Kapitel 10 - Teil 2
Plötzlich wurde ich durch einen lauten Türknall aus meinem Schlaf gerissen und schreckte auf. Als ich mich kurz orientierungslos in dem kleinen Raum umsah, erkannte ich meine Schwester Sora, welche vor unserer Zimmertür stand und mich erschrocken anblickte. "Tut mir leid. Vorhinst habe ich das Fenter geöffnet und dann gerade den Zug unterschätzt. Ich wollte dich nicht wecken." sprach sie entschuldigend. "Ist schon okay, wir wollten ja sowieso noch raus gehen." Antwortete ich ihr und suchte zeitgleich mit meinen Augen nach einer Uhr im Zimmer, welche ich dann auch auf meinem Schreibtisch fand. "Es ist schon nach 12 Uhr." stellt ich fest und stand anschließend flink auf. "Lass uns gleich los gehen, bevor sie alle Unterrichtsschluss haben und wir uns nichtmehr ungestört umsehen können." meinte ich und lief zu meiner Schwester, welche die Tür erneut öffnete. "Ja, komm. Lass uns losgehen." aufgeregt nickte sie bestätigend zu ihrer Aussage und schloss die Tür hinter sich, nachdem wir den Flur betreten hatten.
Langsam gingen wir den langen Gang entlang, der von vielen Türen geziert wurde, auf denen die unterschiedlichen goldenen Ziffern für die Zimmernummern angebracht waren, und an dessen Wände Portraits und Gemälde von Personen und Landschaften hingen. Sachte strich ich mit meinen Fingern über einen filikran gearbeiteten Rahmen eines alt aussehenden Bildes, auf welchem ein eindrucksvoller Mann mit königlicher Robe abgebildet war. Ohne groß auf die Person an sich zu achten, bewunderte ich den alten, vergoldeten Rahmen, der unglaublich aufwendig gearbeitet aussah. Für solche Dinge hatte ich mich schon immer interessiert. War es nicht unglaublich, was man alles so fertigen konnte? Ich selbst hatte mich auch schon an den unterschiedlichsten Handarbeiten versucht, aber gerade das Schnitzen fiel mir besonders schwer, da meine Werke danach immer etwas verkorks aussahen. Aber was solls? Schließlich kann einem ja nicht alles liegen.
Durch das aufgesetzte Räuspern meiner Schwester wurde ich aus meinen Bewunderungen gerissen und schaute ertappt zu ihr. Sie hatte für solche Dinge nicht sehr viel übrig, weshalb es auch kein Wunder war, dass sie nun etwas ungedultig dreinschaute. "Ich komme ja schon!" Meinte ich versöhnlich und holte den Abstand auf, der zwischen uns entstanden war, da sie erst ein paar Schritte später stehen geblieben war. "Wenn wir so weiter machen werden wir nie fertig." Sprach sie belustigt und schüttelte leicht den Kopf. Leicht nickte ich und lächelte ihr breit entgegen. Dieser Ort war einfach unglaublich!
Als wir die Treppe nach unten genommen hatten standen wir in einem großen Eingangsbereich, wovon eine Tür zu einem weiteren Flur wegführte, auf welchem die Zimmer der Jungen lagen, was ein Schild verdeutlichte, und zum anderen ermöglichte eine große Eingangstür das Gebäude zu verlassen und den Hof zu betreten. Nachdem wir noch einmal kurz den Flur der männlichen Vampire von weitem abgecheckt hatten und dabei zu dem Entschluss kamen, dass es da nicht viel anders aussah als bei uns oben, verließen wir unser jetziges Wohnhaus durch die Eingangstür und standen nun draußen im Dunkeln, wo nur eine kleine Lampe über der Tür etwas Licht spendete und den Weg ein Stück weit erleuchtete. Neugierig gingen wir los, nachdem wir uns kurz ermutigend zugenickt hatten.
