26
Runa setzte sich aufs Bett, überlegte. Obwohl es draußen noch klarer Sonnenschein war, der alles erhellte, war es für sie so, als sei die finsterste Nacht da. Alles war dunkel, nur Umrisse zu erkennen. Sie sah Schatten. Viele dunkle Schatten. Sie schwirrten überall rum. Sie bekam ein seltsames Gefühl. War es Angst? Möglich. Sie wusste es nicht genau. Sie wusste nur, dass sie ganz schnell weg von diesem Ort wollte, in dem sie sich vorher noch sicher fühlte. Und dann ...
"Seherin!", rief Nia. Eine Frau in einem hellen Kleid und einem etwas dunklerem Umhang drehte sich um. Ihre Haare waren hell. Genauso rot, wie die meisten Haare, nur etwas heller, als es normal war. Sie waren leicht ineinander verbunden, wirkten aber immer noch offen. Noch etwas war aber anders an ihr. Ihre Augen waren geschlossen. Linhart sah sich die, nun eher wie ein Mädchen wirkende, Frau an. "Das ist sie? Warum sieht sie uns nicht an, wenn sie sehen können soll?", fragte er verwundert. Das Mädchen lachte leise. Es war eher ein Kichern, als ein lachen. "Sie ist blind.", sagte Nia, kurz an Linhart gewandt. Er sah sie mit großen Augen an. "Blind?", fragte er etwas aufgebracht? "Ja, sie kann nichts sehen.", gab nun Kilian zornig von sich. "Dann würde ich sie aber nicht gerade als Seherin bezeichnen." Er verdrehte seine Augen, erschrak aber dann, als plötzlich ein Schrei aufkam. Dieser Schrei ging von einem kleinen Vogel, einem Falken, aus. Er flog auf die Schultern, des als Seherin bezeichneten Mädchens. "Nun, so ganz blind bin ich ja nicht ...", sagte sie freundlich. "Ich sehe über seine Augen. Er ist mein Seelentier. Jeder kann über sein Seelentier, wenn man etwas nicht kann, wie sehen, hören, oder so, diese Sinne erlangen. Ich sehen über seine Augen. Wir sind miteinander verbunden, deswegen. Und mal so nebenbei, Falken können wirklich sehr gut sehen. Das heißt, dass ich besser als du sehen kann, obwohl ich blind bin." Sie kicherte. Er sah sie etwas irritiert an, gerade vom Schock, des Schreies erholt. "Warum hat die alte Frau das dann nicht auch so gemacht? Also über so ein Tier gesehen? Die ist doch blind?"
"Hat sie. Alle, denen ein Sinn fehlt, machen das."
"Ja, aber warum dann sie nicht?"
"Lass meine Schwester doch erstmal ausreden, bevor du ihr ins Wort fällst und sinnlos unsere Zeit verschwendest." Linhart drehte sich beleidigt weg, hörte dann aber wartend zu. "Sie hatte einen Adler als Seelentier. Er war wunderschön, hatte riesige Flügel, er selber war auch nicht gerade klein unter anderen Adlern. Aber Menschen machen nun mal Jagt auf so wunderschöne Tiere. Er wurde erschossen. Seitdem muss die Weisefrau auch im Stuhl sitzen. Man spürt den Schmerz seines Seelentieres, wenn es stirbt, wie es stirbt. Sie hat sich von diesem Schmerz nie erholt, hat körperlich darunter leiden müssen, aber auch psychisch." Linhart nickte. Ja, das war wohl diese Schrecklichkeit, die er niemals durchmachen müsste. "Egal. Wir sind wegen etwas anderem hier.", fiel Kilian Linhart dazwischen, der gerade seinen Mund öffnete, um noch etwas zu sagen. "Du weißt es sicher, warum wir hier sind?" Sie nickte, ihr Lächeln verschwand sofort. Sie sah bedrückt aus. "Ich habe sie gesehen. Sie ist alleine. Ihr solltet sie nicht alleine lassen.", begann sie zu sprechen. Alle sahen sie verwundert an. "Warum?", fragte Kilian. "Böse Mächte sind hinter ihr her."
