Teil 19
Ein schrilles Piepsen in ihrem Ohr. Überall Staub, der ihr die klare Sicht verwehrte.
Benommen blinzelte Sydney und hob eine Hand gegen das grelle Licht, das plötzlich das gesamte Dorf flutete. Für eine kurzen Moment wusste sie nicht, wo sie genau war und was überhaupt passiert war. Es war, als wäre ihr Gehirn von dichtem Nebel umgeben.
„Sydney!" Eine bekannte Stimme drang durch all die dumpfe Trübnis und rüttelte an ihrem Verstand. Woher kannte sie diese Stimme?
„Sydney!" Eine Gestalt tauchte aus dem weißen Nebel auf und ging vor ihr in die Hocke. Wunderschönes weißes Haar wallte mit der rauchigen Luft um die Wette, blaue Haut und gelbe Augen leuchteten hervor. Amabilia. Nur langsam kehrte Sydneys Bewusstsein vollständig zurück. Mit einem Mal durchströmte sie ein kühles, aber dennoch weiches Licht und ihre Sinne waren schlagartig wieder hellwach.
Mit neugewonnener Energie sprang Sydney auf die Füße und zückte einen Dolch. Ihr Blick wanderte aufmerksam umher, während sich der Staub langsam legte. Das laute Knallen war einer Stille gewichen, die Sydneys Haare zu Berge stehen ließen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, sie konnte es mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Amabilia stand neben ihr, bereit anzugreifen, falls jemand- oder auch etwas, sich ungebeten näherte.
Doch es geschah rein gar nichts. Neben sich konnte Sydney die Gestalten von Soweto und ihrem Anführer ausmachen, die schweigend mit ebenfalls gezückten Waffen ausharrten.
Zuerst war es so schwach, dass die Rebellin kaum es erkennen konnte, doch die dunklen, blauen Schatten, die langsam durch das weiße, magische Zwielicht krochen, verdichteten sich immer mehr. Sydney erschauderte entsetzt als ihr klar wurde, mit wem genau das verräterische Mondauge sich verbündet hatte. Es war niemand geringeres als die Knochenkönigin selbst.
Soweto murmelte einige gepresste Flüche und verstärkte den Griff um seine Waffe, während die Augen des Anführers sich zu schmalen Schlitzen verengten. Die blauen Schatten waren ein deutliches Indiz dafür, dass die Knochenkönigin ihre Finger im Spiel hatte. Sie selbst würde in dieser Schlacht nicht kämpfen, doch das brauchte sie auch gar nicht. Sie hatte genügend versklavte Soldaten, die mit ihrer Magie gesteuert, ihre Aufgabe hier erledigen konnten. Licht und Schatten hatten sich gegen die Mondaugen, die größte Bedrohung der Knochenherrschaft, verbündet, um sie auszuschalten. Sie zu vernichten. Und Sydney steckte mittendrin. Sie machte sich Sorgen um Calgary, doch die musste sie jetzt beiseite schieben. Sie würde sich ganz auf den Kampf konzentrieren müssen.
Die Schatten verdichteten sich immer weiter und krochen unaufhaltsam auf die Rebellen und die Mondaugen zu. Sydneys Unruhe wuchs- gegen Schatten konnten sie nicht kämpfen und das, was dahinter lauerte, konnten sie noch nicht ausmachen. Als die blauen Schlieren Sydneys Schuhspitze berührten und langsam, aber scheinbar entschlossen um ihre Beine waberten, trat sie einen Schritt zurück und die Schatten lösten sich in Luft auf.
„Hört ihr das? Sie kommen", flüsterte Amabilia.
Sydney lauschte in die Trübnis, doch sie konnte nichts vernehmen. Stille umgab sie wie eine trügerisch warme Decke. Doch mit einem Mal spürte sie, wie etwas sich ihnen näherte, bevor plötzlich Ignis sich aus den Schatten löste, ein sanftes silbriges Leuchten um ihren Körper. Flammen loderten in ihren Augen, als sie sprach.
„Meine Freunde, so begrüßt man eure Genossin doch nicht!"