Normalerweise liefen wir nicht einfach so mitten in der Nacht durch die Weltgeschichte. Dachte ich und lächelte leicht, als ich an mein naives Menschenich zurückdachte. Das hieß nicht, dass ich jetzt besser war, aber damals dachte ich wirklich, dass keine Fabelwesen existierten. Spöttich lachte ich einmal auf, als ich daran zurückdachte. Hätte ich nicht selbst irgendwann die unnormalen Kleinigkeiten in meinem Alltag bemerkt, dann würde ich Cayden noch immer für verrückt halten. Appropo Cayden, wo war der eigentlich? Als er vorhinst unsere Koffer weg geschafft hat, ist er danach nichtmehr aufgedaucht.
"Hörst du das? Das klingt wie rauschendes Wasser." Sprach Soraya und unterbrach so meine Gedankengänge. Neugierig spitzte ich meine Ohren und lauschte in die Dunkelheit. Tatsächlich. Das hörte sich an, wie wenn der Wind leichte Wellen an das Ufer drückte. "Lass uns da mal hingehen." meinte ich zu ihr und verließ anschließend mit ihr zusammen den Weg, auf welchem wir bisher gegangen waren. Wenn ich das richtig sah, waren wir gerade auf dem gepflasterten Stück vor dem Zentralgebäude angekommen, zwischen dem die Wege des Wohngebäudes der Feen und dem der Hexen zum Hauptgebäude führten.
Während wir immer weiter in die Richtung des vermeindlichen Sees liefen, raschelte das Gras unter unseren Füßen und wir hörten immer mehr Tiere der Nacht im nahe gelegenen Wald. Inzwischen war die Luft schon deutlich kühler geworden und es wehte ein leichter Wind, der uns die Haare aus dem Gesicht blies. Aber trotzdem war mir nicht kalt und das obwohl ich nur ein einfaches T-Shirt trug. Das lag bestimmt auch an dieser Vampirsache. Nachdem wir einen kleinen Hügel überschritten hatten, konnten wir nun auch einen kleinen See erkennen, der eingegrenzt vom Wald fröhlich vor sich her schwappte.
Erfreut jauchzte Sora auf und hüpfte vergnügt zu diesem hinab. Belustigt schüttelte ich den Kopf bei dem Anblick meiner Schwester, welche sich manchmal einfach wie ein kleines Kind benahm und nicht wie eine 17-jährige.
Als ich neben ihr ankam setzte ich mich ebenfalls neben sie in das Gras und schaute auf die leicht hin und her schaukelnde Wasseroberfläche. Schon allein dieser Anblick versetzte einen in einen angenehm ruhigen Zustand.
"Ist das nicht unglaublich?" Fragte Sora schließlich bewundernd und schaute mich von der Seite aus an. "Ja, das stimmt schon. Damit hätte ich nie im Leben gerechnet. Aber du weisst, dass das jetzt eine echt große Umstellung wird." Gab ich ihr recht und spielte auch auf unseren zukünftigen Alltag hier an. Denn es würde sicherlich anstrengend werden und wir kannten auch noch nicht wirklich jemanden. Verstehend nickte sie und wande sich wieder dem Wasser zu.
Plötzlich bemerkte ich im Augenwinkel eine Bewegung, welche nicht von Sora kam, und erblickte beim genaueren hinschauen etwas weiter weg ein paar Personen. Leicht stupste ich Sora einmal an und machte sie ebenfalls auf diese Aufmerksam, da sie gerade noch vertreumt auf das Wasser geschaut hatte. Nun erkannte ich auch, dass es sich dabei um drei Jungen handelte, die etwas älter als wir sein sollten. "Was machen die hier? Haben die nicht Schule?" Fragte mich Sora nun leise im Flüsterton und behielt die Jungen dabei noch immer im Blick. Ratlos zuckte ich mit den Schultern "Keine Ahnung. Vielleicht haben sie eine Freistunde." meinte ich dann und wand meinen Blick wieder von ihnen ab.
