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Krankenhäuser waren grauenhaft. Während man wartete, war man umgeben von diesen sterilen, weißen Wänden und starrte letztendlich nur die ungewisse Leere.
So ging es auch Sonja und mir, während wir darauf warteten, dass uns endlich jemand sagte, was mit Wayne los war.
Schließlich kam eine etwas ältere Ärztin und erklärte, dass er ohne die Infusionen hier nicht mehr lange durchgehalten hätte.
Sonja hätte vor Erleichterung beinahe losgeheult und auch mir viel ein unglaublicher Stein vom Herzen.
"Wissen Sie, wo er sich so schnell so hohes Fieber geholt haben könnte?", fragte die Ärztin mich, während Sonja bei Wayne im Zimmer war, um ihm seine Sachen zu bringen. Ich konnte nur ratlos den Kopf schütteln.
"Vorgestern schien es ihm noch gut zu gehen. Aber dann ist über Nacht plötzlich krank geworden. Wir haben ihn aber alle am Abend zuvor noch gesehen. Er hatte eine dicke Jacke und keine Verletzungen."
"Hm, das ist schon sehr merkwürdig. Aber wichtig ist, dass es Ihrem Freund so weit gut geht. Wir werden ihn höchstens zwei Tage zur Beobachtung hier lassen und ihn mit den Infusionen versorgen. Danach sollte er wieder nach Hause können."
"Danke, Doktor."
Ich setzte mich zu den beiden. Es war ein zwei-Bett-Zimmer, aber das andere war leer. Wayne schlief ruhig und seine Stirn hatte sich etwas abgekühlt, auch wenn sie noch sehr warm war. Er schwitzte auch nicht mehr so stark, war allerdings noch blass wie eine Leiche.
Oder ein Vampir.
Unweigerlich wanderten meine Gedanken zu Luke. Ob er schon wieder mit jemandem kämpfte? Ob er die Diebe gefunden hatte?
Mein Kopf schien sich zu drehen und eigentlich wollte ich mich auf meinen besten Freund konzentrieren, der buchstäblich sterbenskrank dalag.
Aber auch meine beste Freundin sah alles andere als gesund aus. Sonja hatte tiefe Ringe unter den Augen und war noch blasser als sonst.
Sie hatte sich doch nicht etwa angesteckt?
Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. "Hey, vielleicht solltest du nach Hause gehen. Es ist schon halb zwei und Wayne wacht heute bestimmt nicht mehr auf."
Sie sah mich aus geröteten Augen flehend an. Als sie sah, dass ich nicht nachgab, nickte sie ergeben. "Vielleicht hast du recht. Können wir gemeinsam fahren? Nach den letzten beiden Tagen will ich nicht allein sein."
Ich lächelte verständnisvoll.
"Na klar. Du kannst heute auch bei mir bleiben, wenn du willst. Na komm, gehen wir."
Nur langsam brachte ich sie dazu, das Zimmer zu verlassen.
So spät fuhr nur noch die Bahn und bis zur nächsten Station blieb uns ein fünfzehnminütiger Gehweg.
Nicht nur ich hatte wegen den Vampiren Angst. Seit dem Überfall im Museum war Sonja extrem ängstlich.
Sie klammerte sich nach nur zwei Minuten schmerzhaft an meinen Arm und ich durfte meiner besten Freundin zuliebe nicht meine Panik zeigen.
Doch schon nach fünf weiteren Minuten wurde es extrem kalt. Wir mussten durch eine Seitenstraße und spätestens als ein Schatten über unsere Köpfe hinweg sprang und ein Luftzug ihn verriet, wusste ich, dass wir schnell hier weg mussten.
Auch Sonja war er nicht entgangen. "Die Nachtwesen.", flüsterte sie kaum hörbar.
"Lauf!", flüsterte ich und sie gehorchte sofort.
Wir sprinteten auf die breite Straße. Hinter uns waren Schritte zu hören und ein Fauchen.
Bitte nicht!
Mein Herz raste und ich bekam kaum noch Luft. Noch nie hatten mich meine Beine so schnell getragen wie in diesem Moment.
Zum Glück hielt der Bus genau in diesem Moment an der Haltestelle und ich musste erleichtert aufschluchzen.
Wir sprangen förmlich in den Bus, was uns einen fragenden Blick vom Fahrer einbrachte, aber das war uns momentan wirklich egal.
Angespannt sah ich aus dem Fenster und tatsächlich zogen sich einige dunkle Gestalten in die Gasse zurück.
Sie handelten mit Vorsicht und nicht wie wilde Bestien. Also hatte keiner von ihnen einen Rubin bei sich.
"Das waren keine Menschen!", stellte Sonja den Tränen nahe fest.
Nein, schoss es mir durch den Kopf.
Ganz bestimmt nicht.
In meiner Wohnung brachte ich meiner besten Freundin ein Kissen und eine Decke, damit sie es sich auf der Couch gemütlich machen konnte, die glücklicherweise auch eine Bettfunktion hatte.
Aber obwohl wir beide todmüde waren und die Uhr bereits halb drei anzeigte, wollte keiner von uns schlafen gehen.
Stattdessen machte ich eine Kanne Kräutertee und schaltete eine Sitcom ein, damit die Stimmung nicht mehr ganz so bedrückt war.
"Hey, Carol?", fragte Sonja nach einer Weile heiser.
"Hm?"
"Diese Nachtwesen vorhin ... du weißt, was das war, oder? Du hattest auch Angst, aber du warst schon den ganzen Abend so aufmerksam, als würde dich etwas verfolgen. So bist du schon seit der Museumsnacht."
War ich für jeden so leicht zu durchschauen?
Andererseits hatte ich oft das Gefühl, das meine Freunde mich besser kannten als ich mich selbst.
Ob das nun ein Fluch oder ein Segen war, da war ich mir nicht ganz sicher.
Aber wo ich mir sicher war, war die Tatsache, dass ich auch Sonja nicht die Wahrheit sagen konnte. Denn war die Vampire betraf, bedeutete die Wahrheit den Tod.
Irgendwann legten wir uns dann doch schlafen. Mir geisterte alles mögliche durch den Kopf und obwohl ich träumte, hatte ich das Gefühl, nicht zur Ruhe kommen zu können.
Ich stehe wieder allein in der Dunkelheit. Und wieder ist meine Kleidung mit Blut überströmt, was einen Würgereiz bei mir auslöst.
Ich bin nicht verletzt, also wessen Blut ist es?
Eine kalte Hand legt sich auf meine Schulter. Mit einem ersticken Schrei fahre ich herum und blicke in zwei Augen so silbern wie der Mond.
"Luke?"
Sein Name kommt wie eine alte Erinnerung über meine Lippen.
Er hingegen scheint vollkommen in die Leere zu starren und erst da bemerke ich das rubinrote Blut, das über seine Mundwinkel tropft.
Nein
Hat er etwa jemanden...
Meine Verzweiflung steigt und ich weiß es nicht, welches Gefühl es nun ist, das mich in die Knie zwingt
Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Enttäuschung...
Das Atmen fällt mir immer schwerer, bis es zu regnen beginnt und die Welt zu verschwimmen scheint
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