Bluts-Rose
* * *
Das Weinglas splitterte, als es gegen die Wand schellte und sich der gesamte Inhalt mit einem Schwall über die weiße Tapete ergoss. Die Form des Flecks ließ mich stark an eine große Rose denken, eine, die ihre feinen Blütenblätter sanft der Abendsonne entgegenreckte, um auch den allerletzten Lichtstrahl vor Einbruch der kalten Nacht zu ergattern. Während die Scherben klimpernd wie Eiszapfen im Wind auf den Boden klirrten, lief die dunkelrote Flüssigkeit langsam hinab und zerstörte das schöne Bild des Gewächs. Stattdessen wirkte sie jetzt verzerrt und verschmiert.
Geradezu bizarr.
Während Lucian meinen Vater noch immer wutentbrannt mit seinen Blicken durchbohrte - den Arm nach vorne ausgestreckt, als wäre er noch im Wurf - nippte ich unbeteiligt an meinem Getränk. Ich bedauerte jeden Tropfen von jener delikaten Flüssigkeit, die mein Bruder aufgrund des Wurfes seines Weinglases verschüttet hatte. Es war eine Verschwendung der allerfeinsten Sorte, was er da veranstaltet hatte.
Und das nur wegen eines Mädchens.
»Mir ist egal, was du darüber denkst«, knurrte Lucian. »Ich liebe sie.« Seine Finger waren so sehr zu Fäusten verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten und die Adern ein Delta eines Flusses unter seiner Haut aufspannten.
Mein Vater lachte nur leise. »Das ist mir sehr wohl bewusst, mein Sohn. Dennoch werde ich keinesfalls tolerieren, dass du etwas mit unseren Mahlzeiten anfängst.«
»Sie ist nichts zu Essen!«, schrie mein Bruder. Seine blutroten Augen funkelten wie geschliffene Rubine, die im Sonnenlicht schimmerten und das Licht brachen - ich konnte die Reflexionen des Edelsteines auf dem Untergrund vor meinem inneren Auge förmlich sehen, wie kleine Blutstropfen sprenkelten sie die Fläche, auf welcher der Rubin lag.
In der Öffentlichkeit trugen wir alle lästige Kontaktlinsen, um die unnatürliche Farbe vor den Menschen zu verbergen, doch hier in unserem Anwesen waren solche Vorsichtsmaßnahmen unnütz. Die Angestellten wussten, was wir waren, ebenso, wie ihnen die Tatsache bewusst war, dass sie bei einer falschen Bewegung die nächste Mahlzeit oder eine Stärkung für zwischendurch waren.
»Natürlich, mein Gott, Lucian, sie ist ein Mensch«, mischte ich mich ein und verdrehte die Augen. Seelenruhig stellte ich mein Glas ab, um mein Besteck aufzunehmen und ein Salatblatt aufzuspießen. Solche Vorspeisen waren mir die allerliebsten.
Lucian schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wag es ja nicht, so über Calina zu sprechen, Joaquin«, fauchte mein Bruder und fuhr sich durch die tintenschwarzen Haare, welche oben deutlich länger waren als an den Seiten.
»Mylord? Der Gast ist eingetroffen.« Unsicher trat eine Dienerin ins Zimmer.
Die arme Frau, Martha ihr Name, hielt den Kopf gesenkt und ihre grauen Strähnen fielen ihr über das faltige Gesicht. Weiß Gott war sie keine Schönheit, die Nase war krumm und die ein oder andere Warze zierte ihr Gesicht; die liederliche Kleidung, in welche man die Frau gesteckt hatte, besserte ihren optischen Zustand nicht einmal im Ansatz.
Ehrlich gesagt konnte ich nicht einmal mit viel Fantasie nachvollziehen, weswegen Vater sie noch immer hier arbeiten ließ. Der einzige Grund war vermutlich, dass sie zu zäh für das Abendmahl war und ihre Törtchen sogar die Exzellenz von warmem Blut überstiegen.
»Ausgezeichnet.« Ein kaltes Grinsen schlich über das makellose Gesicht meines Vaters. Seine ebenfalls blutroten Augen glühten vor Erwartung.
