Kurzgeschichte: Der U-Bahnhof

Mein Beitrag zum FederAward von @-Schreibfeder, März 2019

Die Bushaltestelle, an der ich zitternd warte, liegt im Dunkeln. Nur die gelegentlich vorbeifahrenden Autos und die spärlich und plötzlich aufflackernde Straßenlaterne tauchen mich und drei weitere, stille Gestalten in ein gelbliches Licht, das an uns allen abzuperlen scheint. Nie sehe ich die Gesichter der anderen, sie unterhalten sich nicht; vielleicht kennen sie sich nicht.

Ich spüre meine Nasenspitze nicht mehr, mein Rucksack fühlt sich an, als hätte man ihn mir mit Zement ausgegossen; meine Zehen haben sich der Außentemperatur angepasst.

Die Scheinwerfer der Autos brennen blaue Streifen in mein Sichtfeld, die den Boden vom Himmel trennen; den Schnee in den schwarzen Wolken davon abhalten zu fallen.

Als der Bus ankommt, seine Scheinwerfer die Köpfe und Beine der anderen drei Gestalten von ihren Rümpfen trennt, steigen wir ein.

Der Bus ist alt und leer, der Busfahrer ein hagerer Mann mit gelangweiltem Gesicht und fettigen Haaren. Er schaut uns nicht einmal an; hinter uns schließt er nur die Tür mit einem langgezogenen Quietschen.

Die drei Gestalten - zwei junge Frauen und ein Mann mittleren Alters, dessen Haare sich auf seinem Kopf in eine Halbglatze öffnen, wie ich jetzt im Halblicht des Businneren erkennen kann - setzen sich jeweils allein in den vorderen Teil des Busses. Aus Gewohnheit laufe ich bis ganz nach hinten durch und lasse mich auf den Fensterplatz fallen. Am anderen Fenster endet die Sitzreihe mit einem Kasten, in dem es ordentlich brummt und rattert. Auf das graue Plastikgehäuse sind allerlei Schmierereien in verblasstem Edding gemalt, viele Herzen und 'I love you, ___'s, aber auch Telefonnummern, '___ war hier' und '___ ist eine Schlampe'. Auch die dünnen, durchgesessenen Bezüge der Sitze sind mit Penissen verziert und vor mir ist ein Arsch namens Sabrina, der mich anfurzt. Daneben 'wenn du drauf stehst, ruf an:' und eine weitere Handynummer. Außerdem 'Wir waren hier! 17.03.2006, R&M'. Der Bus hat wohl wirklich schon ein paar Jahre auf dem Buckel.

Der Motor drei Plätze weiter stottert alarmierend, als der Bus mit einem Ruck anfährt. Einen Augenblick mustere ich das Innere des Busses, den verklebten Boden, die verschlissenen Sitze voller alten, grauen Kaugummifladen, die noch teilweise schwarzen aber bereits anrostenden Haltestangen, bevor mein Blick nach draußen durch die vom Alter milchigen Fenster fällt und sich an den Lichtkegeln der vorbeiziehenden Straßenlaternen festhält, von einem zum nächsten springt, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Es ist spät, ich bin müde; ich will nach Hause.

Von der Stadt in mein Kaff dauert es eine Weile, vor allem, weil es die letzte Haltestelle ist, und würde der Bus nicht so stotternd über die hellen und dunklen Straßen knattern, ich würde mich ans Fenster lehnen und schlafen. Oder es zumindest versuchen.

Als die Landschaft draußen in Dunkelheit versinkt und wir nur noch selten durch kleine Dörfer kommen, zücke ich gelangweilt mein Handy und spiele eines von diesen Idle Spielen, die alle gleich aufgebaut und gleich langweilig sind, nur um mir irgendwie die Zeit zu vertreiben.

Es dauert fast eine halbe Stunde, bis der Bus an seiner letzten Haltestelle hält. Ich bin wohl doch ein bisschen eingenickt, denn ich begreife erst nach und nach, dass der Bus hält.

„Will hier jemand aussteigen?", schreit der Busfahrer blechern nach hinten. Seine Stimme klingt genauso desinteressiert und alt, wie er aussieht, mit dem rauen Raspeln im Hals, das Kettenraucher sich über die Jahre anqualmen.

Niemand rührt sich. Warum rührt sich niemand? Das hier ist doch unsere Endstation.

