♯Cнαpтer 23 ~ Plαyιɴɢ Hιde αɴd Seeĸ.
Hᴀʟʟᴏ, ɪʜʀ Lɪᴇʙᴇɴ!
So, pünktlich zum Nikolaus - und dem zweiten Advent, nicht zu vergessen - gibt es hier, eine Woche früher als üblich, Kapitel Nummer dreiundzwanzig für Euch, von dem
ich natürlich hoffe, dass es Euch gefällt. Ich hab mir überlegt, dass ich das nächste Kapitel vielleicht zu Weihnachten hochlade - mal sehen, ob ich das dann auch schaffe.
Wie jedes Mal gilt mein Dank allen, die mich seit dem letzten Kapitel unterstützt haben - das wären diesmal snowbellexx, PrincessKnightley, PaulaPhanter, abc1234defg, BlackGirlNumber1, stolen_dance, JoanaJawia, foreverdistrict2 und Iva_MyStories!
Ihr seid die Besten! Nun aber wünsche ich Euch ganz herzlich: Vιel
Spαß вeιм Leѕeɴ υɴd ɴocн eιɴeɴ ѕcнöɴeɴ zweιтeɴ Adveɴт! Eυre Zoey <3
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♯Chapter 23 ~ Plαyιɴɢ Hιde αɴd Seeĸ.
Hell is empty, and all the devils are here.
Ich merkte gar nicht, dass ich eingenickt war, doch als ich das nächste Mal die
Augen aufschlug, war die Dunkelheit fort. Stattdessen flutete graues, trübes
Morgenlicht das Zimmer. Ich blinzelte und rieb mir müde die verklebten Augen.
Durch die plötzliche Helligkeit konnte ich nun auch sehen, wie wir es geschafft hatten, das elegante Zimmer in nur einer Nacht in einen kompletten Saustall zu verwandeln.
Auf dem weichen Teppichboden lagen eklige Pizzareste verstreut; außerdem tummelten
sich weiter hinten, in der Nähe der Tür, zerbrochene Gläser, um die der heraus -
geflossene Alkohol nun eine bunte Pfütze bildete, und fettige Chipstüten, deren
bröseliger Inhalt sich über den Boden verteilt hatte. Mitten in dem ganzen
Chaos lag Marvel, der es offenbar nicht mehr ausgehalten hatte, still dazusitzen, und deshalb in der Nacht ganz lässig vom Bett gekippt war, während Glimmer selig schlummerte, und inmitten der ganzen Kissen wie ein verwöhntes Dornröschen wirkte.
Cato, der ebenfalls fröhlich schnarchte, hatte das Ende des Horrorfilms offenbar ver -
passt, diesen jedoch auf Endlosschleife programmiert, denn der Film wiederholte sich mit voller Lautstärke nun schon zum dritten Mal. Das ganze angsterfüllte Geschrei und die blechernen Soundeffekte verursachten alles in allem einen ohrenbetäubenden Lärm.
Ich seufzte müde, richtete mich vorsichtig in den weichen Kissen auf ... und musste
mir sogleich heftig die Hand auf den Mund pressen, da mir mit einem Mal speiübel war.
Für einen kurzen Augenblick fürchtete ich schon, mich hier und jetzt übergeben zu müssen, doch ich unterdrückte hartnäckig die Magensäure, die mir die Kehle hoch -
stieg, und nach wenigen Sekunden konnte ich wieder den Mund öffnen, ohne zu
glauben, mich gleich über die Bettkante beugen zu müssen. Ich seufzte erneut,
während ich den sauren Geschmack zu ignorieren versuchte, der sich in meinem trockenen Mund angesammelt hatte, und stützte mich mit zitternden Armen auf
den Kissen ab, um mich schließlich einigermaßen aufzurichten. Beinahe im
gleichen Augenblick verzog ich vor Schmerz das Gesicht, da ich die fürchterlichsten Kopfschmerzen meines ganzen Lebens zu haben schien. Oh, verdammt. Heute hatten wir unser allererstes Training ... und ich hatte diese verfluchten Mörderkopfschmerzen.
Andererseits, was hatte ich denn erwartet? Dass ich keinen Kater haben würde, nach -
dem ich ... Tja, keine Ahnung, wie viele Gläser Alkohol runter gekippt hatte? Ich stöhnte.
Hoffentlich hatte Enobaria ein Mittel gegen die schrecklichen Kopfschmerzen, denn in dem Zustand, in dem ich mich jetzt befand, würde das Training in einer absoluten Katastrophe enden. Aber bevor ich Enobaria beichten konnte, was ich die ganze
Nacht über getan hatte, musste ich das Zimmer erst einmal in seinen alten Zustand zurückversetzen, um meine Mentorin wenigstens ein winziges bisschen gnädig zu stimmen. Ich seufzte - mal wieder, heute war offenbar der Tag des Seufzens - und schwang meine Füße aus dem Bett ... Ich setzte diese auf dem weichen Teppichboden
ab ... und ließ meinen Kopf dann wimmernd in die Hände sinken, während ich un -
geduldig abwartete, bis dieses nervende Stechen in meinem Schädel verschwunden war.