Mein Bruder und ich unterschieden uns optisch kaum von unserem Vater. Beide besaßen wir seine kantigen Gesichtszüge, seine gerade Nase, sowie die schmalen Augen und die fein geschwungenden Lippen - die untere leicht voller als die obere. Ja, selbst die Frisur und endlos junge Haut war identisch. Einzig alleine die Haarfarbe hatten wir von unserer Mutter geerbt.
Vor einigen Jahren war sie in einer dunklen Gasse von zwei Menschen ermordet wurden, die an unser Geheimnis gelangt waren. Das einzig Befriedigende an dieser Situation waren die Schreie der Mistkerle gewesen, als wir, ich den einen, Vater den anderen, die beiden nach allen Regel der Kunst filetiert hatten. Lucian war für diese Aktion zu schwach gewesen. Wie ein Mädchen hatte er zu Hause gesessen und sich heulend in Selbstmitleid gebadet. Wochenlang.
Selbstverständlich sprach ich nicht davon, keine Träne vergossen zu haben. Nein. Auch mich hatte der Verlust meiner Mutter hart getroffen. Und ja, auch ich hatte geweint. In der ersten Nacht. Wenige Stunden.
Doch dann hatte ich mir das Gesicht abgewischt, das beißend brennende Gefühl in meinem Hals hintergeschluckt und mich an die Arbeit gemacht. Dutzende Tage war ich damit beschäftigt gewesen, Hinweise und Spuren zusammenzuklauben, die uns zu den Mördern brachten. Vater war wenige Nächte nach Mutters Tod zu mir gestoßen. Die gleißend helle Wut hatte mich nur wenige Stunden in der Nacht zu Ruhe und Entspannung kommen lassen, die restliche Zeit hatte ich, wie bereits erwähnt, dafür genutzt, Mutters Schicksal zu rächen.
Und das, während Lucian heulend zwischen seinen Decken gelegen hatte. Er hatte uns sogar noch verurteilt, als wir die misshandelten Leichen mit nach Hause gebracht und die Innereien zu Abend verspeist hatten. Es wäre nicht Mutters Wille gewesen, hatte er gesagt.
Seitdem stritten wir drei uns oft, wobei Vater immer derjenige war, der am Ende auf den Tisch schlug und Recht behielt. Er war einfach stärker, gerissener und weiser als Lucian. Und ich war sowieso auf seiner Seite.
»Bring sie hinein«, befahl Vater mit einer unwirschen Handbewegung und riss mich so aus meinen schmerzlichen Erinnerungen. »Und du setzt dich jetzt gefälligst hin.«
Martha nickte und verschwand rasch wieder aus dem Speisesaal, während Lucian den harschen Worten Vaters Folge leistete.
Ich winkte eine andere Dienerin zu mir, ein zartes Ding, das kaum mehr als sechzehn Winter zählte und somit gut vier Jahre jünger als ich war. »Wisch diese Sauerei weg«, befahl ich und wies auf den Blutfleck an der Wand.
Hastig machte die Kleine sich an die Arbeit. Ihre dunkelbraunen Augen hielt sie in der Regel gesenkt, um Sichtkontakt weitestgehend zu vermeiden. Allerdings liebte ich den Kontrast zu ihrer hellen Haut und die Harmonie mit ihrem weichen, kastanienbraunen Haar. An ihrem schlanken Körper hatte mein zwei Jahre jüngerer Bruder durchaus schon Gefallen gefunden, jedoch war das weit bevor er uns vom dem neuen Mädchen seiner Begierde erzählt hatte. Und wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich mir auch schon das ein oder andere Mal sehnlichst gewünscht, ihre weichen, vollen Lippen zu kosten.
Das änderte aber nichts an der unausweichlichen Tatsache, dass sie ein Mensch war. Das Privileg, ein Vampir zu sein, war uns angeboren und konnte so nicht nachträglich erlangt werden.
Ich nahm einen letzten Schluck aus dem Weinglas - das kühle Blut rann erfrischend meinen Hals hinab - und stellte besagtes Glas wieder auf der Tischplatte ab.
»Wie läuft es eigentlich bei euch im Unternehmen?«, wandte ich mich an meinen Großvater, der mit seiner Frau ebenfalls am Tisch saß und das Spektakel schweigend betrachtete hatte.
