»07. Kapitel
Als hätte mir eine Tarantel in den Hintern gebissen, drehte ich mich so schnell um, dass mir für eine Sekunde schwarz vor Augen wurde. Doch was ich daraufhin sah brachte mein Herz so schnell zum klopfen, sodass ich das Gefühl hatte, das es mir gleich aus dem Brustkorb heraus springen würde.
»Was...wie...«
begann ich stotternd, unterbrach mich aber selber, als ich merkte, dass ich keinen normalen Satz mehr zustande bringen würde. Stattdessen starrte ich in die braunen Augen, die mich kommentarlos musterten.
»Würdest du mir nun bitte mal erklären wohin du gehen willst, geschweige denn wolltest?«
fragte er und verschränkte die Arme abwartend vor der Brust. So unauffällig wie möglich suchte ich sein Gesicht nach Anzeichen ab, das er hier herunter gerannt war, doch ich konnte weder einen schnellen Atem geschweige denn gerötete Wangen entdecken.
Dieser Mann ist ein Rätsel, stellte ich in Gedanken klar und strich mir eine lockere Haarsträhne aus dem Gesicht, um die Zeit etwas heraus zu zögern, die ich benötigte, damit ich mir schnell eine gute Erklärung für meine Aktion zusammen basteln konnte.
»Ich...Ichwolltenureinwenigluftschnappengehen.«
flüsterte ich letz endlich, nachdem ein paar Minuten der betretenen Stille verstrichen waren, und hoffte insgeheim, dass er mich nicht verstanden hatte, denn das war wohl die schlechteste Ausrede gewesen, die mein (normalerweise) meisterhaftes Hirn jemals zustande gebracht hatte.
Liam beobachtete mich noch ein paar Sekunden, bevor ein leiser Seufzer zwischen den rosigen Lippen ausgestoßen wurde und er leicht den Kopf schüttelte.
»Anscheinend findest du die Luft außerhalb dieses Geländes wohl frischer, oder täusche ich mich da etwa?«
Liams muskulöse Arme verschränkten sich locker vor seiner Brust. Die ernsthafte Haltung überraschte mich irgendwie, da ich ihn bis jetzt unter der Kategorie ‚locker' eingestuft hatte. Aber da schien mir mein Unterbewusstsein wohl einen Streich gespielt haben.
Als ich ihm keine Antwort auf die Vermutung gab, fuhr er sich kurz mit der Hand über sein Gesicht und löste dann seine angespannte Haltung.
»Es ist gerade mal mein zweiter Arbeitstag hier und schon bin ich am Ende meiner Nerven.«
murmelte er zu sich selber und hob dann seinen Arm, um in die Richtung zu zeigen, aus der wir beide gerade gekommen waren.
»Wenn die Dame dann so freundlich wäre und mich wieder mit ins Haus begleiten würde?«
Mit einer eleganten Handbewegung, die ich nur aus alten Filmen kannte, wo der Butler einer reichen Familie schlicht auf etwas hinwies, hielt er mir seine Hand hin und sah mich ernst an.
Doch anstatt seiner Aufforderung zu folgen, stand ich wie angewurzelt auf der Stelle und betrachtete seine Hand nachdenklich. Wenn er wirklich denkt, das ich es ihm einfach mache, hat er sich aber mal mächtig getäuscht.
Denn mein Hirn hatte in letzter Sekunde doch noch einen Plan ausgespuckt. Und meiner Meinung nach war es sogar ein ziemlich raffinierter. Wenn man so auf die aktuelle Situation sah, in der ich mich momentan befand, bestand eine etwa zwanzig prozentige Chance, dass ich es schaffen würde den Fluchtversuch perfekt auszuführen, doch ein Versuch war es wenigstens wert.
»Hey, guck mal ein toter Vogel!«
Mit übertrieben hektischen Bewegungen fuchtelte ich plötzlich aufgeregt vor der Nase meines Gegenübers herum und deutete ziellos auf den finsteren Himmel hinter ihm.
»Was?«
Verwirrt folgte er meinen Arm und wandte mir den Rücken zu. Und das war meine Gelegenheit.
Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen drehte ich mich um und nahm meine Füße regelrecht in die Hand. So schnell, aber gleichzeitig auch leise wie ich konnte rannte ich den steinigen Weg herunter, wo mein Weg in die Freiheit hinter den edlen Eisenstäben auch schon sehnsüchtig auf mich wartete.
»Hey!«
Es waren nur Sekunden vergangen, bis ich die tiefe Stimme hinter mir her brüllen hörte. Doch sie hinderte mich schlecht daran stehen zu bleiben, sondern brachte mich dazu mein Tempo zu erhöhen.
»Bleib um Himmels Willen stehen!«
Dem Tonfall seiner Stimme nach zu urteilen hörte Liam sich ganz und gar nicht begeistert über meine spontane Aktion an, doch das war eindeutig kein Grund für mich schon sofort nachzugeben.
Mein Atem stolperte mit meinem Herz zusammen, als ich das große Eisentor erreichte. Mit ungeordneten Bewegungen versuchte ich das Tor zu öffnen, was mir glücklicherweise auch nach ein paar Sekunden gelang. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen, welches mir eine Gänsehaut bereitete, ließ es sich nach ein paar Sekunden des Widerstandes mit Leichtigkeit von mir öffnen.
Mit Leichtigkeit schlüpfte ich durch den kleinen, neu entstandenen Spalt hindurch.