Dann kroch ich mühsam und auf wackligen Knien - ungefähr so, wie eine alte, ge -
brechliche Großmutter - auf dem Boden herum, bis ich schließlich eine kleine Fernbedienung gefunden hatte. Verwirrt sah ich die vielen Knöpfe an, die alle für
eine andere Funktion standen. Auf gut Glück drückte ich schlussendlich einen
großen, roten Knopf im oberen Bereich der Fernsteuerung. Ein heller Blitz erleuchtete den Bildschirm und der Film brach unvermittelt ab. Bald blickte mir nur noch
die leere, schwarze Mattscheibe vorwurfsvoll entgegen. Als Nächstes begann ich damit, die vielen Essensreste, die im ganzen Raum, und um Marvel herum verstreut lagen, aufzusammeln, und in den Papierkorb zu werfen, den ich mir kurzerhand aus dem
Bad heran gezogen hatte - ohne Marvel dabei aufzuwecken, versteht sich. Die Putz -
kampagne erwies sich als schwerer als gedacht, musste ich doch immer wieder größere Pausen einlegen, da die Kopfschmerzen und das Übelkeitsgefühl manchmal so schlimm waren, dass ich schon befürchtete, mich gleich in den Papierkorb erbrechen zu müssen.
Doch zum Glück konnte ich ein gewisses Maß an Unbehagen vertragen und riss mich immer wieder aufs Neue zusammen. Ich war gerade dabei, die letzten zerbrochenen Cocktailgläser in die Mülltüte zu schmeißen, da öffnete sich beinahe schon geräuschlos die schwere Tür von Catos Zimmer. Ich zuckte erschrocken zusammen, da meine Reflexe offenbar nicht mehr richtig funktionierten, und konnte gerade noch so die Gläser
hinter meinem Rücken verstecken, bevor Emelia sich nicht minder erschrocken vor
mir aufgebaut hatte, und ihren entgeisterten Blick im Zimmer herumschweifen ließ.
»Was in aller Welt ...«
Ich schluckte schuldbewusst. Vor kaum verhohlener Wut nahm ihr Gesicht einen rötlichen Farbton an. »Ihr habt Alkohol getrunken? Und das nicht mal einen Tag vor
dem allerersten, wichtigen Training?«, zischte Emelia kaum hörbar, und ihre sonst so gekünstelte Stimme hatte einen bedrohlichen Tonfall angenommen, während ihr stechender Blick mich förmlich zu durchbohren schien. »Das ... das war nicht meine Idee«, rechtfertigte ich mich kleinlaut und begann eine Entschuldigung zu stammeln.
Dabei kam ich mir in etwa vor, als wäre ich wieder acht Jahre alt, und meine Lehrerin würde mich ausschimpfen, weil ich vor Wut das Geschirr des Speisesaals zertrümmert hatte. Marvel, der sich nun zu allem Überfluss auch noch auf die andere Seite drehte,
gab plötzlich ein brummendes Geräusch von sich, woraufhin Emelia erschrocken zusammenfuhr, und sich schockiert ans Herz griff. Marvel dagegen hob träge
ein Augenlid, richtete sich auf ... und schlug sich urplötzlich die Hand vor den
Mund, während er eine Entschuldigung brüllend ins Bad flitzte und sich dort geräuschvoll übergab. Ich stand zusammengesunken vor Emelia, die einen fast schon verzweifelten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte und starrte schuldbewusst zu Boden.
Oh, je, was hatten wir da nur für ein Chaos angerichtet. Echt toll.
Meine Betreuerin rang derweil verzweifelt die Hände ineinander und wischte diese dann an ihrem Kleid ab. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie offenbar noch ihr Outfit vom Empfangsbankett trug, auch wenn ich sie dort kaum gesehen hatte. Und das sollte schon etwas heißen, denn in dem Aufzug hätte wirklich keiner die Augen von ihr lassen können.
Emelia war schlank; das beinahe durchsichtige Tuch, was ihren Körper kaum merklich verhüllte, ließ nichts der Fantasie des Betrachters überlassen, und ihre knappe nudefarbene Unterwäsche blitzte häufig zwischen den blutroten Stoffbahnen hindurch.
Zehn Zentimeter hohe High Heels, auf denen meine Betreuerin nicht ein einziges Mal schwankte, steckten an ihren zierlichen Füßen, und ihr ganzer Körper schien mit
einem Bronzingpuder bestäubt zu sein, was vor allem ihr üppiges Dekolleté und ihre braunen Augen hervorhob, während ihre Haare in unterschiedlichen Goldtönen glänzten.
Ich starrte sie wahrscheinlich mit offenem Mund an, denn ich hatte keine Ahnung,
was Emelia dazu veranlasst hatte sich so - ja, es war beinahe schon billig - zu kleiden.
Sie war doch immer diejenige gewesen, die auf unsere Manieren achtete, und predigte, wie man sich zu benehmen hatte, und jetzt stand sie in einem Kleid vor mir,
mit dem sie sich auch gleich an die nächste Bordsteinkante hätte stellen können.
Ich war schlichtweg verblüfft.
Anderseits - das Empfangsbankett hatte sich auch nicht wirklich als das herausgestellt, von welchem ich dachte, dass es das sein würde. Eine unschuldige Willkommensfeier,
die sich als Swingerclub mit Neigungen zum Bordell entpuppt hatte - da passte
Emelia mit ihrem Tuch wahrscheinlich besser hinein, als die anderen Tribute und ich.
Doch glaubte ich nicht eine einzige Sekunde lang, dass Emelia von dem Treiben dort - im wahrsten Sinne des Wortes - so überrascht gewesen war, wie wir. Ich jedenfalls ging fest davon aus, dass zumindest die Betreuer gewusst hatten, wozu diese Abend -
veranstaltungen wirklich dienten. Meine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als Emelia sich erneut vor mir aufbaute; das Gesicht zu einer bedrohlichen Fratze verzerrt.