In meinem Kopf macht sich der Gedanke breit, dass ich es herausfinden will. Wenn ich nicht so müde wäre, würde mir vielleicht aufgehen, was für ein echt bescheuerter Gedanke das wirklich ist; dass so die ganzen vermissten Personen abhandenkommen, die erst Jahre später wieder als Wasserleichen in nahen Flussbetten ans Ufer gespült gefunden werden. Und weil meine naive aber abenteuerlustige Seite, die sich wohl aus meiner Kindheit irgendwo in mein Unterbewusstsein gerettet hat, zum Vorschein kommt und meinen sonst so gesunden Menschenverstand ausschaltet, bleibe ich wie ein Idiot sitzen.

Die altersschwachen Hydrauliktüren schließen sich zischend wieder, der Motor knattert, knallt und der Bus fährt an. Mein Rücken wird gegen den harten Sitz gedrückt und mein umnebeltes Hirn hält das alles noch für eine ausgezeichnete Idee. Es bleibt auch noch eine ausgezeichnete Idee, während wir die Hauptstraße meines Heimatdorfes herunterdüsen, mit Geschwindigkeiten, die dem Motor neben mir einige Schwierigkeiten bereiten, über die er sich auch lauthals beschwert.

Erst als die ohnehin kleinen und verstreuten Häuser hinter uns immer kleiner werden und die Scheinwerfer des Busses das einzige sind, was noch Licht spendet, beginne ich meine Entscheidung anzuzweifeln. Dann wird schlagartig die Innenbeleuchtung des Busses ausgeschaltet und der Motor neben mir noch lauter als ohnehin schon. Seine Lautstärke schwillt von beunruhigend auf ohrenbetäubend an und ich muss mir die Hände auf die Ohren pressen, um mein Gehirn zwischen meinen Trommelfellen zu behalten. Ich werde so stark in meinen Sitz gepresst, bis sich alles beginnt zu drehen, zu drehen, bis ich falle, mitten in das ohrenbetäubende Krachen und Knallen des Motors hinein, bis ich zerfließe durch den Druck, den Lärm und die Schwärze; bis ich nur noch ein grauer, ekelhafter Kaugummifladen auf der Sitzfläche bin zerfließe ich, werde ich zusammen gepresst, gedrückt, komprimiert, verdichtet, verhärtet, gequetscht, abgekratzt, wieder angeklebt und erneut ausgewrungen, immer und immer wieder und wieder, bis ich ein so kleiner grauer Kaugummifladen werde, dass ich verschwinde und aufhöre zu existieren.

Ruhe.

Desorientiert stehe ich vor einer stillen Rolltreppe. Ihr Metall reflektiert das Licht, das mir in die Augen sticht und nur aus dem Untergrund zu kommen scheint. Um mich herum ragen verputzte Häuserfassaden in den schwarzen Himmel, mit vielen Fenstern, Erkern, gusseisernen Geländern auf den Balkonen und dunklen, alten Holztüren. Die Rolltreppe führt in die Erde, in die einzige Lichtquelle hinein.

Zögernd stelle ich mich auf die Rolltreppe, eine Hand auf dem Band an der Seite. Das Metall ist warm unter meinen Fußsohlen; die Kanten drücken unangenehm. Ruckartig und fließend setzt sich alles in Bewegung, nur ein leises Surren durchschneidet die absolute Stille. Warme Luft steigt mir in die Nase, sie trägt den Geruch von Schienen und Motorabgasen mit sich zu mir.

In einem Augenblick stehe ich zwischen Häusern unter einem schwarzen Himmel, im nächsten fahre ich eine einsame Rolltreppe in ein hohes Gewölbe hinunter, in dessen Mitte ein Gebilde ganz aus Glas und Metall steht, das aussieht wie ein umgekehrtes Boot. Die Wände des Gewölbes, das von der Form her einer langgezogenen Kuppel gleicht, sind mit grauen Streben durchzogen, die mich an Knochen in einem Brustkorb erinnern. Der Boden ist aus Glas, man kann die Stahlstreben sehen, die alles halten. Von der Decke hängen lange LED-Röhren, die leise und hoch flimmern. Unter dem Glasboden verlaufen Schienen und Haltestellen mit einzelnen Haarschöpfen und Punkten, die Menschen sein müssen, und man kann so weit hinunter sehen, dass ich nicht weiß, wo das eine Stockwerk anfängt und das andere aufhört.