Er zuckte mit den Schultern und nippte an seinem Glas B positiv. »Recht gut, unser Umsatz steigt stetig und das Personal macht wenig Probleme. Man kann sich nicht beschweren.«
»Das sind gute Nachrichten.« Ich nickte und spießte ein weiteres Salatstück und eine Gurkenscheibe auf.
»Dem stimme ich zu. Es könnte wahrhaftig schlechter laufen.« Großvater stellte das Weinglas ab und widmete sich nun ebenfalls seinem Salat. »Was uns zur Frage führt, wie dein Studium voran geht.«
Vor zwei Jahren hatte ich begonnen, Mathematik zu studieren. Nach all der Zeit fand ich erstaunlicherweise noch immer Gefallen an den ganzen Zahlen und Buchstaben, deren Beziehungen sich in teils wirren Formeln dokumentierten. Nicht eine Vorlesung hatte ich geschwänzt, was man von dem Rest der Studenten nicht einmal im Ansatz behaupten konnte. Denn während sie ihre ganze Nacht verschwendeten und keinen Schlaf bekamen, was zu völliger Übermüdung und Faulheit führte, konnte ich die Nacht feiern und mich an dem ein oder anderen hübschen Mädchen erfreuen, selbst durch raue Mengen Alkohol nur leicht beflügelt, ohne auch nur ein Fünkchen Schlaf zu benötigen. Die restliche Zeit verbrachte ich damit, zu lernen. Freunde hatte ich keine, wieso auch? Was sollte ich mich mit solch minderen Wesen wie Menschen abgeben? Menschen waren schwach und dumm. Regelrecht nutzlos. Am Ende würden sie die Spezies sein, die das Zeitliche segnete.
»Die primitiven Vorlesungen haben sich gebessert und und das Lernen macht mehr Spaß«, erklärte ich ruhig.
Die jungen Dienerin von gerade eben kam mit Einer und Lappen wieder und begann nun, stumm das Blut von Fußboden und Wand zu wischen. Amüsiert musterte Großvater ihren schlanken, grazielen Körper und seine nadelspitzen Fänge funkelten im Kerzenlicht.
Meine Großmutter schien das nicht im geringsten zu stören, denn sie wusste, wie das Verlangen in seinem Blicke zu deuten war. »Das freut mich«, desinteressiert musterte sie nun ebenfalls die Kleine. »Wann gedenkst du, die Mahlzeit zu servieren, Kain?«
Mein Vater nippte ruhig an seinem Glas. »Geduld, Mutter. Geduld.«
Die Kleine tunkte den blutgetränkten Lappen in den Eimer und wrang in anschließend aus. Jeder Tropfen zerschnitt die Stille wir ein frisch gewetztes Messer.
Genau in diesem Moment kam Martha mit dem Gast in den Speisesaal. Sie hielt ihren Blick gesenkt, wissend, was bei einem falschen Wort passieren würde. »Mylord«, machte sie auf sich aufmerksam.
Wie sie in all den Jahren ihre Demut hatte behalten können, war nahezu bewundernswert. Nicht einmal hatte ich sie ängstlich oder unsicher gesehen. Martha verstand, Festigkeit und Unterwürfigkeit gleichermaßen auszustrahlen.
Mein Blick schwang langsam zu dem Mädchen hinüber, doch ich nahm sie kaum richtig wahr. Dafür war mein Desinteresse - und mein Hunger - einfach viel zu groß. Es kümmerte mich im Moment herzlich wenig, welcher Gast mich von meinem Essen abhielt. Die Tatsache, dass er es überhaupt tat, war nun schon unerhört genug. Was Vater wohl besonderes für dieses Festessen geplant hatte?
Erst als ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, dass Lucian kreidebleich wurde, keimte Neugier in mir auf.
»Calina?«, würgte er erstickt hervor.
