18
Ich war an dem Punkt angelangt, von dem man sagte, dass es ab da nur noch nach oben gehen konnte.
Zwei meiner Freunde schienen vollkommen verrückt zu spielen, Luke hatte seit Tagen kein Wort mit mir gesprochen, genauso wie Bo.
Bei Bo schmerzte es umso mehr, da wir seit Jahren befreundet waren. Aber bei den Vorlesungen saß er nicht neben mir, grüßte mich wenn überhaupt nur knapp und wann immer ich mit ihm reden wollte, wimmelte er mich ab.
Von Wayne hatte niemand von uns etwas gehört und Sonja hatte scheinbar alles von ihrer Fröhlichkeit und ihrem Lebensmut verloren.
Ich tat mir schwer, weil ich irgendwie eine Brücke zwischen meinen Freunden, meiner Familie und der Sache mit den Vampiren bauen musste.
Denn innerhalb von fünf Tagen waren zwei weitere Menschen auf dieselbe grausame Weise wie die alte Dame umgebracht worden.
Mitten am Tag.
Vergeblich hatte ich Luke mehrmals jede Nacht angerufen. Dafür hatte er wie versprochen einen Freund hergeschickt, der auf mich aufpasste.
Er war noch verschwiegener als Luke und ich hatte nur drei Dinge über ihn herausfinden können:
Er zog es vor, die ganze Nacht auf meiner Fensterbank zu sitzen.
Er hieß John.
Und er hasste so ziemlich jedes Getränk, das ich ihm angeboten hatte. Darunter natürlich nicht mein Blut.
Ob er sein Versprechen Wayne gegenüber auch einhielt, wusste ich nicht.
Aber ich musste es herausfinden. Genauso wie ich die Sache mit Bo regeln musste. Und wie ich meiner besten Freundin helfen musste.
Gleichzeitig startete mein Selbstverteidigungskurs und ich schwor mir, mein Bestes zu versuchen.
Ich wollte auf niemandes Schutz angewiesen sein.
Wenn dann noch Zeit übrig blieb, beschäftigte ich mich mit dem Rubinraub.
Aber egal welche Spur der Medien ich zu verfolgen versuchte; sie führte ins Nichts.
Irgendwann hielt ich es zu Hause nicht mehr aus und ich beschloss, trotz Lukes Warnung nach Wayne zu sehen. Und wenn er wieder ganz gesund war, sofern man das von einem Halbvampir behaupten konnte, würde ich Sonja Bescheid geben.
Dann konnten die beiden sich endlich aussprechen und ihnen ging es hoffentlich besser. Wenn ich schaffte, dann noch mein Problem mit Bo zu klären, wäre zumindest mein Privatleben wieder im Lot.
Nach der Vorlesung fuhr ich direkt zu Wayne.
Kaum klopfte ich gegen die Tür, wurde diese aufgerissen, ich in die Wohnung gezerrt und gegen die Wand gedrängt. Ein Arm drückte mir die Luft weg.
In der Wohnung war es dunkel und meine Augen brauchten einige Sekunden, um sich alles zu gewöhnen.
„Carol?"
Als ich die Stimme erkannte, sackte ich erleichtert in mir zusammen. Ich wollte es mir anfangs nicht eingestehen, aber ich war froh, ihn endlich wiederzusehen.
„Luke."
Er ließ mich los.
„Hab ich nicht gesagt, dass du vor meiner Entwarnung nicht herkommen sollst!? Wayne geht es-."
Ich unterbrach ihn, indem ich ihn umarmte. Ja, er war an diesem Abend einfach abgehauen. Ja, er hatte mich damit wohl in mehr als einer Form abgewiesen, aber das war mir in diesem Moment egal.
Ich vertraute ihm dennoch und nach den letzten Tagen war ich einfach nur froh ihn zu sehen.
Nach ein paar Sekunden wollte ich ihn wieder loslassen und räusperte mich. „Entschuldige, ich-."
Er ließ mich hingegen nicht weg und zog mich wieder zu sich. Im ersten Moment war ich überrascht, aber dann genoss ich die erwiderte Umarmung nur noch.
„Es tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin.", flüsterte er zu meinem weiteren Erstaunen.
