»09. Kapitel
»Runter.von.mir.«
Mit dem Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse verzogen presste ich einen halbwegs verständlichen Satz heraus. Ich hatte ohnehin schon Probleme damit aufzustehen, doch das zusätzliche Gewicht auf mir erschwerte mir das ganze um einiges.
Keuchend inhalierte ich so viel Sauerstoff, wie ich aufnehmen konnte, um einen nächsten Satz zustande zu bringen.
»Liam, jetzt.«
»Ich glaube, ich habe mir etwas gebrochen.«
Verwirrt hob ich eine Augenbraue an. Hat er gerade ernsthaft gesagt, das er sich etwas gebrochen hat, fragte mein heißgeliebtes Unterbewusstsein mich, und ich konnte mir richtig vorstellen wie große seine Augen werden würden, wenn es ein Mensch wäre, das ist ja wohl mal der Witz des Jahres.
In jeder anderen Situation hätte dieser Satz von mir kommen müssen, weswegen es mich nun noch mehr zum schmunzeln brachte, das er aus Liams Mund gekommen war.
Im Grunde genommen waren wir beide gerade gefallen, jedoch mit dem großen Unterschied, das er wenigstens weich gelandet war. Und jetzt sagte er mir, dass er sich höchstwahrscheinlich etwas gebrochen hatte? Außerdem erschien es mir sehr unwahrscheinlich, da sein Mund nicht gerade dabei war sich mit Blut zu füllen und er sich sein Kinn nicht aufgeschlagen hatte.
»At-men.«
Gezwungenermaßen musste ich die Worte wortwörtlich ausspucken, da das Blut in meinem Mund zum Überlaufen drohte. So schnell wie möglich ließ ich alles heraus. Es war so ziemlich das ekeligste, das ich bis jetzt außer Nialls offenen Armbruch mit neun Jahren, gesehen (in meinem Fall traf das Wort ‚getan‘ eher zu) hatte, doch ich hatte mir beim Aufprall wohl heftig auf die Zunge gebissen.
Mein Oberkörper zog sich zusammen, als sich das Gewicht über mir sich erhob und mir wieder die Möglichkeit offenbarte richtig zu atmen.
Japsend nach Luft blieb ich erst einmal für ein paar Sekunden schwer keuchend auf dem verdreckten Boden liegen, um meinen Herzschlag etwas herunter zu fahren. Was Liam in dieser Zeit machte oder ob er überhaupt noch hinter mir stand interessierte mich dabei kein bisschen.
»Ich glaube nicht, dass dein Vater etwas von dieser Sache hier erfahren sollte.«
Ich konnte mir ein genervtes Augenverdrehen nicht verkneifen, als ich kurz nach meinem Gedanken die tiefe Stimme hinter mir brummen hörte. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn er mich einfach nur hier liegen gelassen hätte.
Wegen ihm hatte ich mich innerhalb von ein paar Tagen mehrmals schmerzhaft verletzt und er war immer noch da. Und dabei hatte ich ihm und meinem Vater nur zeigen wollen, dass ich auch ohne einen Bodyguard ausgezeichnet zurechtkam.
Seufzend rollte ich mich auf den Rücken und starrte in den wolkenlosen Sternenhimmel über mir. Das hast du jetzt davon, war der erste Kommentar meines Gewissens, du hast es versaut. Jetzt wird Dad ihn sicher nicht fristlos kündigen.
»Komm, wir gehen nach Hause.«
Trotz der finsteren Dunkelheit, die minimal vom Sternenlicht erhellt wurde, erkannte ich die Hand, die mir entgegen gehalten wurde. Doch anstatt die anzunehmen, hob ich meine Hand und legte sie auf meinen Bauch. Soll er doch denken was er will, dachte ich mir und versuchte die Schmerzen, die ich mir durch den Unfall mit dem Aufzug sowie dem Sturz gerade, zugefügt hatte einfach nicht zu beachten, da sie gerade alle gleichzeitig zu rumoren schienen, es kann mir doch egal sein.
»Katherine Marie Jones, wenn du jetzt nicht augenblicklich aufs-“ (Alle Namen werden englisch ausgesprochen)
»Wage es dich und nenne mich noch einmal bei meinem vollen Namen.«
Knurrend setzte ich mich aufrecht hin und stützte mich mit meinen Armen ab. Auch wenn es jetzt nichts mehr bringen würde, beschloss ich kurzerhand mich ein letztes Mal zu weigern und Liams Aufforderungen nicht nachzugehen.
Mit dem Blick eines Massenmörders verschränkte ich meine Arme vor der Brust, nicht ohne mir vorher kurz mit dem Handrücken das Blut von meinem Kinn zu wischen, welches unaufhaltsam aus der Schramme herausquoll und mich wahrscheinlich grauenhaft aussehen ließ, und den Kontakt mit den braunen Augen, die mich ernst musterten, geschickt zu vermeiden.
»Und nein, ich gehe nicht mit dir mit.«
fügte ich noch schnell an meinen ersten Satz hinzu und ließ meinen Blick abweisend in eine andere Richtung wandern. Aus der entgegengesetzten Richtung, in der Liams Silhouette zu erkennen war, kam ein lautes, genervtes Stöhnen.
