♯Cнαpтer O2 ~ Welcoмe To My Lιғe.
Hᴀʟʟᴏ, ɪʜʀ Lɪᴇʙᴇɴ!
So, nach einer Woche Wartezeit habe ich hier wieder ein neues Kapitel für Euch.
Ich hoffe natürlich, es gefällt Euch ebenso wie die vorigen.
Obwohl dieses Kapitel jetzt nicht das längste oder interessanteste der ganzen Geschichte ist, musste ich es dennoch so schreiben, damit man erst einmal ein wenig über die Hintergründe von Cloves Leben und die Geschichte von Distrikt zwei erfährt.
Ich hoffe Ihr werdet mir verzeihen - das nächste Kapitel wird spannender, versprochen. Vielen Dank für die lieben Kommentare zum letzten Kapitel von Lini26 und CloveundClato! Ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut! Jetzt will ich Euch jedoch nicht weiter aufhalten, sondern wünsche Euch ganz herzlich: Vιel Spαß вeιм Leѕeɴ!
Eυre Zoey <3
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♯Cнαpтer O2 ~ Welcoмe To My Lιғe.
#Distrikt zwei, Panem
#Spätsommer 2O6O, Gegenwart
Welcome to my life. Welcome to my dream. Welcome to my wonderland.
Cato und ich hatten oft Witze über die Hungerspiele gemacht. Wir hatten unten am Strand gesessen, vor uns ein warmes Feuer und hatten uns überlegt, wie es wohl wäre, sich freiwillig für die Spiele zu melden. Wie viel Geld wir hätten, oder wie viel Ruhm.
Wir hatten uns verzückt ausgemalt, was für ein schönes Heim wir dann unser Eigen nennen könnten. Wir würden nie wieder Hunger leiden müssen. Die Tatsache, die wir nie bedacht hatten, war, dass es nur einen Sieger geben konnte. Ich hatte Cato nichts davon gesagt, dass ich mich morgen wirklich freiwillig für die Spiele melden musste. Denn wenn ich dies tat, so würde er mich sicher mit allen Mitteln davon abbringen wollen.
Er würde mir einreden, es wäre viel zu gefährlich, was ja auch stimmte.
Ich war gerade mal sechzehn Jahre alt - und ehrlich gesagt, wirkte ich eher wie vierzehn - und die meisten Jugendlichen, die sich freiwillig für die Hungerspiele meldeten, waren mindestens siebzehn, wenn nicht sogar achtzehn Jahre alt. Ich war eine der wenigen Sondertalente, die die Akademie besaß, doch keiner würde es mir übel nehmen, wenn ich noch ein Jahr warten würde. Bis auf meinen Vater, versteht sich. Aufgrund all dieser Zweifel, mit denen mich Cato überhäufen würde, würde ich seinen Worten jedoch - wie so oft - Glauben schenken. Ich würde unschlüssig und verzweifelt nach Hause gehen, dort meinem Vater begegnen, welcher mir schließlich befehlen würde, mich morgen auf jeden Fall zu melden, und mir Konsequenzen und Prügel androhen würde, wenn ich dies nicht tat. Dann würde ich die ganze Nacht lang wach liegen, würde mir Sorgen machen, und schließlich am nächsten Morgen mit einem verquollenen Gesicht aufstehen, ohne geschlafen zu haben, und ohne einen Plan, was ich tun sollte.
Nein, seufzte ich resigniert.
Ich durfte Cato nichts von meinem Entschluss - oder besser dem meines Vaters - erzählen. Wenn er es morgen Mittag schließlich herausfinden würde, zusammen mit all den anderen unseres Distrikts, wäre es schon zu spät für ihn, etwas dagegen unternehmen zu können. Nur so konnte ich ihn beschützen ... und mich selbst auch. Indem ich den Menschen belog, der stets aufrichtig und ehrlich zu mir gewesen war. Der mich so akzeptiert hatte, wie ich war, mit all meinen kleinen Fehlern, und der mich niemals hintergangen hatte. Na klasse.
Ich seufzte erneut - diesmal jedoch eher vor Müdigkeit als vor Trauer - und riskierte dann einen schnellen Blick auf die kleine Uhr an der verblichenen Tapete, welche jedoch augenscheinlich den Geist aufgegeben hatte.
