Teil 5
Doualas Leichnam wurde eine halbe Stunde später von Perths Patrouillengruppe weggetragen. Sydneys Gruppe war zu schockiert, um sich auch nur zu rühren, und ihr erging es nicht anders. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und es fiel ihr schwer, Toronto Bericht zu erstatten. Die anderen Frauen aus Sydneys Patrouille, darunter auch Akira, hatten die verstörte Lima in ihre Mitte genommen und zum Hauptquartier gebracht, während Toronto neben Sydney und Perth stand, und mit verkniffener Miene das Blut auf dem Boden betrachtete.
„Ein Knochensklave war es auf jeden Fall nicht. Sie sind nicht flink oder leise genug, um zwei erfahrene Bluttränen einfach zu überfallen, und einer die Kehle durchzuschneiden." Perths Blick war finster, seine Hand lag an seinem Dolch.
Toronto umrundete die großen Blutflecken und hockte sich dann daneben. Seine Fingerspitzen berührten beinahe die rote Flüssigkeit, die das Geröll und den Staub benetzte.
„Aber was war es dann?" Sydneys Stimme war rau und sie musste heftig schlucken. Obwohl sie wusste, dass die Welt in der sie lebte, voll von namenlosem Grauen war, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein einfacher Mensch jemanden einfach so töten konnte. Dazu waren die Bluttränen zu erfahren und zu gut ausgebildet. Aber das musste bedeuten, dass etwas anderes hier draußen in der Dunkelheit sein Unwesen trieb, und das ließ Sydney vor Angst erzittern.
„Ich weiß es nicht", sagte Toronto nach einer langen Pause und stand auf. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. „Wir werden trotzdem morgen aufbrechen", sagte er an Sydney gewandt. Dann wandte er sich zu Perth und sah ihn eindringlich an. „Perth, Sie sind dafür zuständig, dass Douala ein ordentliches Begräbnis bekommt. Unsere Sicherheitsgruppen sollen jeden Tag den Mechanismus kontrollieren. Schick unsere Botschaftstruppen zu den anderen Bluttränen-Unterkünften und lass sie hiervon berichten."
Torontos Worte schienen einfach durch Sydneys Kopf hindurch zu fegen und hinterließen nichts als Leere. Sie würde morgen aufbrechen, auf eine Reise, bei der sie nicht wusste, wohin es ging und um was es überhaupt ging. Sie würde sich nicht gebührend von Douala verabschieden können. Der Blick aus ihren toten Augen würde Sydney wohl ewig verfolgen.
„Sydney?" Perth, der sich mit Toronto wieder von der Stelle entfernt hatte, an der Douala kaltblütig ermordet worden war, blieb stehen und sah zu ihr zurück. Langsam schloss die Rebellin zu ihm auf und gemeinsam gingen sie weiter, die Köpfe gesenkt vor Trauer.
„Ich werde mich nicht von ihr verabschieden können. Die Abschiedszeremonie ist erst morgen, aber dann sind Toronto und ich schon weg." Sydneys Stimme war ungewohnt leise und Perth warf ihr einen raschen Blick zu.
„Wenn du Toronto darum bittest, kannst du dich schon heute von ihr verabschieden."
Sydney hob den Kopf und starrte ihren ehemaligen Ausbilder mit feuchten Augen an. „Sicher?"
Perth nickte mit Nachdruck. „Du musst verstehen, dass er nicht einfach alle Pläne über Bord werfen kann, damit du zu der Abschiedszeremonie kannst. Aber wenn du dich schon heute verabschieden willst, wird er das verstehen."
Die Blutträne schluckte und senkte den Kopf wieder. Sie musste sich von ihrer Patrouillenpartnerin verabschieden, das war sie ihr mehr als schuldig. Tief atmete Sydney durch und straffte ihre Schultern. Was geschehen war, war geschehen, und sie konnte nichts daran ändern. Und auch wenn sie sich das immer wieder einredete, fühlte sie trotz allem die Schuld, die an ihrer Seele nagte und sie innerlich zum bluten brachte.
