III

Kapitel 1

Anna, Neuzeit

Der Bass vibrierte in meinen Gliedern und befeuerte meinen Herzschlag. Mit beiden Händen hob ich mein langes Haar an, das bereits jetzt an meinem Nacken klebte und verfluchte meine Eitelkeit; ärgerte mich über mich selbst, keinen Haargummi mitgenommen zu haben. Dass auf der Hausparty so viel los war und das Gedränge in den Räumen groß, half auch nicht gerade dabei, meiner überhitzten Haut etwas Abkühlung zu verschaffen. Instinktiv stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Ich brauchte jetzt dringend entweder frische Luft oder etwas Neues zu trinken. Darauf bedacht, niemanden anzurempeln, bahnte ich mir deshalb langsam einen Weg durch die tanzenden und flirtenden Leiber. Vorbei an einem ineinander verkeilten Pärchen, das sich gegenseitig die Zunge in den Hals steckte. Ein Stich fuhr in mein Herz und sorgte dafür, dass es für einen Moment aus dem Takt geriet. Zu der Hitze meiner Haut gesellte sich Schmerz. Ein scharfer Schmerz, der immer dann aufwallte, wenn mein dummes Herz ein weiteres Mal erkennen musste, dass mich der Junge, in den ich mich verliebt hatte, niemals bemerken würde. Und selbst wenn – ich würde doch nie mehr für ihn sein als all die anderen Mädchen, mit denen er Party für Party herumknutschte. Ich schluckte schwer und wandte dann den Blick ab.

Erleichtert stieß ich die Verandatür auf und atmete einmal tief durch. Lies die kühle Nachtluft mit geschlossenen Lidern in meine Lungen strömen und bemühte mich, meine Gedanken an Aaron ganz weit wegzuschieben. In den hintersten Winkel meines Kopfes. Ein Atemzug reihte sich an den nächsten. Wieder und wieder. Langsam öffnete ich meine Augen wieder und atmete weiter. Einfach weiter, den Blick zum Nachthimmel über mir emporgerichtet. Der Mond schien hell und klar auf mich herab und überzog meine nackte Haut mit einem leichten Schimmer.

*

,,Woran denkst du?"

,,Hmm." Ich machte keine Anstalten mich umzudrehen, um zu sehen, wer mich angesprochen hatte. Ich fühlte mich gerade noch zu entspannt, war einfach zu sehr gefangen vom Anblick der glitzernden Sterne. Erst ganz allmählich wanderten meine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Lösten sich von dem merkwürdigen Brief, der vor ein paar Tagen auf meinem Schreibtisch gelegen hatte. Ich konnte mir selbst nicht erklären, wieso ich ausgerechnet jetzt an ihn hatte denken müssen. War er mir bis vor ein paar Stunden noch völlig unwichtig erschienen, so nagte nun eine befremdliche Unruhe an mir, wenn ich an ihn dachte. Was wohl drin stand? In dem Brief? Und wieso er wohl ausgerechnet bei mir eingeflattert war?

Das Holz knarrte und gab ein wenig nach, als sich jemand mit etwas Abstand neben mich auf die Stufen der Veranda setzte.

Erneut nahm mich die Stille und Kühle der Nacht gefangen. Gemächlich ließ ich mich nach hinten sinken; meine Beine baumelten locker in der Luft, meinen Kopf bettete ich auf meine verschränkten Arme. Erneut verlor ich das Gefühl für die Zeit, die verging, während ich hier draußen, das Gesicht zum Nachthimmel gewandt, einfach nur dalag. Atmete. Meine Gedanken schweifen ließ.

Erst als das Holz ein weiteres Mal nachgab und leise knarrte, erinnerte ich mich wieder daran, dass ich inzwischen nicht mehr alleine war. Es dauerte einen Moment, bis ich mich außerdem daran erinnerte, dass mir jemand eine Frage gestellt hatte. Bis auch die Partygeräusche von Drinnen wieder in mein Bewusstsein drangen.

,,An alles und nichts", antwortete ich schließlich. Ein Wimpernschlag verging. Ein zweiter. Ein dritter. ,,Und du? Wieso bist du hier draußen gelandet?" Neugierig, was mein Gegenüber wohl sagen würde, richtete ich mich auf, stützte das Kinn auf meine linke Hand, das Gesicht ihm zugewandt.

Das Mondlicht legte sich wie ein zarter Schimmer auf seine Gesichtszüge. Versah seine Augen mit einem kaum wahrnehmbaren Glitzern. Doch genau in dem Moment, in dem seine sinnlichen Lippen zu einer Antwort ansetzten, gab es einen lauten Schlag. Die Verandatür wurde aufgestoßen und Mirjam schob sich durch den Rahmen. Der Bass eines Techno-Stücks und betrunkenes Lachen waberten nach draußen und zerstörten die friedvolle Atmosphäre. Stahlen uns diesen Moment, den wir hätten haben können. Brachten mich um eine Antwort, die ich gerne gehört hätte. Um ein nächtliches Gespräch, das ich gerne geführt hätte.

,,Da bist du ja, Anna! Ich hab dich schon überall gesucht!"

Ich verkniff mir einen Kommentar darüber, dass ich mich für gewöhnlich nicht im Rachen ihres immer-wieder-mal-Freundes verkroch.

,,Kommst du mit? Ich hab Lust zu tanzen und mich ein bisschen zu gruseln."

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