Kurzgeschichte: Die Baronesse v. Mendingen
Mein Beitrag zum FederAward von @-Schreibfeder, April 2019
Es war ein lauer Frühlingsabend, an dem Baron Gerald v. Mendingen das Licht der Sonne das letzte Mal erblicken sollte.
Der Baron, ein stattlicher Mann mit Bierbauch, Ziegenbart und grauem Haarkranz, saß auf einem der vielen Balkone seines beeindruckenden Anwesens und blickte auf den Fluss, der weit unter ihm an den Klippen, auf denen das V. Mendingener Anwesen angelegt war, vorbeiströmte. Lange, eiserne Frachtschiffe mit qualmenden Schloten und Planen über ihren Ladungen schipperten auf dem Fluss gen Osten, zwischen ihnen kleinere, wendigere Segelboote, die sich von der leicht gehenden Brise in das kleine Hafendörfchen Dahl bliesen ließen.
Keiner der ärmlichen Fischer, die in Dahl lebten, konnte sich vorstellen, wie aufgewühlt ihr Dorf in den nächsten Tagen und Wochen werden würde; der plötzliche Tourismus angeheizt durch den mysteriösen Mord an dem Baron v. Mendingen, mit dem auch das Verschwinden seines Leichnams einherging, und der daraufhin auf den Mörder ausgesetzten Belohnung von der Baronesse v. Mendingen, der Tochter des verschiedenen Barons, die mit dem Tod ihres Vaters zur Alleinerbin des Vermögens und der Ländereien wurde. Lieselotte v. Mendingen, eine junge Frau ohne Ehemann oder Kinder, aber stattdessen mit einem scharfen Verstand und einer Liebe zum Kartenspielen, die sie oft in die dunkelste Taverne von Dahl zog, ließ nach ihrem Vater suchen, sich in ihrer Verzweiflung und Trauer an den Gedanken klammernd, dass er noch leben könnte.
Es dauerte einige Tage, bis der Leichnam gefunden und der Tod des Barons v. Mendingen endgültig wahr wurde.
Hugo, ein Fischer aus Fehlden, einem Dorf nur einige Stunden zu Fuß und weniger zu Wasser flussabwärts, entdeckte den aufgedunsenen Körper an einem verregneten Morgen am Ufer, die einstmals vornehm bleiche, nun kränklich weiß-blaue Haut voller unscheinbarer Schnittwunden und mit nichts weiter am Leib als dem Siegelring der V. Mendingens. Ein klobiger, alter Goldring, der zu nicht viel mehr gebraucht wurde, als Briefe zu versiegeln und im Sonnenschein zu glänzen. Nach langer Zeit im Wasser und unter einer Schicht von Sand war er nicht einmal dazu mehr zu gebrauchen. Dennoch nahm der Fischer das Schmuckstück an sich, bevor er zum Anwesen der V. Mendingens aufbrach. Ein, zwei Jahre ohne finanzielle Sorgen sollte der Ring ihm schon bescheren können.
Sein Vorsprechen bei der Baronesse v. Mendingen verlief überraschend ereignislos. Er bekam eine kleine Summe als Belohnung zugesteckt, das weinende Gesicht der Baronesse v. Mendingen zu sehen und einige Fragen zum Zustand der Leiche gestellt, bevor er der Last eines Körpers entledigt wurde und, mit ein klein wenig Reichtum beschenkt, den Weg zu seinem Heimatdorf antrat. Er und der Ring kamen nie an.
Die Baronesse v. Mendingen ließ die Belohnung erhöhen, als keiner der vom Geld angezogenen Doktoren, Quacksalber und Scharlatane ihr eine gute Erklärung für den Tod ihres Vaters geben konnte, egal wie lange sie seinen Körper begutachteten - die Ehre ihres toten Vaters zu beschmutzen und ihn aufzuschneiden, wie ihr die Männer ein ums andere Mal rieten, verbot sie rigoros - und egal welch fantastische Geschichte manch vorgeblich gelehrter Mann spann. Die Baronesse v. Mendingen war immer wieder schnell, die richtigen Fragen zu stellen und die Lüge als wackliges Luftgespinst zu enttarnen.