Ich hasste mich dafür, dass meine Augen zu brennen begannen. Ich hatte Angst, dass das alles nur ein Traum war und ich mich wie ein hilfloses Mädchen verhielt, dass auf die Zuneigung eines flatterhaften Vampirs angewiesen war.
„Wie geht es Wayne?", murmelte ich nach einer Weile und war zugegebenermaßen enttäuscht, als er mich losließ.
„Er macht viel durch und sein Blutdurst ... war ein Problem."
Fast unmerklich sah er zu seinem Arm, aber diese kurze Geste reichte aus. Ich wollte seinen Ärmel hochziehen.
Anfangs wehrte er sich, doch zum Glück reichte diesmal ein böser Blick. Widerwillig ließ er mich den Stoff wegschieben und eine Bisswunde, die kaum noch der eines Menschen glich, zeichnete sich auf seiner bleichen Haut ab.
„Er hat dich gebissen!?", fragte ich ungläubig. „Obwohl dir selbst Blut fehlt?"
„Carol, es ... es ist okay. Für einen Halbvampir ist das die Hölle."
Da fiel mir zum ersten Mal die Müdigkeit in seiner Stimme auf. Hier hatte er immerhin einen rund um die Uhr Job als Babysitter für Wayne übernommen.
Meine Hand glitt zu dem Lichtschalter hinter mir. Und Luke sah wirklich wie ein Untoter aus, selbst für einen Vampir.
Unter seinen Augen lagen Ringe, dunkler als die Nacht. Seine Haut war kaum noch zu sehen, denn die Adern zeigten sich bereits an manchen Stellen. Seine Lippen waren aufgesprungen und spröde. Seine Augen sahen wie farbige Glasperlen aus.
Irgendetwas in mir brach, als ich ihn so kaputt sah.
Ein Hustenanfall schüttelte ihn durch und wenn ein kein Vampir gewesen wäre, hätte man sagen können, er hätte hohes Fieber. Wurden Vampire überhaupt krank?
Denn seine Stirn fühlte sich brennend und kalt zugleich an. Sie war aber auch schweißnass.
„Du brauchst dringend Blut, oder?"
Er sah mich nicht an.
„Luke! Sag mir bitte die Wahrheit!"
Er nickte bloß, als wäre allein das Antworten zu schmerzhaft.
Im selben Moment stürzte Wayne ins Zimmer.
„Carol!"
„Wayne? Wie geht es dir?"
„Es ... ich hab Angst. Aber keine Schmerzen mehr." '
Erleichtert wollte ich ihn umarmen, warf jedoch vorhin Luke einen Blick zu, der knapp nickte. Seufzend drückte ich Wayne und auch er klammerte sich wie ein kleines Kind, das seine Eltern verloren hatte, an mich.
Ich konnte ihn verstehen. Die letzte Woche musste die reinste Hölle für ihn gewesen sein.
„Es wird alles wieder gut, versprochen. Natürlich ist das für dich ein Schock, aber glaub mir, das kommt in Ordnung. Und Sonja wird sich so freuen, wenn sie sieht, dass es dir besser geht."
Er löste sich und sah mich flehend an.
„Ich muss mit ihr reden."
Luke trat neben uns. Er schob seinen Ärmel nochmal hoch und anfangs dachte ich, er wollte ihn nur an die Gefahr erinnern, die er ab jetzt möglicherweise ausstrahlte.
Aber stattdessen sah er ihn abwartend an. Wayne rührte sich nicht, sagte nichts. Sein Blick wirkte nicht hungrig und nicht wahnsinnig, wie am ersten Tag.
„Nein, ich hab keinen Durst mehr. Nochmal, tut mir wirklich leid, dass ich dich gebissen hab."
Scheinbar zufrieden zog Luke den Stoff wieder zurück.
„Kein Problem. Halt dich einfach an meine Hinweise und warte am besten noch bis morgen. Dann kannst du ganz sicher sein. Ein Freund kann dir einmal im Jahr eine Blutspende verabreichen, dann sollte es mit dem Blutdurst einigermaßen gehen. Aber ohne Sonnencreme würde ich mich im Sommer nicht an den Strand legen."
Wayne lächelte schwach und gab ihm die Hand.
„Danke. Für alles."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top