Teil 11

Nachdem Calgary und Sydney die Pferde geputzt hatten, war Veritas zurückgekommen und hatte die beiden Rebellen zu einem Gatter geführt, hinter dem eine große, weitläufige Wiese lag. Mit einem leichten Klaps auf die Kruppe verabschiedeten sie die Pferde, und folgten dem Mondauge stillschweigend zu ihren Unterkünften. Sydneys Gemüt, welches zuvor noch durch Rubinregens Anwesenheit beruhigt worden war, begann nun wieder zu brodeln. Eine Waffe. Sie war sich nicht sicher, was Calgary von diesem Plan halten würde, doch wie sie ihn bis jetzt einschätzte, würde er begeistert sein.

Die Dunkelheit hatte sich weiter ausgebreitet und schmiegte sich um die Häuser und Bäume. Sydney fiel es zunehmend schwerer, etwas zu erkennen, doch Veritas tat zielsicher einen Schritt vor den anderen und die Rebellin war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen. So bestand keine Gefahr, dass sie sich verlief, was ihr zweifelsohne hätte passieren können. Sie passierten das Lagerfeuer, an dem immer noch einige Mondaugen saßen und bogen dann den zweiten Pfad nach rechts ab. Ihre Schritte wurden von dem federnden Erdboden verschluckt und es war, als ob Sydney eins mit der Nacht werden würde.

Dieses eigenartig schöne Gefühl verschwand, als die Lichter aus den Fenstern eines der kleinen Häuser auftauchten. Bald darauf erkannte Sydney, dass es sich um das Haus des Anführers handelte. Die Silhouetten der beiden anderen Rebellen erschienen im Fenster. Sie sahen ihnen entgegen, als Veritas gefolgt von den zwei etwas jüngeren Bluttränen an die Türe trat, und sie öffnete.

„Sind die Pferde versorgt?", fragte Soweto scharf.

„Natürlich", entgegnete Veritas. „Unsere Wiesen sind weit und das Gras reich an Nährstoffen. Wasser bekommen sie vom Bach und es gibt einen Unterstand. Ich versichere dir, dass sie bestens aufgehoben sind."

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", sagte Toronto und legte Soweto eine Hand auf die Schulter, wobei er sich ein belustigtes Funkeln in den Augen nicht verkneifen konnte. „Die Tiere sind hier sicher." Er wandte sich an Calgary und musterte ihn eingehend. „Ich nehme an, dass ihr euch schon ein wenig kennengelernt habt." Sydney nickte knapp.

„Ich habe ihr gezeigt, wie man die Pferde absattelt. Ich glaube, dass Rubinregen der perfekte Begleiter für sie ist."

„Natürlich ist er das", schnaufte Soweto, die fast schwarzen Augen blitzten. „Ich wähle immer den perfekten Begleiter."

Toronto lachte. „Daran hat niemand gezweifelt." Beinahe sofort wurde er wieder ernst und sah die jüngeren Rebellen an. „Aber kommen wir nun zu den wichtigeren Dingen. Sydney ist bereits in Kenntnis gesetzt, was bei dir nicht der Fall sein dürfte." Er sah Calgary an und dieser nickte.

„Wie wäre es, wenn wir dafür in unsere Arena gehen?", warf Veritas ein, bevor Toronto weitersprechen konnte.

Der Anführer nickte. „Das wäre vermutlich besser."

Als Veritas und Toronto mit Soweto vorgingen, kratzte Calgary sich fragend an der rechten Augenbraue. „Ich würde wirklich gerne wissen, um was es geht. Warum machen sie so ein Geheimnis daraus?"

„Das wirst du schon sehen", entgegnete Sydney knapp und setzte sich in Bewegung. Sie hatte keine Lust, auf Calgarys Grübeleien einzugehen, viel mehr fragte sie sich, was Veritas mit Arena meinte. Das, was sie von dem Dorf der Mondaugen bisher gesehen hatte, ließ einer Arena nicht sehr viel Platz. Hier, zwischen den Edelsteinbäumen mit den vielen anderen Pflanzen und dem leichten Nebel, konnte die Rebellin sich keine Arena vorstellen.

