»26. Kapitel
Mein Herz schien für den Bruchteil einer Sekunde einfach stehen zubleiben. Ich biss mir schmerzhaft fest auf die Zunge, um die Tränen zu zurückzuhalten, die durch den Schock in meinen Augen sichtbar geworden waren.
»Was?«
flüsterte ich mit erstickter Stimme und sah Liam fassungslos an. Dieser starrte durch die Windschutzscheibe. Der Griff um den Lenker hatte sich immer noch nicht gelockert, die Haut an seinen Knöcheln wurde immer weißer. Sein Blick war ausdruckslos und gleichzeitig sagte er soviel über seine Gefühle aus. Ich konnte nicht anders, als mich von ihm abzuwenden. Mir war so schlecht, dass ich so fühlte, als müsste ich jeden Moment das Fenster öffnen und mich übergeben. Ich hielt mich krampfhaft fest, als das Auto gefährlich schnell um eine Kurve preschte. Liam wollte so schnell wie es ging raus aus dieser Stadt.
»Wohin fahren wir?«
Ich wollte ihn nicht auf Harry ansprechen. Wollte ich wirklich wissen was und vor allem wie es passiert war? Nein. Erst einmal nicht. Diverse Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab, doch ich wurde von ihnen abgelenkt noch bevor ich Alpträume bekam.
»Wir fahren nach Edinburgh, zum Flughafen. Wir müssen das Land auf der Stelle verlassen.«
Der Tonfall in Liams Stimme passte nicht zu dem Ausdruck in seinem Gesicht. Er klang auf einer Art und Weise besänftigend - ich fragte mich, ob er das nur tat, um mich zu beruhigen oder für sich selbst. Ich konnte ihm beides nicht übel nehmen. Er hatte vor nicht einmal einer halben Stunde seinen besten Freund verloren. Meine Sicht begann erneut zu verschwimmen, doch bevor ich komplett die Kontrolle verlieren konnte, wischte ich mir mit dem Handrücken rasch über die Augen und schüttelte mich anschließend leicht. Und trotzdem half es mir nicht wirklich, da das stechende Gefühl in meiner Magengegend nicht verschwinden wollte.
Ich konnte genau nachvollziehen, wie Liam sich fühlen musste. Ich hatte meinen Vater beinahe verloren. Als ich an die tiefe Leere und die Kälte zurückdachte, die mich erfüllt hatten, wurde mir schwindelig. Ein einziger Unterschied bestand jedoch zwischen uns beiden - mein Vater lebte noch. Harry hingegen hatte keine Chance mehr gehabt. Ich zuckte unscheinbar zusammen, als das Radio anging. Sofort wanderte mein Blick zu Liam, der es angeschaltet hatte. Es war nicht zu übersehen, dass seine Finger zitterten.
»Liam, wir sollten eine Pause machen.«
Bei dem leisen Klang meiner Stimme, fuhr der Junge neben mir regelrecht zusammen. Die braunen Augen waren jedoch weiterhin stur auf die Straße vor ihm geheftet.
»Nein.«
antwortete er kurz und biss sich auf die Unterlippe. Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Er tat mir so leid, doch ich konnte einfach nichts machen. Natürlich war Liam für mich da gewesen, als ich davon ausgegangen war, dass mein Vater tot war, doch letztendlich hatte nur ich allein mit dem Schmerz umgehen können. Nun machte Liam dasselbe durch und ich würde versuchen, so gut wie ich konnte für ihn da zu sein. Das war ich ihm schuldig. Sein Wohlergehen war ab diesem Moment oberste Priorität.
»Halt an, Liam. Bitte.«
bat ich ihn erneut und lehnte mit dem Kopf gegen den Sitz hinter mir. Ich sah ihn weiterhin an. Er mich nicht.
»Liam.«
forderte ich nun energischer auf und legte meine Hand vorsichtig auf seinen Oberarm. Bei meiner Berührung zuckte er unmerklich zusammen, ließ sie jedoch zu. Ich konnte die Anspannung in seinem Arm förmlich spüren.