Nach einer kurzen Schweigepause, in welcher lediglich das Lachen der Jungen zu uns rüber schallte, stellte ich ihr schließlich eine Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigte. "Hast du eine Ahnung, wie das jetzt eigentlich mit dem Essen wird? Ich meine, wir müssen ja jetzt bestimmt auch Blut drinken." Als sie mir nicht antwortete schaute ich dann doch noch einmal zu meiner Schwester auf, welche wie gebannt zu den Jungen starrte. "Hallo!?" Stupste ich sie leicht an und wedelte mit meiner Hand vor ihrem Gesicht herum, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. "Uhm? Hast du was gesagt?" Plötzlich aus ihrem starren gerissen, schaute sie verwirrt zu mir. "Nein. Alles gut. Wollen wir los? Der Tag war echt anstrengend und morgen brauchen wir sicher viel Energie für unseren ersten Unterrichtstag." Verneinte ich schließlich und lächelte sie wissend an. Allerdings fiel mir auch gleich ein Fehler in meinem geradigen Satz auf. Müsste das jetzt nicht viel eher Unterrichtsnacht heißen? Fragte ich mich verwirrt und schüttelte belustigt den Kopf. Wie dem auch sei, wir werden trotzdem genug Energie dafür brauchen.
"Okay, dann los." meinte sie zustimmend und erhob sich von der Wiese, wonach sie mir hilfsbereit ihre Hand entgegen hielt, welche ich dann auch annahm und mich von ihr hochziehen ließ. Nebeneinander gingen wir nun zu unserem Wohngebäude und hingen jeder für sich ihren eigenen Gedanken nach.
"Hast du den einen, mit den dunklen Haaren, gesehen?" Fragte sie mich schließlich und spielte damit wohl auf den einen Jungen an, welchen sie soeben angestarrt hatte. Ich wusste doch, dass ihr einer wohl gefallen hatte. "Keine Ahnung, so genau habe ich sie mir nicht angeschaut." Meinte ich und guckte sie bedauernt an, denn ich hätte gerne gewusst, wer ihr so gut gefällt. Schließlich war sie meine Schwester und in solchen Liebesangelegenheiten wollte ich ihr gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Während wir den restlichen Weg vom See zu unserem neuen Zuhause auf der Akademie zurück gingen, erzählte sie mir ununterbrochen von dem 'heißen Typen', wie sie gerne betonte. Als wir dann endlich das Haus der Vampire erreichten, war ich dementsprechend schon um einiges schlauer und wusste nun zum Beispiel, dass er ziemlich groß und muskulös gebaut war, dunkelbraune Haare hatte, die ihm teilweise wirr im Gesicht hingen und an den Seiten kurz geschnitten waren, seine Augen die dunkelblaue Färbung des Wassers bei Nacht hatten und er die angeblich schönste Lache auf der ganzen Welt hatte. Ich hoffte für sie einfach, dass sie seinetwegen nicht verletzt wird und nicht ihr blaues Wunder erlebt, wenn sie ihn wirklich kennenlernt.
In unserem Zimmer angekommen machten wir uns erstmal Bettfertig und gingen dann noch einmal kurz in das Gemeinschaftsbad, welches auserhalb des Zimmers lag und wohin wir erstmal den Flur ein Stück entlanggehen mussten. Zu meinem Leid war es tatsächlich ein Gemeinschaftsbad wie man es kannte, als mit Gemeinschaftsduschen und ordentlich in einer Reihe an der Wand aufgereihten Waschbecken, welche vor einer langen Spiegelzeile angebracht waren. Frustriert nahm ich diese negative Tatsache hin und machte mich fertig, wonach ich mit Sora wieder in unser Zimmer ging.
Der Tag war definitiv zu anstrengend gewesen, um sich jetzt über etwas wie das Bad aufzuregen.
"Gute Nacht Luci." meinte Sora schließlich, als wir beide schon in unseren Betten lagen und einen Wecker passend zu beginn unserer morgigen Schulnacht gestellt hatten. "Nachti." Gab ich zurück und fiel langsam in einen tiefen Schlaf, welchem sich dieses mal noch ein wehemendes Hungergefühl beimischte. Spätestens am morgigen Tag würden wir wohl nicht um unsere erste Vampirmahlzeit kommen.
Während wir schliefen bekamen wir nichts von den erneuten Geräuschen auf dem Gang mit, als die anderen Schüler vom Unterricht zurückkehrten und ihre Freizeit genossen.
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So, das war es jetzt auch mit dem zweiten Teil des 10ten Kapiels.
Ich hoffe es hat euch gefallen.
LG Rue ^-^
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