12
Sie liefen einige Zeit schon. Die Nacht war bereits eingetroffen. Sie hatten sich ein Lagerfeuer gemacht, welches ihre Schatten zu große Verzerrungen formte. Sie redeten gemeinsam, was sie am nächsten Tag vor hatten und wie sie am besten Verfolger abschütteln würden, wenn welche da sein sollten. Die Kinder schliefen bereits nebeneinander neben Nia und Runa am Feuer. Beide fühlten sich für die Kinder verantwortlich. Sie wussten beide, wie es war, die eigene Mutter zu verlieren. Nia und Kilian konnten ihre Mutter nicht retten. Die waren wandern. Eigentlich wollten sie Kräuter, Wurzeln, Nüsse und Beeren sammeln, aber dann rutschte sie einen Abhang hinab und brach sich dabei ihr Genick, sobald sie den Boden berührte. Die beiden kamen auch nicht zu ihr runter so steil und tief war es. Sie hätten sich nur selbst verletzt und sie waren auch noch zu klein. Kleine Kinder, die sehen mussten, wie sich eine riesige Blutlache unter dem Körper ihrer Mutter bildete. Sie rannten sofort in ihr Dorf zurück, um allen Bescheid zu geben. Aber es war schon zu spät. Es wäre sowieso ein großes Wunder gewesen, wenn sie den Sturz, aus einer so großen Höhe, überlebt hätte. Alle warfen Blumen, Geflechte aus Pflanzen und dergleichen nach unten. Sie sangen Lieder, um sich von der Ihren zu verabschieden. Sie trauerten um sie und ritzten in einen der am Abgrund wachsenden Bäume ein Rune ein, sie sollte die Bedeutung für das Leben darstellen, und eine mit der Bedeutung für den Tod. Runen hatten eine starke Kraft, wenn man sie benutzte, und als Blutzauberer konnte man ihnen eine noch stärkere Kraft verleihen. Wären sie Hexen oder andere magisch befähigte Wesen, dann wären sie noch um einiges Mächtiger. Sie waren aber nur Blutzauberer. Sie waren nicht die stärksten Formträger der Magie. Aber die meisten sahen es nicht wirklich als Magie -zumindest von ihnen die meisten nicht- sie sahen es als Gabe an, die sie von den Göttern bekommen haben, um allen Lebewesen zu helfen, die es verdient haben oder litten. Die Nicht-Träger sahen sie als Monster, Teufel und Dämonen an, weswegen sie sie so dringend tot sehen wollten. Aber jetzt waren sie ja davon befreit, den die Generation die sie noch erlebt hatte, war jetzt tot und sie wurden in die Geschichtsbücher aufgezeichnet. Nur glaubte niemand mehr nach hundert Jahren an sie. Das waren aber auch vier, wenn nicht sogar schon fünf Generationen. Da war es nicht verwunderlich, dass sie nur noch Märchen und Legenden waren, die die Kinder gerne hörten.
Runa strich eine Locke aus Maras Gesicht. Sie sah sie mütterlich an und musste leicht lächeln. Nia tat es ihr gleich. Sie hatten die Kinder richtig lieb gewonnen. Nia und Runa sahen kurz zu einander auf und lächelten sich dann zu. Dann sagte Kilian barsch: "Was sollen wir den anderen sagen? Die Kinder gehören immerhin nicht zu uns und rote Haare haben sie auch nicht. Geschweige denn, dass sie irgendwelche Fähigkeiten haben. Wir hätten sie ins Armenhaus oder so bringen sollen, da sind doch welche." Nia wurde etwas sauer. "Was willst du damit sagen? Dass wir sie einfach hätten im Stich lassen sollen? Das Armenhaus ist ein schrecklicher Ort, besonders, wenn man keine Eltern mehr hat!" Kilian biss von seinem Brot ab, kaute kurz drauf rum, schluckte es runter und meinte dann: "So war das nicht gemeint. Wären es andere Umstände, dann hätte ich sie wirklich gerne mitgenommen, aber wir haben eine Mission zu erfüllen. Da können wir keine Kinder mitnehmen. Das ist gefährlich und sie behindern uns nur." Nia nahm sich ein Messer und warf es nach ihrem Bruder. Er legte seinen Kopf kurz zur Seite und machte dabei ein gelangweiltes Gesicht. "Du bist so Herzlos! Diese Kinder brauchen uns!" Ihr stiegen Tränen in die Augen. "Ich bin nicht herzlos. Ich hätte die Kinder ihrem Schicksal überlassen, wenn ich das wäre. Aber sie sind ja bei uns. Mein Essen habe ich mit ihnen geteilt und