Kapitel 2

~Lucielle~

Es waren nun schon einige Tage vergangen, seitdem ich am Straßenrand wieder erwacht war. An alles, was unmittelbar danach geschah konnte ich mich nicht mehr erinnern.

Dabei fraß mich die Unwissenheit förmlich auf, da mir der Blick in den Spiegel am nächsten Morgen einen großen Schock bereitet hatte. Denn mir schaute nicht mehr das Mädchen mit den hellblonden Haaren und strahlend blauen Augen entgegen, nein, mein Spiegelbild zeigte mir helle, fast Platin gefärbte Haare und Augen, welche am äußeren Rand der Iris einen Hellen Streifen besaßen, der nach innen hin aber immer mehr an Intensität verlor und bläulicher wurde.

Diese Veränderung meines Erscheinungsbildes war auch Soraya nicht entgangen, da sie immer versuchte mich darauf oder auf meine kratzbürstige Art anzusprechen. Da wären wir auch schon bei meinem nächsten Problem, ich hatte fast durchgängig schlechte Laune und bei jeder Kleinigkeit drohte ich an die Decke zu gehen. Außerdem genoss ich die Einsamkeit und somit auch die Stille noch mehr als sonst.

Frustriert schüttelte ich den Kopf, als mir klar wurde wie schlecht ich mich meiner Zwillingsschwester gegenüber verhielt. Dabei war sie für mich das wichtigste in meinem Leben, doch immer, wenn ich nun in ihrer, oder allgemein der von anderen Menschen, Nähe war, hatte ich das starke verlangen ihr an die Kehle zu springen und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Plötzlich packte mich ein unglaublicher Hass auf mich selbst. Was für eine schlechte Schwester war ich eigentlich? Fragte ich mich und merkte langsam, wie eine unbekannte Wut besitz von mir ergriff. Wieso konnte ich mich nicht einmal wie eine gute Schwester verhalten? Regte ich mich weiter auf, als ich sah, wie mein Sichtfeld einen rötlichen Ton annahm und merkte, wie mir langsam die Kontrolle über meinen eigenen Körper entrissen wurde. Womit hatte ich sie verdient? Stellte ich mir eine weitere Frage, die mir sowieso niemand beantworten würde. Aus Frust darauf nahm ich den Stuhl meines Schreibtischs in die Hand und schmiss ihn in die nächste Ecke meines Zimmers.

Da diese Tat mir weder Antworten noch die Genugtuung gab, die ich brauchte, packte ich kurzerhand mein Bücherregal und kippte es um. Begleitet von einem lauten poltern verteilten sich so alle Bücher und der restliche Inhalt des Schrankes auf dem Boden, was meine Wut nur noch mehr steigerte.

Kurz darauf vernahm ich schnelle Schritte im Flur vor meinem Zimmer, sah dann, wie die Tür geöffnet wurde und Soraya im Türrahmen erschien. Als sie das Chaos in meinem Zimmer bemerkte weiteten sich ihre Augen schockiert und sie schaute mir fassungslos entgegen.

„Was ...?" Stammelte sie vor sich hin und öffnete ihren Mund immer wieder, wie ein Fisch der vergeblich versuchte zu Atem zu kommen.

„Lass mich in Ruhe!" Pampte ich sie an „Geh weg!" fügte ich wütend hinzu. Da war sie wieder, meine unkontrollierte Art, mit welcher ich meine Schwester unbeabsichtigt verletzte, doch in solch einer Situation war ich nicht mehr in der Lage mein Handeln selbst zu bestimmen und war von meiner Wut gesteuert.

„Was ist mit dir los? Wieso bist du so?" Wollte sie jedoch wissen und trat demonstrativ einen Schritt weiter in mein verwüstetes Zimmer.

Wieso musste sie sich in meine Angelegenheiten reinhängen? Ich kam allein zurecht! Ich brauchte sie nicht!

„Du sollst gehen!" Gab ich mit mehr Nachdruck zurück und presste meine Zähne aufeinander. Ich war schon lange nicht mehr so wütend gewesen.

„Ich gehe nicht, du sagst mir jetzt was hier verdammt nochmal los ist!" Antwortete sie mir überzeugt und stemmte ihre Hände in die Hüften.

Durch ihr stures Verhalten stieg meine Wut noch weiter ins unermessliche, wodurch ich mich nicht mehr im Zaum halten konnte und ungebremst auf sie zu lief. Dabei war ich dazu gezwungen über mehrere Gegenstände auf dem Boden zu steigen, um mir nicht selbst das Genick zu brechen. Als ich bei ihr ankam hielt ich sie an ihren Oberarmen fest und drückte sie gegen eine freie Stelle der Wand hinter ihr.

Geschockt hatten sich ihre Augen geweitet, aus welchen sie mir nun ängstlich und eingeschüchtert entgegenblickte. „Was, .... Was bist du? Was hast du mit meiner Schwester gemacht?" Fragte sie mich flüsternd und schaute mir verwirrt entgegen, doch ich erkannte da noch was in ihren Augen. War das Angst? Angst um sich oder um mich, um ihre Schwester? Fragte ich mich im Stillen.

Doch schon im nächsten Moment lachte ich verbittert auf ihre Aussage auf. Ich war ihre Schwester!

„Ich bin es! Mit Leib und Seele." Antwortete ich ihr und wartete gespannt ihre Reaktion ab. Als sie meine Worte verarbeitet hatte und ihr langsam der Sinn dahinter bewusst wurde, weiteten sich ihre Augen noch ein Stück mehr, wenn das überhaupt ging.

