Poesie: Am Anfang war das Nichts
Als ich erwachte, konnte ich nichts um mich herum wahrnehmen. Es war nicht dunkel, aber auch nicht hell, es war... nichts. Nichts was man beschreiben könnte. Es machte mir Angst. Ich richtete mich vorsichtig auf und schloss die Augen. Die gewohnte Schwärze hinter meinen Lidern war beruhigend bekannt. Als ich aufstand, streikte mein Gleichgewichtssinn. Ich konnte nicht sagen, ob ich immer noch lag, ob ich stand oder ob ich mich im freien Fall befand. Das Gefühl war so verwirrend, dass mein Körper mich dazu drängte meine Augen wieder aufzureißen, um mich meiner Lage zu vergewissern, doch ich konnte nur das Nichts erkennen und mir wurde speiübel. Mein Gehirn konnte nicht damit umgehen Nichts zu sehen, doch ich hing wie in der Schwebe und immer wenn da nichts mehr war als die beruhigende Schwärze, schwindelte mir und meine Augen öffneten sich ohne mein Zutun.
Es war ein Teufelskreis.
Und er zog sich ewig, wie es sich anfühlte. Ich hatte schon von Anfang an nicht mitgezählt und mein Zeitgefühl war mir ebenfalls abhandengekommen. Dieser Kreislauf wurde mein Leben. Ob für Jahre, Tage, Stunden oder Sekunden konnte ich nicht sagen, aber mein Körper hielt mich in sich selbst gefangen und ließ mich keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Ich schlief nicht, war nicht durstig oder hungrig, musste nicht blinzeln, nicht atmen. Es war, als wäre ich tot, doch die Schmerzen in meinem Inneren, das Unverständnis über meine Situation hielt mich am Leben. Ich wurde nicht schwächer, nicht stärker und irgendwann verlor ich das Bewusstsein.
Ich fiel nicht in Ohnmacht, wie hätte das im Nichts gehen sollen, sondern das, was ich war, verließ den Körper, der es gefangen hielt. Es war kein Geist, ich schwebte nicht, ich hatte keine Sinne, kein Aussehen, war nicht einmal Luft, aber ich nahm meine Umgebung wahr. Nicht einmal ein Wesen war ich, ich lebte nicht, war nicht tot, eigentlich existierte ich gar nicht, und doch hatte ich eine Art Bewusstsein. Das Nichts um mich herum bereitete mir nun gar keinen Schwindel mehr, es war wie ich, nicht existent, doch etwas unterschied es trotzdem von mir: Es konnte sich selbst nicht wahrnehmen. Es war einfach Nichts. Ich war Etwas. Etwas anderes als Nichts.
Meine liebste, einzige, verhasste Beschäftigung war, dem Körper unter, über, neben mir zuzusehen. Die Bewegungen, die Zuckungen, das Flattern der Augenlider, der unterdrückte Würgreflex, das Zusammensacken der Knie, das Zurechtrücken und Geradestehen, und dann alles wieder von vorne. Zeit spielte hier im Nichts keine Bedeutung. Es gab keine Tage, keine Stunden, keine Sekunden, denn es veränderte sich nichts, es war immer dasselbe. Alles wiederholte sich. Ich wiederholte mich, der Körper wiederholte sich, das Nichts blieb gleich. Ich kannte nichts anderes, kannte nur die ständige Wiederholung der gleichen Dinge.
Einmal war da ein etwas in mir, das ich noch nicht kannte, das sich noch nicht wiederholt hatte. Es war anders, anders als das Etwas, anders als das Nichts und anders als die ständige Wiederholung. Dieses Andere gab mir einen kleinen Stups in eine andere Richtung und auf einmal war etwas anders.
Ich kannte jetzt auch etwas Anderes als die ständige Wiederholung, als das immer gleiche Nichts. Es begann in mir zu sprießen, wuchs in mir heran, zeigte mir Anderes, und wurde größer, zu groß für mich um es zu halten. Also ließ ich es raus, entließ es ins Nichts und es siedelte sich an einem ganz bestimmten Fleck im Nichts an.
Dieser Fleck war Anders.
Auch er wuchs, wurde größer, vereinnahmte das Nichts und machte es anders. Dieser Fleck gab dem Nichts alles, Konturen, Farben, doch es zerstörte damit das Nichts, denn Nichts ist nichts und keine Konturen und Farben. Der Körper unter mir öffnete erneut die Augen, doch diesmal schlossen sie sich nicht sofort wieder, diesmal blieb der Würgereiz aus und das Zusammensacken trat ebenfalls nicht ein. Stattdessen blickten die Augen sich um. Sie sahen die Konturen, die Farben des Anders und konzentrierten sich auf einen Punkt.
Als der Körper den ersten Schritt tat, setzte die Zeit ein.
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Eine Freundin von mir meinte, dass man sich sehr konzentrieren müsste, um den Text zu verstehen. Stimmt ihr dem zu? Und könnt ihr euch irgendwas davon wirklich vorstellen?
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