DER ÜBERFALL

WALTHER UND ICH tauschten stumme Blicke aus. Wir waren nicht sicher, ob wir zur Tür gehen oder uns ruhig verhalten sollten, und so tun, als ob wir nicht da wären. Doch würde das helfen? Das Feuer brannte bereits hellen Scheines und die ungebetenen Gäste brauchten lediglich durch das Fenster zu blicken, um zu sehen, dass wir da waren. Es nützte nichts. Alles, was wir tun konnten, war, so freundlich und unbefangen wie möglich an die Tür zu gehen und zu fragen, was man von uns wolle. Im Notfall würde ich meine Vampirfähigkeiten nutzen, um uns zu verteidigen. Ich nickte Walther zu und unsicheren Schrittes ging er zum Eingang. Ich spannte jeden einzelnen Muskel in meinem Körper an, bereit, meinem alten Freund im Ernstfall sofort zur Seite zu springen.

»Einen schönen guten Abend, die Herren. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte Walther und lächelte die Fremden freundlich an.

»Gebt uns einfach alles, was ihr habt, alter Mann«, antwortete einer der beiden Männer trocken. »Oder verlasst dieses Haus sofort. Es steht euch nicht zu.«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte Walther und war sichtlich bemüht, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Wir haben dieses Haus unbewohnt vorgefunden und wollen nur ein paar Tage bleiben, um uns aufzuwärmen.«

»Sie haben also keinen festen Wohnsitz. Verstehe ich das richtig?«, fragte der zweite Mann und drängte sich an Walther vorbei ins Haus hinein.

»Wir sind auf der Durchreise.« Walther bemühte sich weiterhin um Fassung und bat dann auch den anderen Kerl herein, um zu signalisieren, dass es nichts zu verbergen gab.

»Und wer ist das? Ihr Sohn?«, wollte der erste Mann wissen und schaute mich misstrauisch an.

»Ähm, ja. Das ist mein Sohn Knut. Wir haben unser Zuhause verloren, als der letzte Sturm einen Baum auf unser Haus geweht hat. War keine schöne Sache, das.« Walther mühte sich ein heiseres Lachen ab und schaute mich an. Ich begriff, dass er eine glaubwürdige Geschichte erfinden musste, und nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Wie auch immer, hier könnt ihr nicht bleiben. Über den neuen Besitzer dieses Hauses muss der Landgraf entscheiden«, fuhr der erste Kerl, ein breit gebauter Mann mit aschblondem Haar und einer auffälligen Narbe an der Oberlippe, fort. »Aber wie gesagt, für einen kleinen Obolus wären wir bereit, ein gutes Wort bei ihm für euch einzulegen. Also, was könnt ihr uns geben?«

»Nichts.« Walther antwortete kurz und knapp und war schlussendlich nicht mehr um Freundlichkeit bemüht. Er ahnte genauso gut wie ich, dass diese verschlagen aussehenden Kerle nie und nimmer im Auftrag irgendeines Landgrafen unterwegs sein konnten. Sie wollten uns ausrauben und ich wusste, dass sie ihre noble Fassade ablegen würden, sobald wir sie abweisen.

»Fangen wird doch bei diesem köstlichen Kaninchen an«, schlug der zweite Mann vor, der einen ungepflegten grau melierten Bart und abgenutzte Stiefel trug, die offensichtlich einstmals jemand anderes gehörten, und schien zu ignorieren, was Walther sagte.

Als wären wir gar nicht da, bedienten sich die beiden an unseren Vorräten und nahmen sich, wie selbstverständlich, von unserem Brot und dem letzten Rest Butter, den wir noch übrig hatten. Der Bärtige nahm einen kleinen ledernen Beutel aus seiner verschlissenen Jacke und holte ein paar Kräuter heraus, um sie über das Butterbrot zu verteilen.

»Sag mir nicht, dass das wieder dieses Eisenkraut-Zeug ist, Bertram.« Der Aschblonde schien nicht denselben Geschmack mit seinem Kameraden zu teilen und rümpfte angewidert die Nase.

»Das hatte in unserer Familie Tradition. Soll böse Dämonen fernhalten«, sagte der Bärtige mit einem schiefen Grinsen.

Der andere Kerl musste sich das Lachen verkneifen. »Ja, schon klar. Böse Dämonen. Hör auf, an diesen Unfug zu glauben, Kamerad. Wir, hörst du? Wir sind das Böse! Wir brauchen uns vor keinerlei finsterer Mächte zu fürchten.« Der Blonde biss herzhaft von dem mit Eisenkraut bedeckten Butterbrot ab und stolzierte selbstbewusst auf Walther und mich zu.

»Und was machen wir jetzt mit den beiden?«, fragte er seinen Kameraden.

»Du haft gefagt, wir find die Böfen, Philipp. Alfo tun wir, waf Böfe eben fo tun«, schmatzte Bertram ebenfalls genüsslich an unserem Brot herum.