"Was meinst du damit? Böse Mächte? Was für böse Mächte? Meinst du den König?" Nia stieß ihren Bruder mit dem Ellenbogen in die Seite, so, dass er erschrocken zusammen zuckte. "Linhart wird voll geölt, aber du lässt auch niemanden in Ruhe sprechen.", herchte sie ihn an. Er rieb sich die getroffene Stelle und sah sie nur beleidigt an. Die Seherin ließ ihren Falken auf ihre Hand steigen, in dem sie sie ihm hinhielt. Er stieg sofort drauf, woraufhin sie in die Lüfte stieß. Er flog sofort los. Auf Linharts verwirrten Blick antwortete sie: "Ich habe ihm per Gedanken darum gebittet nach Fremden Ausschau zu halten." Sie machte eine kurze Pause, ihr wieder kurz erschienenes Lächerln verschwand erneut und sie sprach ernst weiter: "Es werden bald Männer hier sein. Männer vom König ... Und sein Sohn. Es waren mal recht viele, aber dann ist sie aufgetaucht und hat ihre Macht spielen lassen. Nur noch eine Handvoll Männer haben es überlebt, mit dem Königssohn. Er hat sich mit dem Mädchen verbündet. Ihr müsst euch in acht nehmen. Sie haben das Buch, das ihr sucht. Er hat es dem Mädchen in ihrer Gefangenschaft gestohlen. Sie finden den Weg hierher. Sie werden bald da sein. Sehr bald."
"Wer ist sie?"
"Eine Verbannte. Sie wurde vor Jahren aus dem Stamm verbannt, weil sie ihre Macht missbraucht hat. Sie wurde gejagt und geschändet. Jetzt will sie Rache. Sie gehört nicht zu uns, das hat sie nie. Sie kommt von einem anderen Stamm. Ja, es gibt noch mehr. Da staunt ihr, was? Aber sie ist gefährlich. Sie ist wie wir Blutzauberin, aber sie ist noch etwas anderes. Etwas, vor dem man sich fürchten sollte. Sie ist die Angst. Sie sorgt für das Schlechte in der Welt. Seid vorsichtig, wenn ihr ihr begegnen solltet, mit ihr ist nicht zu spaßen."
"Wovon sprichst du? Wir verstehen das alles nicht!", sagte Nia. Ihr kamen zu viele Informationen auf einmal, sie konnte sie gar nicht alle richtig verarbeiten. Ein Schrei ertönte. Er gehörte zu dem Falken. Alle sahen hoch, dann zur Seherin. Sie hatte ebenfalls nach oben gesehen, so wie alle anderen zum Falken, der hoch oben seine Kreise über ihnen flog. Der Himmer verfinsterte sich langsam und ein Wind kam auf. Sie sah zu den andern. Ihr Haar wehte durcheinander, sie öffnete ihre Augen, die blaue Farbe wirkte durch ihre Blindheit grau und kalt, sie glänzten nicht und wirkten tot. Allen lief ein Schauder den Rücken runter. "Ihr müsst jetzt gehen. Schnell! Zu Runa! Ihr müsst euch beeilen!"
Alle bekamen große Augen und rannten sofort los. Die Seherin wandte sich von den, nun kaum noch zu erkennenden Gestalten ab, und sah hinter sich, die große weite Wiese an. Das Gras wehte im stürmischem Wind, in den Wolken hörte man schon ein Donnern und Blitze schossen schon vereinzelt die Wolkendecke lang. Der Falke schrie und stürzte zu seinem Seelenmensch nach unten in die Tiefe, kurz vor ihr fing er sich ab und hockte sich auf ihren ihr zugewandten Arm. Sie strich sanft unter seinem Schnabel lang und sagte: "Ich habe ein schreckliches Gefühl. Hoffentlich geht das nur gut aus. Komm, wir müssen schnell zur Priesterin."
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