~🩸~
Eine einzelne Träne lief Sydney über die Wange und kreuzte auf ihrem Weg das blutrote Tattoo. Der Rebelle, der den Körper der Toten bewachte, sah die junge Blutträne verstohlen an. In ihrer Trauer wirkte sie so zerbrechlich und gleichzeitig so kriegerisch, so stark- sie war wunderschön. Er wusste, dass er keine Chance bei ihr hatte, aber dennoch wünschte er sich heimlich, sie würde ihn bemerken. Viele Männer unter den Bluttränen und auch unter den Frauen, begehrten Sydney. Sie war klug und stark, und von einer wilden Schönheit, die die meisten Menschen faszinierte.
Sydney war sich dessen nicht bewusst und sie beachtete den Mann nicht weiter, als sie an die Leiche der jungen Rebellin trat und ihre Hand nahm. Sie war erschreckend kalt und weitere Tränen stiegen Sydney in die Augen. Douala war eine tapfere, junge Frau gewesen, fast noch ein Mädchen. Neunzehn. Neunzehn Jahre alt war sie gewesen, bevor man sie gewaltsam aus ihrem Leben gerissen hatte. Sydneys Trauer schlug in Wut um und sie beugte sich nahe an die Leiche der Blutträne heran.
„Wer auch immer dir das angetan hat, wird dafür bezahlen, Douala."
Ihre Worte waren kaum mehr als ein bedrohliches Hauchen und der Rebelle, der in der Ecke des Medizinzimmers stand, erschauderte beim Klang ihrer Stimme. Ihr Gesagtes hatte etwas unheilvoll Wahres und als Sydney führ einen Sekundenbruchteil den Kopf hob direkt in seine Augen sah, wurde sein ganzer Körper kalt. Ihre verschiedenfarbigen Iriden flammten wie ein loderndes Feuer und er war sich sicher, unter ihrem Blick zu brennen. Der Moment war genauso schnell vorbei, wie er gekommen war und der Rebelle stieß leise den angehaltenen Atem aus.
Sydney sah noch einmal auf Douala hinab, und versuchte die Nähte zu ignorieren, die die tote Rebellin am Hals notdürftig zusammenhielt. Sie beugte sich vor und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, dann drehte sie sich um und verließ ohne einen weiteren Blick auf die Leiche oder den Mann, das Zimmer. Es fiel ihr schwer, Doualas leblose Gestalt aus ihren Gedanken zu vertreiben und noch Stunden später meinte sie, ihre kalte Haut auf ihren Lippen zu fühlen.
~🩸~
„Wie geht es dir?" Akira, die mit verschränkten Armen im Türrahmen stand, sah Sydney dabei zu, wie sie ihre Waffen ordentlich säuberte und in ihre Hüllen packte, damit sie am nächsten Tag nur noch den Gürtel umlegen musste.
Konzentriert strich Sydney mit dem Tuch ein letztes Mal über die Klinge ihres besten Dolches und steckte ihn dann in die Scheide. Das Geräusch, mit der die Waffe in ihre Hülle glitt, hatte etwas seltsam befriedigendes und Sydney kniff grimmig die Augen zusammen.
„Ich habe dich etwas gefragt." Akira ließ nicht locker und kam auf ihre Patrouillenpartnerin zu, um sich neben sie auf das schmale Bett zu setzen.
„Wie soll es mir gehen? Ich habe eine meiner Rebellen verloren. Ich war für sie verantwortlich."
Akiras Augen wurden schmal und sie griff nach Sydneys Händen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und sah Akira an. Langsam nahm diese ihr den anderen Dolch aus der Hand und legte ihn ordentlich zur Seite, denn diese Waffen waren scharf. Schon oft war es passiert, dass Rebellen sich versehentlich an ihren Dolchen verletzt hatten.
„Du bist nicht schuld. Lima und Douala sind erfahren und du hättest sie nicht einmal beschützen können, wenn du selbst dabei gewesen wärst."