Schweigend liefen die vier Rebellen und das Mondauge die Wege entlang. Als sie an den Mittelpunkt kamen, an welchem man zwischen den drei Wegen entscheiden konnte, wählte Veritas den mittleren, den, den Sydney bisher noch nicht betreten hatte. Dort sollte eine Arena liegen? Die Blutträne runzelte ihre Stirn kaum merklich und sah zu dem Anführer hinüber. Er wirkte nicht überrascht, was sie darauf schließen ließ, dass er schon sehr viel öfter hier gewesen war, als sie zuerst angenommen hatte. Sydney fragte sich, wie oft Toronto wohl schon bei den Mondaugen zu Besuch gewesen war.

Calgary ging neben ihr her und sie konnte seine Anspannung förmlich spüren. Er war aufgeregt, aber nicht auf eine nervöse Art und Weise. Sydney warf ihm einen kurzen Blick zu. Das rote Stoffband an seinem Oberarm leuchtete und der Mond ließ sein millimeterkurzes, braunblondes Haar schimmern. Der Rebelle wandte den Kopf und sah sie an, als hätte er ihren Blick gemerkt und grinste.

„Ich wusste, dass ich in jeglicher Hinsicht umwerfend bin, aber du überraschst mich."

Sydney hob die Augenbrauen und schüttelte leicht mit dem Kopf. „Du bist unglaublich", murmelte sie und richtete den Blick wieder auf den Weg.

„Ich weiß", gab Calgary zurück und Sydney schnaufte.

Der Weg wurde ein kleines bisschen steiler, und Sydney fühlte teilweise kleine Steine unter den Sohlen ihrer Schuhe. Eine sanfte Brise wehte durch die schwarzen und weißen Blätter der Bäume und spielte ein wenig mit ihren Haaren. Zu Seiten des mittleren Pfades standen keine Häuser, und schon bald legte sich eine so tiefe Stille über die vier Laufenden, dass Sydney beinahe den Atem anhielt. Mondlicht sickerte nach und nach durch das schwarzweiße Blätterdach, brach sich in den Edelsteinen, die nun zu funkeln begannen und besprenkelte den Boden.

Sydney wäre gerne ein wenig an diesem Ort verweilt, hätte diese zauberhafte Atmosphäre genossen, aber etwas berührte sie am Arm und sie schreckte auf und sah direkt in Calgarys Gesicht. „Kommst du?", fragte er.

Sydney blinzelte ein paar Mal und nickte, während sie ihre Schritte beschleunigte und zu Soweto, Toronto und Veritas aufschloss. Der Weg beschrieb einen sanften Bogen zuerst nach rechts und dann nach links, bis plötzlich ein großes, rundes Gebäude auftauchte. Sydney blieb überrascht stehen. Zwei riesige Edelsteinbäume ragten majestätisch in den Himmel, fast dreimal so breit wie die üblichen Bäume und besetzt mit Edelsteinen, die beinahe so groß wie Sydneys Faust waren. Die Arena selbst unterschied sich vom Bau nicht sehr viel von den üblichen Häusern, in denen die Mondaugen wohnten. Auch hier war das Dach bewachsen mit Moos, doch dieses Mal gab es keine Fenster.

Veritas drehte sich zu den beiden jüngeren Rebellen um und sah sie an. Seine gelben Augen glühten mit den Edelsteinen an den Bäumen um die Wette. „Dies ist unsere Arena. Ein Ort, an dem bereits Dutzende Mondaugen ausgebildet wurden, ein Ort, an dem die Mondmagie seit vielen Tausend Jahren gelehrt und praktiziert wird."