Schlagartig schnellte mein Kopf herum und mein Blick bohrte sich in das zarte Mädchen, welches da neben Martha stand. Unsicher versuchte sie, ihre kristallblauen Augen hinter ihren langen, wallnussfarbenen Strähnen, die in zarten Wellen über ihre Schultern bis zu ihrem Bauchnabel fielen, zu verbergen. Ihr schlankes Näschen und die vollen Lippen verliehen dem süßen Ding eine Unschuld, die mir ein Brennen in die Lenden presste. Ebenso wie das plötzliche Verlangen, das unschuldige Mädchen am mich zu pressen und erst ihre Lippen und dann ihr Blut zu kosten. Ihre dünnen Beine steckten in engen, dunklen Hosen, die schwarzen Stiefel, die ihr bis zu den Knien reichten, hoben sich farblich kaum ab. Vereinzelte Schneeflocken klebten noch auf ihrem schwarzen Mantel, welcher ihren schlanken Rundungen durchaus schmeichelte, obwohl ich doch wünschte, Martha hätte ihr eben jenen abgenommen, um die feinen Kurven ihres grazielen Körpers besser bewundern zu können.
»Lucian?« Ihre glockenreine Stimme war so leise, dass sie sich fast in Raum verlor.
Mein Bruder stand nach wie vor der Schock im Gesicht. »Was tust du hier?«
»Ich dachte, wir sollten deine kleine Freundin alle kennenlernen«, grinste mein Vater.
Jäh dämmerte mir, worauf er hinaus wollte. Mein Vater war ein mächtiger Vampir. Und ebenso war er sehr stolz. Niemals würde er tolerieren, dass ein Sohn eine Beziehung mit einem jämmerlichen Menschen lebte. Jedoch war ihm auch durchaus klar, dass Lucian niemals freiwillig von dem dummen Weib ablassen würde.
Nur über ihre Leiche.
Auch Großvater verzog die Lippen erfreut. »So ist das, Kain, du bist gerissen. Ich bin stolz auf dich, Sohn.«
Meine Großmutter nippte amüsiert an ihrem Glas. Man sah der Frau nicht an, wie sadistisch sie war. Ich selbst wollte gar nicht wissen, welche Foltermethoden die Lady auf dem Kasten hatte. Sicherlich war ihr Repertoire unerschöpflich, sowohl auf physischer als auch auf psychischer Art. Somit schien ihr das Vorhaben ihres Sohnes Musik in den Ohren zu sein.
»Was ist hier los?« Panik mischte sich hörbar in die Stimme meines Bruders. Dieser Trottel war manchmal wirklich nicht mit strahlenden Intelligenz gesegnet.
Vater lachte eiskalt. »Du wirst doch wohl teilen, Lucian, oder?«
Das war nun wirklich offensichtlich genug. Es machte Klick bei meinem Bruder. Langsam schien ihm klarzuwerden, worum es sich hierbei handelte: eine Mahlzeit mit seiner menschlichen Freundin.
Mit ihr als Hauptspeiße.
Lucian sprang auf. »Das ist nicht euer Ernst!« Seine Gesichtsfarbe schwankte zwischen wutgetriebenem Rot und schockiertem Kalkweiß.
»Zügle deine Zunge, mein Sohn«, zischte Vater mit scharfer Stimme. Der Ton ließ keine Widerrede zu.
Das Mädchen bekam Angst und versuchte sich die schützende Kleidung enger um dem schmalen Körper zu schlingen. »Was ist hier los?«
Ich riss mich aus meiner Starre und erhob mich ebenfalls. Meist schenkte ich unseren Mahlzeiten nur dann Aufmerksamkeit, wenn es spannend wurde. Spannend in dem Sinne, dass sie Panik bekam und anfangen, zu schreien und laufen. Und solch eine Situation musst man selbst häufig erst herbeiführen.
Es würde mir ein Leichtes sein, denn ich liebte die spielende Jagd.
Mit wenigen Schritten war ich bei Calina und packte ihr Handgelenk, das prickelnde Kribbeln in meinen Lenden und das Herzklopfen hartnäckig ignorierend. »Mylady.« Sanft suchte ich einen Kuss auf ihre Hand, ohne das meine Lippen auch nur ihre hauchzarte Haut berührten. Diese Genugtuung würde ich mir weiß Gott für später bewahren. »Komm.«
Zwar hatte Lucian mir ab und an von seinem neuen Mädchen erzählt; wie sie war, sich gab und wie sehr er sie doch liebe. Zugehört hatte ich die seltensten Male. Doch nie hatte er mir ein Bild von der jungen, schüchternen Schönheit gezeigt oder sie uns vorgestellt.