Die Rolltreppe kommt hinter mir zum Stehen, als ich vorsichtig das Glas betrete. Direkt unter mir sind die typischen Stahlsitze einer U-Bahnstation und von irgendwo außerhalb der Wände wird ein Brummen immer lauter. Vor mir ist das umgedrehte Schiff aus Glas und Stahl, in dessen Spitze, die auf mich zeigt, jemand sitzt. Ich kann aus der Entfernung nicht genau sagen, ob es eine Frau oder ein Mann ist.

Alles wirkt so alienhaft auf mich, losgelöst von allem und isoliert vom Rest der Welt. Ich habe keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin. Ich weiß auch nicht, wo ‚Hier' überhaupt ist.

Zögernd setze ich einen Fuß vor den anderen, besorgt dass das Glas mich nicht halten könnte, aber nichts passiert. Es splittert nicht plötzlich und ich falle auch nicht auf die Schienen unter mir, auf denen eine blaue U-Bahn entlangzischt.

Erst als ich vor der Konstruktion zum Stehen komme, erkenne ich, dass eine kleine, rothaarige Frau auf dem Drehstuhl sitzt. Sie ist zwergwüchsig, mit dicken Gliedmaßen für ihre Größe und einem faltigen, unfreundlichen Gesicht. Sie blättert in einer Zeitschrift.

Ich warte einige Sekunden, ob sie vielleicht aufschaut, aber sie überschlägt die Beine und ignoriert mich. Vielleicht hat sie mich nicht kommen sehen in dieser riesigen Halle und mit direktem Blick auf mich. Mit meinem Zeigefinger klopfe ich gegen das Glas.

„Was?", fragt sie so genervt, als ob ich ihr schon seit zwei Stunden auf die Nerven gehen würde, und schaut mich gereizt an. Ihre Stimme hallt von den Wänden wider. Lautsprecher? Ihre Nase zuckt wie die eines witternden Kaninchens.

Mit so viel Abneigung habe ich nicht gerechnet. „Ähm", mache ich und blinzele verwirrt. „Ich..."

„Jetzt rück schon mit der Sprache raus, ich hab schließlich nicht den ganzen Tag Zeit", schnauzt sie mich an und widmet sich wieder ihrer Zeitschrift.

Ich weiß nicht genau, wie ich darauf reagieren soll, also ignoriere ich ihre Unhöflichkeit einfach. „Wo bin ich hier?"

Sie schnauft verärgert. „Das ist so ziemlich die dümmste Frage, die ich je gehört habe", sagt sie, ohne den Blick von den glänzenden Seiten vor ihr zu heben.

„Könnten Sie mir trotzdem sagen, wo ich bin?"

Sie seufzt dramatisch. „Im Nachleben."

Ich hab mich wohl verhört. „Wo bitte?"

„Geh mir nicht auf den Geist!", schnauzt sie.

„Haben Sie gerade ‚Nachleben' gesagt?"

Sie antwortet nicht. Stattdessen drückt sie auf einen Knopf und die Scheiben verdunkeln sich.

„Hey!", rufe ich, als ich begreife, was passiert. „Sie können mich doch hier nicht so stehen lassen! Wo bin ich hier? Warum? Und wie komme ich wieder nach Hause? Hey!"

Die Fenster sind jetzt so dunkel, dass ich nicht mehr hindurchgucken kann. „Blöde Schnepfe", murmele ich, auf eine Reaktion hoffend, aber es kommt keine. Außerdem ist sie wirklich eine blöde Schnepfe.

Verloren stehe ich vor den verdunkelten Glasscheiben und schaue suchend durch die Gegend. Hier muss es doch irgendwo jemanden geben, der mir meine Fragen beantworten kann! Außer den roten Giftzwerg vor mir.

Ich beschließe, um das Konstrukt herum zu gehen. Vielleicht gibt es auf der anderen Seite etwas, das mir weiterhilft. Eine Infotafel oder so was vielleicht, die würde mir zumindest ohne zu murren weiterhelfen.

Eine Stimme hallt von rechts zu mir. „Sind Sie zum ersten Mal hier?" Dann ertönt ein röchelndes Lachen. Ein wenig weiter steht ein zwergwüchsiger Mann und haut sich fast erstickend auf die Oberschenkel. „Oh, der bringt es jedes Mal."

Ich will ihm gerade antworten, dass ich zum ersten Mal hier bin, nicht weiß wo hier ist, und gerne wieder nach Hause möchte, wenn das möglich wäre, aber der Mann kommt mir zuvor.