Jegliche Schönheit war aus ihren Zügen gewichen, als sie ihren Blick auf mich richtete und mit ohrenbetäubender Stimme zu schreien begann: »Wie könnt ihr es eigentlich wagen, euch so aufzuführen? Vor einem der wichtigsten Tage eures Lebens Alkohol zu trinken und sich so vollkommen gehen zu lassen! Was wohl eure Mentoren darüber
sagen werden? Habt ihr vergessen, wie bedeutend dieser Tag für euch und auch für uns sein könnte? Die Spielmacher werden euch beim ersten Training zuschauen; euch bewerten! Ab jetzt sollte euer Kampf ums Überleben eigentlich schon begonnen haben!
Wie konntet ihr also auch nur daran denken, euch so dermaßen ungehörig zu be -
nehmen? Keine Manieren, und zwar keiner von euch! Aber ab jetzt ist Schluss mit
lustig, meine Lieben! Ich werde euch schon noch Vernunft beibringen, und dann wird
es solche«, ihr Blick schweifte eindringlich durch den Raum, während sie offenbar nach
dem richtigen Wort suchte, »solche ... Gelage hier nicht mehr geben!« Ich schluckte und sah peinlich berührt zur Wand. So schlimm war es doch auch wieder nicht gewesen!
Sicher, die ekligen, im ganzen Zimmer verteilten Essenreste hätten nicht sein müssen, doch Emelia benahm sich ja beinahe so, als hätten wir mit einer einzigen Nacht
unsere komplette Zukunft total versaut ... Tja, wenn ich so darüber nachdachte,
hatte sie vielleicht nicht mal unrecht. Ich jedenfalls, fühlte mich gerade nicht dazu in
der Lage, beim Training den Auftritt hinlegen zu können, den ich bereits geplant hatte.
Aber, trotzdem, Emelia hatte gewaltig übertrieben.
Bei ihr hörte es sich ja an, als hätten wir letzte Nacht eine wilde Orgie gefeiert oder so.
Zu allem Überfluss hatte meine Betreuerin so laut gebrüllt, dass es auch der letzte Idiot draußen auf dem Flur mitbekommen hatte. Cato jedenfalls, der sich nun stöhnend vom Bett aufrichtete, starrte mit glasigen Augen und offenem Mund auf das Spektakel, was sich ihm bot. Glimmers wütender Gesichtsausdruck dagegen, ließ vermuten, dass meine Betreuerin sie mitten aus ihrem Schönheitsschlaf gerissen hatte. Ich musste lächeln - trotz der sehr ernsten Mahnung, die Emelia uns versucht hatte, deutlich zu machen.
Durch deren lautes Schreien, tauchte nun zu allem Überfluss auch noch Enobaria an der Türschwelle auf. Ihr Körper steckte in einem schwarzen Ensemble aus weitem Top,
sowie schlabbernen Jogginghosen, die verdächtig danach aussahen, als ob sie sie geradewegs aus Brutus' Kleiderschrank geklaut hätte. Ihre schwarzen Haare hingen ihr wirr im Gesicht, da sie sich aus dem nachlässigen Zopf gelöst hatten, den sie sich am Abend zuvor geflochten haben musste. Zuerst war der Gesichtsausdruck meiner Mentorin etwas verwundert, als sie das Chaos im Raum bemerkte, dann jedoch presste sie verärgert die vollen Lippen zusammen und begegnete meinem zögerlichen Blick mit gefährlich blitzenden Augen, sodass ich spontan den Kopf einzog. »Warum hab ihr ...?«, setzte sie an, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Nicht so wichtig. Aber seht zu, dass
ihr den Saustall hier aufräumt. Und zwar schnell, habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
Ich nickte verschüchtert, während Cato ein »Okay« murmelte. Marvel, der jetzt wankend aus dem Badezimmer stürzte, sogleich an einer Teppichkante hängen blieb, und schlussendlich polternd zu Boden krachte, wurde von Enobaria bloß mit einem tadelnden Kopfschütteln bedacht. Glimmer hatte ebenfalls kein Glück. Als sie aufstehen wollte, verhedderte sich ihr linker Fuß in der Bettdecke, und sie plumpste unelegant neben Marvel auf den Boden. Cato verkniff sich ein Grinsen, während er lässig aus
dem Bett sprang. Beinahe im selben Moment lief sein Gesicht grün an und er hielt sich
den Bauch. Ich musste kichern. Da waren wir also. Die Karrieretribute der diesjährigen Hungerspiele, alle mit einem Kater und mörderischen Kopfschmerzen. Ich begegnete dem Blick meiner Verbündeten, die ebenfalls ein Lachen unterdrücken mussten.
»Was zum Teufel ist denn hier los?«, ertönte plötzlich Brutus' dröhnende Stimme entgeistert von der Tür her und wir alle setzten sofort ein ernstes Gesicht auf, während wir uns für die nächste Standpauke bereit machten, diesmal gehalten von Brutus Longorion, der jetzt auch noch seinen Kopf zu uns ins Zimmer steckte, ihn jedoch gleich wieder einzog, als er uns alle schuldbewusst inmitten von verfaulten Essenresten und Scherben vorfand. Einige Sekunden lang stand er einfach nur mit offenem Mund an der Türschwelle, bevor Enobaria ihn energisch am Arm packte und auf den Flur schob - was vielleicht vor allem daran liegen konnte, dass Glimmer ungeachtet der vielen Zuschauer begonnen hatte, sich auszuziehen. Ich lachte. Offenbar war sie noch immer ziemlich dicht. Emelia war dagegen gar nicht zum Lachen, als sie ihr durchsichtiges Kleid zusammenraffte, energisch die Badezimmertür zuknallte, weil Marvel vergessen hatte, seine Kotze runterspülen, und der Gestank schon langsam das Zimmer durchdrang,
und uns einen herrischen Blick zuwarf, nicht weniger einschüchternd, als Enobarias.