Jetzt verstand ich auch, wieso.
Calina war eine Naturschönheit sondergleichen, würde ich es nicht besser wissen, wäre ich sogar der festen Überzeugung, dass sie ein Vampir war. Denn eigentlich war solch ein atemberaubendes Aussehen nur unserer Spezies vergönnt. Und da wir uns auch nur mit unserer Gattung vermehrten, blieben diese wertvollen Gene auch erhalten.
Sanft dirigierte ich das Weib zu meinen Platz und zog ihr den Stuhl zurecht. »Setz dich, meine Schöne. Ich bin Joaquin.«
Lucian gegenüber von mir fauchte bei meinen Worten, während seine Geliebte zaghaft Platz nahm, doch der scharfe Blick meines Vaters brachte ihn zum Stillschweigen und Hinsetzen.
Langsam beugte ich mich von hinten zu ihr hinunter und strich mir der Nase über das Haar, welches über ihr Ohr fiel. Sie roch frisch, nach dieser einen Blume, die im Frühjahr ihre Blüten, blau wie rosa, lila wie weiß, aus der Knolle reckte. Wie hießen die feinen Gewächse nur? »So trink doch etwas«, flüsterte ich und blickte bei jeder Silbe meinem Bruder genau in die roten Augen.
»Joaquin«, knurrte er warnend, die rote Iris funkelte gefährlich.
Ich grinste Lucian sadistisch an und sog demonstrativ ihrem feinen Duft ein. Hyazinthe. Es war Hyazinthe. Nie wieder würde ich den Frühling schnuppern können, ohne an dieses unglaubliche Mädchen denken zu können. Ihre Schönheit, ihre Eleganz. Und ihre herzzerreißende Unschuld.
Unsicher griff Calina zum meinem Weinglas und nippte daran. Schockiert von dem Geschmack verschluckte sie sich. »Was zum Teufel ...«, hustete sie und versuchte schlagartig von mir wegzukommen. »Ihr ... du ... keine Menschen ...«
Sowohl Großvater als auch seine Frau lachten leise. Für einen Menschen war der Geschmack metallisch und abstoßend, für unseren feinste Delikatesse, ebenso wie ein Grundnahrungsmittel. Wir würde Menschenblut niemals auf die Weise schmecken, wie es ihresgleichen taten.
Glücklicherweise.
Nicht vorzustellen war eine Welt, in welcher mir dieser köstliche Geschmack entging
»Deine Freundin lernt schnell, Lucian«, grinste Großvater und schleckte sich hungrig über die Lippen. Er war, wie alle Vampire, trotz des hohen Alters zeitlos schön.
Ich packte das Mädchen fest am Handgelenk. »Ja, das stimmt.« Das vorfreudige Kribbeln der Jagd fraß sich ein Feuer durch meine Innereien. Ein breites Grinsen zierte mein unwiderstehliches Gesicht.
Unverhofft griff mein Bruder nach dem Weinglas meines Vaters und warf es. Weder sah ich es kommen, noch hatte ich es erwartet. Nur Wimpernschläge später traf es mein Gesicht, das Glas zerschellte an meinem Schädel und Blut spritzte in mein Gesicht. Natürlich ließ ich reflexartig das Weib los, da sich eine Scherbe in die zarte Haut unter meinen Augen bohrte. Ebenso penetrant lief mir die rote Flüssigkeit in die Augen und nahm mir die Sicht.
»Lauf!«, schrie mein Bruder und ich hörte nur, wie sich die Schritte der Kleinen hastig stolpernd verloren.
Fast zeitgleich zerriss das Knirschen von Knochen die Stille, dicht gefolgt von einem dumpfen Knall. Zischend wischte ich mir das Blut vom Gesicht und zog die Scherben aus meinem Fleisch.
»Welch kleines Miststück«, knurrte ich.
