Anderes: Und ich dachte, wir wären weiter...

02.05.2018

Ich sehe mich selbst als emanzipiertes, selbst bestimmtes Individuum. Das nur für euch zu meinem Selbstverständnis an guten Tagen. Dementsprechend war ich dieses Wochenende geschockt, als ich mal näher über die Message nachgedacht habe, die viele Liebesromane und Mangas ihren Leser(inne)n vermitteln. Und welche ich bis dato einfach überlesen habe. Aber man entwickelt sich ja weiter. 

Fangen wir von vorne an. Ich hatte dieses lange Wochenende kein WLAN, kein Internet, keine sozialen Kontakte. Also sieht man mal von meiner Familie ab. Und da ich mich nicht 24/7 mit denen beschäftigen kann, hatte ich meinen Kindle dabei, mit dem ich mir die meiste Zeit vertrieben habe, vor allem auf den langen Autofahrten. Ich habe vor allem Mangas noch einmal gelesen, die ich schon in den hintersten Winkel meines Denkens verbannt habe.

So beispielsweise Sugar Soldier. In diesem Manga tritt ein kleines Mädchen auf, das, seit sie denken kann, im Schatten ihrer großen Schwester steht. Denn ihre Schwester ist 17 und ein Highschool-Model, wie wir noch im ersten Kapitel erfahren. Das kleine Mädchen, namentlich Makoto, will aber um ihrer Selbst willen Beachtung erfahren und nicht im sozialen Windschatten ihrer großen Schwester mitfahren. Ihre Lösung: "Ich muss süßer werden!" Da in Japan die Schulen alle Schuluniformen vorschreiben, wählt sie eine Schule mit einer süßen Schuluniform aus, die ihr gut steht und schreibt sich deshalb dort ein. 

Die (sehr kurz umrissene) Geschichte Makotos ist tragisch und aufwühlend falsch.

Tragisch, da Makoto ihr ganzes Leben lang nur erfahren hat, wie oberflächlich die Menschen sind (und sich dann dementsprechend in den ersten Jungen verliebt, der ihr auch nur irgendwie ihretwillen Beachtung schenkt - nicht weil er gut aussieht oder beliebt ist; nein, das ist nur das Sahnehäubchen on top) und wie ihre Schwester dank ihres Aussehens besser bei allen ankommt als sie. Ihr wurde sogar von nahen Verwandten gesagt, dass ihr grelle Farben, wie ihre ältere Schwester sie immer trägt, nicht stehen und dass sie sich doch eher an Brauntöne und ähnliches halten sollte. Lasst das Kind doch tragen, was es will! Urteilt nicht vorschnell über sie, verdammte Scheiße! Das ist nicht euer Leben und mit euren ach-so-harmlosen und "liebgemeinten" Worten habt ihr einem Mädchen für immer eingeredet, dass es sich für sie speziell nicht schickt, bestimmte Kleidungsstücke/Farben zu tragen! Das ist nicht nett oder entwicklungsfördernd, oder wie auch immer ihr es nennen wollt, das ist erniedrigend! Traumatisch! Es wird sich für immer in ihr Unterbewusstsein kleben wie ein ekliger alter Kaugummi, der ihre Selbstzweifel - die ihr übrigens ebenfalls auf den Plan gerufen habt - nährt und sie immer weiter anschwellen lässt! Ihr habt ein massives Minderwertigkeitsgefühl herangezogen. Gleichzeitig habt ihr Makoto dabei auch noch die falschen Werte vermittelt, auf die eine Gesellschaft zugegebenermaßen zu viel Wert legt, obwohl sie es nicht sollte! (Verdammte Unterhaltungsindustrie.) Logisch, dass Makoto nur einen Weg sieht, aus ihrem lebenslangen Tief wieder rauszukommen: Süß aussehen. Und sich verhalten - wobei ich mich immer noch frage: Wie? Soll sie sich immer süß auf die Nase legen? Süß niesen? Süß über die Ungerechtigkeit dieser Welt heulen, die ihr durch ihre Erziehung zu Teil wurde? 