»Aufräumen, sofort! Danach kommt ihr zum Essen! Und benehmt euch gefälligst!«, ermahnte sie in einem solchen Befehlston, dass ich den Kopf einzog. Dann stöckelte
sie aus dem Raum hinaus, wobei sie peinlichst genau darauf achtete, ja nicht in die
Essenreste zu treten und war verschwunden. Ich seufzte. Als ich ebenfalls Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, sah Marvel mich vom Fußboden her ungläubig an.
»Wir sollten doch alle aufräumen, oder hast du nicht zugehört?«
Ich schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln und antwortete: »Was glaubst du wohl,
wie schlimm das Zimmer aussah, bevor Emelia hier reingeschneit ist? Während
ihr geschlafen habt, hab ich schon fast alles sauber gemacht und in
den Müll geschmissen! Ich denke, für heute habe ich genug Putzarbeit geleistet -
deshalb werde ich mich jetzt umziehen gehen. Den Rest schafft ihr wohl auch allein!«
Und ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, stolzierte ich aus dem Zimmer. Doch ich
war mir ganz sicher, ein amüsiertes Funkeln in Catos blauen Augen gesehen zu
haben, während sein Blick mir folgte, bis die Tür polternd hinter mir ins Schloss fiel.
Im Flur atmete ich einmal tief durch, da mein Kopf sich mal wieder anfühlte, als
würde jemand gerade fröhlich mit einem Hammer auf meinen Schädel einschlagen.
Stolpernd torkelte ich zu meinem Zimmer, die linke Hand an meine Stirn gepresst. Erst, als ich meine Zimmertür aufgestoßen, und ein paar Minuten auf der Schwelle verharrt hatte, fiel mir auf, dass ich nicht allein war. An einem der zahlreichen Schränke
stand eine schlanke Brünette, die noch immer eine schwarze Maske vom Empfangs -
bankett trug. Scheinbar hatte sie mich noch nicht wahrgenommen, obwohl ich ja nun wirklich nicht versucht hatte, mich groß anzuschleichen, oder besonders leise zu sein.
Das Mädchen jedoch, schien so in seine Arbeit - in diesem Fall die Durchwühlung
meiner Sachen - vertieft zu sein, dass es gar nicht bemerkte, was um es herum geschah.
»Kann ich dir vielleicht irgendwie behilflich sein?«, waren die ersten Worte, die mir
in den Sinn kamen, und bevor ich nachdenken konnte, hatten diese auch schon laut
die Stille durchbrochen - in einem solch kalten Tonfall, dass man selbst Stahl damit
hätte schneiden können. Die Brünette wirbelte ertappt herum und ein Ausdruck von Missmut huschte über ihr halb verdecktes Gesicht, wobei ihre Maske bedenklich verrutschte und sich schließlich ganz aus ihren Fassungen löste. Kaum hörbar fiel
sie zu Boden und ich hatte plötzlich freie Sicht auf das Gesicht der Unbekannten. Meine erste Reaktion war Verblüffung, da sie viel jünger war, als ich sie eingeschätzt hätte.
Das ebenmäßige Gesicht umrahmten braun glänzende Haare, welche zu einem eleganten Knoten aufgesteckt waren. Ebenfalls braune Augen funkelten mir kalt entgegen. Sie war höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt - und ihr Gesicht
gab nicht die geringsten Anzeichen von Reue oder Furcht preis. Ich kniff die Augen zusammen, während ich sie argwöhnisch musterte. Plötzlich wusste ich, warum sie
mir so bekannt vorkam. Ich erkannte in ihr die Brünette mit der schwarzen Maskierung und dem schwarzen Kleid wieder, welche mit Seneca Crane im Hinterzimmer ver -
schwunden war. Die, die die ängstlichen Schreie ausgestoßen hatte, als ich mich mit Cato im Nebenzimmer befunden hatte. »Hast du gefunden, wonach du suchst?« Wieder waren meine Worte ohne groß darüber nachzudenken aus meinem Mund gekommen.
Das Gesicht der Brünette verzog sich erneut zu einer missmutigen Grimasse und sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Nein«, antwortete sie mir kühl. Ich wollte ihr schon entgegenschleudern, dass sie sich dann ja verpissen könnte, aber bevor ich den Mund aufmachte, fügte sie hämisch hinzu: »Aber das werde ich noch. Du kannst dich nicht verstecken, und noch weniger kannst du uns daran hindern.« Das hörte sich jetzt aber gewaltig nach einer Drohung an. Und was hieß »uns«? Arbeitete sie für jemanden?
Und was wollte dieser jemand - oder diese Gruppe - bitte ausgerechnet von mir?
Ich schüttelte innerlich den Kopf. Damit würde ich mich später beschäftigen müssen.
Erst mal galt es, dieses Miststück, das mich offensichtlich nicht ausstehen konnte, loszuwerden. »Und, hast du schon Angst?« Ihre Frage ließ mich innerlich müde aufseufzen. Dieses Mädchen wurde mir wirklich von Sekunde zu Sekunde unsympathischer. »Vor dir? Garantiert nicht!«, entgegnete ich mit so viel Häme,
wie ich aufbringen konnte und sah sie verächtlich an. »Und das werde ich auch nicht.
Also, ich schlage vor, dass du jetzt aus meinem Zimmer verschwindest, bevor ich irgendjemandem erzähle, dass du dich in Sachen einmischst, die dich
nicht das Geringste angehen. Und das ist eine Drohung.« Ich grinste höhnisch
und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Sie fauchte wie eine wütende Katze.