Nur wenige Fuß vor der Tür lag mein Bruder mit aufgerissenen Augen und starren Blick, der Kopf unnatürlich verdreht. Vater stand über ihm, und schüttelte sich die Hand. Ich vermutete, dass er Lucian das Genick einmal gebrochen hatte, um diesen davon abzuhalten, seinem Juwel nachzulaufen. Allerdings würde es nur eine Frage von einem Dutzend Minuten sein, bis mein Bruder das Bewusstsein wiedererlangte und seine Wirbelsäule richtete.
Meine Großmutter stimmte mir wahrhaftig zu. »Was du nicht sagst. Das Ding sah vorzüglich aus. Und jung war es auch noch.«
»Zu gern hätte ich ihr Blut gekostet, ohr Fleisch war bestimmt zudem butterzart«, bedauerte Großvater. »Joaquin, mein Junge, wärst du so lieb und würdest einen Ersatz besorgen? Ich finde nicht, dass wir den Abend so ausklingen lassen sollten. So mit ganz nüchternem Magen.«
Wortlos nickte ich und stiefelte frustriert aus dem Speisesaal, nur meiner Würde war es zu verdanken, dass ich über meinen Bruder stieg, ohne dabei kräftig zuzutreten. Verdient hätte es der Bastard weiß Gott. Erst hatte er uns die Mahlzeit geraubt und obendrein auch noch meine Kleidung ruiniert. Mein blütenweißes Hemd war über und über mit kühlen Blut besudelt und selbst die Hose hatte den ein oder anderen Sprenkel abbekommen. Wie meine Arme, die unter dem halb hochgekrempelten Ärmeln hervorschauten, und mein Gesicht aussehen mochten, konnte ich mir zusammenreimen. Rasch hatte ich meine Schuhe angezogen und das Haus verlassen.
Eisige Nachtluft schlug mir entgegen. Die Laternen flackteren hilflos in der Dunkelheit und spendeten nur spärlich Licht. Es war dem Schnee zu verdanken, welcher die Lichtstrahlen reflektierte, dass man in dieser düsteren Kälte überhaupt etwas erkennen konnte.
Dazu machte es mich rasend wie mein Bruder sich so gegen uns entscheiden konnte. Zwar war er oft anderer Meinung gewesen als wir und oft hatte er unsere Speisemethoden kritisiert, aber noch nie war er auf die augenscheinlich dämliche Idee gekommen, einen Menschen vor uns zu beschützen. Zumal das ungeschriebenen Gesetz galt, dass man einem Vampir nie seine Mahlzeit stahl.
Niemals.
Und diese Regel hatte der Dummkopf gebrochen. Es geschah ihm weiß Gott Recht, dass er nun mit gebrochenem Genick den Teppich verschönerte. Oder verunstaltete, wie man es nun sah. Auch die Rückenschmerzen, die ihn aufgrund der Aktion die nächsten Stunden plagen würen, hatte der Tölpel mehr als nur verdient.
Lustlos schlug ich den Weg nach links ein, als ich unser Gartentor durchquert hatte. Die schnörkeligen Metallstangen, bedeckt mit Schnee, glitzerten und funkelten im spärlichen Licht - so, als wären sie aus reinem Kristall. Der Schnee knirschte unter meinen Füßen und machte jede Art von Anschleichen nahezu unmöglich.
Wo sollte ich jetzt auf die schnelle ein so köstliches Abendmahl auftreiben, wie Calina es gewesen wäre? Um die Zeit waren lediglich einige Penner noch auf der Straße, da ihnen der Luxus einer warmen Wohnung vergönnt blieb. Jedoch würden sie diese Nacht gewiss kaum überleben. Dafür waren die Temperaturen schlichtweg zu eisig. Und für unser Abendmahl taugten die Obdachlosen erst Recht nicht. Ihr Gestank war abscheulich und für unseren besonders feinen Geruchssinn regelrecht eine Qual. Dazu war ihr Fleisch zäh oder sie waren schon zu abgemagert. Nur in katastrophalen Notfällen wie Hungersnöten würde ich so einen Menschen anrühren.
Erst jetzt fielen mir die zierlichen Fußspuren auf, denen ich sein einigen Minuten nun schon unbewusst folgte. Fast gleichzeitig stieg mir ein süßer Duft in die Nase, welcher nur von einer dieser jungen Weiblichkeiten stammen konnte. Meinem feinen Geruchssinn folgend streifte ich nahezu lautlos durch die Nacht. Wieder einmal genoss ich den Vorteil gegenüber meines Bruders, denn bei ihm war dieser Sinn nicht halb so gut ausgeprägt wie bei mir. Selbst, wenn ich alleine war und er bewusstlos in Speisesaal lag, fühlte es sich gut an, etwas besser zu können als er.