Der aufwühlend falsche Part der ganzen Geschichte ist: Der Manga stellt es dar, als hätte sie damit Erfolg und damit am Ende alles erreicht, was sie sich jemals erträumt hat. Es ist nicht falsch für seine Ziele zu kämpfen und an sich selbst zu arbeiten, aber der Weg, den Makoto einschlägt, sich süß zu kleiden und zu verhalten, ist in meinen Augen ein zwar von der Gesellschaft vorgeschlagener, aber völlig falscher. Der Mensch neben mir kann noch so süß sein, wenn er mich beleidigt, dann kriegt er eins aufs Maul. Verbal, natürlich.

Das ist aber noch nicht alles: So wie Makoto sich benimmt, haben ihre Eltern nie etwas getan, um ihr zu zeigen, dass sie doch etwas wert ist, obwohl sie sich so von ihrer Schwester belastet fühlt. Haben die ihre Masche mit "Du kannst keine Prinzessin sein, Makoto, denn du siehst nicht so aus wie deine Schwester!" über die 15 Jahre von Makotos Leben durchgezogen, oder was? Was sind das für verantwortungslose Menschen? Ich meine, merkt man so einen großen Knacks in der Psyche der eigenen Tochter nicht, wenn man sich auch nur eine Sekunde wirklich auf diese konzentriert? Ich bin jetzt keine Kinderpsychologin oder Spezialistin für gestörte Beziehungen, aber ist dieses "Das haben wir nicht bemerkt" nicht abnormal? 

Vielleicht ist es auch Makotos Schuld, dass sie sich nie irgendjemandem geöffnet hat! Das war zumindest ein Gedanke, den ich hatte. Allerdings ist das auch schwer, wenn niemand wirklich mit dir befreundet sein will. Was auch der dritte aufwühlend falsche Aspekt wäre: Das Bild, das von Makotos Mitschülern gezeichnet wird. Was sind das für Arschgeigen und wer hat der Mangaka das Recht gegeben, solch oberflächliche und menschenverachtende Leute als die Allgemeinheit anzunehmen? 

Ich spreche immer wieder (oder sollte es öfter öffentlich tun) von der Verantwortung, die Autoren mit den von ihnen geschaffenen Werken übernehmen. Sie transportieren Werte, die sie für richtig halten (sollten) und sind nicht einfach so geschrieben worden. Und wenn diese Moral so materialistisch ist, wie sie es in Sugar Soldier zu sein scheint, dann ist das zum Kotzen. 

Zur Verteidigung des Werkes: Das war wirklich nur das erste Kapitel und alle Angaben zum weiteren Verlauf sind aus meinen Erinnerungen an den Manga genommen, die hauptsächlich aus einem schwarz-weiß Trip auf einen Berg bestehen, bei dem Makoto sich verletzt und Shun, der Held im blauen Sportanzug, sie den restlichen Weg hochträgt. Also der Stoff, aus dem richtige Mangas gefertigt sind!

Was ich euch damit sagen will, ist so abgedroschen, aber scheinbar noch nicht in allen Köpfen angekommen: Bewertet kein Buch, bloß weil ihr vom Cover auf das Innere schließt. Bestes Beispiel: Sugar Soldier ist wirklich gut gezeichnet. 
Im Nachhinein verstehe ich auch nicht mehr, warum ich mir alle zehn Bände der Reihe gekauft habe. Prestige? Masochismus? Zu späte Erkenntnis? 

Jetzt aber ihr: Eure Meinung zu einem so ausgelutschtem Thema? Wenn ihr denn eine habt. Falls nicht, dann bildet euch eine. Ich meine, sowas ist ja schnell erledigt. (Achtung! Zynismus!)

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