ich habe ihnen mein Fell zum schlafen gegeben. Ich weiß schon, warum du so reagierst. Du denkst dabei an Mutter." Sie stockte, als er das sagte und hielt ihren Atem an. Ihr aufgebrachtes Gesicht wurde verzweifelt und sie sank zurück auf den Boden, von dem sie auf ihre Knie gesprungen war, als sie das Messer nach ihrem Bruder warf. Die anderen drei sahen still zu. Runa sah verwirrt zwischen den beiden hin und her. Sie legte eine Hand auf Nias Arm und sah sie mitfühlend an. Aber die Frage, was er meinte stand ihr im Gesicht geschrieben. Nia leitete ihren Gedanken, an das, was damals, als sie Kinder waren, an Runa weiter. Sie schloss dabei ihre Augen und zog ihre Augenbrauen zusammen. Eine leise Träne rollte Runa nun über die Wange und ihre Augen wurden größer. Das Blut, das Geräusch vom Aufschlag, die toten Augen ihrer Mutter, alles war so deutlich in ihrem Kopf, als hätte sie es selbst erlebt. Als wäre es ihre eigene Erinnerung. Sie griff nach Nias Händen und drückte sie leicht zusammen. "Das ist ja schrecklich.", sagte Runa zu Nia. Nia hatte mittlerweile schon ihre Augen wieder geöffnet. Sie versuchte zu lächeln, aber sie bekam nur kläglich einen ihrer Mundwinkel nach oben. "Wir sollten wohl besser jetzt schlafen. Es war für uns alle ein anstrengender Tag gewesen. Und morgen wollen wir ja früh weiter, immerhin dauert es durch die Kinder etwas länger, bis wir unser Ziel erreichen.", sagte Nia. Sie entzog Runa ihre Hände, legte sich mit dem Rücken zum Lagerfeuer, hoffend, dass niemand ihr Gesicht sah und die Tränen, die nun ihr Gesicht runterliefen. Auch Runa legte sich neben die Kinder. Sie sah besorgt zu Nia. Sie musste an sich selber denken und an ihre eigene Mutter. Ihre starb, nicht viel später. An dem Tag lief sie in den Wald und fand die Großmeisterin. Sie schloss ihre Augen. Nia hatte recht, sie sollten besser schlafen. Der nächste Tag würde sicherlich anstrengend werden. Linhart und Evan legten sich an einen Baum und teilten sich Evans Fell zum schlafen. Kilian sah zu den Mädchen. Seine Schwester sah aus, als würde sie schlafen, aber er wusste es besser. Jeder würde glauben, dass sie schlafen würde, aber sie war wach. Ihren Kopf auf ihrem Arm, ein Bein angewinkelt, ihre andere Hand auf den Boden, ihre Augen offen. Sie dachte an ihre Mutter, das wusste er. Er musste selber oft an sie denken. Und dann sah er zu Runa. Sie schlief wirklich. Sie lag da wie Nia. Nur konnte man ihr Gesicht sehen und wie es vom Feuer beleuchtet wurde. Die zarten Schatten, die in ihrem Gesicht flackerten. Ihre Haare, die wie das Feuer leuchteten. Und da war noch etwas ... Er versuchte es genauer zu erkennen. Es war eine Träne. Ihr bis eben noch ruhiges Gesicht sah nun traurig aus und irgendwie auch ... ängstlich. Er hockte sich zu ihr. Warum war sie so. Er wollte die selbe Kraft anwenden, wie sie es beim Gedankenaustausch taten, nur dass er dieses Mal ihre Gedanken ohne Einverständnis einfach ansah. Er griff nach ihrem Arm und tauchte in ihre Gedanken. Er schloss seine Augen, wie vorher auch seine Schwester. Es fühlte sich schrecklich an. So etwas hatte er noch nie gespürt. Als würde er in einem riesigem Meer aus Blut ertrinken. Er versuchte nach etwas zu greifen, um da raus zu kommen, aber er fand nichts. Er versuchte an der Oberfläche zu bleiben, aber dann kam eine Welle, eine so riesige, die ihn einfach überschwämmte und nach unten in die Tiefe drückte. Er bekam keine Luft mehr. Er ertrank. Schnell zog er seinen Arm von ihr. Schweiß lief seine Haut hinab. Noch nie hatte er so etwas erlebt. Was konnte das nur gewesen sein? Er atmete schwer. Er musste sich hinhocken, um nicht umzufallen. Keiner ihrer Gedanken konnte ihn erreichen. Er griff sich an seine Stirn und fragte sich, was das wohl eben war. Da kam doch ein Gedanke von ihr durch. Nur ein einziger: Hilfe, ich hab Angst.
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