Ich hoffte nur, dass meine Nase sich nicht täuschte und mich zu jenem jungen Ding führte, welches ich erwartete. Denn mein Magen knurrte und bettelte nun inzwischen schon fast schmerzlich nach warmem Blut.
Denn nur jenes, welchen wir frisch aus der Vene tranken, vermochte es, unseren Hunger zu stillen. Kalt aus einem Weinglas befriedigte es zwar unseren Appetit, aber konnte uns niemals sättigen. Verschiedenste Fetzen rohen Menschenfleisch krönten ein Mahl sogar noch.
Der blumige Duft wurde stärker und ließ mich im Stillen frohlocken. Einen Moment spielte ich sogar mit dem Gedanken, mir dieses Mädchen allein einzuverleiben und für meine Familie ein weiteres Menschlein zu suchen.
Ein faszinierender Gedanke.
An der nächsten Kreuzung bog ich scharf nach rechts in eine dunkle Gasse ab, in welcher der Duft stärker zu werden schien. Und nur Bruchteile einer Sekunde später rannte ein Mädchen genau in meine Arme. Sie prallte gegen meine feste Brust und zuckte heftig zusammen. Doch ich packte sie instinktiv und wirbelte das Ding so herum, dass ihr Rücken sich gegen meinen toten Herzschlag presste; meine Hand legte sich reflexartig auf ihren zarten Mund und erstickte so den Schreckensschrei ihrerseits.
Fast gleichzeitig umhülltige mich der delikate Duft nach Hyazinthe und ließ mich scharf die Luft einsaugen.
»Calina?«, knurrte ich rau.
Zitternd versuchte das Mädchen verzweifelt, sich aus meinem Griff zu wenden. Vergeblich. Selbst ohne meine vampirarische Kraft hätte sie nicht die geringste Chance gegen mich gehabt.
»Ich nehme jetzt meine Hand von deinem Mund, wenn du auch nur den kleinsten Mucks von dir gibst, reiße ich dir deine Zunge raus du wirst nie wieder ein Wort formen können«, zischte ich.
Ich konnte spüren, wie Calina schluckte, aber dann ein zaghaftes Nicken zustande brachte. Langsam löste ich die Hand von ihren vollen Lippen und drehte sie wieder zu mir.
Das hübsche Ding war so süß. Schon durch ihre mindere Größe und wie sie mich unschuldig von unten ansah, raubte mir mir Atem und Verstand. Ein funkelndes Kribbeln rebellierte in meinem Bauch und meine Hände verkrampften sich schmerzhaft um ihre Oberarme.
»Bitte, lass mich gehen.« Mit kristallblauen Augen flehte Calina mich gerade zu an, ihr kein Haar zu krümmen.
Ich strich ihr eine ihrer seidigweichen Strähnen hinter ihr kleines Ohr. »Aber du weißt zu viel«, murmelte ich.
Unbewusst hatte ich mich zu ihr hinunter gebeugt und mein lauer Atem streifte ihre vollen Lippen. Etwas in mir verzehrte sich danach, sie zu kosten und zu meinen zu machen. Tatsächlich spielte ich mit dem schmerzlichen Gedanken, sie zu meinem Mädchen zu machen. Sie meinem Bruder wegzunehmen. Ihr Beischlaf zu leisten, ihren feinen Körper zu schämen und zu fühlen. Um ihre zarten Hand anzuhalten und Kinder zu zeugen. Jede Faser meines Körpers flehte danach, ihren feinen Duft und ihre unbeschreiblich Schönheit wäre ihr Menschenleben lang zu spüren.
Dennoch war sie ein Mensch.
Und es widersprach empörend meinen Prinzipien.
Doch würde ich Calina nicht nehmen, wäre es mein Bruder, der sie zu seiner machte. Es war ein ungeschriebenes Gesetz: hatte sich ein Vampir einmal entschieden, müsste man Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um überhaupt den Schimmer einer Chance zu haben.