„Nein!" Hauchte sie fassungslos, während sie vehement ihren Kopf schüttelte und mir stur entgegen schaute. „So ist Lucielle nicht!" Fügte sie hinzu und wurde immer lauter „Sie ist nicht so unfreundlich wie du!" sprach sie weiter und schrie nun fast aus ganzem Hals, während sie versuchte sich aus meinem Griff zu lösen. Doch dies ließ ich nicht zu und verstärkte meinen Druck noch etwas mehr. Ich war in letzter Zeit echt stärker geworden.

Erschrocken über ihre plötzliche Lautstärke hielt ich ihr schnell meine Hand auf den Mund, damit sie endlich leise war und unsere Eltern nicht noch auf uns aufmerksam machte. Es war sowieso ein Wunder, dass sie den Lärm hier oben noch nicht wahrgenommen hatten.

„Sei still!" zischte ich deshalb sauer und drückte meine Hand noch fester auf ihr Gesicht, währenddessen sie versuchte aus meinem Griff loszukommen. Wieso konnte sie nicht einfach still sein und sich beruhigen? Fragte ich mich überfordert. Aus diesem Grund schloss ich auch meine Augen und versuchte wieder klar im Kopf zu werden. Das heißt, so klar wie ich nur werden konnte, denn angesichts meiner aktuellen Situation war ich das nicht so ganz.

Auf einmal spürte ich einen plötzlichen Schmerz in meiner Handinnenfläche, welche ich auf Sorayas Gesicht gepresst hielt. Schockiert zog ich diese zurück, als mir klar wurde, dass sie mir in die Hand gebissen hatte.

„Wieso machst du das?" Fragte sie mich verletzt, während Tränen in ihren Augen schimmerten und sie sich, mit dem Ärmel ihres T-Shirts, ihren Mund abwischte, an welchem etwas Blut klebte. Wie fest hatte sie bitte zugebissen, dass meine Hand davon blutete? Wunderte ich mich.

Aber gleich darauf überkam mich erneut die ungeheure Wut. Wie konnte sie es wagen mich zu beißen?! Ungebremst packte ich sie wieder, als ich vollends die Kontrolle über mich selbst verlor.

Bei meiner Schnelligkeit, die selbst ich nicht von mir gewohnt war, brachte ihr selbst ihr erbärmlicher Fluchtversuch nichts mehr, weshalb ich sie kurz darauf auf den Boden drückte und aus rotglühenden Augen betrachtete. Wieder einmal überkam mich das Verlangen sie zu beißen, als ich den süßen Duft ihres Blutes wahrnahm und ihr Herz hilflos schlagen hörte. Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten, als ich mich, wie ein hungriges Raubtier, zu ihr hinunter beugte und grob in ihren Hals biss. Fast sofort nahm ich den metallischen Geschmack ihres Blutes in meinem Mund war und fing gierig an weiter zu saugen.

Nach einiger Zeit ließ dann auch ihr wildes Gestrampel nach, bis sie nur noch zitternd auf dem Boden lag und alle Abwehr fallen gelassen hatte. Kurz darauf entfernte auch ich mich wieder von ihr und leckte mir hungrig die Überreste ihres Blutes vom Mund.

Erschöpft schaute Soraya mir aus müden Augen entgegen, als sie diese auch schonwieder schloss und nichtmehr öffnete. Was war los mit ihr? Fragte ich mich verwirrt und rüttelte an ihrer Schulter. Erfolglos. Panisch legte ich meinen Kopf auf ihre Brust und horchte angespannt nach ihrem Herzschlag, der zum Glück auch leise und schwach seinen Rhythmus trommelte.

Beruhigt richtete ich mich wieder auf und stellte mich neben sie. Dabei legte sich langsam der Nebel in meinem Kopf und ich erwachte aus meinem Rausch. Was war geschehen? Fragte ich mich schockiert, als ich meine leblose Schwester ansah und das viele Blut um sie herum bemerkte. Was hatte ich getan?

Fassungslos ließ ich mich wieder neben meiner Schwester zu Boden gleiten und strich ihr mit zitternden Fingern eine Strähne ihres langen blonden Haars aus dem Gesicht. Ihre Haut war unnatürlich blass und ihren Hals zierten zwei kleine Stiche, aus welchen noch immer etwas Blut floss.

Ja, ich war eine schreckliche Schwester. Ich war die schrecklichste von allen! Dachte ich verbittert, als mir eine Träne die Wange hinunter kullerte und ich Soraya unter ihrem Rücken und den Beinen packte. Wenn sie schon sterben sollte, dann wenigstens gemütlich und nicht auf dem kalten Boden. Stellte ich fest und trug sie hinüber zu meinem Bett, auf welches ich sie schließlich legte und vorsichtig zudeckte.

Mittlerweile weinte ich wie ein Schlosshund und griff zitternd nach ihrer Hand, welche ich fest umklammerte. Vielleicht würde sie ja doch noch erwachen. Hoffte ich im Stillen und ließ mich neben ihr zu Boden sinken. Ich würde bei ihr bleiben, das war ich ihr schuldig.

-----------------------------

Hey Leute,

jetzt ist es also schon soweit. Unsere liebe Soraya stirbt und das nur wegen ihrer Zwillingsschwester Lucielle.

Wie fandet ihr das Kapitel? Habt ihr irgendwelche Tipps?

LG Rue

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top