„Aablbiel mein Name, kannst mich aber auch gerne mit Du anreden, das ist für euch Menschen meist einfacher. Ich hatte da mal einen, der hat daraus Abel gemacht, ein Sakrileg, aber wahrscheinlich interessiert dich das gar nicht."

Vor mir kommt Aalbeil, oder wie auch immer er heißt, zum Stehen und mustert mich einmal kurz. „So, du hast also keine Ahnung, wo du bist."

Ich schaffe es gerade so zu nicken, bevor er sich meine Hand krallt und mich mit sich zieht. „Dann komm mal mit."

Er öffnet eine Tür im Bootgebilde, die mir nicht aufgefallen ist, und zieht mich mit hinein. „Ich erklär dir jetzt mal die Grundsätze - das heißt doch heutzutage so, oder? Entschuldige, ich komm immer mit der Sprache durcheinander, die ihr Menschen benutzt. Oder sagt ihr schon Basics? Egal. Auf jeden Fall erklär ich dir das jetzt, also hör zu. Wie Hasmael dir schon auf ihre eigene Art gesagt hat, befindest du dich hier im Nachleben, oder dem, was ihr Menschen als das Jenseits bezeichnet. Ein sehr treffender Name übrigens."

In meiner Kehle formt sich ein Kloß. Ich soll tot sein? Aber, wann bin ich gestorben? Ich habe nichts mitbekommen! In meinen Erinnerungen ist kein Unfall, der tödlich für mich ausgegangen wäre, kein Missgeschick, bei dem ich mir das Genick hätte brechen können und ich bin auch nicht friedlich entschlummert. Mein Magen beginnt zu ziehen. Ich habe das akute und ungute Gefühl, dass hier etwas schief gelaufen ist. „Es tut mir leid, aber das muss ein Missverständnis sein", bringe ich schließlich hervor, lasse mich aber widerstandlos von Aablbiel in einen Stuhl setzen, dem ein Schreibtisch gegenüber steht, hinter den der kleine blonde Mann sich jetzt setzt.

„Das ist normal, dass du das nicht glauben willst", versichert der Mann mir und zaubert eine Akte unter seinem Schreibtisch hervor. „So geht es den meisten Menschen, vor allem euch jungen Leuten. Die alten sind meistens froh sich endlich von ihrem Leben verabschieden zu können und hier unterzukommen. Aber da du nicht genau weißt, was passiert ist, werde ich es dir erklären." Er schlägt die Akte auf.

„Nein, wirklich! Hier muss etwas falsch sein! Ich bin nicht tot! Ich bin gerade mit dem Bus nach Hause gefahren! Und dann plötzlich stand ich oben, vor diesen Rolltreppen und war völlig orientierungslos!", versuche ich ihm meine Situation zu erklären. Ich kann einfach nicht tot sein!

Aablbiel macht eine wegwischende Handbewegung. „Das ist das ganz normale Prozedere. In deiner Zeit sind es die Busse, vor deiner Zeit waren es die Postkutschen und nach dir werden es die Spaceshuttles sein. Sie halten an all ihren Haltestellen und bringen danach die Toten, also auch dich, hierher", erklärt er und stützt das blond behaarte Kinn in die kleinen Hände.

„Aber..."

„Hast du nicht das Bedürfnis gehabt, zu erfahren, was danach kommt?", fragt er ernst und sieht mich durchdringend an. Mir ist, als könnte er sehen, wenn ich lüge.

„Doch", antworte ich zögerlich.

„Na siehst du. Das ist der Schutz für uns, dass die Toten nicht zu ihrer Familie zurückkehren. Manchmal tun sie es trotzdem, aber Lebende können sie nicht sehen. Sie existieren dann außerhalb ihres vorherigen Zeit-Raum-Kontinuums. Im besten Fall werden solche verlorenen Toten zu Geistern, im schlimmsten müssen sie gelöscht werden und hören gänzlich auf zu existieren."

„Was?", frage ich, vollkommen verwirrt und zutiefst verstört. „Aber, ich kann nicht tot sein! Ich bin nicht gestorben. Das hiermuss ein Missverständnis sein!"

Aablbiel seufzt und schlägt die schwarze Akte auf. Er beginnt mit Mitgefühl in der Stimme vorzulesen. „Rebecca Schäfer, geboren 21.08.1989 in Kaiserslautern um 03:56 Uhr, gestorben 30.06.2019 in Ludwigshafen um 17:12 Uhr. Todesursache: Dimethylquecksilber-Vergiftung."