»Du brauchst dich nicht zu wundern, dass wir euch nicht ausstehen können! Ihr seid sowas von arrogant! Es geschieht euch recht, was mit euch passieren wird! Bald schon wird sich hier einiges ändern, und du hast es vollkommen verdient, was du dann bekommst!« Ich zuckte erschrocken zurück und betrachtete sie eindringlich, während mir unterdessen tausend Fragen im Kopf umher wirbelten. Wer zum Teufel waren »wir«?
Was meinte sie mit diesem »wir waren sowas von arrogant«? Meinte sie uns Tribute? Oder mich speziell als Person? Und was würde geschehen, was ich ihrer Meinung nach »ja sowas von verdient hätte«? All diese Fragen beschäftigten mich, doch als ich den Mund aufmachte, stahl sich eine ganz andere zwischen meinen Lippen hervor. »Wie heißt du?«
Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, warum ich das überhaupt gefragt hatte.
Auch das Mädchen war verwirrt, wobei die Verärgerung und der Hass kurzzeitig aus ihren Zügen wichen und ihr Gesicht sich glättete. Ich fragte mich wirklich, wer sie so dermaßen beeinflusst hatte, dass sie uns, die sie ja nicht mal kannte, so hasste. Für wen
arbeitete sie? Wer hatte die Macht, ein nicht mal volljähriges Mädchen so dermaßen
zu verblenden? Ihren Hass auf Leute zu schüren, die sie nicht einmal persönlich kannte?
Zugegeben, jetzt kannte sie mich, und ich war alles andere als nett herübergekommen ...
»Arcadia«, murmelte sie leise, bevor sich die alte Heimtücke wieder in ihre Augen schlich. »Nun, wie du schon richtig bemerkt hast, ich sollte gehen. Wir sehen uns sicher bald.«
Wieder lag eine kaum unterdrückte Drohung in ihrer Stimme.
Als ich jedoch nicht reagierte, straffte sie entschlossen die Schultern und warf mir einen letzten spöttischen Blick zu, bevor sie das Zimmer endgültig verließ. Lange starrte
ich auf die Stelle, wo sie zuvor gestanden hatte. Nachdem ich mich lange genug mit Arcadia und ihren seltsamen Äußerungen beschäftigt hatte, jedoch zu keiner richtigen Einschätzung gekommen war, gab ich es schließlich auf, raffte mich einigermaßen zusammen und schlenderte zu meinem Bett, was beinahe noch unberührt vor mir lag.
Die weißen Laken waren jedoch zurückgeschlagen worden und auf meiner dunkel -
roten Bettdecke lag fein säuberlich gefaltet mein Trainingsoutfit für die diesjährigen Hungerspiele. Ich seufzte, während ich die Klamotten hochhob und sie skeptisch betrachtete. Das Trainingsoutfit für dieses Jahr bestand aus einem Ensemble
aus leichtem Shirt und einer dazu passenden Hose, welche mir sicher bis zu
den Füßen reichte. Schwarze robuste Stiefel, mit dicken Schnürsenkeln standen
neben meinem Nachtisch. Erneut seufzend legte ich die Sachen wieder an ihren
Platz zurück und machte mich auf den Weg ins Badezimmer. Catos Klamotten
stopfte ich in den Wäschekorb. Danach versuchte ich, mich einigermaßen auf die
riesige Glasdusche mit bronzenem, seltsam warmen Untergrund einzustellen, deren
Tastenfeld anscheinend zu ungefähr hundert Bedienungen fähig war. Ich betätigte
die Tasten nach sorgfältigem Nachdenken, und schaffte es auch tatsächlich, ohne große Probleme zu duschen, und nicht vollständig mit Zitronenschaum eingesprüht zu werden.
Nachdem ich das heiße Wasser ausgestellt, meinen Körper in einen Bademantel gehüllt, mir die Zähne ordentlich geputzt, und meine Haare geföhnt hatte, schlüpfte ich schließlich in einen weißen BH samt Slip. Danach zog ich mir meine neuen Trainings -
klamotten über den Kopf, wobei ich mir sicher war, dass mir Hose, sowie Shirt und Schuhe ganz genau passen würden. Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigte, dass ich Recht behielt, was die Einschätzung meiner Kleidergröße betraf. Das kurzärmelige Shirt
lag zwar eng an meinem Oberkörper an, schien jedoch aus einer Art Stretchstoff zu bestehen, und war deshalb sehr anpassungsfähig. Der Stoff war größtenteils dunkel -
blau und wurde an beiden Ärmeln von einem roten und einem grauen Streifen begrenzt.
Ein kleines Feld mit der Nummer »zwei« war auf meinem Rücken, sowie an beiden Ärmeln aufgestickt. Noch deutlicher hätte man mich nur kennzeichnen können,
indem sie mir eine »zwei« mitten ins Gesicht tätowierten. Ich schüttelte den Kopf.
Ein kleiner Reißverschluss zierte den Kragen des Oberteils. Die Hose bestand aus demselben Stoff wie das Shirt, und auch hier zierten zwei Streifen die Seiten meiner Beine. Immerhin prangte dort keine »zwei«. Die Stiefel hatte ich zum Teil in die Hose gesteckt. Obwohl das Outfit auf dem ersten Blick eng erschien, war es, als ich es dann schließlich am Körper trug, kein bisschen einschnürend. Es wirkte eher so, als dass sich der Stoff bestens meinem Körper anpasste, und wie eine zweite Haut an mir klebte.