Bald war so viel Zeit ins Land gegangen, dass die Baronesse v. Mendingen den Körper des verschiedenen Barons v. Mendingen einlegen lassen musste, damit er auch weiterhin erhalten blieb und sich die von Fern und Ferner angereisten geistreichen Intellektuellen mögliche Mordhergänge ersinnen konnten. Bald wuchs die Belohnung in so astronomische Höhen, dass derjenige, der den Mordfall zur Zufriedenheit der Baronesse v. Mendingen aufklären konnte, selbst Baron von Mendingen und damit ihr Ehemann werden sollte. Doch mit der immer größer werdenden Summe an Gold wurden auch Gerüchte über den Scharfsinn und die Unerbittlichkeit der Baronesse v. Mendingen in die Fernsten Länder getragen, bis der einstmalige Andrang an hoffnungsdummen Männern abebbte, und die Baronesse v. Mendingen sich noch immer in Trauer der Verwaltung ihres Anwesens und anderer Wichtigkeiten widmen konnte. Die Arbeit war der Baronesse v. Mendingen dröge, der Gram saß noch immer tief, und öfter als nicht mischte sie sich unter das gemeine Volk in der Taverne Zum Matrosen, um mit Seeleuten und Wanderern um nicht unbeträchtliche Summen Gold und ihre Gegenpartei um ihr gesamtes Vermögen zu spielen.
Es war der Abend nach einem besonders trivialen Tag voller zu versiegelnder Briefe und zu unterzeichnender Dokumente, denn sie wollte eine neue Handelsbeziehung zu einem einflussreichen Freiherrn aufbauen, den sie in der Taverne Zum Matrosen verbrachte und an dem sie ihr Privatvermögen um einige Goldstücke und ihr Gedächtnis um einige Erinnerungen erweitern wollte. Sie wettete, spielte und gewann, bis sie an einen jungen Mann mit intelligenten schwarzen Augen, flinken Fingern und Geschick im Umgang mit Karten geriet, der sie in immer hitziger werdenden Kartengefechten mit immer größer werdende Summen um eben diese und das zehnfache obenauf brachte. In ihrem letzten, verzweifelten Aufbegehren zog sie ihre scheinbar entscheidende Karte und schnitt sich in den Zeigefinger. Mit leeren Händen und blutigem Leinen, das sie auf den Papierschnitt presste, kehrte sie an diesem späten Abend auf ihr Anwesen und in ihre Gemächer zurück, um sich aufgewühlt schlafen zu legen.
Der nächste Tag war noch jung, als die Baronesse v. Mendingen von ihrem allmorgendlichen Spaziergang durch ihren weitläufigen Garten in die altehrwürdigen und kühlen Gemäuer eintrat und auf den jungen Mann mit wachem Blick traf, der sie am letzten Abend um ihren Gewinn gebracht hatte. Er verbeugte sich vor der Baronesse v. Mendingen, erkannte den Papierschnitt und den alten, klobigen Goldring an ihrem Finger und sagte ihr, dass er wisse, wie ihr Vater umgekommen sei.
Unwillig aber interessiert bedeutete die Baronesse dem jungen Mann ihr zu folgen und führte ihn zu dem eingelegten Körper ihres Vaters, dessen Anblick sie mit niedergeschlagenen Augen vermied. Es verletze sie noch immer, ihn so bleich und entblößt zu sehen, erklärte sie dem jungen Mann auf sein Antragen hin. Der junge Mann nickte, schritt um den Zylinder aus teurem Glas herum und musterte den Leichnam sorgfältig. Sein Verdacht erhärtete sich und als er sich der Baronesse zuwandte, fragte er sie sogleich, ob sie gewillt sei, mit ihm noch eine Partie Karten zu spielen.
Die Baronesse war überrascht, dass er sie erkannt hatte, dem Gedanken an ein Spiel jedoch nicht abgeneigt, und ging selbst, um einen Kartensatz zu holen. Sie spielten an einem herangehobenen Tisch, die Baronesse so, dass sie den Glaszylinder in ihrem Rücken hatte.
Sie mischte die Karten mit bedachten Bewegungen, der junge Mann hob ab, und die Baronesse teilte aus.
Der junge Mann begann zu erklären. Dass er einen Fischer auf dessen Zwischenstopp in der Taverne überhört habe, wie dieser von den seltsamen, dünnen Schnitten und der starken Leichenblässe des ehemaligen Barons und später, mit mehr Alkohol und schleifender Stimme, von einem goldenen Siegelring geredet habe, den er dem Baron abgenommen hätte. Gestern Abend, als sich dann das nicht zu Erkennen geben wollende Mädchen in den Finger geschnitten habe, hätte er eine Vermutung gehabt, die sich heute auf zweierlei Arten bestätigt habe.
Die Finger der Baronesse zitterten unmerklich, als sie die Karten aufnahm, und ihr Gegenüber fragte, wie er das meine.
Der junge Mann lächelte nur schweigend und während des Kartenspiels sprachen die beiden kein Wort miteinander.
Er gewann.
Am Tag darauf wurde die Hochzeit zwischen Baronin Lieselotte von Mendingen und Baron Thorben von Mendingen verkündet und der alte Baron v. Mendingen endlich begraben, ohne dass der Name des Täters je an die Öffentlichkeit gelangte.
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