»10. Kapitel
Murrend ließ ich mich auf dem gepolsterten Stuhl fallen. Das ich dabei stirnrunzelnd von drei Augenpaaren beobachtet wurde, scherte mich einen feuchten Dreck. Ohne auch nur in eines der drei Gesichter zu blicken oder ihnen ein übliches ‚Guten Morgen' zu wünschen, griff ich nach einer Gabel und begann auf meinem Pfannkuchen herumzustochern.
»Möchtest du mir nicht etwas erzählen?«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Vater, der mir schräg gegenüber saß, seine Zeitung faltete und sie anschließend auf den Tisch legte. Die Lesebrille wurde ordentlich darauf platziert, bevor er seine Hände in seinen Schoß legte und mich erwartungsvoll ansah.
»Uhm...nein.«
Schulterzuckend stopfte ich mir ein Stück Essen in den Mund. Durch die Schürfwunde an meinem Kinn fiel es mir schwer den Mund weit aufzumachen, doch ich hatte tierischen Hunger und um diesen zu befriedigen musste ich wohl oder übel die kleinen Schmerzen auf mich nehmen.
»Du möchtest mir nicht zufällig erzählen wieso du Mr. Payne eingesperrt hast und einfach durch die Straßen zu Niall spaziert bist?«
Als ich den strengen Tonfall bemerkte, der sich ganz schön nach Hausarrest anhörte, wagte ich es endlich ihn anzusehen.
»Nein.«
wiederholte ich und strich mir kurz über die leichte Kruste, die sich über Nacht an meinem Kinn gebildet hatte. Nicht schlecht, dachte ich mir und sah kurz zu Rosie herüber, die ausnahmsweise mal nicht interessiert an unserem Gespräch war, sondern gedankenverloren den Tisch am anderen Ende wischte, seit Liam hier ist, habe ich mehr Wunden als vorher. Und dabei ist er doch extra hier, um darauf aufzupassen, dass mir nichts passiert. Was für eine Ironie.
»Weißt du eigentlich in was für eine Gefahr du dich mit deiner Leichtsinnigkeit gebracht hast?«
Als ich hörte, wie laut die ohnehin schon dröhnende Stimme meines Vaters noch lauter wurde, schreckte ich zusammen. Als ich seinen zweiten Blick sah, musste ich (dieses Mal mit einem unguten Gefühl in der Magengegend) feststellen, dass die Ader an seiner Stirn, die eigentlich so gut wie nie zum Vorschein kam, deutlich erkennbar am pulsieren war.
»Was meinst du?«
fragte ich und versuchte mir die Aufregung nicht anmerken zu lassen.
»Wo war ich denn bitteschön leichtsinnig? Ich wollte nur Niall besuchen.«
»Um Mitternacht? Alleine? Weißt du eigentlich was hätte passieren können, wenn Liam dir nicht nachgekommen wäre?«
Resigniert fuhr sich der Mann vor mir durch die Haare. Natürlich wusste ich, dass er nur besorgt um mich war, jedoch brachte sein Ton meinen Puls auf hundertachtzig. Auch wenn ich seine Tochter war, hatte er kein recht so mit mir zu reden.
»Wenn Liam mir nicht gefolgt wäre, dann hätte ich mich nicht verletzt und wäre spätestens jetzt vollkommen unbeschadet wieder hier angekommen.«
»Ich denke, sie sollte jetzt mal endlich erfahren was hier los ist, Mr. Jones.«
Etwas schüchtern, aber mit fester Stimme, meldete sich nun auch Liam zu Wort. Eigentlich hatte ich beschlossen ihn für den Rest seines ganzen Aufenthaltes hier unter meiner Ignoranz leiden zu lassen, aber ich hatte dieses Versprechen an mich selbst schon gebrochen, indem ich mich verwirrt an ihn wendete.
»Was meinst du?«
fragte ich und legte den Kopf schief. Als die braunen Augen auf meine trafen, musterten sie mich kurz, dann sah er verlegen weg.
Immer noch etwas verblüfft, sah ich an ihm herunter. Wieso glaubt er sich etwas gebrochen zu haben, wenn er nicht einmal irgendwelche Wunden vorzeigen kann, fragte ich mich, als ich keine Blutergüsse oder sonstiges an ihm entdeckte, das macht echt keinen Sinn.
Doch anstatt irgendwelche Nachweise auf den zurückliegenden Abend zu finden, entdeckte ich etwas anderes.
»Mein Handy!«
Erleichtert beugte ich mich über den Tisch und schnappte mir das kleine Ding so schnell, das keiner von den anderen es vor mir an sich nehmen konnte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich es gestern in der Gasse vergessen haben musste. Doch so wie es aussah, schien Liam es entweder gestern noch mitgenommen zu haben oder er musste heute Morgen noch schnell losgegangen zu sein, um es zu holen.
Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, schenkte ich dem braunhaarigen Jungen vor mir ein dankbares Lächeln. Dann widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder meinem Vater, der in der Zeit damit beschäftigt gewesen war, ihm vernichtende Blicke zuzuwerfen.
»Ich denke nicht, dass sie es jetzt schon erfahren sollte.«
murmelte er gerade mal so laut, dass ich es verstehen konnte. Seine von Falten umgebenen Augen huschten nervös zwischen mir und meinem Bodyguard (dieser Begriff machte mich zunehmend wirklich aggressiv) hin und her.
»Wenn sie das so meinen, Sir.«
Zustimmend nickte Liam ihm zu. Anschließend nahm er einen großen Schluck von seinem Kaffee, wahrscheinlich nur, um meinen brennenden Blick auszuweichen, mit dem ich ihn regelrecht attackierte.
»Was sollen diese ganzen Andeutungen?«
rief ich und legte erwartungsvoll den Kopf schief. Rosie, die inzwischen aufgehört hatte den Tisch zu polieren und sich nun daran machte die leeren Teller wegzuräumen, spitzte die Ohren.
»Ich habe ein gutes Recht darauf endlich mal zu erfahren, wieso mir ein Personenschützer (Ich gab mir hierbei besonders Mühe es möglichst sarkastisch auszusprechen) auf den Hals gehetzt wurde! Du kannst mir das nicht verschweigen, Dad!«
Protestierend erhob ich mich aus meinem Stuhl und stemmte die Arme in die Hüften. Es war wirklich unglaublich anzunehmen, dass man mir einfach irgendwelche Sachen zu verschweigen, die hauptsächlich mich betrafen.
Als ich jedoch die Antwort hörte, wurde mir bewusst, dass ich mal wieder die einzige war, die so dachte.
»Doch, das kann ich. Und jetzt mache dich bitte fertig, Liam begleitet dich gleich zu deinem Privatlehrer, es wird Zeit, das du mal wieder Unterricht bekommst.«
•
»Bis später.«
»Bis später dann, Rosie.«
Ohne mich von meinem Vater, geschweige denn unsere Haushälterin, angemessen zu verabschieden, nahm ich meine Tasche und spazierte mit hoch erhobenem Kopf an ihnen vorbei. Ich wollte sie alle leiden lassen, um meine Wut und zum Ausdruck zu bringen.
Murrend lief ich auf das große Tor zu und legte meine ganze Konzentration darauf Liam hinter mir nicht zu beachten. Zwar hatte ich versucht ihn zu überreden, dass ich genauso gut alleine zweihundert Meter gehen konnte, aber er hatte sich einfach nicht abwimmeln lassen.
Ich wollte gerade das Tor öffnen, um hindurch zu schlüpfen, als mir jemand einen Strich durch die Rechnung machte. Eine Hand schnellte an meinem Kopf vorbei und drückte die Eisenstäbe nach vorne.
Okay, stellte ich fest und quetschte mich schnell hindurch ohne mich bei Liam für sein lieb gemeintes Verhalten zu bedanken, behandle ihn einfach so, als wäre er Luft. Und das tat ich auch.
Hinter mir hörte ich, wie das Tor wieder zugezogen wurde. Ohne auf ihn zu warten, schritt ich schnell die Straße entlang. Dafür, dass es noch relativ früh am Morgen war, musste ich sagen, dass das Wetter wundervoll war. Die Sonne gab sich alle Mühe und strahlte mit den anderen Menschen, die mir entgegen kamen, um die Wette (normalerweise wäre ich ebenfalls vor guter Laune explodiert, doch der Junge, der hinter mir lief, brachte sie in den Keller, wenn nicht noch tiefer) und ließ alles um mich herum so...bunt wirken.
Ein perfekter Tag, um mit Niall etwas zu machen, überlegte ich mir im Stillen und konnte mir das kleine Lächeln einfach nicht verkneifen.
»Wi-Wie geht es dir heute? Hast du noch Schmerzen von gestern?«
Während ich überlegte, was mein Freund und ich alles machen könnten, überhörte ich Liams Frage unabsichtlich. Erst, als er sie wiederholte und soweit aufholte, das er nun neben mir lief, konnte ich es mir nicht verkneifen ihn etwas verdattert anzusehen.
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«
zischte ich und verschränkte meine Arme so zickig wie ich konnte vor der Brust. Ich hatte zwar vorgehabt ihn zu ignorieren, doch das hatte ich gerade wohl selbst gebrochen. Liam zuckte unmerklich über meinen harschen Ton zusammen.
»Ich...wollte doch nur wissen, wie es dir geht.«
Kleinlaut und (zu meiner Befriedigung) mächtig eingeschüchtert, vergrub der Junge neben mir seine Hände tief in seine Hosentaschen und sah auf den Boden vor sich. Unwirklich empfand ich etwas Mitleid mit ihm, doch ich musste meine böse Seite wohl oder übel weiterhin heraus hängen lassen.
Mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht sah ich das beige gestrichene Haus schon von weitem. Irgendwie freute ich mich schon sehr darauf Mr. Caine, einem schon älteren Lehrer, der mir schon seit Jahren Privatunterricht erteilte, wiederzusehen. In den letzten Tagen hatte der Unterricht ausfallen müssen, da er krank gewesen war.
»Oh, das war ja wirklich nicht weit.«
»Es ist ja nicht so, als ob ich dir das nicht schon vorher gesagt hätte.«
sagte ich eher zu mir selbst und räusperte mich danach kurz. An Liams wechselnder Gesichtsfarbe bemerkte ich, das ihm die ganze Situation durch mein herablassendes Verhalten wohl sehr unangenehm zu sein schien. Und das schlimmste daran war, das ich anfing Schuldgefühle gegenüber ihm zu haben.
»Na dann...Ich hole dich in zwei Stunden wieder ab.«
•
»Da seid ihr ja wieder. Und was hast du heute so neues gelernt?«
Stöhnend ließ ich mich auf den Liegestuhl nieder. Mein Vater, der mir gegenüber saß und damit beschäftig war, irgendwelche abgeschlossene Fälle zu sortieren, runzelte seine Stirn, als er mir dabei zusah, wie ich mit meinem Kopf gegen den Tisch knallte.
»Wer zum Teufel braucht schon Physikunterricht?«
fragte ich mich selbst und setzte mich wieder aufrecht hin, um mir die Stirn zu reiben. Liam, der sich ebenfalls auf einen der Gartenstühle niedergelassen hatte, schien das kleines Lächeln nicht verbergen zu können.
»Du auf jeden Fall.«
sagte mein Vater und stellte sein Wasserglas auf einen Stapel Blätter, damit der Wind die ganze mühsame Arbeit nicht wieder zerstören konnte.
Ohne auf seine äußerst provozierende Aussage weiter einzugehen, stand er auf und schritt die kleine Treppe herunter, die von der Terrasse in den riesigen Garten führte. Während ich ihm so hinterher sah und gleichzeitig versuchte Liam aus den Augenwinkeln zu beobachten, fielen mir die Männer mit der verdreckten Arbeitskleidung erstmals nicht auf.
Doch als ich sie bemerkte, wurden meine Augen größer-
»Liam?«
Panisch fuhr mein Kopf herum. Liam, der mich vorher schon schweigend beobachtet zu haben schien, schreckte sofort alarmiert nach oben.
»Was, was, was?«
Aufgeregt sah er mich an. Im ersten Moment war ich von seinen schnellen Reflexen beeindruckt, doch dann fasste ich mich relativ schnell wieder und deutete auf einen mittelalten Mann, der gerade mit einem Stacheldraht über die Wiese lief, als wäre es das normalste auf der Welt.
»Wieso laufen hier fremde Menschen über unser Gelände?!«
Verblüfft starrte ich ihn an. Als Liam meine Frage hörte, entspannte er sich wieder. Locker ließ er sich wieder in seinen Sitz zurückfallen.
»Ach das, das sind nur Arbeiter, die euer Haus, nun ja...etwas sicherer machen.«
meinte er gleichgültig und verfolgte meine wechselnde Mimik genau. Ich fixierte ihn erst für eine Weile, bevor ich überhaupt fähig war seinen Satz richtig zu verdauen. Hoffen wir mal, das er nicht das meint, das ich denke, dachte ich mir und beobachtete einen anderen Arbeiter, der seinem Kollegen gerade dabei half auf eine Leiter zu klettern.
»Das Eingangstor wird erneuert, sämtliche Fensterscheiben durch schusssichere ersetzt, Videokameras werden überall angebracht-«
»Warte, was?«
Schockiert verschluckte ich mich an einem Schluck Wasser, den ich gerade aus dem Glas meines Vaters genommen hatte. Mein Bodyguard sah mich unschlüssig an, während ich wie eine Verrückte loshustete, kam aber anscheinend nicht auf die Idee mir zu helfen.
Als ich mich beruhigt hatte, sprach er weiter.
»Natürlich nicht in deinem Zimmer oder...in deinem...du weißt schon...Badezimmer.«
druckste er herum und rieb sich verlegen über den Nacken. Auch ich konnte nicht verhindern, dass sich ein peinliches rot auf mein Gesicht legte und mich fälschlicherweise verlegen aussehen ließ.
Um das zu überspielen, wollte ich gerade anfangen den Hintergrund für diese verschärften Sicherheitsmaßnahmen aus ihm heraus zu kitzeln, als sich plötzlich wie aus dem Nichts etwas dunkles auf meine Augen legte und mich kurzfristig erblinden ließ.
»Rate mal, wer ich bin.«
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