dass ich ihn anguckte. "Hab ich was im Gesicht?" Hatte er nicht. Mein Blick wurde wieder wie magnetisch von seinem Mund angezogen. Ein wenig Honig glänzte auf seinen Lippen und meine Hand verselbstständigte sich. Ohne es zu wollen hob ich meine Finger und strich mit dem Daumen sanft seine Unterlippe entlang. Ich hörte, wie Noah scharf die Luft einsog. Meine Augen wanderten wieder zu seinen und es schien, als würde ich in ihnen ertrinken, in diesem unendlichen Karamellton. Mein Daumen lag immer noch an seinen Lippen, doch jetzt fingen meine Finger an, seinen Wangenknochen hoch zuwandern. Hauchzart strich ich mit meinen Fingerknöcheln über seinen Kiefer zurück zu seinem Kinn.
Am Ende wusste ich nicht mehr, wer wem entgegenkam, doch schlussendlich trennten uns noch noch wenige Millimeter. Seine Augen funkelten herausfordern, als wollten sie mich auffordern, endlich den Platz zwischen unseren Mündern zu überwinden. Und genau das tat ich. Ich überwand die letzten Millimeter zwischen uns, legte meine Lippen auf seine. Ihm entfuhr ein überraschtes Keuchen, ehe er den Kuss erwiderte. Der Kuss begann langsam, zärtlich. Und dabei blieb er. Meine Hände wanderten in seine Haare, versanken in seinen Locken und er legte seine Hände in meinen Nacken, um mich noch dichter zu ziehen. Ich fing an zu lächeln, denn dieser Moment war der Schönste meines bisherigen Lebens. Eng umschlungen küssten wir uns, bis uns die Luft ausging. Er löste sich als erstes, eine gute Entscheidung seinerseits, denn ich hätte vermutlich weitergemacht, bis wir schlussendlich hätten reanimiert werden müssen. Keuchend ließen wir uns zurück auf die Decke fallen, die Finger miteinander verschlungen, ein Lächeln auf den Gesichtern.
Kopf an Kopf lagen wir da und schauten in den von den letzten Sonnenstrahlen beleuchteten Himmel. Nach einiger Zeit setzten wir uns auf und sahen aneinander gelehnt der Sonne zu, wie sie hinter den Bäumen verschwand. Dann legten wir uns wieder hin, sahen dem dunkler werdenden Himmel zu und wechselten ab und zu ein paar Sätze miteinander. Irgendwann, ich weiß nicht, wie lange wir schon auf der Decke lagen, schoss plötzlich eine Sternschnuppe über den Himmel. Sie war so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war und doch hatte ich sie gesehen. Ich drehte meinen Kopf zu Noah, auch dieser sah mich an.
"Hast du...", begann ich und er nickte. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen und mir blieb nichts anderes übrig, ich lächelte mit. "Jetzt darfst du dir was wünschen!", eröffnete ich ihm und er stieß ein leises Lachen aus.
"Als wüsste ich das nicht selber!" Er knuffte mich die Seite, dann drehte er sein Gesicht wieder dem Himmel zu und schloss die Augen. Ich betrachtete ihn ein paar Sekunden, dann tat ich es ihm nach und schloss auch die Augen. Vermutlich entsprach mein Wunsch genau dem Klischee, doch nach diesem Tag wünschte ich mir nichts sehnlicher, als das mehr aus Noah und mir wurde. Als ich fertig war, öffnete ich die Augen und sah, dass Noah mich beobachtete.
"Na, was hast du dir gewünscht?", fragte er mich neugierig.
"Das verrate ich doch nicht, sonst geht er nicht in Erfüllung und das wäre schade", antwortete ich, beugte mich jedoch im nächsten Moment über ihn und küsste ihn stürmisch, in der Hoffnung, dass er dadurch vielleicht eine Ahnung kriegen könnte, in welche Richtung es ging. Und obwohl ich ihn nicht gefragt hatte und nicht wusste, was er sich gewünscht hatte, sagte mir mein Bauchgefühl, dass er sich vielleicht etwas Ähnliches gewünscht haben könnte. Und, meine Güte, hoffte ich, dass unsere Wünsche wahr werden würden!
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