Ein zynisches Lächeln umspielte Sydneys Lippen und sie entzog ihrer Freundin die Hände. „Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Selbst wenn es nicht so ist, so sitzt es doch in meinen Knochen, dieses Gefühl", hauchte sie, ihre Stimme hatte einen rauen Ton und in ihren Augen glomm dieses unterschwellige Feuer erneut auf. Akira musste sich zusammenreißen, um nicht vor ihr zurückzuweichen. Manchmal kam ihr Sydney vor, als würde eine unbekannte Macht in ihr schlummern, und dann war es schwierig, nicht Angst vor ihr zu haben. Aber Akira wusste, dass sie in ihrer Gegenwart nichts zu befürchten hatte und niemals bei ihr in Gefahr sein würde.
Sydney wandte den Blick ab und nahm sich den Dolch. Eine Weile betrachtete sie die scharfe Klinge, dann sagte sie: „Ich weiß, dass ich nicht die Schuld trage." Akira nickte. Sie spürte, dass ihre Patrouillenpartnerin alleine sein musste, sie kannte dieses Gefühl nur zu gut. Ihre Vergangenheit... Die vertrauten Gesichter, die sie gelernt hatte zu verdrängen, wollten sich an die Oberfläche kämpfen und sie sprang auf und verließ fluchtartig den Raum. Sydney sah ihr nicht hinterher.
~🩸~
Ein leises, kaum hörbares Klopfen weckte Sydney und sie hob den Kopf. Ihr Körper reagierte erstaunlich gelassen auf dieses Geräusch und sie wusste sofort, wer dort draußen auf dem Flur stand. Eine Weile erwog sie die Möglichkeit, einfach liegenzubleiben und zu warten, bis er wieder verschwand, doch dann quälte sie sich doch aus dem Bett und öffnete die Tür.
„Was willst du hier, Jinan?", flüsterte sie und rieb sich über die Augen.
Jinan rieb sich über den Nacken und sagte dann leise: „Ich wollte dich einfach sehen."
Sydney musterte den Rebellen. Seine schwarzen Locken standen wild vom Kopf ab, als wäre er mehrmals nervös mit der Hand hindurchgefahren. Im Dunkeln konnte sie seine Augen nicht erkennen, aber sie wusste, dass sein Blick auf ihr lag. Sie wollte ihn nicht hereinlassen. Sie wollte ihn nicht wieder an sich heranlassen, um dann enttäuscht zu werden. Es war ihr schon einmal passiert und sie hatte daraus gelernt. Sie verabscheute ihn für das, was er getan hatte. Eigentlich.
Sie wich aus der Tür zurück und ging zurück ins Bett. Jinan kam ins Zimmer hinein und machte leise die Tür zu, dann legte er sich neben sie. Sydney hob die Decke an und schmiegte sich an den warmen Körper des Rebellen. Vorsichtig legte er einen Arm um sie und zog sie an sich.
Sydney schloss die Augen und atmete tief ein. Es war vertraut, ihn neben sich zu haben und seinen Geruch einzuatmen, während er sanft über ihren Rücken strich. Sie empfand nicht das, was sie noch vor einem Jahr gefühlt hatte, wenn er bei ihr war, aber diese Geborgenheit war nicht verloren gegangen, und das war es, was sie grade im Moment brauchte.
„Ich vermisse dich", flüsterte Jinan plötzlich. „Jeden Tag."
Zum wiederholten Male stiegen der Blutträne die Tränen in die Augen. „Ich vermisse dich auch. Oder das, was wir mal hatten. Aber das ist nicht mehr, Jinan. Es wird nie wieder sein. Vielleicht ist das besser so." Trotzdem drückte Sydney sich noch enger an ihn.
„Es tut mir leid." Seine Worte hörten sich so klein an in diesem dunklen Zimmer mitten in der Nacht. Sydney antwortete ihm nicht. Sie wusste, dass das alles war, was sie von jemandem wie Jinan verlangen konnte, und es genügte ihr. Und doch würde sie sich jeder Zeit gegen ihn entscheiden, wenn es sein musste.
Das war eines dieser Dinge, die sie tief in ihrem Herzen mit Sicherheit wusste.
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