Ich knurrte ärgerlich. Konnte man sich denn auf gar nichts mehr verlassen, oder was? Genervt ließ ich meinen Blick zu dem kleinen, von Spinnweben verhangenen Fenster gleiten, da ich mich jetzt wohl an den Sternen und der einsetzenden Finsternis orientieren musste.
Ich lebte in Panem, einem Land, was früher einmal unter dem Namen Nordamerika bekannt war - einer der fünf Kontinente der Welt.
Die übrigen vier Kontinente wurden durch Naturkatastrophen und Kriege so sehr zerstört, dass ein Leben darauf nicht mehr möglich geworden war.
Alle Menschen wurden also nach Nordamerika geschafft, wo aus den Trümmern des Krieges langsam das Land Panem entstand, was in dreizehn Distrikte eingeteilt, und unter strenger Herrschaft des Kapitols - der Hauptstadt und Regierung Panems - mit eiserner Hand regiert wurde.
Nach einiger Zeit jedoch wehrte sich Distrikt dreizehn gegen die Unterwerfung des Kapitols und wurde schlussendlich vernichtet. Doch der hart erkämpfte Frieden, der dann heraufzog, hatte seinen Preis: Zur Erinnerung und Strafe an die Rebellen wurden die Hungerspiele erfunden. Spiele, die daraus bestanden, aus jedem Distrikt einen Jungen und ein Mädchen, im Alter von zwölf bis achtzehn Jahren in eine riesige Arena zu schicken, wo sich die auserwählten Jugendlichen dann bis auf den Tod bekämpften, bis nur noch einer übrig blieb.
Der Sieger.
Alles wurde im ganzen Land live im Fernsehen ausgestrahlt. Jedes Jahr gab es kurz vor den Hungerspielen in jedem der Distrikte eine sogenannte Ernte, wo man die Jugendlichen auswählte, die dann in die Arena zogen.
In den hinteren Distrikten war es ein Todesurteil, ausgewählt zu werden, in den vorderen Distrikten dagegen eine große Ehre. Doch jedes der 24 Kinder, aus welchem Distrikt es auch immer stammen mochte, wusste:
Nur einer von ihnen würde am Ende siegreich nach Hause zurückkehren. Die anderen würden an ihren Wunden oder den gefährlichen Gegnern zugrunde gehen. Mit einfacheren Worten: Sie würden sterben.
Aber daran konnte ich jetzt nicht denken. Ich durfte nicht daran denken, dass dies eventuell auch mein Schicksal sein könnte. Dass ich sterben könnte.
Also, wieder zurück zur Gegenwart und meinem netten Abend, der von Langeweile nur so beherrscht wurde. Allem Anschein nach war es jetzt Abend, denn draußen war bereits die Dunkelheit aufgezogen. Sie bedeckte beinahe den ganzen Himmel und nur ein paar silbrig glänzende Tupfer zeigten die Sterne in der ansonsten finsteren Nacht. Der Wind schien sehr stark zu sein heute, da mein Fenster fast jede Minute erzitterte und die Fensterhebel laut klirrten. Ich war gerade dabei, die Hausaufgaben, die ich wahrscheinlich sowieso nicht mehr abgeben würde, beiseite zu räumen, als mein altes Kommunikationssystem einen hohen Ton von sich gab und ich interessiert aufmerkte. Meine Kommunikationsbasis befand sich auf dem Boden meines Zimmers - wo ich sie nach der Attacke eines gar nicht so vergangenen Wutanfalls achtlos hingeworfen hatte. Zum Glück war das Display nur angeschlagen und nicht vollständig im Eimer. Ich würde wohl Cato bitten müssen, es zu reparieren, denn mein Vater kümmerte sich darum nicht und in Sachen Technik war ich als Mädchen natürlich hoffnungslos überfragt.
Aber genug davon.
Meine Kommunikationsbasis war ein einfacher schwarzer Kasten mit weißen Knöpfen, die man betätigte, um Nachrichten zu versenden und eingehende Anrufe anzunehmen - oder abzulehnen, je nachdem.
Da mein Vater kaum Geld besaß - was er hatte, gab er meistens für Alkohol und andere Vergnügungen aus, deshalb wohnten wir auch in einer kleinen, abgelegenen Hütte am Rande von Distrikt zwei, die das Wort »bescheiden« noch umschmeichelte - besaß ich nicht das Privileg, mir eine moderne Kommunikationsbasis zuzulegen, welche alle reichen Bürger, die in der Stadt wohnten, besaßen. Die hatten sogar einen Touchscreen statt den Knöpfen und konnten Sprachnachrichten versenden. Cato war im Besitz eines solchen, deswegen war ich über deren Können auch bestens informiert.