»Es muss ja auch nicht lange sein. Nur ein paar Minuten.«
Ich nahm nicht an, dass er sich in dieser kurzen Zeit beruhigen würde, doch die Möglichkeit, dass er sich entspannte, war nicht abwegig. Mein Daumen strich sanft über seinen Arm, während ich geduldig auf seine Antwort wartete. Diese stellte sich allerdings als mehr wie enttäuschend heraus.
»Wir können jetzt keinen Halt machen, Katie.«
»Aber-«
»Es ist zu riskant. Wir fahren nach Edinburgh.«
hörte ich seine dunkle Stimme fest sagen. Enttäuscht und genervt zugleich, ließ ich von ihm ab und seufzte resigniert aus. Das einzig gute an dem Gespräch war, dass die braunen Locken und die grünen Augen währenddessen nicht in meinen Gedanken auftauchten. Dennoch musste ich zugeben, dass mir immer noch so schlecht war, dass ich das Gefühl hatte, mich jede Sekunde übergeben zu müssen. Es waren eindeutig zu viele schlimme Dinge in den vergangenen Wochen geschehen und ich wusste nicht, wie viel ich noch aushalten würde. Und wer konnte schon sagen, was noch alles auf uns zukommen würde.
*
Verschlafen öffnete ich die Augen. Zu meiner Verwunderung blickte ich geradewegs in zwei braune. Als Liam bemerkte, dass ich wach war, lehnte er sich wieder zurück und schnallte sich ab. Er schien mich geweckt zu haben. Müde fuhr ich mir über das Gesicht und atmete tief durch.
»Wir sind da.«
informierte mich Liam, nachdem ich mich noch einmal ausgiebig gestreckt hatte und zog den Schlüssel raus. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet mir, dass ich nichts antworten sollte. Um also eine fahrige Antwort oder sogar eine kleine Auseinandersetzung zu verhindern, nickte ich nur kurz angebunden und stieg aus. Liam holte die kleine Reisetasche, die er damals schnell gepackt hatte, als wir von Zuhause geflüchtet waren, heraus und steuerte auf das große Gebäude zu. Ich war so müde, dass ich erst wahrnahm, dass wir uns bereits auf dem Parkplatz des Flughafens befanden, als ich Liam folgte.
Bis jetzt war ich nur einmal in Edinburgh gewesen. Als Niall und ich acht gewesen waren, war ich mit ihm und seinen Eltern eine Woche dorthin gefahren, um Freunde der Familie zu besuchen. Da Maura mich schon immer wie ihr eigenes Kind betrachtet hatte - was ich von klein auf sehr zu schätzen gewusst hatte, da mein Vater Niall noch nie wirklich gemocht hatte - hatten sie mich kurzfristig mitgenommen. Es war eine tolle Woche gewesen. Jetzt war ich wieder hier und fühlte mich einfach nur schrecklich.
»Katie, wir haben nicht ewig Zeit.«
Ich hatte nicht bemerkt, wie ich an Tempo verloren hatte. Als ich etwas verwirrt aufblickte, entgegnete ich Liams großgewachsener Figur. Ungeduldig warf er sich die Tasche über die Schulter und drehte sich wieder um. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Himmel sich bereits mächtig verdunkelt hatte. Nur eine Handvoll Menschen hatten sich vor dem Eingang verteilt und rauchten sich eine letzte Zigarette, bevor sie für die nächsten Stunden im Flugzeug verbringen würden. Schnell betraten wir das Gebäude.
Es war genauso, wie ich es in Erinnerung gehabt hatte. Die große Halle war erstaunlich leer, nur ein paar Leute vom Personal oder Piloten zogen ihre Koffer schleppend hinter sich her und machten sich auf den Weg, um etwas zu essen oder um sich auf den nächsten Flug vorzubereiten. Die anderen Menschen ordnete ich in die Gruppe Business ein. Unwirklich fragte ich mich, wie oft mein Vater hier schon mit seinem Aktenkoffer und seinen Anorak locker über den Arm geworfen und einer Tageszeitung in der Hand durch diese Halle geeilt war, um den letzten Flug nach Hause nicht zu verpassen. Als ich an ihn dachte, wanderten meine Gedanken automatisch zu Harry. Schnell lenkte ich mich wieder ab, indem ich mich an Liam wandte, der stehengeblieben war und eine große Tafel über unseren Köpfen studierte, an denen kommende Flüge aufgelistet waren.
