1 - Laurie
Schon wieder eine neue Stadt; schon wieder eine neue Schule. Meine Eltern glauben wohl, es würde sich dadurch etwas ändern. Ich bin, wie ich bin - ein Freak! Das ändert sich nicht, wenn man eine Stadt weiter zieht. Allmählich erinnern sie mich an Wanderheuschrecken. Sie ziehen weiter, wenn es nichts mehr zu fressen - oder in ihrem Fall: nichts mehr zu korrigieren - gibt.
Okay, sie versuchen, mich vor schlechtem Einfluss zu bewahren. Dabei geht der schlechte Einfluss von mir aus! ICH bin der schlechte Einfluss - aber das haben sie noch nicht kapiert. Meine Eltern: Vater, 48, Versicherungsagent, Chicago Cubs Fan, attraktiver Langweiler mit Potenzial. Mutter, 43, Lehrerin, Nichts-Fan, langweilige Besserwisserin ohne Potenzial.
Wen wundert's, dass aus mir ein Freak wurde, der auf alles steht, was übernatürlich ist. Mein Vater zum Beispiel, könnte ein Botschafter einer fremden Galaxie sein; oder ein Gestaltwandler, der seine Kräfte noch nicht entdeckt hat. Meine Mutter könnte ... ein Lexikon sein.
Seit einigen Jahren mache ich auf Gothic. Schwarze Augen, schwarze Lippen, weisse Haut - überall Totenköpfe. Als ich mir die Haare schwarz habe färben lassen, hat meine Mutter durchgedreht; mein Vater gelacht. Ob sie mich so an dieser Schule haben wollen? An den Namen des Kaffs kann ich mich nicht erinnern. Irgendwo in Montana, wen interessiert's.
Wenigstens haben die hier kein berühmtes Footballteam - so wird mit den Jungs besser auszukommen sein. Wenn ich eines nicht ausstehen kann, dann sind das die aufgeblasenen Sportgockel, wie sie an anderen High-Schools rumlaufen. Diese selbstverliebten Dummköpfe könnte ich alle auf den Mond schiessen, aber dann hätte ich Zoff mit Greenpeace und wer will das schon.
Ausserirdische Dinge finde ich auch ganz cool, obwohl die meisten Bücher darüber Schrott sind. Alle Berichte von fliegenden Untertassen und anderen Ufos gründen auf der Annahme, eine ausserirdische Existenz könnte allenfalls Interesse an unserem Planeten haben. Und diese Idee wiederum kommt daher, dass der Mensch sich für einzigartig hält - ist irgend so ein Bibelquatsch, den Menschen vor zweitausend Jahren in ein verstaubtes Buch geschrieben haben.
Wenn eine Spezies in der Lage sein wird, sich der Erde und ihren primitiven Lebewesen - mal abgesehen von den Bakterien und Viren - zu nähern, dann werden sie hier nichts suchen, das ihnen wertvoll erscheinen könnte. Ausser vielleicht Wasser - doch der Mensch arbeitet gewissenhaft daran, auch diesen Rohstoff zu versauen.
Aber ich schweife ab - ich wollte mich doch vorstellen; für die neue Schule - ätzend! Also: Mein Name ist Laurie Jones (aber Sie dürfen mich Luzie nennen), ich bin sechzehn Jahre alt und möchte gerne auf Ihre Schule dürfen (na ja, müssen). Ich mag Naturwissenschaften, Mathematik, Kunst und Literatur. Ich bin ziemlich schlecht in Sport. Jede Musik unter zweihundertfünfzig BPM gilt als Schlafmusik und klassische Musik wurde erfunden, um elitär denkende Weisse von lebensfrohen Menschen abzuheben. Line-Dancing ist ein anderer Name für ein Brechmittel.
Ah nein, das darf ich ja dann nicht sagen. Ich drehe durch!
"Laurie, Schatz, wir müssen zur Schule!"