Aber zurück in die Gegenwart. Der eingehende Anruf, welcher auf meiner noch schwach leuchtenden Kommunikationsbasis angezeigt wurde, kam zum Glück nicht von irgendeinem meiner zahlreichen, falschen Freunde von der Akademie, die wieder einmal Hilfe bei ihren Hausaufgaben brauchten - ich bin nun wirklich kein Streber, aber sagen wir mal, eine ganz gute Schülerin - sondern von Cato. Den konnte ich ja schlecht wegdrücken, nur weil ich befürchtete, gleich damit herauszuplatzen, was ich morgen tun musste - vor allem, würde er dann sicher einfach vor meinem Fenster aufkreuzen - also klickte ich auf »Annehmen«. Sogleich erschallte seine Stimme blechern über die Basis, doch trotz der schlechten Qualität konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich sein Gesicht im Bildschirm aufblitzen sah.
»Hey!«, sagte ich und setzte mich vorsichtig, die Basis in den Händen haltend, auf mein Bett, was sofort laut knarrte. »Hey!«, antwortete auch Cato.
»Morgen ist die Ernte«, sprach er sogleich weiter. Ich seufzte. Als ob ich das vergessen könnte. »Ich weiß«, flüsterte ich leise. »Und ich hab Angst.«
Das auszusprechen war nicht leicht für mich, denn für gewöhnlich tat ich so, als hätte ich niemals Schiss vor irgendetwas, auch wenn es doch so war.
Auch Cato war anscheinend überrascht.
»Möchtest du zum Strand kommen?«, fragte er sogleich besorgt und schaute mich prüfend an. Weder löcherte er mich, warum ich Angst vor der Ernte hatte, noch zwang er mich, ihm etwas darüber zu erzählen. Ich lächelte leicht.
Der kleine Strand, von dem Cato soeben gesprochen hatte, und der einen noch viel kleineren See umkränzte, war unser geheimer Lieblingsort. Er war einer der wenigen kleinen Strände, die Distrikt zwei zu bieten hatte, und Cato und ich hatten ihn auf einer Wandertour durch den Wald gefunden.
Niemand außer uns kam jemals dorthin.
»Das wäre schön ... Ich meine, wenn es dir nichts ausmacht, extra wegen mir dorthin zu kommen ...«, stammelte ich und wurde sogleich wieder von Unsicherheit und Schuldgefühlen geplagt. Ich sah, wie Cato am anderen Ende der Verbindung die Stirn runzelte und mir einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. »Hey, ich hab dir doch gesagt, ich wäre immer für dich da. Das hab ich ernst gemeint. Es macht mir überhaupt nichts aus, mich mit dir zu treffen, ehrlich.«
Ich lächelte dankbar. »Dann ... sehen wir uns gleich? Ich bin in zehn Minuten da.« Cato nickte ebenfalls leicht lächelnd. »Natürlich. Bis gleich dann also«, meinte er und wartete, bis ich erneut genickt hatte, um dann die Verbindung zu unterbrechen, bevor ich es ihm gleichtat. Nur noch die schwarze Oberfläche der Kommunikationsbasis blickte mir jetzt entgegen.
Ich seufzte leise. Einerseits war ich erleichtert, noch einmal mit Cato reden zu können, bevor ich mich morgen freiwillig für die Spiele meldete und vielleicht niemals mehr zurückkehrte; anderseits würde ich ihm wohl oder übel von meinem Vorhaben erzählen müssen, denn ich konnte es nicht noch länger für mich behalten, und außerdem war ich eine super schlechte Lügnerin.
Während ich die Kommunikationsbasis beiseite legte, schlenderte ich gemächlich zu meinem zerkratzten Wandspiegel und stellte mich argwöhnisch betrachtend davor. Ein durchschnittliches Gesicht blickte mir wie jeden Morgen entgegen. Lange schokobraune Haare, die in der Sonne leicht rötlich schimmerten; kleefarbene Augen - eine Mischung aus Grün und Braun - und ein längliches schmales Gesicht mit unzähligen Sommersprossen, die ich aber meist unter einer dicken Schicht Make-up versteckte. Das Schmeichelhafteste, was man über meine Figur sagen konnte, war, dass ich das große Glück hatte, schlank zu sein. Mit schlank war dann aber auch gemeint, dass ich weder irgendwelche Kurven besaß, noch eine übermäßig große Oberweite.
