„Luke?", murmelte ich.
Er ging neben mir, um mich nach Hause zu bringen.
„Hm?"
„Wer sind eigentlich die anderen guten Vampire?"
„Ungefähr ein Dutzend alter Freunde von mir."
„Geht's auch etwas genauer?"
„Nein!", erwiderte er scharf. „Mehr brauchst du nicht zu wissen. Du bist nur die Informantin!"
„Na vielen Dank.", brummte ich und kam auf einer vereisten Fläche ins Rutschen. Eher hilflos ruderte ich mit den Armen und machte mich auf den Aufprall gefasst, der allerdings nicht kam.
Luke hielt mich fest und starrte amüsiert auf mich hinunter.
„Sehr geschickt bist du wirklich nicht, oder?"
Ich schnaubte empört und machte mich von ihm los.
„Kann ja nicht jeder elegant wie eine Raubkatze über Dächer springen."
Mein beleidigter Gesichtsausdruck brachte ihn nur noch mehr zum Lachen.
„Nein, aber gehen haben die meisten normalen Leute drauf."
„Hey! Ich gehe ja normal, nur ... eben nicht immer ohne Unfälle!"
Nun mussten wir beiden grinsen und einen Moment spürte ich etwas Zwangloses, Vertrautes zwischen uns, das in dem Augenblick verschwand, als Luke sich räusperte und ohne mich nochmal anzusehen weiterging.
Ich seufzte in mich hinein und folgte resigniert.
Nur zwei Straßen von meinem Wohnhaus entfernt sprangen plötzlich fünf Gestalten auf den Gehweg und versperrten uns den Weg.
Jemand trat vor, während Luke mich hinter sich schob.
Ein Mann, ungefähr Anfang Dreißig, starrte ihn hasserfüllt an. Er hatte leuchtend rote Haare, die mich an die meiner Angreiferin im Park erinnerten.
„Du Bastard hast meine Schwester und einen unserer Brüder getötet!", rief er aufgebracht.
Also war diese Katy wirklich mit ihm verwandt.
Sein Blick fiel auf mich und er entspannte sich etwas.
„Wenigstens lieferst du uns dieses kleine Biest. Sie hat ja wohl mehr als genug Probleme gemacht. Fabian, kümmere dich um sie!"
Ein anderer Vampir trat vor und leckte sich über seine langen Zähne.
„Darf ich vorher ihr Blut trinken?"
Der erste seufzte. „Na schön, aber mach schnell!"
Luke griff von hinten in seine Manteltasche und drückte mir etwas in die Hand. Ein Taschenmesser.
„Vergiss nicht, direkt ins Herz. Wenn ich es sage, dann läufst du weg und verteidige dich bei allen Geistern, wenn sie dich angreifen!", zischte er und ich nickte langsam.
Jemanden töten, bevor er mich tötete.
„Wir müssen nicht schon wieder kämpfen, Anthony.", sagte Luke leise und der Anführer trat noch einen Schritt näher.
„Glaubst du, ich lasse dich mit dem Mord an Katy davonkommen!? Und diese Göre da hinten sollte schon seit einigen Tagen tot sein!"
Gemeinsam griffen sie Luke an und nur dieser Fabian rannte an ihnen vorbei und auf mich zu. Luke war zu sehr damit beschäftigt, sich nicht von den anderen töten zu lassen, also musste ich mir selbst helfen.
„Jetzt lauf schon!", schrie Luke und ich setzte mich in Bewegung.
Mein Verfolger war natürlich weitaus schneller und ich musste immer wieder Hacken schlagen.
Als er mich dann doch kurz vor meinem Wohnhaus zu packen bekam, dachte ich nicht länger nach, sondern setzte das Messer ein.
Ich traf zwar die Brust, aber sicher nicht das Herz.
Er hatte die Zähne bereits an meinem Hals und hinterließ einige tiefe Kratzer, als er sich kreischend von mir löste und die Wunde abdrückte.
Er war verletzt, aber nicht tot.
Als er sich nochmal auf mich stürzte und ich nochmal zustach, traf ich anscheinend mein Ziel. Er fiel neben mir auf den Boden.
Zitternd hielt eine Hand an meinen Hals, der pochend schmerzte.