„A-aber", sage ich zittrig. Ich weine, ohne zu wissen warum, meine Atmung ist schwer. Unwillig wische ich mir die Tränen vom Gesicht. „Ich habe immer aufgepasst, wenn ich mit Quecksilber hantiert habe!"

Aablbiel schüttelt mitleidig den Kopf. „Leider nicht gut genug. Du warst seit Monaten vergiftet, deine Quecksilber-Werte im Blut waren überhöht und haben dein zentrales Nervensystem irreparabel beschädigt. Du lagst für Monate im Krankenhaus, aber sie konnten dich nicht mehr retten."

„Aber daran würde ich mich doch erinnern!", weine ich. Meine Tränen werden immer mehr, so als würde mein Unterbewusstsein Aablbiel recht geben.

„Dass du weinst, ist ein Hinweis darauf, dass du es tust. Dein Körper weiß, was passiert ist, aber du hast es verdrängt.Dissoziative Amnesie nennt sich das Phänomen in deiner Zeit. Negativ belastete Ereignisse werden vergessen, um die eigene Psyche zu schützen. Viele gewaltvoll gestorbene Menschen leiden an dissoziativer Amnesie."

Ich starre immer noch vollkommen verloren zu Aablbiel aber vor meinem inneren Auge taucht die weiße Decke meines Krankenhausbettes auf,

mein Körper steckte in einem dünnen Nachthemd unter dünnen Decken. Neben mir piepste der Elektrokardiograf, der meinen Herzschlag aufzeichnete. Ich hörte meinen Vater, wie er raschelnd seine Jacke auszog und sich laut schabend einen Stuhl an mein Bett zog. Aus meinem Augenwinkel konnte ich seine graue Halbglatze erkennen. Er redete mit mir.

„Hallo, Liebes", sagte er. „Der Doktor sagt, du kannst mich noch hören, also... Hier bin ich. Heute war ich arbeiten und unser neuer Praktikant, Markus - erinnerst du dich? Ich habe dir gestern schon von ihm erzählt... wahrscheinlich erinnerst du dich nicht. Der Arzt sagt, dein Gedächtnis wäre beschädigt. Auf jeden Fall macht Markus für uns alle Kaffee, wenn niemand ihm irgendein Formular zum kopieren in die Hand drückt, und Markus macht den Kaffee für die Chefin und für mich und du weiß ja, wie sehr ich Milch und Zucker in meinem Kaffee verabscheue, schwarz muss der Kaffee sein, damit er wirkt! Auf jeden Fall verwechselt Markus die beiden Kaffeebecher von mir und der Chefin und stellt mir ihren Milchkaffee mit Süßungsmittel hin. Du weißt ja, dass ich das Zeug noch weniger leiden kann als Zucker in meinem Kaffee. Wenn schon süß, dann doch bitte richtig, nicht wahr?" Er lachte gezwungen und schniefte leise. Vielleicht hoffte er, dass ich ihn nicht hören konnte. „Auf jeden Fall bringt er mir den Kaffee der Chefin in diesen Einweg-Plastikbechern, die wir jetzt sogar im Büro haben. Stell dir mal den ganzen Müll vor, den die machen! Und das alles nur, weil Samuel die Waschmaschine kaputt gemacht hat. Ich weiß doch ganz genau, dass es der Hornochse war! Egal, auf jeden Fall stellt der mir - also der Markus, nicht der Samuel, den würd ich nicht bis zu meinem Tod meinen Kaffee machen lassen! Also der Markus stellt mir den Kaffee von der Chefin hin und ich nehm einen Schluck und spuck das widerliche Zeug natürlich direkt wieder aus und..." Er schniefte noch einmal. „Und..." Ich höre an seiner Stimme, dass er weint. Dann ist es still und er zieht immer wieder die Nase hoch, als hätte er die schlimmste Männergrippe seines gesamten Lebens. „Ach, mein kleiner Hase", flüsterte er und seine Stimme brach weg. „Du solltest doch nicht vor deinem alten Herrn sterben!"

„Papa", flüstere ich abwesend, bevor ich endgültig anfange loszuheulen. Mein Körper schüttelt sich in heftigen Schluchzern und ich vergrabe meinen Kopf in den Händen. „Papa..."

Aablbiel muss aufgestanden sein, denn er tätschelt mir die Seite. „Es tut mir leid. Aber du bist wirklich tot."

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