Meine Mom. Damit auch alle wissen, wovon ich geredet hab. "Ich komm ja schon, eine Minute!" - Los geht's - wieder eine neue Schule.
***
Meine Mom hält ihren Toyota Hybrid vorschriftlich auf dem Besucherparkplatz an. Einzelne Gesichter drehen sich zu uns und gleich danach desinteressiert wieder weg. Hinter uns stoppt ein klassischer Mustang im Halteverbot, eine Blondine entsteigt ihm, elfenhaft. Sie schwebt dem Eingang zu und die Jungs fallen reihenweise um - Männer!
Das wäre ein Auftritt nach Mass gewesen. Aber hier klettert ein schwarz gekleidetes Gothic-Girl aus einem Toyota Hybrid. Peinlich genug.
"Mach's gut, mein Schatz. Kriege ich einen Kuss?"
Zur Antwort schmettere ich die Türe zu, als sei es ein alter VW Beetle. Onkel Bill hätte mich wenigstens in seinem getunten 52er Chevy Truck zur Schule gefahren; das hätte Stil, wie die Elfe im Mustang - aber Mütter verstehen nichts davon.
Teeniemässig schleiche ich gegen die Treppe. Wenigstens rempelt mich niemand an, die meisten gucken bloss mit grossen Augen und machen dann einem Bogen um mich herum, was ich mag. Ich bin gerne allein und am liebsten in der Masse drin, dann falle ich weniger auf.
Das Schulgebäude ist hässlich. Typischer Fertigbau aus den Siebzigern. Im Innern sieht es aus wie an allen High-Schools auch. Links befinden sich die Spints, rechts die Klassenzimmer. Oder umgekehrt, wer weiss das schon - kommt auf die Richtung an, in welche du gehst. Büro 66, Rektorin. Na, wer sagt's denn - ich habe es gefunden. Die Blondine aus dem Mustang sitzt noch drin. Genervt lasse ich mich auf einen billigen, unbequemen Stuhl fallen, Schultern nach vorne geknickt, rücken eingefallen - so wie alle in meinem Alter.
Eine alte, wenig attraktive Sekretärin mustert mich. "Du bist wohl die Neue. Laurie Jones, richtig?"
Na, so was - sie kann lesen. "Ja, Mam, das bin ich. Ich soll zur Rektorin." Smile wie das Kleinkind an Weihnachten.
"Tut mir leid, Kleine, du musst noch warten. Eure neue Geschichtslehrerin ist da drin."
Die Blonde mit dem Mustang? Lehrerin? Geil! Mom könnte doch auch so sein - ach nee, der Mustang fehlt. Schade. Die Türe öffnet sich, die Elfe schwebt raus. Sie guckt mich an und ein Blitz schiesst durch meine Adern! Ihre Augen sind nicht von dieser Welt. Ihr Blick durchdringt mich wie ein heisses Messer die gefrorene Butter. Wow. Es ist, als ob sie in einer Hundertstelsekunde mein ganzes Wesen erfasst hätte. Zurück bleibt ihr Parfüm: herb mit leicht süsslichen Noten, Rosmarin, Vanille, Caramel. Ich mag sie - ich will unbedingt Geschichte belegen!
"Du kannst jetzt rein, Kleine."
Nenn mich noch einmal Kleine und ich erwürge dich mit deinen Krampfadern, alte Schnepfe. "Vielen Dank, Mam" - Zuckerhoniglächeln. Dann betrete ich das Büro, in welchem noch immer der Geruch der Blondine schwebt, durchmischt von anderen Noten; Lavendel, Rose, Kakao - das muss die Rektorin sein.
"Hallo, Laurie, ich bin Miss Franklin. Willkommen an unserer Schule."
Sie reicht mir die Hand. Zum zweiten Mal heute fährt ein Blitz durch meinen Körper, als befände ich mich in einem überirdischen Gewittersturm. Was immer Miss Franklin ist - eine menschliche Frau ist sie nicht. Und zum ersten Mal heute freue ich mich echt auf meine neue Schule! Das wird ein Spass.
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