Amabilia stieß einen erstickten Laut aus und Ignis wandte sich ihr zu. „Überrasche ich dich etwa, Schwesterlein? Armes kleines Ding." Sie verzog in gespieltem Mitleid das Gesicht. „Du warst schon immer so... naiv. Leicht zu überraschen und noch leichter zu täuschen. Ich dachte, es würde schwieriger werden."
„Genug, Ignis!", befahl Veritas mit scharfer Stimme.
Ignis drehte sich zu ihrem Vater, und obwohl man die Verärgerung in ihren flammenden Augen erkennen konnte, lächelte sie ihm zu. „Vater, wie oft hast du gesagt, dass wir geduldig sein müssen, wenn wir unsere Freiheit wiedererlangen wollen. Ich war geduldig. Ich habe auf dich gehört. Und nun ist mein Plan vollendet und wir können frei sein." Sie breitete die Arme aus und sprach nun zu allen Anwesenden.
„Ich habe getan, was niemand zu tun wagte. Unser Bündnis mit der Königin wird stärker sein, als alles was ihr je zuvor gesehen habt und jemals sehen werdet. Unsere Magie kann sich verbünden und zu neuer Größe heranwachsen. Zusammen sind wir fähig, alles zu tun, wonach es uns beliebt."
Wieder drehte sie sich zu ihrem Vater und sah ihn beschwörend an. „Vater, wenn ihr euch ergebt, wird das Dorf sicher bis in den Knochenpalast geleitet. Die Königin hat zugesichert, jeden aufzunehmen, egal ob Frauen, Kinder oder auch Männer. Wir werden stark sein. Die Menschen sind nur eine schwache Spezies auf dieser Welt, die schon genug Schaden angerichtet hat. Schau dir an, zu was sie die Königin getrieben haben. Wenn ihr euch der Königin anschließt, können wir die Menschheit endgültig vernichten, das schwache Glied in der Kette ausmerzen."
Das Funkeln in ihren Augen wurde fanatisch und Sydney konnte das nun ausdruckslose Gesicht des Anführers der Mondaugen ausmachen. Die Handflächen der Rebellin wurden feucht von nervösem Schweiß und ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Wenn Veritas sich dazu entschied, gemeinsame Sache mit der Königin zu machen, wäre das Ende aller Menschen in Stein gemeißelt. Sie konnten unmöglich gegen die Knochenkönigin und die Mondaugen ankommen. Sydney umklammerte ihren Dolch fester und schluckte. Sie war bereit, sofort zu reagieren, selbst wenn es zu spät war, selbst wenn...
„Ignis", durchbrach Amabilias Stimme die Stille und sie ging langsam auf ihre Schwester zu. Ignis legte den Kopf schief und musterte sie. „Ignis, das willst du doch gar nicht. Das alles hier. Wenn wir tun, was du von uns verlangst, treten wir alles, wofür wir stehen, mit Füßen. Bitte Ignis, denk nach!"
Wie in Zeitlupe schritt Ignis auf ihre Schwester zu. Kurz bevor sie bei ihr ankam, blieb sie stehen und ließ ihren Blick erneut über Amabilias Gesicht schweifen. „Tut mir leid, Schwester", sagte sie ohne Reue in der Stimme und schlag ihre Arme in einem Wimpernschlag um den Körper ihrer Schwester. Amabilias Schrei bohrte sich tief in Sydneys Schädel und gleißendes Licht brach aus Amabilias Körper heraus. Veritas und die anderen Mondaugen schrien auf und stürzten auf die beiden zu.
Dann brach die Schlacht los.
~🩸~
Rauch und Licht explodierten zur gleichen Zeit und raubten Sydney kurzzeitig jegliche Orientierung. Ihr Körper vibrierte vor Anspannung und ihr Blick huschte hin und her, bis sie inmitten der Schatten und dem gleißendem Licht, die beide nicht natürlicher Herkunft waren, eine Gestalt ausmachen konnte, die sich auf sie stürzte. Sie verdankte es einzig und allein ihrer jahrelangen Ausbildung und dem intensiven Training der letzten Wochen, dass sie schnell genug reagierte.
