Der dritte Tag

"Du - das - Warst du in meinem Traum?"

Er zuckte mit der Schulter. "Wir sollten ihn zurückbringen. Übrigens heiße ich Sailem."

"Du warst in meinem Traum! Wie - warum?"

"Ich wollte Hallo sagen. Es war abzusehen, dass wir uns bald kennen lernen, deshalb dachte ich-"

"Hallo sagen? Das verstehst du unter Hallo sagen? Als du in dem Café aufgetaucht bist, habe ich gedacht, ich werde wahnsinnig! Hättest du den Traum nicht irgendwie netter gestalten können? Auf einer Blumenwiese mit Regenbögen und Einhörnern... "

"In Träume einzudringen ist etwas kompliziert." Er zuckte wieder mit der Schulter.

Echt jetzt?!
"Ich bringe unseren neuen Freund nach Hause. Du gehst am Besten zu deinem Arbeitsplatz zurück, bevor sie noch eine Vermisstenanzeige rausgeben." Sailem nickte der Gasse zu, aus der wir gekommen waren.

"Ich dachte, ich soll dir helfen?"

Er griff unter seinen Mantel und holte einen Anhänger hervor, der an einem roten schmalen Lederband befestigt war. Sailem drückte mir das Schmuckstück in die Hand. Der Anhänger sah wie ein großer Haifischzahn aus und war mit bunten kunstvollen Schriftzeichen bemalt. "Da." Er war unerwartet leicht und weich. "Wenn du mit mir reden willst, leg ihn unter dein Kopfkissen, bevor du schlafen gehst. Dann treffen wir uns in deinem Traum."

Erstaunt starrte ich ihn an. Die Frage "zu dir oder zu mir" hatte sich damit wohl erledigt. Als ich mich gefasst hatte, murmelte ich verständnislos, "Warum gibst du mir nicht einfach deine Nummer?"

Seine Zähne blitzten in einem spöttischen Grinsen auf. Geschmeidig antwortete er, "Ich habe kein Handy. Wenn ich eine neue Spur habe, komme ich zu dir. "

Ich kehrte zu dem Café zurück und erzählte auf Nachfrage meiner Chefin und der Polizei, die Zwei hätten sich zusammengerauft und seien schließlich getrennter Wege gegangen.
Ich hinterließ schlammige Fußabdrücke auf dem Boden, niemandem außer Marta fiel das auf, doch sie warf mir nur einen mitleidigen Blick zu und ließ es auf sich beruhen. Ich half Marta aufzuräumen und wir gingen nach Hause.

Marta ließ das Café vorübergehend geschlossenen und gab uns allen zwei Tage frei, ihr selbst inbegriffen. Meine Chefin versicherte uns, dass es ihr gut ginge, und sie nach den zwei freien Tagen wieder völlig gesund Marzipanfiguren basteln würde.

Die Zeitungen berichteten von dem Unwetter und mehreren Blitzeinschlägen in der ganzen Stadt. Es gab Sachschäden, auf ein Auto war ein Baumstamm gekracht und die Straßenbahn hatte nicht fahren können, weil ein herum fliegender Regenschirm einen Strommasten außer Gefecht gesetzt hatte. Niemand wurde verletzt.

Ein kurzer Artikel handelte von einer Prügelei in unserem Café, zwischen zweier Betrunkenen wie man vermutete. Beide würden deswegen von der Polizei gesucht.

Als ich am dritten Tag nach diesem Vorfall in der Arbeit erschien, blitzte die Sonne hervor und die Wolken wurden von einer lauen Brise davongeweht.

Der Tag verlief nach seinem gewohnten Gang, Marta lachte viel, plauschte mit den Gästen während ich höflich lächelnd durch das Café huschte und Kaffee und Kuchen verteilte.

Insgeheim warf ich immer wieder einen Blick aus dem Fenster und wartete auf das Erscheinen des Schwarzhaarigen im Mantel.

"Hilfst du bitte hinten in der Küche?", rief Marta am frühen Abend. Abwaschen, Gläser und die Arbeitsfläche putzen, Häppchen richten. Kaum betrat ich den weiß gefliesten Raum, zeigte mein junger Kollege, der gerade ein Tortenstück anrichtete, auf die Mülleimer.
Ich packte alles zusammen und verließ durch die Hintertür die Küche. Ich trug den durchsichtigen Müllbeutel vor mir her und öffnete umständlich die Tür.

Von dem kleinen Hinterhof konnte ich über die Zäune die Abenddämmerung sehen, frischer Wind wehte Haare vor meine Augen, die Müllcontainer funkelten trotz des Rosts in der untergehenden Sonne. Ich machte zwei Schritte und blieb abrupt stehen.

Aus der runden rostigen Mülltonne spähte ein Kopf. Der Kopf eines Mannes. Die Beine und Arme baumelten über den Rand, als hätte er sich in die Mülltonne gesetzt und wäre eingesunken bis der Oberkörper gegen die Beine gequetscht wurde. Sein weißes Hemd war zerrissen und mit roten Flecken gesprenkelt. Blut und Gedärme quollen in seinen Schoß, die Rippen waren freigelegt. Er hatte blondes Haar.

Ich ließ den Müllbeutel fallen, stützte mich an der Wand ab und übergab mich. Meine Gedanken raßten zu Sailem. Er hatte mich angelogen. Er hatte den Blonden nicht nach Hause gebracht. Nein, er hatte ihn ermordet.

Und er hatte mir versprochen, für mich zurück zu kommen.

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