Aber naja, genug gemeckert.
Mein Outfit, was ich heute in der Schule getragen hatte, würde auch für das Treffen mit Cato funktionieren - weiße kurze Hosen und ein türkisfarbenes ärmelloses Top, dazu eine braune Umhängetasche aus einem robusten Material und halbhohe Schnürstiefel. Außerdem hatte ich mir mein braunes geflochtenes Kordarmband ums Handgelenk gelegt, was mir Cato an unserem ersten Monatstag geschenkt hatte und welches einen goldenen Schnallenverschluss zierte, in den ein kleiner Stern eingraviert worden war. Mein Make-up sah auch noch ganz okay aus, obwohl ich mich eigentlich nie übermäßig schminkte oder zurechtmachte:
Goldener Lidschatten, schwarz umrandete Augen und Concealer, der wie bereits gesagt, meine unzähligen Sommersprossen verdecken sollte.
Nachdem ich mich genug im Spiegel bewundert hatte - so weit es da etwas zu bewundern gab - klappte ich vorsichtig mein kleines Zimmerfenster an. Da mein Vater nichts von meinem heimlichen Ausflug erfahren sollte, stopfte ich als Erstes ein paar große Kissen unter meine Bettdecke, damit es so aussah, als ob ich schliefe. Danach öffnete ich mein bereits angeklapptes Fenster so weit wie möglich und ließ mich leise auf die davorliegende Fensterbank fallen.
Einen kleinen Spalt ließ ich jedoch noch auf, damit ich später wieder hinein konnte. Ich könnte auch durch die Eingangstür ins Haus gelangen und mir den Ersatzschlüssel unter dem Blumentopf holen, doch dort war die Gefahr größer, dass mein Vater aufwachen würde; er hatte einen ziemlich leichten Schlaf.
Das wollte ich nicht riskieren.
Sobald ich das Fenster wieder hinter mir angelehnt hatte, spürte ich augenblicklich die Kälte der Nacht auf meiner nackten Haut.
Es war zwar erst Anfang Herbst, doch der eisige Wind, der von den hohen Bergen kam, die Distrikt zwei umkränzten wie ein schützender Ring, wehte heute ziemlich heftig und ließ mich frösteln. Mein Vater sagte manchmal - an seinen guten Tagen, wenn er nicht gerade betrunken oder gestresst war - dass die Berge uns beschützen würden. Ich jedoch sah in diesem Gebirgsring stets nur noch ein weiteres Gefängnis, was mich von der Welt abschnitt.
Von weitem konnte ich den Lärm der Bergarbeiter hören, die in den unzähligen Bergwerken von Distrikt zwei noch spät Abends unaufhörlich ihre Arbeit verrichteten. Vor der ersten Rebellion war Distrikt zwei ausschließlich für den Bergbau und das Steinmetzhandwerk zuständig; nach den berüchtigten Dunklen Tagen, in denen das Kapitol ihren Hauptmilitärstützpunktes in Distrikt dreizehn verloren hatte, verlagerten sie ihr militärisches Zentrum dann hierher. Unsere bereits vorhanden Stollen wurden ausgebaut und stabilisiert, die Eingänge erweitert und die Anlage mit elektrischen Anlagen und Waffen ausgestattet. Durch Bevorzugung mithilfe von Gold und anderen Vergünstigungen sicherte sich das Kapitol die Loyalität des Militärs. Die Arbeitskräfte fanden sich hauptsächlich in den Bewohnern unseres Distrikts.
In der nachfolgenden Zeit legte Distrikt zwei mehr Wert auf die Produktion von Waffen und die Ausbildung begabter junger Bürger zu Friedenswächtern. Allein aus diesem Grund errichtete man eine stattliche Akademie ganz aus goldenem Marmor und schneeweißen Steinen und brannte ihr die Worte »Stärke«, »Loyalität« und »Weisheit« ein. Diese drei Begriffe prangten von da an als Wappenspruch ganz oben über dem Haupttor der Akademie. Man einigte sich, dass der größte Berg unseres Distrikts - mitunter auch bezeichnet als »Die Nuss«, welche früher zum Abbau von Stein- und Bodenschätzen diente und durch den intensiven Bergbau weit ausgehöhlt wurde - von nun an als Militärstützpunkt unter der Kontrolle des Kapitols funktionieren sollte.