Sydney hatte nicht die geringste Ahnung, was sie im Inneren erwarten würde. Doch ein leises, kribbelndes Gefühl in ihrem gesamten Körper sagte ihr, dass es etwas Großes sein musste. Etwas Mächtiges. Die junge Blutträne erschauderte und fasste nach dem Ring, der an der Kette um ihren Hals hing.

Veritas schritt voran. Vor ihnen war eine große, hölzerne Flügeltür eingelassen, in dessen dunklem Holz ein Edelsteinbaum geschnitzt war. In die Rillen und Mulden waren die verschiedensten, wertvollen Steine und Metall eingearbeitet. Onyx und Perlmutt stellten die Blätter dar, während der Stamm und die weit verzweigten Äste aus reinem Silber bestanden. Winzige, wie Millionen Wassertropfen funkelnde Edelsteine zierten den Stamm und Sydney konnte den Blick von diesem Kunstwerk nicht abwenden. Es war das schönste, was sie jemals gesehen hatte.

„Das ist der Wahnsinn", murmelte Calgary und das erste Mal konnte Sydney ihm uneingeschränkt zustimmen.

„Das ist es", erklang sogleich Veritas volle Stimme und er drehte sich erneut um, die Hände beinahe sanft auf das Holz der Türen platziert. „Diese Türen sind noch älter, als die Arena selbst es ist. Dieses magische Kunstwerk wurde vor so vielen Tausenden von Jahren kreiert, dass es nur wenige Überlieferungen über die Herstellung, oder die Hersteller selbst gibt."

Veritas stieß mit sanftem Druck die Flügeltüren auf und die Rebellen, auch Soweto und Toronto, folgten ihm, beeindruckt und voller Faszination und Respekt. Und was Sydney erblickte, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Das Dach der Arena war in der Mitte offen, und durch das kreisrunde Loch strahlte das Licht des Mondes. Es ließ nicht den geringsten Winkel der runden Arena im Schatten, aber vor allem nicht die Wände. Silberne Adern, manche armdick und manche so dünn, dass man sie für glänzendes Nähgarn halten konnte, durchzogen das hellgraue Gestein wie die Äste eines Baumes. Perlmutt und Diamanten funkelten wie Blüten an dem reinen Silber. Es war schön, so unglaublich schön, dass Sydneys Herz begann, kräftig und lebendig, schneller zu schlagen. Tränen stiegen in ihre Augen, als sie an ihre Mutter dachte, die diese Schönheit genauso geliebt hätte, wie sie selbst.

Neben der jungen Rebellin stand Calgary, den Kopf in den Nacken gelegt. Seine muskulösen Schultern hoben und senkten sich mit jedem kräftigen Atemzug, den er tat. Das hier war... unbeschreiblich. Er fuhr mit einer Hand über sein kurzes Haar und drehte sich langsam im Kreis. Sein staunender Blick fiel auf Sydney, die wie erstarrt dastand.

Ihr glänzendes, blondes Haar hatte den silbrigen Schimmer des Mondlichts aufgenommen und floss sanft um ihre Schultern. Ihre unfassbaren Augen glänzten, und Calgary konnte die Tränen erkennen, die sich unter ihren Wimpern sammelten. Das Tattoo leuchtete, als wäre es frisches Blut und Calgary unterdrückte den Drang, zu erschaudern. Sie war eine einzigartige, junge Frau, und das konnte er nach den wenigen Minuten, die sie zusammen verbracht hatten, mit Sicherheit sagen. Sie sah aus, als würde sie hier hergehören.

Nur schwer konnte er seinen Blick von ihr lösen und sah sich ein weiteres Mal in dem Raum um. Der Boden war aus feinem, beinahe weißem Sand, der in der Mitte, genau gegenüber der Aussparung in der Decke, durch helles Gestein ersetzt wurde.

Veritas stellte sich genau in die Mitte der Arena und sah die Rebellen an. „Willkommen in der Mondlichtarena."

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