Meine Haare fielen mir noch immer offen über die Schultern - was beim Training sicher ein Problem werden könnte. Gerade, als ich sie zu einem lässigen Zopf nach oben binden wollte, da erschien Viola an der Tür. Ihr zierlicher Körper steckte in einem goldenen
Kleid, was an den Puffärmeln schwarze Glitterpunkte aufwies und offenbar noch vom Empfangsbankett stammte. Sie sah ein wenig müde, jedoch auch erfreut aus, als sie mich sah. Ich erwiderte ihr Lächeln, und sie stolperte ins Zimmer hinein, während mein Grinsen breiter wurde. Offenbar hatte auch sie gestern Abend etwas zu viel getrunken.
»Morgen, Clove. Ich höre, du hast letzte Nacht mit deinen Verbündeten
die Sau rausgelassen, wie Emelia mir höchst missmutig berichtet hat?«
Wie üblich kam sie gleich zur Sache - jedoch lag kein bisschen Strenge in ihrer Stimme. Ich musste lachen, als ich an den heutigen Morgen dachte und wurde sogleich lockerer. »Ja, das habe ich. Aber es war wirklich nicht meine Absicht es so ausarten zu lassen.«
Viola winkte ab.
»Keine Sorge, ich bin dir nicht böse - oder denke, du hättest es besser wissen müssen.
Ich glaube nämlich, ich habe gestern Nacht auch ein wenig über die Strenge geschlagen - jedenfalls den Blicken zufolge, die mir Emelia vorhin zugeworfen hat.« Viola seufzte.
»Aber nun, sei's drum - kümmern wir uns erst einmal um deine Frisur. Ich habe lange überlegt, wie ich deine Haare zurechtmachen sollte. Schließlich habe ich vor einigen Wochen einen alten japanischen Film gesehen. Dort trugen die Frauen ihr Haar
immer mithilfe von kleinen Messern hochgesteckt. Des weiteren habe ich gehört, du scheinst gut mit eben dieser Waffe umgehen zu können - deiner Mentorin zufolge sogar ausgesprochen gut. Ich finde also, diese Frisur passt perfekt zu dir. Was meinst du?«
Geduldig, aber auch leicht gespannt, wartete sie auf meine Reaktion. Ich dagegen war ein wenig verwirrt. »Ich dachte, wir dürfen keine Waffen in unseren Kleidern oder Haaren verstecken? Also nicht mal beim Training?« Viola lachte nur, und bedeutete mir, mich
aufs Bett zu setzen. »Jetzt verstehe ich, was dich so verwirrt. Aber lass mich nur machen.
Du wirst sehen, es wird dir gefallen. Und jetzt halt still.« Ich tat wie geheißen, und setzte mich aufs Bett, während Viola mir einen kleinen Spiegel in die Hand drückte, meine Haare in kleine Strähnen teilte, und diese mit Klammern an meinem Kopf feststeckte.
»Was planst du eigentlich heute beim Training vorzuführen?«, fragte sie bei -
läufig, während sie meine Haare hochsteckte. Ich zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß noch nicht genau. Auf jeden Fall Messerwerfen - wie Enobaria schon gesagt hat, ist das meine größte Stärke. Und dann vielleicht noch ein bisschen Schwertkampf - oh, und die Überlebensstationen nicht zu vergessen«, fügte ich hinzu, als ich an den gestrigen Abend mit Marvel denken musste. Viola schnalzte mit der Zunge, da sie meinen verächtlichen Tonfall vernommen hatte. »Unterschätze diese Stationen nicht, Clove.
Manchmal können ein warmes Feuer und ein sicheres Lager über Leben und Tod ent -
scheiden. Ich meine, ich weiß genug von den Spielen, um zu wissen, dass du und deine Verbündeten euch sicher genug Essen und Trinken sichern werdet. Eine Allianz mit Distrikt eins zu bilden ist außerdem immer von Vorteil. Doch was ist, wenn ihr im Laufe der Spiele euer Bündnis brecht? Oder eure Vorräte aufgefressen, oder gar gestohlen werden? Dann müsst ihr euch eine Alternative beschaffen, so viel ist klar. Und deshalb solltest du diese Stationen besuchen. Dafür sind sie gedacht. Na ja ... und für die Tribute, die keine Waffen haben und sich trotzdem irgendwie durchschlagen müssen.« Ich nickte leicht genervt, da ich mir genau diesen Vortrag heute sicher noch öfter anhören würde.
»Ich weiß. Aber auf der Akademie hab ich schon viel Erfahrung bei den Überlebens -
stationen gesammelt.« Viola merkte auf. »Die Akademie? Ach, stimmt ja, du musst trainiert worden sein ...« Ihr Tonfall hatte auf einmal einen seltsamen Klang angenommen, bei dem ich sofort stutzig wurde. »Viola? Ist alles in Ordnung?«, fragte
ich misstrauisch und sah sie argwöhnisch im Spiegel an. Viola schüttelte den Kopf
und schloss die Tür mit einem kleinen Fußtritt. Dann ließ sie meine Haare los und
sah mich durch den kleinen Handspiegel gehetzt an. »Hör zu, Clove, irgendetwas scheint hier nicht mit rechten Dingen zuzugehen.« Mein Misstrauen ihr gegenüber verpuffte.
»Wie kommst du darauf?« fragte ich ebenso leise und sah mich trotz der Tatsache, dass wir beide eigentlich allein waren, ein wenig beklommen im Zimmer um. »Ich war gestern Abend nach der Parade kurz einige Sachen in die Ankleidekammer bringen. Direkt daneben befindet sich ein sonst immer verschlossener Raum, in dem die Spielmacher wichtige Sachen aufbewahren. Die Tür stand allerdings offen, und ich konnte es mir nicht nehmen lassen, kurz hineinzuspähen.« Viola machte eine kleine Pause. »Und?« fragte ich neugierig, die Brauen hochziehend und begegnete ihrem Blick über den Spiegel hinweg.