»Was wollt ihr mit uns machen? Wir haben euch nichts getan«, wimmerte Walther.

Ich griff nach seinem Arm, um ihm zu signalisieren, dass ich die Situation unter Kontrolle hatte und er keine Angst haben musste.

»Nichts getan, nennst du das, Alter?«, spottete Philipp und spuckte uns verächtlich ins Gesicht. »Ihr habt euch ohne uns zu fragen dieses verwaiste Haus unter die Nägel gerissen, das wir ausräumen wollten. Das nennt ihr nichts?«

Ich hatte das Gefühl, dass meine Haut an den Stellen brannte, an denen der Wüstling mich angespuckt hatte, doch ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich stellte mich direkt vor Philipp hin und schaute ihm tief in die Augen.

»Was ist, Bube? Hab ich was im Gesicht?«, fragte er und wollte sich lachend von mir abwenden.

»Schau mich an und sage mir, was du von uns willst.« Ich starrte ihn auf dieselbe Art an, wie ich es die letzten Wochen mit den anderen Menschen tat, doch er wollte dem Blick einfach nicht standhalten.

»Ich will euch den Hintern versohlen«, spottete Philipp und versuchte, mich von sich zu stoßen, aber er hatte nicht mit meiner Kraft gerechnet. Ich blieb unbeeindruckt stehen und wich nicht einen Schritt zurück.

»Schau mal, Bertram! Das Knäblein will sich tatsächlich mit uns prügeln«, lachte Philipp höhnisch und trat noch einen Schritt näher an mich heran.

»Ihr werdet uns in Ruhe lassen, von hier verschwinden und niemals wiederkommen«, sagte ich in gebieterischem Ton, als er abermals den Blickkontakt suchte, doch erneut hatte ich keinen Erfolg. Was machte ich falsch?

»Halt die Fresse, Bürschchen!«, schrie er mich schließlich an und klatschte mir seine Brotscheibe direkt ins Gesicht.

Ich konnte nicht sagen, was passierte, aber mein Gesicht brannte, als würde ich es der prallen Sommersonne entgegen strecken. Das Einzige, was ich noch tun konnte, war, mich reflexartig auf diesen Kerl zu stürzen und Walther zuzurufen, dass er durch die Hintertür verschwinden sollte. Bertram, der andere Typ, wollte seinem Kameraden zur Hilfe eilen, doch in diesem Moment hatte ich wieder ein wenig zu mir gefunden und konnte ihn ebenfalls überwältigen. Sie waren beide zu sehr geschockt über meine Stärke, dass sie sich zunächst nicht zur Wehr setzen konnten.

In mir jedoch wuchs Wut. Wut und Verachtung diesen Kerlen gegenüber, die einen hilflosen alten Mann überfallen wollten. Ich fühlte mich an meine eigenen Untaten erinnert und der Wunsch in mir wurde stärker, dass ich mich selbst bestrafen könnte, indem ich diese Männer bestrafte. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was ich da gerade tat, schlug ich meine Reißzähne in Bertrams Hals und hielt gleichzeitig mit meiner linken Hand Philipps Kehle zu. Aber schon wieder passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Sobald der erste Tropfen von Bertrams Blut meine Kehle herabfloss, spürte ich erneut ein Brennen und hatte das Gefühl, meine ganze Mundhöhle wäre verätzt worden.

Erschrocken ließ ich von den beiden ab und hustete Blut wie ein Schwindsüchtiger.

»Was ist los mit diesem Spinner?!«, rief Bertram und hielt sich erschüttert seine blutende Wunde am Hals.

»Ihr seid hier die Spinner«, keuchte ich und wollte mich erneut auf Bertram stürzen, aber dieses Mal, um ihm das Genick zu brechen.

»Tu das nicht, Knut«, hörte ich Walthers Stimme hinter mir. »So bist du nicht. Widerstehe diesem Trieb. Ich weiß, dass man so etwas sein Leben lang bereut.«

»Walther, du solltest längst fort sein. Verschwinde von hier!«, schrie ich ihn an.

Ich war wütend auf ihn, dass er nicht geflohen ist, als ich ihm die Gelegenheit dazu verschafft hatte, und ich war wütend auf mich selbst. Ich hatte beim Manipulieren versagt und auch bei der Selbstkontrolle, niemals wieder einen Menschen töten zu wollen.

»Steh auf, mein Junge. Lass und von hier verschwinden. Sie sind zu überwältigt, um uns noch etwas antun zu können.« Walther reichte mir seine Hand und erst jetzt begriff ich, dass er überhaupt nicht verwundert zu sein schien, über das, was ich tat und gerade vorhatte zu tun.

Ich erhob mich, warf den beiden Räubern einen letzten verächtlichen Blick zu und dann packte ich meinen alten Freund und rannte mit ihm in Vampirgeschwindigkeit in den mondbeschienen Wald hinaus.

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