Rippen

Ich verließ die Polizeistation. Kaum setzte ich einen Fuß aus der Tür, schlang sich etwas um meinen Hals und schnürte mir die Luft ab.

Vor Schreck schlug ich um mich, meine Arme erstarrten und ich wurde nach hinten gezogen. Aus voller Kraft schrie ich auf, mir entkam nur ein ersticktes Geräusch. Ich verlor den Boden unter den Füßen. Dann wurde es dunkel.

Sailem stand vor mir. Sein schwarzer Mantel verschmolz mit dem Hintergrund, ich konnte nicht bestimmen wo er anfing und die bloße Dunkelheit um ihn herum aufhörte. Er kniff die Augen zusammen. "Jetzt. Wach auf. Wach jetzt auf. Wach auf." Seine Hände legten sich um meinen Hals, er wollte mich erwürgen. "Wach auf!", zischte er, ich hörte ihn noch, als ich blinzelte.

Murmeln. Jemand murmelte, unterbrochen von hohem, wahnsinnigem Gelächter.

Es fiel mir schwer die Augen zu öffnen, wie wenn kleine Gewichte auf meinen Lidern liegen würden.

Vor mir brannten Kerzen. Ihr gelblicher Schein beleuchtete an den Wänden aufgetürmtes Gerümpel und die da sitzende Gestalt eines Mannes. Er kniete in einem Kreis aus roten, auf den Boden gezeichneter Symbole. Langsam realisierte ich, dass ich entführt worden war. Es roch nach Staub, Wachs und Eisen. Benebelt hob ich den Kopf und stand unsicher auf. Eine Treppe führte zu einer geschlossenen Luke. Meine Beine zitterten, ich trat vorwärts und prallte zurück.

Verwundert streckte ich die Hand aus.

Meine Fingerspitzen stießen gegen etwas Kaltes, Unsichtbares. Vor mir verlief eine Wand. Angst wurde zu Panik als ich die unsichtbare Barriere nachfuhr.
Auf dem Boden um mich herum verlief ein roter, mit Symbolen verzierter Kreis, den ich nicht verlassen konnte. Ich war eingeschlossen.

Magie.
Aber das war nicht Sailem.

Der Mann bewegte sich zu einem Haufen aufgetürmter Holzscheite. Ich stemmte mich gegen die magische Barriere. Irgendwie musste ich doch hier herauskommen! Die Luke zu der die Treppe führte, war der einzige erkennbare Ausgang. Der Mann beugte sich über den Holzstapel. Die Scheite schimmerten, wie lackiert. Ich hatte mich geirrt. Das war kein Holz. Vielleicht Elfenbeinspähne - Haifischzähne. Aber das waren sie nicht. Knochen. Sie waren alle geschwungen und an einem Ende spitz zulaufend.
Rippenbögen. Ein ganzer Stapel nur aus Rippen.

Der Mann zog eine Rippe aus dem Haufen. Er streichelte sie sanft. Der gebogene, weißlich-gelbe Knochen war mit verschnörkelten, ein wenig schaurig wirkenden Zeichen bemalt. Ruckhaft zerbrach er die Rippe. Lächelnd platzierte er die Stücke auf und zwischen den Symbolen des roten Kreises. Knackend zerbrach er eine weitere Rippe und fuhr fort.

Wimmern. Erst jetzt sah ich die Kinder, einen Jungen und ein Mädchen in der gleichen Art von Kreis sitzend, wie ich. Das Gerümpel hatte den Blick versperrt, doch jetzt, da ich mich so gegen die magische Wand drückte, konnte ich sie erahnen.

Er wollte uns aufschneiden! Krampfhaft versuchte ich mich zu beherrschen, aber es platzte einfach aus mir heraus,
"Nein!" Das Wort endete in einem Schreckensschrei. Kalt und grausam warfen ihn die Wände zu mir zurück. Erschrocken presste ich die Hände vor meinen Mund. Er wollte die Kinder und mich für unsere Rippen umbringen.

Der Mann hielt in seinem Tun inne.
"Nein?", erkundigte er sich, drehte langsam den Kopf und schlenderte auf mich zu. Seine Augen erstachen mich wie Dolche.

"Das können Sie uns nicht antun.", murmelte ich.

Vor mir, hinter der Linie, hielt er an. Nachdenklich sagte er, "Ich schätze die Situation anders ein."

"Machen Sie es nicht noch schlimmer. Lassen Sie uns gehen."

"Schlimm? Ich lege eure Körper auf eine Straße, damit die Dämonen euch schnell finden. Sie wissen, dass ich sie verehre. Es wird nicht schlimm. Es wird großartig."
Er wollte ein Dämon werden? Das hieß, dass er ein Mensch war.
Aber diese Barriere... Konnten Menschen Magie wirken? Wenn er wirklich einer war, musste es so sein. "Was meinen Sie?"

"Es wird großartig! Großartig!"

Erschüttert von dem puren Wahnsinn in seinem Antlitz, hauchte ich, "Wovon reden Sie?"

Plötzlich funkelte er mich an.
"Besessene werden von den Dämonen gezeichnet. Damit sie den Menschen benutzen können. Die Symbole sind in die Rippen eingebrannt. Diese Symbole stehen für Macht! Die Macht der Dämonen...", kicherte er, "Ich bin wie sie! Ich lerne ihre Sprache ... und werde zu einem von ihnen! Ich bin wie sie! Mächtig ... Unbesiegbar!"

Er starrte in meine Augen, fasste durch die unsichtbare Wand und strich über meine untere Rippe. Ich zuckte. "Ich bin nicht besessen.", brachte ich leise heraus.

"Du bist etwas Besonderes. Du weißt es gar nicht. Sie weiß es nicht!", schrie er, dann säuselte er mir zu, "Du bist etwas Besonderes."

Ich nahm meinen Mut zusammen. Ich packte seine Hand und zog ihn zu mir, er stolperte in den Kreis. Ohne ihn loszulassen, sprang ich über die rote Linie, wodurch er herum gewirbelt wurde und sich genau dort wiederfand, wo ich gestanden hatte. Ich rannte durch seinen Kreis aus Symbolen und Rippenstücken, an dem Knochenhaufen vorbei und jagte die Treppe nach oben.
Ich bekam die Luke zu fassen. Sie ruckelte, bewegte sich jedoch kein Stück aus der Angel. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte sie mit aller Gewalt zu öffnen. Wie viel Vorsprung hatte ich noch? Hektisch sah ich zurück.

Der Mörder schlurfte in die Mitte des Raumes. Der Schein von Hörnern flimmerte um seinen Kopf auf. Irrte ich mich? Ich wünschte es mir, spürte aber ganz genau, dass der merkwürdige Glanz in der Luft keine Einbildung war.

Er hob eine Hand. Aus seinen Fingerspitzen kamen Fäden aus gleißendem Licht. Sie vereinten sich und schossen auf mich zu. Schmerzhaft schlug der Strahl in mich ein. Grelles Blenden hinter geschlossenen Augen. Ich hatte mich in Sailem geirrt. Wegen mir war er im Gefängnis. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich gewaltsam abdriftete.

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