Man kann keinen Menschen verwandeln, hatte Luke gesagt und er wusste es ja hoffentlich.
Tränen liefen mir über die Wangen.
Ich hatte jemanden getötet.
Getötet
Getötet
Getötet
Das Wort geisterte wie ein grässliches Lied in meinem Kopf herum, während ich aufgelöst weiterrannte.
Ich erreichte schließlich das Wohnhaus und der Schüssel fiel mir immer wieder aus der Hand, weil ich nicht zu zittern aufhören konnte.
Auf den Treppen nach oben stolperte ich mehrmals, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
In meiner Wohnung verschloss ich die Tür und ließ überall die Jalousien hinunter, eher ich mich auf mein Sofa im Wohnzimmer setzte und wartete, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte.
Zu sehr wollte ich glauben, dass alles nur ein böser Albtraum war, der jeden Moment vorbeiging.
Dann klopfte es plötzlich gegen meine Fensterscheibe und ich kreischte erschrocken auf.
Das Messer hielt ich noch immer krampfhaft in der rechten Hand und hob es nun wie eine Pistole vor mich.
„Carol!", erklang es von draußen und ich wagte einen Blick durch die Jalousien.
Luke hockte auf dem Fensterbrett, schien sich aber nur schwer aufrecht halten zu können.
Geschockt und erleichtert zugleich öffnete ich das Fenster und ließ ihn hinein. Er fiel mehr in die Wohnung, als er sie betrat und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
„Ein Glück, dass du noch lebst. Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht."
Ich brachte irgendwie ein schwaches Grinsen zustande.
„Tja, sonst hättest du dir eine neue Informantin suchen müssen."
Er schwieg eine Weile, bevor er seufzte.
„Nein, nicht deswegen, Carol.", murmelte er ohne mich anzusehen.
Eine wohl eher unrealistische Hoffnung glomm in mir auf und ich musste einfach fragen: „Weswegen dann?"
Er blieb mir eine Antwort schuldig und ich holte zum zweiten Mal in dieser Woche meinen Verbandskasten.
Ich behandelte einige Wunden an seinen Armen und unterhalb seiner Schulter und er desinfizierte meine Kratzer an Wange und Hals.
„Du hattest Glück.", sagte er nachdenklich, als er sich die Halswunde genauer ansah. „Wenn sie noch tiefer wären und etwas weiter unten, wärst du verblutet."
„Schöne Vorstellung.", brummte ich.
Falls das überhaupt möglich war, wurde sein Gesichtsausdruck noch ernster.
„Das ist kein Spaß, Carol. Wenn es noch mehr gewesen wären, hätten wir beide das vielleicht nicht überlebt."
Seine Finger ruhten noch eine Weile auf den Kratzern. Seine Augen schienen heller als zuvor leuchten und obwohl ich das auf eine seltsame Weise faszinierend fand, musste ich schwer schlucken.
„Luke? Alles okay?"
Er schüttelte den Kopf, als hätten ihn seine Gedanken vollkommen gefangen genommen und sah zu Boden. Abrupt ließ er mich los und ging zum Fenster.
Durch dieses fiel das fahle Mondlicht herein und man konnte wieder mal erkennen, wie bleich seine Haut war. Ich nahm all meinen Mut zusammen und traute mich zu fragen.
„Luke? Kann es sein, dass ... dass du ... Durst ... hast?"
Er schien sich zu verkrampfen. Ich wollte ihm so gerne helfen. Ich biss mir auf die Unterlippe und fasste einen Entschluss.
„Hör zu, wenn du wirklich dringend Blut brauchst, dann ... dann kannst etwas von mir..."
Er packte mich an den Oberarmen und sah mich eindringlich an.
„Nie wieder! Nie wieder darfst du einem Vampir dein Blut anbieten, verstanden!?"
Sein Ton ließ keine Widerworte zu und ich nickte langsam.
Vorsichtig löste er seinen Griff und schaute mich verzweifelt an. Ich ahnte, was er dachte. Diese Nacht war wirklich zu viel gewesen. Für uns beide.
Er öffnete das Fenster und sprang ohne ein weiteres Wort hinaus.
Ich verschloss es wieder, legte mich ins Bett und ließ es zu, dass Tränen über meine Wangen rollten.
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