»Ist das dein Ernst?«
hörte ich ihn aus der Finsternis heraus knurren, doch ich ließ mich von dem furchteinflößenden Tonfall beeinflussen.
»Wir sind beide verletzt, es ist stockdunkel und schon spät und du stellst dich immer noch so bockig?«
fragte er und schlug sich resigniert mit der flachen Handfläche gegen die Stirn. Da er alles perfekt beschrieben hatte und ich nichts Weiteres dazu zu sagen hatte, gab ich ihm keine Antwort, sondern nickte nur und reckte meine Nase in die Höhe.
»Du bist ja noch schlimmer als meine zwei Schwestern zusammen.«
Als hätte er ein kleines Mädchen vor sich sitzen, das sich weigerte sich die Zähne zu putzen, glitt er zu mir herunter, sodass er vor mir kniete, die braunen Augen blickten geradewegs in meine. Zuerst war ich voll und ganz dabei demonstrativ auf die Mülltonne hinter seiner rechten Schulter zu gucken, doch nachdem Liam mehrere Minuten danach immer noch nichts gesagt hatte, schielte ich zu ihm herüber.
Er starrte mich immer noch schweigend (und zu meiner Überraschung sogar vollkommen gelassen und ruhig) an.
Langsam aber sicher machte er mich wirklich misstrauisch, weswegen ich, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, partout beschloss ihn einfach mal zu fragen.
»Sag mal, habe ich ein Kotelett im Gesicht, oder wieso starrst du mich so an?«
hörte ich mich deswegen selbst trotzig fragen, während ich einen letzten vergeblichen Versuch startete keinerlei Emotionen über mein Gesicht huschen zu lassen, was mir aber leider nicht so gut gelang wie meinem Gegenüber.
Schmunzelnd über meine Frage, rückte er eine Augenbraue in die Höhe und kratzte sich geistesabwesend über sein Kinn.
»Du hast zwar kein Kotelett im Gesicht, aber eine ganz schön große Schramme.«
gab er schulterzuckend von sich und musterte mich weiterhin nachdenklich. Aufgebracht fuhr ich kurz mit zwei Fingern über die genannte Stelle.
Das fühlt sich überhaupt nicht gut an, stellte ich fest und schluckte einmal schwer, aber tue einfach so, als wäre es dir egal. Keine Schwäche zeigen.
»Und das gibt dir den Grund mich anzustarren als wäre ich Gott persönlich?«
»Ich frage mich doch nur was in deinem hübschen Kopf so alles vor sich geht.«
kam es anschließend nach ein paar nachdenklichen Gesichtszügen von dem braunhaarigen. Verdutzt sah ich zu, wie er seine Arme ausstreckte und sie vorsichtig an meine Hüfte legte. Ehe ich auch nur Zeit hatte zu reagieren hob er mich hoch und warf mich über seine Schulter.
Erschreckt pustete ich die gesamte Luft aus, die ich in mir hatte.
»Bist du bescheuert?«
rief ich aufgeregt und strampelte gegen seinen Griff an, was leider absolut erfolglos endete, ich jedoch keinen Versuch ausließ ihm zu zeigen, dass er nicht besser als ich war.
»Lass mich auf der Stelle herunter!«
»Damit du mir wieder wegrennst? Katie, ich bin lange nicht so naiv wie du denkst.«
Vergnügt lachend setzte sich mein ungewolltes Taxi in Bewegung. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und schlug sie wie eine Verrückte gegen das karierte Hemd. Du lässt dir das hier nicht gefallen, kommandierte ich mir selber und setzte meine Füße im selben Moment mit ein (mein Ziel war sein Gesicht), wenn du weiter machst ihn zu boykottieren wird er es irgendwann mal begreifen.
Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, schwang ich mein Bein nach oben und versuchte seine Nase zu treffen. Zu meinem eigenen Erschrecken schreckte ich nicht einmal davor zurück ihn wehzutun.
Enttäuscht spürte ich, wie mein Fuß ergebnislos durch die Luft schwang.
Liam schien mein Vorhaben bemerkt zu haben, denn nur ein paar Sekunden später schlang sich ein Arm um meine Beine und presste sie schmerzhaft zusammen. Automatisch japste ich auf.
»Du tust mir weh!«
jammerte ich sofort los und trommelte weiterhin so fest wie ich konnte gegen seine breiten Schultern. Das einzige, das aus Liam herauskam, war ein leises Grunzen.
»Jetzt stelle dich nicht so an, du bist doch selbst daran Schuld.«
Hätte ich gewusst, das dieser Abend so geendet hätte, wäre ich wahrscheinlich anders vorgegangen. Doch jetzt war es zu spät dafür. Zu spät für alles.
Nachdem ich noch ein paar mal schwach gegen seinen Rücken geschlagen hatte, beschloss ich es für heute sein zu lassen. Schlapp hang ich über seiner Schulter wie ein nasser Lappen und ließ mich von Liam nach Hause tragen.
Doch eins war mir klar; dieses Erlebnis würde das erste und das letzte Mal sein, wo Liam mich besiegt hatte.
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