»Wohin fliegen wir eigentlich? Nicht weit weg, oder?«
Vorsichtig stellte ich mich neben ihn. Liam sah mich nicht an, als er mir antwortete. Er studierte weiterhin die Tabelle vor uns.
» Wir können nicht in den umherliegenden Ländern bleiben. Wir müssen dahin, wo man als letztes nach uns suchen würde.«
»Also nicht in Europa?«
Ich spürte, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Wenn ich ehrlich mit mir war, war mir Europa lieber als alles andere gewesen. Wenn wir nach Berlin, Madrid oder vielleicht sogar irgendwo nach Frankreich geflüchtet wären, hätte ich kein Problem damit gehabt, doch seine Aussage beunruhigte mich ein wenig.
»In Europa ist es zu unsicher. Wir wären viel schneller ausfindig zu machen, als woanders.«
Geistesabwesend strich Liam sich über das leicht behaarte Kinn und drehte sich anschließend zu mir. Erleichtert stellte ich fest, dass er nicht mehr angespannt, sondern nur noch müde aussah. Die dunklen Schatten unter seinen Augen waren nicht zu übersehen. Als ich ihn betrachtete, erinnerte ich mich wieder daran, mich besser um ihn zu kümmern und für ihn da zu sein.
»Und wo ist dieses woanders? Wenn du mir jetzt sagst, dass wir nach Hawaii fliegen, muss ich mir ernsthaft Sorgen machen.«
Der letzte Satz war eher an mich selbst gerichtet gewesen, jedoch schien ich damit etwas bei Liam angestellt zu haben. Kaum hatte ich meinen Satz beendet, sah ich, wie sich ein Mundwinkel leicht anhob. Bei seinem Anblick konnte auch ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn es nur der Ansatz eines Lächelns war, so war es wenigstens ein Anfang und das erfüllte mich mit tiefer Zufriedenheit. Allerdings verschwand das alles wieder, als ich die Antwort zu hören bekam.
»Nicht nach Hawaii, aber dafür nach Kingston.«
Augenblicklich erstarrte ich. Kingston. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich daran erinnerte, mit welchem Zusammenhang ich die Stadt setzte. Als es mir wieder ins Bewusstsein kam, starrte ich Liam mit leicht geöffnetem Mund an.
»Du meinst doch nicht etwa das Kingston in-«
Mit einem hauchdünnen Lächeln auf den Lippen, nickte Liam. Meine überraschte Reaktion schien ihn zu amüsieren.
»Kanada.«
beendete er meinen abgebrochenen Satz und legte seine Hand auf meine Schulter. Dann schubste er mich sanft nach vorne.
»Komm.«
sagte er ruhig und ließ seinen Blick nicht von mir ab, als er hinter mir lief.
»Wir müssen noch unsere Tickets abholen, bevor es überhaupt losgehen kann.«
-
Tut mir leid, dass es eher ein kürzeres und eher langweiliges Kapitel war, aber ich musste hier einen Schnitt machen :( Im nächsten Kapitel geht es wieder bergauf und ihr bekommt einen kleinen Einblick in Liams Vergangenheit :)
Wer von euch hat heute (11.08) auch seinen letzten Ferientag? :( Und danke für die ganzen Votes und Kommentare im letzten Kapitel ♥
Uuuund ich wollte euch noch fragen, ob sich vielleicht ein paar von euch über eine neue Liam Fan-Fiction freuen würden? Ich hatte letztens eine Idee, die ich gerne weiter ausbauen würde, aber ich wollte erst einmal fragen, ob ihr Interesse habt? :) Und kann einer von euch vielleicht ein Cover für die Story machen, ich bin da nämlich total schlecht drin :D ♥ Schreibt es einfach in die Kommentare oder schreibt mir eine Nachricht, ich freue mich sehr über Feedback ♥
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