Und so geschah es schließlich.
Während die Arbeiterschicht unseres Distrikts wie in jedem anderen Distrikt auch ausgebeutet und unterdrückt wurde, so herrschten im Militär weitaus bessere Verhältnisse. Denn obwohl alle auszubildenden Friedenswächter schwer unter dem Drill des Militärs zu leiden hatten, bekamen sie immerhin auch genügend Geld, eine sichere Unterkunft, welche ihnen vom Kapitol finanziert wurde, und einen sicheren Job, da sie nach dem Anlernen meist direkt in die Distrikte verwiesen wurden.
Das konnten die Bergarbeiter, die für ihre schwere Arbeit nichts als wenige Crixa pro Tag bekamen - die Währung in Distrikt zwei - und jederzeit gefeuert werden konnten, wenn sie alt oder gebrechlich waren und somit nicht mehr dazu fähig, ihre Arbeit im Bergwerk zu verrichten, nicht von sich sagen. Vor vielen Jahren war mein Vater einmal einer dieser Auszubildender gewesen ...
Er war einer der besten Friedenswächter, die Panem je gesehen hatte. Er war sogar ganz kurz davor gewesen, oberster Friedenswächter zu werden ... Bis man ihn aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz gefeuert hatte. Was eigentlich so gut wie nie vorkam, gerade deswegen galt dieser Job ja als so sicher und begehrenswert. Doch mein Vater war aus seinem Dienst entlassen worden, ohne einen Grund und ohne eine faire Verhandlung. Er war aus dem Kapitol verstoßen worden und durfte nie wieder dorthin zurückkehren. Was er Schlimmes verbrochen hatte, um solch eine Strafe zu verdienen, hatte er mir nie gesagt. Und auch sonst keiner schien es zu wissen. Weder mein Vater selbst, noch seine früheren Kollegen, die ich der Neugier halber befragt hatte.
Wie bereits erwähnt, lebten mein Vater und ich seit ich denken konnte am Rande von Distrikt zwei ... und dabei nicht einmal auf einem der vielen Berge, die uns umgaben. Nein, unser kümmerliches Häuschen befand sich auf einer winzigen Anhöhe einige Meter entfernt vom Zaun, der das Distrikt umgab - es war tatsächlich schwer, in Distrikt zwei einen vollkommen ebenen Boden zu finden; mal abgesehen von der Stadtmitte. Nachbarn hatten wir fast keine; nur fünfzehn weitere Häuser lagerten sich am Saum des Distrikts an, welche allerdings stets viele Kilometer voneinander entfernt waren, da unser Landteil eine so große Fläche einnahm. Der einzige Vorteil an unserer kümmerlichen Lage war, dass es nachts nicht ganz so kalt wurde wie ein den Bergen, wo die meisten Dörfer ihren Platz fanden und es im Winter kaum erträglich zu sein schien. Nur wenn ich Cato Zuhause besuchte, kam ich ins Stadtzentrum - und dort war es wahrlich wunderschön. Straßen aus Marmor und sorgfältig geschliffenen Backsteinen, die von Goldadern durchzogen waren; hohe Häuser, die aussahen, als wären sie für griechische Götter errichtet worden und ein stattlicher Platz, auf dem schließlich jede einzelne Straße von Distrikt zwei mündete und der von allen stets nur »Eröffnungsplatz« genannt wurde.
Etwas anderes war der Platz vor dem Justizgebäude, auf dem jedes Jahr die Ernten von Distrikt zwei stattfanden, aber dazu später mehr.
Zahlreiche Geschäfte, Cafés, Bars und Clubs machten die Innenstadt zu einem besonderen und magischen Ort, an dem man sich jedes Mal aufs Neue vorkam wie in einer anderen Welt. Wie ... wie im Kapitol vielleicht.
Auch dort sollte es diese faszinierenden vielen Lichter und die schillernden bunten Farben geben. Einmal hatte ich mit Cato einen der angesagten Clubs namens »Toxic« besucht. Und es war unglaublich gewesen.
Ich erinnerte mich an eine Nacht voller Magie, Leidenschaft, Alkohol und natürlich - Spaß. Auch die Schule, die alle Kinder von sechs bis achtzehn Jahren aufsuchten, die nicht gut genug für die Trainingsakademie von Distrikt zwei waren, mussten das Zentrum aufsuchen, um dort zu studieren.