»Ich weiß es nicht, aber in eben diesem Raum lagerten ungefähr hundert ... Spritzen,
alle gefüllt mit einer klaren und unnatürlich blauen Flüssigkeit. Seneca Crane war ebenfalls in diesem Raum. Er redete telefonisch mit jemand unbekanntem, der sich
wohl in einem der Distrikte befand ... und er erwähnte diese Akademie mehr als nur einmal, Clove. Was mir auch merkwürdig vorkam, war die Tatsache, dass er von irgendwelchen Simulationen, sowie Ängsten und Schmerzen redete. Und von einer möglichen Veränderung in Panem. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber du solltest vorsichtig sein. Sehr vorsichtig, und das gilt nicht nur für dich, sondern auch für alle anderen Tribute. Da stimmt etwas nicht, und auch, wenn ich noch keine richtigen Beweise habe, fühle ich, dass es die Wahrheit ist.« Ich schluckte, als ich daran dachte, von was Viola gesprochen hatte. Eine mögliche Veränderung in Panem. In den Distrikten.
Gefahr. Akademie. Simulationen ... und Ängste. Ich wurde bleich.
»Du hast recht ... es hat tatsächlich etwas mit der Akademie zu tun. In einer der vier Phasen der Aufnahmeprüfung mussten wir in eine Simulation, die daraus bestand, unseren größten Ängsten und Befürchtungen zu widerstehen. Um in diese Angstlandschaft zu gelangen, hat man uns eine durchsichtige Spritze mit einer blauen Flüssigkeit in den Arm gejagt. Aber ... was zum Teufel hat das mit den Hungerspielen
zu tun?«, grübelte ich nachdenklich vor mich hin. Viola drückte mir fest die Schulter.
»Ich weiß es nicht. Aber pass bloß auf. Hier scheint wirklich etwas Merkwürdiges vor sich zu gehen.« Ich merkte auf. »So was Ähnliches hat Curran vor der Parade auch zu mir gesagt ... oder eher versehentlich angedeutet. Und dieses Mädchen, was hier war,
schien auch nach irgendetwas gesucht zu haben. Auf jeden Fall hat sie gesagt, ich würde verdienen, was ich bekommen würde. Und das sich bald einiges ändern wird ... Vielleicht hat das ja mit dem zu tun, was du mir erzählt hast«, dachte ich laut nach, und achtete
gar nicht darauf, dass ich meine Gedanken soeben deutlich hörbar preisgegeben hatte.
Erst als Vola mir ihre scharfen Fingernägel in die Schulter grub, war ich wieder bei klarem Bewusstsein, und keuchte sogleich vor Schmerz. »Was ist denn, verdammt noch mal?«, fragte ich sie wütend und rieb mir die wunde Stelle, die sich sogleich rot verfärbte.
Viola biss sich auf die Lippe, entschuldigte sich abwesend und hakte dann nach: »Welches Mädchen war hier in deinem Zimmer?« Ich seufzte müde. Ach, das hatte ich ihr ja noch gar nicht erzählt. Kurz und bündig gab ich das kurze Gespräch mit Arcadia wieder.
Viola kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe, während sie ihre Arbeit mit meiner Frisur wieder aufnahm. »Arcadia ... ich dachte, ich hätte schon mal etwas von ihr gehört ...«
Ich betrachtete unterdessen entzückt meine Fingernägel, die noch immer golden bemalt waren von der gestrigen Parade. »Brünett, circa 1.80 groß, braune Augen ...
ätzender Charakter«, murmelte ich abwesend und kratzte an meinen Nägeln herum.
Viola schüttelte ratlos den Kopf.
Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn nicht, auch egal. Ich glaube sowieso, dass sie nicht noch einmal hier herumschnüffeln wird.« Erneut schüttelte Viola den Kopf. »Es ist
nicht egal. Ich habe so das Gefühl, sie scheint möglicherweise so etwas wie der
Schlüssel zu der Lösung zu sein, der uns noch fehlt. Ich werde ... das herausbekommen, und dir vor der Arena Bescheid geben. Versprochen.« Dann lächelte sie, und Argwohn und Nachdenklichkeit fielen wie ein Tuch von ihr ab. Schwungvoll steckte sie
die letzte Klammer an meinem Hinterkopf fest und sah mich dann erwartungsvoll an.
»Na, was sagst du dazu?«, fragte sie neugierig, während sie mich vor einen
der unzähligen Spiegel meines Zimmers schob. Gespannt blickte ich hinein.
Ein schlankes junges Mädchen in einem engen Trainingsanzug und mit kämpferischem Gesichtsausdruck blickte mir entgegen. Die Tatsache, dass kein einziges bisschen Make-up mein Gesicht bedeckte, trug dazu bei, dass ich mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft im Kapitol irgendwie selbst wiedererkannte. Keine schicken Kleider oder
edle Accessoires heute. Nein, heute strahlte ich auf eine ganz natürliche Art und Weise.
Die kleinen Sommersprossen, meine wohlgeformten Augenbrauen - ich sah aus, als würde ich gleich im Stall der Bergponys faulenzen oder in dem Wirtshaus der Steinmetze unterhalb des zweithöchsten Berges als Hilfskellnerin arbeiten. Ich sah aus, als wäre
ich wieder zu Hause und ein neuer Tag würde anbrechen. Zu Hause, in Distrikt zwei.
Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich meine Heimat tatsächlich vermisste.
Mein Vater, so schlimm er auch sein mag ... Ich dachte an unseren Abschied nach der Erntezeremonie. Tja, ich hatte mich so dermaßen geirrt. Doch leider begriff ich das ein bisschen zu spät. Nichts konnte schrecklicher oder brutaler sein, als die Hungerspiele.
