Kurzgeschichte: Hundeleben

Es war einmal ein Streuner, der war auf den Straßen und in den Herzen der Menschen zu Hause. Er blieb nie lange bei einer Familie, ließ sich füttern, streicheln, spielte mit den Kindern, schlief auf weichen Kissen. Und am nächsten Tag war er verschwunden, auf der Reise, auf der Suche. Er war nicht hübsch, aber es war genug, immer von neuem ein Dach überm Kopf geboten zu bekommen. Und es war ihm genug. Es war ein Hundeleben, das er führte, ein glückliches noch dazu.

Nun geriet der Streuner aber an ein Mädchen. Schwächlich war es, klein und hatte viel Schlimmes in der Welt gesehen. Das Mädchen nahm den Streuner auf, gab ihm zu fressen, stellte ihm eine Wasserschale hin, richtete ihm ein Kissenlager her. Am Abend schmusten die beiden, das Mädchen vertraute dem Streuner all ihre Geheimnisse an, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen. Der Streuner hörte ihr zu, mit halbgeschossenen Augen und vor Glück verzücktem Gesichtsausdruck. So schliefen die beiden ein, eng beieinander.

Als der Streuner am nächsten Tag aufwachte, war um ihn herum ein Käfig gebaut und das Mädchen lächelte ihn durch die Gitterstäbe hindurch an. Bleib bei mir, bat sie mit einem glücklichen Lächeln und ignorierte den bettelnden Blick des Streuners. Dieser wollte nichts lieber, als wieder hinaus, auf die Straßen, auf die Suche nach dem Ziel, das er nicht fand. Stattdessen hielt das Mädchen ihn eingesperrt. Jeden Tag setzte sie ihm eine Schale mit Wasser und Futter in den Käfig, sich daneben und begann dem Streuner zu erzählen, was immer ihr in den Sinn kam. Sie sprach viel. Endlos viel. Sie webte Geschichte um Geschichte aus Wörtern, die der Streuner nicht hören wollte. Sie webte ihre Worte um die Gitterstäbe, verstärkte das Gefängnis des Streuners, bis er nicht mehr wusste, wie es zuvor gewesen war, bevor er nur noch lag, fraß, schlief, und zuhörte. Immer zu zuhörte.

Eines Morgens waren die Gitterstäbe fort. Der Streuner, jetzt fett, behäbig und langsam, konnte sich dennoch nicht bewegen. Das Mädchen hatte sich wieder zu ihm gesetzt, auf sein Kissenlager, und würgte den armen Köter. Sie würgte ihn so lange, bis ihm die Luft zum Atmen ausging und er seine eigenen, ferngewordenen Gedanken vergaß. Dabei streichelte sie den stillen Körper sanft und redete auf den Köter ein.

So starb der Streuner als Köter des redenden Mädchens. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top