»Wenn du es dich wagst auch nur einen Schritt nach draußen zu machen, dann-«
»Ups, es sieht ganz so aus, als wäre es schon zu spät.«
Siegessicher zog ich das schwere Tor wieder hinter mir zu. Das nächste, das ich sah, war ein wutentbrannter Liam der mit einer schon fast übernatürlichen Geschwindigkeit auf mich zugerast kam.
Noch bevor er die Stelle erreichte, an der ich gerade noch gestanden war, holte ich den schweren Schlüssel aus meiner Jackentasche und steckte ihn in das silberne Schloss. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck sah ich zu, wie sich das Schloss mit einem leisen Klack einmal herumdrehte.
»Das kann doch jetzt nicht etwa dein Ernst sein.«
Schnaubend blieb Liam vor mir stehen, das einzige, das ihn daran hinderte mir gleich an die Gurgel zu springen, war das monströse Eisentor. Irgendwie freute ich mich plötzlich darüber, dass es dieses Tor überhaupt gab.
»Na dann wollen wir doch mal sehen, wie lange du hier noch arbeiten wirst.«
Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen trat ich ein paar Schritte rückwärts, den Blickkontakt mit dem aufgebrachte Jungen hinter dem Gitter, nicht unterbrechend.
Um ihn noch etwas weiter zu provozieren stoppte ich kurz und schritt langsam auf ihn zu. Als ich ihm wieder gegenüber stand, hob ich meine Hand und schaukelte mit dem Schlüssel unmittelbar vor seiner Nase hin und her.
»Möchtest du den hier vielleicht haben?«
Gelassen schlenkerte ich das silberne, metallene Stück so nah vor Liams Nase, das er anfing zu schielen, um es noch sehen zu können.
»Ich sage dir nur eins: Lasse die verdammte Scheiße sein und komm jetzt wieder rein.«
Wütend schnellten zwei große Hände zwischen den Stäben hervor. Sie wollten entweder mich oder den Schlüssel erwischen, doch ich zuckte im rechtzeitigen Moment zurück, sodass er unweigerlich ins Leere griff.
Schmunzelnd ließ ich meine Rettung in die Tiefen meiner Hosentasche gleiten und setzte ein schiefes Lächeln auf, welches Liams Geduldsfaden endgültig zum reißen bringen sollte.
Und das schaffte es auch.
»Na ja, man sieht sich dann irgendwann mal.«
Mit einem kurzen und gefälligen Winken zwinkerte ich dem großgebauten Jungen kurz zu und drehte mich dann um. Gelassen schlenderte ich von dem Haus weg, in dem ich mich für die nächsten Tage erst einmal nicht aufhalte würde.
Ich würde zunächst bei Niall bleiben und mich dort solange verstecken, bis mein Vater (hoffentlich) Liam entlassen hatte.
»VERDAMMTE SCHEIßE, DU KOMMST JETZT AUF DER STELLE ZURÜCK!«
Ein lauter Schrei, gefolgt von einem noch lauteren Knallen ertönte so dermaßen laut hinter mir, das ich mich zwang, mich doch noch ein letztes Mal umzudrehen.
Ich entdeckte einen Liam, der mit einem knallroten Gesicht mit seinen Fuß immer und immer wieder gegen das Tor trat. Weitere, vor Wut schäumende, Schreie und das schreckliche Geräusch des Eisentores bereiteten mir erneut eine Gänsehaut.
»Es war schön dich mal kennen gelernt zu haben. Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder.«
Mit diesen Worten wandte ich dem Geschehen nun endgültig den Rücken zu und tauchte in dem Dunkeln der Nacht unter, um mich auf dem Weg zu dem Menschen zu machen, der mich als einziger von allen verstand.
•
Gelassen schlenderte ich die Straße entlang.
Auf den Straßen lag eine unheimliche Stille, aber nachdem was gerade passiert war, wirkte sie eher beruhigend auf mich.
Mit jedem Schritt, den ich machte, spürte ich, wie sich die Schmerzen in meinem Rücken wieder bemerkbar machten. Als ich vorhin gerannt war, waren sie mir durch das Adrenalin in meinem Blut nicht aufgefallen, doch nachdem es wieder nachgelassen hatte, fühlte es sich an, als würde mir jemand mit jedem Schritt einen spitzen Dolch in den Rücken rammen.
Mit zusammen gebissenen Zähnen bog ich um eine Ecke.
Ob Liam schon aufgegeben hat, fragte ich mich und kratzte mich geistesabwesend am Kinn, oder hat er den zweiten Schlüssel schon gefunden? Als ich so daran dachte, wie er verzweifelt einen Weg heraus suchte, obwohl ein zweiter Schlüssel für das Tor in der Eingangshalle hang, gluckste ich vergnügt.
»Der ist ja mal die Naivität in Person.«
murmelte ich und überquerte die Straße. Bis jetzt war ich keinem Menschen begegnet, was mich wiederrum beruhigte, da ich mich seit dem Vorfall in der Bar beobachtet fühlte.
»Ich würd eher sagen, das die ‚Naivität in Person‘ Katie Jones heißt und ein ziemlicher Dickkopf ist.«
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen wer da gerade hinter mir stand. Mein Herz machte einen so großen Sprung, das ich für eine Sekunde dachte, das es für immer stehenbleiben würde. Scheiße.
Ohne mich umzudrehen beschleunigte ich meinen Schritt. Die Person hinter mir setzte sich ebenfalls in Bewegung.
»Jetzt mache nicht denselben Fehler und renne schon wied-«
Er machte sich nicht einmal die Mühe seinen Satz zu beenden, da ich in dem gleichen Moment schon wieder aus Reflex losgerannt war.
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