Darüber hinaus befand sich selbstverständlich auch die eben genannte Akademie im Zentrum von Distrikt zwei, die begabte Schüler von zehn bis achtzehn Jahren besuchten - doch die Regeln dort waren hart und Besuche in die Innenstadt außerhalb des Unterrichts streng untersagt.
Und obwohl die Akademie stattlich, wunderschön und riesengroß war, so haftete ihr doch der Geschmack von Bitterkeit an, da man ja nicht unbedingt freiwillig hierherkam, sondern nur, um zu lernen wie man tötete. Als letztes befanden sich im Zentrum der Stadt noch die luxuriösen Häuser für Regierungsmitglieder, Friedenswächter und andere wichtige Personen.
Cato lebte deshalb im Stadtzentrum, da sein Vater ein wichtiger Friedenswächter im Kapitol war - und deswegen auch fast niemals daheim bei seiner Familie sein konnte. Ich hatte ihn bisher nur zweimal getroffen seit ich mit Cato zusammen war - groß, dunkelhaarig und gutaussehend - doch seine ständige Abwesenheit machte seiner Frau, Cato selbst und dessen kleiner Schwester Jolene schwer zu schaffen.
Für Cato war es daher von der Stadtmitte bis zum Rand, an dem sich unser geheimer Treffpunkt befand, ein gutes Stück Weg, da er auch noch kein eigenes Auto besaß und erst im kommenden Winter volljährig wurde - und deshalb war ich umso dankbarer, dass er diese Last nun auf sich nahm.
Ein lautes Zirpen ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken und ich blinzelte. Der Lärm der Bergarbeiter hatte inzwischen aufgehört und auch die wenigen Lichter in den umliegenden Häusern waren verloschen. Eine drückende Stille hatte sich über das Distrikt gelegt, die nur gelegentlich vom Kreischen einer Eule oder dem Zirpen der Grillen im nahen Gras unterbrochen wurde. Vorsichtig blickte ich nun in die Tiefe, die sich vor mir erstreckte.
Es waren gut fünf Meter bis zum Boden, doch ich wusste, das würde ich schaffen. Ich hatte diesen Sprung schon so oft gewagt; hatte mich nachts heimlich davongeschlichen und war von meinem Fensterbrett gesprungen, hinein in die Dunkelheit der Nacht. Heute würde es nicht anders sein. Auch der Rückweg zu meinem, im zweiten Stockwerk liegenden Zimmer, würde kein Problem für mich darstellen, denn praktischerweise stand direkt vor meinem Fenster ein großer, alter Ahornbaum, an dem ich dank zahlreicher stabiler Äste locker heraufklettern konnte. Nun holte ich einmal tief Luft, bevor ich meinen ganzen Mut zusammen nahm, mich auf die harte Fensterbank, an die ich mich bis eben geklammert hatte, aufstützte und mich dann davon abstieß.
Zuerst fiel ich nur schwerelos durch die eisige Luft, dann spürte ich Sekunden später einen schmerzhaften Aufprall. Ich erinnerte mich noch daran, mich abzurollen, um den Schmerz zu verringern, doch es tat trotzdem höllisch weh. Zum Glück war der Boden nicht hartgefroren, sondern bloß von einer Schicht weichem Gras bedeckt. Eilig stand ich auf, und versuchte den schmerzhaften Stich in meiner Seite zu ignorieren, der mich bei dieser Bewegung durchfuhr. Mich langsam aufrichtend warf ich noch einen letzten ängstlichen Blick zum Zimmerfenster meines Vaters, das jedoch stockdunkel war.
Dann machte ich mich auf den Weg zum See.
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Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯1: Das Lied hab ich beim Schreiben ganz oft gehört und ich finde, es passt super zum Titel des Kapitels.
Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯2: Die Widmung geht an Lιɴι26 für all die lieben Kommentare, Deine unvergleichliche Freundschaft und Deine Unterstützung. Obwohl wir uns erst seit Kurzem kennen, habe ich Dich bereits in mein Herz geschlossen, und hoffe, wir bleiben noch lange in Kontakt.
Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯3: Das Bild stellt Cʟᴏᴠᴇ Eʟɪsᴇᴇ́ Kᴇɴᴛᴡᴇʟʟ dar, die von Isᴀʙᴇʟʟᴇ Fᴜʜʀᴍᴀɴ gespielt wird.
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