65

Runa lief aufgebracht umher. Keiner war von dem, was Mara sagte, so schockiert gewesen. Sie schrie laut, weinte. Sie versuchte alles, um Frust abzulassen, aber sie schaffte es nicht. Die Seherin lief weg. Sie hatte ihnen gesagt, dass sie die anderen suchen würde. Sie sagte außerdem, dass sie allen Männern, die das verursacht hatten, ihr Blut aus allen Öffnungen entweichen lassen würde. "Ich werde ihn damit nicht davon kommen lassen! Niemals!", schrie Runa rum. Mara sah sie besorgt an. Sie krallte sich am Hemd von Kilian fest. Er legte eine Hand auf ihren Kopf. Was sollten sie mit ihr machen? Mara bekam schon Angst. "Beruhig dich doch bitte mal! Mara hat schon Angst wegen dir!", sagte Kilian beschwichtigen. Runa sah zu ihm. "Mich beruhigen? Warum bist du denn nicht so aufgebracht!? Sie ist deine Schwester!", schrie sie ihn an. Dann stoppte sie aber, sie wurde traurig und berichtigte sich: "Sie war deine Schwester." Sie sah auf den Boden, biss sich auf ihre Lippe und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. "Ich halte das einfach nicht aus." Runa rannte weg. Linhart wollte sie stoppen, aber Kilian sagte nur: "Lass sie. Sie muss sich beruhigen. Wir sind ihr gerade nur im Weg. Lass sie einfach mal alleine." Mara sah traurig hinterher. Die Stimmen hatten recht. Sie hatten sie gewarnt, aber Mara war nicht schnell genug. In ihrem Kopf flog immer ein Satz umher: Es tut mir Leid.


Sie lief immer tiefer in das dicke Gestrüpp. Sie rannte, schrie und dann fiel sie. Tränen liefen in ihre Augen. Sie war so weit weg von den anderen. Keiner war da. Sie war jetzt völlig auf sich selbst gestellt. Keiner, der ihr half, keiner, der sie beruhigte, keiner, der sie tröstete oder in den Arm nahm. Sie weinte bitterlich. Sie spürte den kalten Wind, der ihr zeigte, dass es bald Nacht werden würde. Sie versuchte ihr weinen zu unterdrücken, aber umso mehr sie es versuchte, umso schlimmer wurde es. Sie schrie laut auf. Sie schlug um sich auf den Boden. Sie schürfte sich dabei ihre Hände, auf den Stöcken und einzelnen Steinen, auf. Blut lief an ihnen runter, aber es interessierte sie nicht. Kein Schmerz interessierte sie. Man hätte ihr Herz raus schneiden können und es würde sie nicht interessieren. Wer weiß, vielleicht wäre es sogar besser, wenn es jemand tat. Sie wollte so nämlich nicht weiter leben. Es wurde schon langsam Dunkel, als sie etwas rascheln hörte. Ganze Zeit hatte sie nun einfach nur da gelegen, aber bei diesem Geräusch hob sie ihren Kopf. Was sie da sah erschütterte sie kurz, sie sprang nach hinten auf. Sie benutzte ihre Hände, um sich nach hinten auf den Boden zu stützen. Das Blut war inzwischen schon getrocknet, die Wunden rissen bei dieser ruckartigen Bewegung dennoch wieder auf. Ein Wolf stand vor ihr. Er hatte ein wunderschönes Fell. Und seine Augen. Sie hatte noch nie einen mit solchen Augen gesehen. Bis jetzt hatte sie aber auch nicht gerade viele gesehen. Als sie ganz klein war, haben die Schäfer und Jäger immer mal welche ins Dorf gebracht. Diese hatten allerdings nicht mehr gelebt und hatte leere Augen. Die seltenen, die sie während der Zeit, die sie bei der Großmeisterin verbracht hatte, sah, kämpften meisten um Fleisch. Sie gingen aber auch sehr liebevoll miteinander um. Diese Liebe, die sie sich gegenseitig gaben, solch eine Liebe hatte ihr gefehlt, besonders die, die die Wolfs Mutter ihren Kindern gab. Sie selber hatte keine Familie mehr. Manchmal sah sie ihnen dann weinend zu. Was sollte schon dagegen sprechen? Die Großmeisterin war doch selber ganz mit ihren eigenen Sachen beschäftigt gewesen. Sie achtete doch gar nicht auf sie.
So stand nun auch dieses wunderschöne Exemplar da. Ob er sie fressen will? Nein, das Gefühl hatte sie nicht. Er wollte etwas anderes. Es fühlte sich an, als ob sie verbunden waren. Der Wolf kam auf sie zu, aber sie regte sich nicht. Nur ein paar Schritte brauchte er, um direkt vor ihr zu stehen. Sie hätte sich nur etwas vorbeugen müssen und sie hätte seine Schnauze berühren können. Sie hob eine Hand und streifte über seinen Kopf, zum Kinn und der Schulter nach unten. Er hatte ganz weiches Fell. "Wer bist du?", flüsterte sie. Er leckte ihr sanft über ihr verweintes Gesicht. Dann sah er sie wieder an und es war, als könnte sie seine Gedanken hören. Das war der Moment, in dem sie wusste, dass sie beide zusammen gehörten. Ja, dieser Wolf war ihr Seelentier. Und er würde ihr helfen, Rache an dem Prinzen zu nehmen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top