Der Haifischzahn

Die Leiche war nicht zufällig in einem Müllcontainer direkt hinter unserem Café drapiert worden. Sailem wollte mich warnen. Fast glaubte ich, er würde hinter mir stehen wenn ich mich umdrehte.

Ich stieß mich von der Wand ab und warf dem Mülleimer einen scheuen Blick zu. Meine Augen blieben an den schlaffen Gesichtszügen des Blonden hängen, die Haut war blass und durchscheinend, der Mund war leicht geöffnet, aber nicht wie bei einem Schrei, eher so als wäre der entspannte Kiefer nach seinem Abtreten von selbst nach unten geklappt.

Der Haifischzahn! Vielleicht konnte mich Sailem damit orten?! Mein junger Kollege trat motzend durch die Tür, "Wo bleibst du, Lisa? Willst du mich das alles alleine -"
Seine Augen weiteten sich und er schlug sich die Hand vor den Mund. "Chefin!", schrie er, starrte wie hypnotisiert Richtung Mülleimer, riss sich los und haspelte an seiner Arbeitskleidung herum. "Mein Handy... Mist." Er stürzte in die Küche zurück. Ich hörte wie er in einem einseitigen Gespräch, vermutlich mit seinem Handy, den Zustand unseres Hinterhofs beschrieb. In immer schrillerer Stimmlage folgte die Adresse des Cafés.

Jemand legte mir eine warme Hand auf die Schulter. Jemand hüllte mich in eine Decke. Polizisten begleiteten mich in das Café zurück und stellten mir Fragen.
Ich war wie betäubt und konnte mich selbst und die Polizisten auf der orange bezogenen Bank sitzen sehen, als ob ich über mir schweben würde.
"Sailem." formulierte meine Zunge wie von alleine, "Sein Name ist Sailem. Hat er zumindest gesagt."

Ein Polizist fragte, "Als Sie das Opfer das letzte Mal gesehen haben, war es mit diesem Sailem auf dem Rückweg nach Hause, das war, bevor Sie hier her zurückgekommen sind, ist das so richtig?"
Ich nickte, "Ja." Der Polizist überflog die Papiere, die er während unseres Gesprächs vollgekritzelt hatte. Dann sah er auf, "Vielen Dank für Ihre Hilfe."

Endlich daheim. Ich kuschelte mich aufs Sofa. Ich drückte eine Wärmflasche an meinen Bauch und löffelte Eis. Auch den ganzen nächsten Tag lang. Und auch während der ganzen nächsten acht Tage, die Marta mir ohne zu zögern freigab.

Es roch nach frisch gemähtem Gras. Ich stand in einem Flur. Rechts von mir war eine Rezeption, die Dame dahinter biss sich auf die Lippe und sah in die Ferne. Nicht gut. Ich folgte ihrem Blick. Meine Muskeln zitterten vor Anspannung. Nicht gut, dachte ich wieder, aber ich wusste nicht, warum ich das dachte. Zwei Polizisten schritten den Gang entlang. Zwischen ihnen hielten sie eine ganz in schwarz gekleidete, athletische Gestalt fest. Sailem. Verhaftet. Überrascht hob er den Kopf und sah mich an. Plötzlich sprossen gelbe und rote Blumen aus den Fugen zwischen Boden und Wand und dem Rezeptionstisch.

Sonnenstrahlen drangen durch meinen zugezogenen Rolladen und kitzelten meine Nase. Träge wischte ich mir über die Augen.
Mein Handy klingelte. Hastig schlug ich nacheinander Decke um Decke weg und fischte es unter einem Sofakissen heraus.

Ich sollte zur Polizeistation kommen und das Amulett mitbringen, welches Sailem mir gegeben hatte. An dem Abend, als die Leiche in der Mülltonne aufgetaucht war, hatten sie das Schmuckstück untersucht, jedoch keine Fingerabdrücke oder andere verräterische Hinweise auf die Identität des Schwarzhaarigen gefunden. Man hatte lediglich eine winzige Probe abgekratzt. Als mir der Polizist den Anhänger zurückgegeben hatte, hatte ich überlegt, ob ich ihn nicht einfach wegwerfen sollte. Doch ich hatte ihn in meine Tasche gesteckt und ihn zu Hause an die Garderobe zu meinen Jacken gehängt.

Müde schlurfte ich zum Briefkasten und holte die Zeitung, in die Küche und wieder zum Sofa.
Ich kaute Toast und betrachtete das Foto auf der Titelseite. Es zeigte Sailem in Handschellen. Mörder gefasst, lautete die Schlagzeile.

Ich hielt beim kauen inne. Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken, gleichzeitig drängte sich mir ein Lächeln auf. Hin und hergerissen zwischen Erleichterung und dem Schock weil ich von Sailems Verhaftung geträumt hatte, bevor ich es wusste.

Wenig später fand ich mich auf der Polizeistation wieder. Bei mir waren ein Polizist und eine Dame in einem weißen Laborkittel. Jene sagte, "Wie ich vermutet habe, ist es aus Knochen. Kein Tierknochen, sondern Menschenknochen. Vermutlich eine Rippe." Sie drehte das Amulett etwas, "Ja, ein Stück Rippe."
"Krank... ", murmelte der Polizist kopfschüttelnd, "Das bringt diesem Verrückten lebenslänglich ein."

In mir verkrampfte sich alles. Ich hatte dieses Teil für einen Haifischzahn gehalten!

Die Dame mit den blauen Gummihandschuhen schrieb etwas auf ein Etikett. "Damit ist Ihre Halskette leider ein Beweismittel, tut mir sehr leid."

Leid? Ich war froh, dass ich das Ding los war!
"Natürlich, bitte bitte."

Erleichtert beobachtete ich, wie der Anhänger in eine Plastiktüte rutschte. Igitt. Ich hatte einen menschlichen Knochen angefasst. Bäh. Bestimmt von einem der Mordopfer.

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