Ihr Dolch reflektierte das Licht der Mondaugen, als er die Wand aus Schatten durchschnitt und sich zielsicher in die Brust des Knochensklaven bohrte. Es schmerzte Sydney in der Seele, diesem Mann nicht beistehen zu können, doch dazu blieb keine Zeit. Die nächsten zwei Soldaten der Schattenkönigin hatten den Platz des ersten eingenommen und attackierten Sydney nun, doch sie stellte schnell fest, wie weit sie mittlerweile gekommen war. Beide waren kein Hindernis für sie und lagen schneller sterbend auf dem Boden, als Sydney schauen konnte.
Für eine winzige Sekunde lang stand die Rebellin einfach nur schwer atmend da, und starrte die Gefallenen an. Wie würde es erst sein, wenn sie in die Geheimnisse der Magie eingeweiht werden würde? Wie stark könnte sie sein? Sydney betrachtete das Blut auf der scharfen Klinge ihres Dolches und auf ihren Fingern. Würde sie endgültig zu jemandem mutieren, der innerhalb weniger Sekunden mehrere Menschen umbringen konnte? Ohne nur mit der Wimper zu zucken, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Ein Stoß traf sie gegen die Schulter und Sydney taumelte zur Seite. Vom einen auf den anderen Augenblick war sie wieder bei Sinnen und wirbelte herum. Soweto erledigte die Knochensklaven, die sich gerade auf Sydney hatten stürzen wollen.
„Mädchen", knurrte der Rebelle und stellte sich mit dem Rücken zu ihrem Rücken, sodass sie jeden Zentimeter der rauchigen, nebligen Umgebung, die gleichzeitig von einem seltsamen Licht durchtränkt war, im Blick hatten. „Du musst besser aufpassen. Wenn du dir nochmal sowas erlaubst, endest du schneller im Grab, als dir lieb ist."
Sydney ärgerte sich über seine Worte, denn sie waren wahr. Normalerweise wäre ihr so etwas niemals passiert, und gerade eben hatte sie einfach nur unsagbares Glück gehabt.
Sie drehte den Dolch ein wenig in ihrer Hand als erneut Knochensklaven auftauchten und sie attackierten. Soweto und Sydney bewegten sich gleichmäßig umeinander und bekämpften die Soldaten der Königin mechanisch und geübt. Zwischendurch zuckte ein Lichtblitz durch die Trübnis und Gestalten huschten an ihnen vorbei, die nur die Mondaugen sein konnten, so schnell, wie sie sich bewegten.
„Soweto, Sydney! Wenn ihr rauskommt, dann bewegt eure Hintern schleunigst hierher! Wir brauchen Unterstützung!" Torontos Stimme klang gepresst und man hörte das Geräusch von Metall, das über Knochen kratzte und durch Fleisch fuhr. Wieder blitzte Licht auf und Flecken tanzten vor Sydneys Augen. Soweto packte sie am Arm und zog sie mit sich. Sydney stolperte, doch Soweto hielt sie auf den Beinen und führte sie immer weiter, auf Toronto und die Anderen zu.
Ihr Anführer kämpfte gemeinsam mit Sana gegen eine ganze Horde von Knochensklaven, deren schiere Masse die Beiden zu erdrücken schien. Torontos Bewegungen zeugten von seiner Erfahrung und seinem Können, der jahrelangen Verbesserung seiner Fähigkeiten. Sana dagegen bewegte sich schnell, viel schneller, als Sydneys Auge es wahrzunehmen vermochte und ihre Hiebe und Stiche mit ihrem Dolch waren tödlich wie der Biss eines Varadons, einer meterlangen Schlange, deren Biss ein Gift in den Körper ihres Opfers sandte, welches das Blut versteinern ließ.
Soweto und Sydney stürzten sich ins Getümmel und durchstießen Herzen mit ihren Dolchen. Mit jedem Stich biss die Rebellin sich fester auf die Unterlippe, ohne es zu bemerken. Erst als sie Blut auf ihrer Zunge schmeckte, löste sie die Zähne aus ihrem Fleisch und atmete tief durch. Sie durfte sich nicht selbst die Schuld geben. Es war die Knochenkönigin, die Herrscherin der Schatten. Sie selber trug keine Schuld.
In diesem Gewissen durchstieß die scharfe Schneide ihres Dolches die Brust eines weiteren Soldaten.
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