Ich beugte mich ein Stück weiter hinunter und überwand so den Abstand zwischen uns. Ein sehnliches Keuchen entwich mir, als ihre warme Lippen die meinen berührten und auch Calinas zarte Hand krallte sich jäh in meinen Mantel, obwohl sie mich nur Sekunden vorher noch von sich schieben wollte. Ihre Lippen waren süßer als all das Blut, welches ich schon in meinem Leben gekostete hatte.
Und mit einem Mal wurde mir klar, was hier gerade vor sich ging. Ich verliebte mich in dieses Menschenmädchen.
Ebenso wie mein Bruder.
Mein Blick klärte sich und ich löste meine Lippen ruckartig von dem teuflisch süßen Ding. Lucian war ihrer Schönheit verfallen und er hatte nicht die Kraft gehabt, auf seine Vernunft zu hören und dagegen anzukämpfen.
Nun würde er die Konsequenzen dafür tragen müssen. Selbstverständlich wäre es viel zu freundlich, ihn auf körperliche Weise die Gesetze unsere Gattung beizubringen. Lucian sollte spüren, was er getan hatte. Der Tölpel sollte nach all dem, was er getan hatte, nicht ungescholten mit seinem Verhalten durchkommen. Weder hätte er die Liebe zu diesem Menschen zulassen dürfen, noch war es rechtens, wie er sich vor sie stellte.
Und ich wäre ein Narr, würde ich ebenso handeln.
»Joaquin?« Flehend durchbohrten mich Calinas blaue Augen. Sie ließen mich an einen klaren Sternenhimmel denken, so wundervoll waren sie. Und auch, wenn ich mein Leben lang in eben jene schauen wollte, wäre es dumm und nicht rechtens.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich.
Ruckartig und so rasch, dass es für ihr menschliches Augen kaum wahrzunehmen war, schnellte ich vor und vergrub meine Fänge in der weichen Haut ihres Halses. Der erschrockene Angstschrei blieb ihr in der Kehle stecken. Hastig trank ich, doch ihr süßes Blut schmeckte unter diesen Umständen bitter und rann beißend meinen Hals hinab. Mit jedem Schluck spürte ich, wie Calina schwächer wurde und mehr und mehr gehen mich sank.
Nach einigen Minuten war mein Hunger gestillt und ich zog meine Zähne zitternd aus ihrem süßen Fleisch. Nur noch schwach schlug ihr Herz gegen meine Brust. Als ich auf die hinabsah - einzige allein meine Arme, welche sie an mich presste, verhinderten, dass das Mädchen auf den Boden sank - hatte sie ihre kristallklaren Sternenaugen halb geschlossen und eine Hand noch immer in meinen Mantel vergraben.
Mir war klar, dass Calina nur noch wenige Minuten hatte, und mein Herz verkrampfte sich schmerzhaft. Jäh weigerten sich meine Lungen, zu atmen und ein Kloß verklebte meine Kehle. Mit jeder Sekunde strömte mehr Blut aus der hässlichen Wunde an ihrem Hals und durchnässt ihren Mantel.
Langsam löste ich ihre kleine Hand von mir und ließ das Mädchen behutsam auf den Boden gleiten. Ihre Haare breiteten sich wie ein Fächer aus schwarzer Tinte um ihren Kopf aus, als Calina da auf dem Rücken vor mir im Schnee lag. Ihre Sternenaugen starrten zum Himmel hinauf und suchten ihre Artgenossen, doch derbe Wolken drängten sich dicht an dicht und versperrten so die Sicht.
Das warme Blut rann aus ihrer Wunden und umfloss ihren Kopf, rasch schmolz der reine Schnee bei Kontakt mit der warmen Lebensessenz.
Ich erhob mich und trat einen Schritt zurück, während ich meine Augen nicht von der sterbenden Schönheit lösten konnte, die auf der hauchdünnen Grenze zwischen Leben und Tod tanzte.
Eine einzelne, reumütige Träne löste sich aus meinem linken Auge und topfte in den bitterkalten Schnee, während das Rot wie eine Rose um ihren Kopf erblühte und ihr kleines Herz erstarrte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top