Ich seufzte. Vielleicht könnte ich mit dem winzigen bisschen Liebe, was ich hier erfahren hatte - von Curran, Viola, Cato und Enobaria - auch meinen trunksüchtigen Vater wieder auf den richtigen Weg bringen, wenn ich erst mal nach Hause kam. Und das wollte ich.
Ich wollte alles tun, um wieder die hohen Berge und die frechen, aber durchaus gutmütigen Bergponys, welche im Steinbruch die schweren Lasten schleppten, wiederzusehen. Ich wollte mit ihnen über die winzigen Felder galoppieren, die Distrikt zwei zu bieten hatte. Ich wollte den hart arbeitenden Männern im Wirtshaus ein kaltes Bier auf den Tisch stellen, und ihr freundliches Lächeln sehen, wenn sie sich bei mir bedankten. Ich wollte mich ... Nun ja, ich weiß nicht, ob »ändern« jetzt der richtige Ausdruck dafür war, denn komplett wollte ich mein Wesen eigentlich nicht aufgeben.
Aber ich wollte wenigstens versuchen, ein wenig mehr Freundlichkeit zu zeigen. Doch zuerst musste ich die Hungerspiele überleben. Das war von nun an mein einziges Ziel und ich würde mich durch nichts davon abbringen lassen, es zu erreichen. Der Gedanke an Cato stahl sich in meinen Kopf, doch ich verdrängte ihn. Ich hatte jetzt nicht die Kraft, mich mit der Vorstellung auseinanderzusetzen, was geschehen würde, wenn ich ihm gegenüberstand und meine Ziele sich - wie so oft - wieder einmal in Nichts verwandelten.
Ich blickte erneut in den Spiegel, und bemerkte, dass Viola mich verstohlen und abwartend betrachtete. Ich lächelte ihr zu. Dann erst sah ich mir meine
Trainingsfrisur an. Sofort musste ich Viola für ihre Geschicklichkeit bewundern.
Meine Haare hatte sie kunstvoll in einzelne Strähnen geteilt und diese dann in kleinen geflochtenen Knoten an meinem Haaransatz festgesteckt. Es sah wunderschön aus - und passte wirklich perfekt zu mir. »Und?«, fragte Viola und lächelte mich dabei an, beinahe so, als würde sie die Antwort auf ihre Frage bereits kennen. Ich erwiderte ihr Lächeln im Spiegel, während meine Augen aufblitzten. »Es ist perfekt. Vielen, vielen Dank, Viola«, brachte ich hervor, und - völlig untypisch für mich - schlang ich plötzlich die Arme um sie.
Zuerst war sie sicher ein wenig verblüfft, doch entgegen meiner Erwartungen, umarmte sie mich schließlich fest, während sie mir vorsichtig über meine Haare strich und die Wange an meinen Kopf legte. Eine winzige Träne stahl sich zwischen meinen geschlossen Wimpern hervor, und erneut dankte ich Gott dafür, dass ich heute kein Make-up trug.
Aber die Tatsache, dass Viola mich so liebevoll umarmte, weckte in mir den Gedanken, dass meine Mutter, wenn sie noch leben würde, dies sicher genauso machen würde.
Wenn sie noch leben würde ... Dann wäre ich vielleicht nicht einmal hier.
Vielleicht wäre ich dann noch zu Hause in Distrikt zwei. Wenn sie noch leben würde - dann hätte ich noch eine Familie. Eine Schwester, einen liebenden Vater ... eine Mutter.
Ich schluchzte laut auf, bei diesem verbotenen, jedoch auch so verlockenden Gedanken.
Doch anscheinend sollte es nicht sein. Statt von meiner Mutter das Kochen oder Stricken zu lernen, hatte ich stattdessen gelernt, wie es war, zu töten und spielerisch leicht
mit gefährlichen Waffen umzugehen. Ich war zu einem anderen Menschen geworden.
In den Simulationen - den Angstlandschaften der Akademie - hatte ich getötet.
Ich hatte beim Training Prellungen und Brüche verursacht. Und in meinen schlimmsten Zeiten, da hatte ich anderen Menschen das Leben zur Hölle gemacht. Viola wusste
davon nicht so detailliert wie Enobaria oder Brutus, doch sie wusste mit Sicherheit genug, um zu ahnen, was für ein Mensch ich war. Und trotzdem verabscheute sie mich nicht, ganz gleich, was ich getan hatte, oder noch tun musste, um zu überleben. Nein, sie benahm sich, wie eine Mutter es tun würde, als sie mich sanft im Arm hielt und beruhigende Worte in mein Ohr flüsterte. Und zum ersten Mal in meinem Leben, ließ ich meine Schutzwälle freiwillig sinken und weinte mich an ihrer Schulter aus, während sie mich in den Armen hielt und ich unaufhörlich ihren leisen, tröstlichen Worten lauschte.
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Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯1: Die Widmung dieses Kapitels geht an snowbellexx -
dafür, dass Du immer für mich da bist, jedes Kapitel kommentierst,
und mich unterstützt. Ich hab dich lieb ♥ Ich hoffe, das Kapitel gefällt Dir.
Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯2: Das oben zu sehende Bild zeigt
Aʀᴄᴀᴅɪᴀ Fɪʀᴇsᴛᴏʀᴍ, welche von Mɪʟᴀ Kᴜɴɪs verkörpert wird.
Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯3: Der externe Link bezieht sich auf das Outfit,
was Viola während des Empfangsbanketts trug, und ist anschaubar
auf http://www.polyvore.com/violas_evening_dinner_dress/set?id=84559369.
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