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Runa sah sich um. Raben und Krähen flogen herum und schrien laut rum. "Was ein entsetzliches Geräusch war das?", fragte Nia. Keiner hatte so etwas je vorher gehört. "Und dann auch noch so lange." Runa lief los, immer schneller bis sie rannte. Die anderen folgten ihr eilig. Wie schrecklich das doch war. Es traf eins aufs andere. Und niemand konnte etwas dagegen tun, denn irgendwer war immer dafür verantwortlich. Runa kamen Bilden ins Gedächtnis.
Sie war noch klein, sogar sehr klein. Sie war noch nicht bei der Großmeisterin gewesen, sie kannte sie da noch nicht. Sie war in einem Dorf. Sie musste fünf oder so gewesen sein. Ein Junge hatte sie wegen ihrer Haare geärgert. Keins der Kinder durfte mit ihr spielen. Sie sah anders aus. Sie wurde anders behandelt. Ein verhasstes Mädchen. Verhasst, wegen ihrer Feuer roten Haare. "Hexe.", "Dämon.", "Unglücksbringerin."
Sie hatte Angst. Ihre Mutter sah alt aus. Wie ein altes Weib. Sie sah aus, als wäre sie nicht ihre Mutter, sondern ihre Ururoma. Und dann starb sie eines Tages. "Feuerlöckchen, komm doch bitte her, ganz nah zu mir.", sagte ihre Mutter. Die Stimme von ihr war ganz klar in ihren Gedanken, das Bild von ihr war aber verschwommne. Sie hatte eine so liebe und sanfte Stimme. Sie hörte sich auch gar nicht alt an. "Feuerlöckchen, du musst dich jetzt um dich selber kümmern. Ich werde sterben. Bitte pass auf dich auf, es gibt Menschen, die deine Kraft kennen. Sie werden dich jagen."
"Meine Kraft?"
"Ja. Es tut mir leid, dass ich dich nicht lehren konnte. Ich habe kaum noch welche. Du wirst deine in ein paar Jahren auch bemerken. Eins noch: Ich liebe dich." Ihre Mutter streichte über ihren Kopf, die kleinen Wangen entlang, bis sie keine Kraft mehr hatte und den Arm fallen ließ und ihren letzten Atemzug damit beendete. In Runa hatte etwas gekribbelt. Ein seltsames Gefühl. Ihre Mutter hatte ihre letzten farbigen Stellen im Haar verloren, während sie ihre Hand auf Runa legte, während Runa dieses komische Gefühl bekam. Wie kalt die Hand ihrer Mutter auf einmal wurde, wie sie sich nicht mehr regte. Welch eine Erinnerung, welch ein Gefühl. Ihr wurde schlecht. Wie sie sich damals hatte durchs Leben kämpfen müssen. Wie viel sie gelitten hat. Und dann war da noch etwas. Eine weitere Erinnerung.
"Runa. Runa!" Runa blieb stehen und sah nach hinten. Nia stand da, ihr Gesicht war voller Sorge. "Was war das?", fragte sie leise. Runa schüttelte ihren Kopf. "Ich weiß es nicht. Wir sollten aber nach sehen.", sagte sie mit fester Stimme. Kilian, der bis eben noch schockiert geguckt hatte, sah nun ernst aus, schloss seine Hände zu Fäusten, lief an den anderen vorbei und sagte: "Na dann mal los, wir sollten keine Zeit verlieren."
Ein Schatten flog durch die Bande. Oder war es vielleicht doch nur Rauch? Aber es war weiß, schon beinahe durchsichtig. Ein Schrei ertönte wieder. "Das war Mara", sagte Nia schockiert. Sie rannten schnell weiter. Stimmen drangen langsam zu ihnen durch, aber es waren keine freundlichen. Sie brüllten etwas und plötzlich rannten überall Männer umher. Sie liefen zu den Menschen und zerrten Frauen und Kinder aus den zusammen geschusterten Häusern. Überall riefen Leuten. Kinder weinten, Männer und Frauen versuchten gegen die eindringenden Männer zu kämpfen. Auch die Jugendlichen kämpften und halfen den Verletzten, Kindern und Schwächeren. Viele von ihnen flohen in den Wald, versuchten sich zu verstecken und unterzutauchen. In den Pfützen mischte sich der Dreck mit dem Wasser. Menschen fielen tot zu Boden und ihr Blut floß ebenfalls in das dreckige, schlammige Wasser. Die Toten stapelten sich. Trotz der Kräfte, die die Rothaarigen hatten, schaffte es kaum einer die Männer zu treffen. Die große Schwachstelle von ihnen war nämlich, dass sie die Menschen anfassen mussten, um Macht über ihren Körper zu besitzen. Es herrschte pures Chaos. Runa rief nach Mara, denn sie hatte Angst, dass dem kleinen Mädchen etwas passiert sein könnte. Nia sah sich hektisch um, in der Hoffnung, den kleinen blond Schopf zu entdecken, aber vergebens. Stattdessen hatten nun ein paar Männer ihre Aufmerksamkeit erhascht. Einer fing auf eine widerliche Art an zu grinsen. Er hatte einen Bart, leicht gelockte dunkle Haare und gelbe Zähne. Er war bestimmt schon etwas älter. "Hey, Jonas!", rief er einem anderen zu. "Hast du mal ne rothaarige Hure gehabt?" Der andere sah erst ihn und dann Nia und Runa an. "Nee, noch nicht. Hatte vorher noch nie eine gesehen. Aber scheint was ganz besonderes zu sein. Mal gucken, wie die sich so anfühlt", fing der Blonde an zu lachen. Er hatte einen kratzig aussehenden Bart. In Nia zog sich alles zusammen. Der bloße Gedanke, dass so einer sie anfassen würde, ekelte sie zu tiefst. Sie legte schützend ihre Arme vor ihre Brüste und wandte sich von den beiden Männern ab, ließ sie aber nicht aus den Augen. Runa entging das nicht, weswegen die schützend einen Arm vor Nia hielt. Runa sah die Männer finster an. An sie würde keiner ran kommen, dafür würde Runa schon sorgen. Linhart stellte sich schnell mit Kilian zu den beiden, ließen nur leider dadurch ihre Rückseite unbedeckt. Sie waren alle zu konzentriert auf die beiden Männer vor ihnen, dass sie die vier hinter ihnen nicht bemerkten. Als sie es bemerkten, war es schon zu spät.
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