DER PATER

SCHRITTE KÜNDIGTEN DAS NÄHERKOMMEN des Paters an. Dann sprang die Tür mit einem unangenehmen Quietschen auf und gab den Blick auf eine von unzähligen Kerzen beleuchtete Kammer frei.

»Sabine, meine Schöne! Ich wusste, dass ich dich wiedersehen würde.« Ein Mann, der augenscheinlich um die dreißig Jahre alt war, stand vor uns und bedachte meine Begleiterin mit einem schelmischen Lächeln. »Du hältst es eben doch nicht lange ohne uns aus, was? Das freut mich.«

»Freu dich nicht zu früh, Horatio. Ich bin nur hier, weil er auf der Suche nach dir ist und mit Sicherheit besser zu euch passen wird, als ich es jemals getan habe.«

Der Mann verengte seine Augen und widmete mir zunächst keine Beachtung.

»Gut. Dann habe ich dir nichts weiter zu sagen, Sabine«, fuhr er fort und ließ den Blick nicht von der Frau, die selbstbewusst vor ihm stand. »Suche dein Glück woanders, wenn du denkst, dass es dort zu finden ist.«

»Dessen bin ich mir sicher«, antwortete sie in einem beinahe abfälligen Ton. Dann wandte sich Sabine ein letztes Mal an mich, bevor sie in Vampirgeschwindigkeit den Gang, den wir gekommen waren, zurücklief: »Lass dir den Verstand von denen nicht verderben, Walther. Ich weiß, du kannst es besser.«

Ein kehliges Lachen riss mich aus meinen Gedanken, ob ich Sabine gerade zum letzten Mal gesehen haben mochte.

»Sie ist eine kleine Kratzbürste, denkst du nicht auch, mein Sohn? Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass sie nicht zu uns passt. Komm herein. Nach allem, was ich gehört habe, hast du mir einiges zu erzählen.«

Das Zimmer des Paters war weit komfortabler eingerichtet, als alle Räume, die ich dort bislang gesehen hatte. Irgendwie glich alles eher einem Altar oder Schrein. Es hing tatsächlich ein Kruzifix über der Tür, was so manchem späteren Autor von Vampirgeschichten die Suppe gehörig versalzen dürfte. Generell erschien mir alles dort etwas, nun ja, sagen wir, exotisch zu sein. Sehr prachtvoll und ganz und gar nicht deutsch, um es mal so auszudrücken. Es erinnerte mich vielmehr an Gemälde italienischer Künstler, die ich gesehen habe, als ich aus sicherer Entfernung den Umzug eines Edelmanns in Durlach beobachtet hatte.

Der Pater selbst wirkte ebenfalls nicht wie jemand, der aus dieser Gegend stammte. Sein Haar war sehr dunkel. Im schwachen Licht wirkte es schwarz. Dasselbe konnte ich über seine Augen sagen, die mich nach wie vor nicht ansahen. Stattdessen blätterte er in einer goldverzierten Bibel herum und fuchtelte mit den Händen vor seiner Brust, während er mir unverständliche Worte murmelte. Er trug eine dunkelbraune Mönchskutte, was meinen ersten Eindruck verstärkte, mich in einer Art Kloster zu befinden. An deren Saum war ein wiederkehrendes schimmerndes Symbol zu erkennen. Eben jenes Symbol, welche auf dem Stein an der Außenwand der Burgruine eingelassen war. Die Haut des Paters war gebräunt, was allerdings nichts mit dem Sonnenlicht zu tun haben dürfte, wenn auch er ein Blutsauger war. Seine Nase war lang, etwas nach unten gebogen und spitz.

Auf einmal schien er zu bemerken, dass ich ihn eindringlich beobachtete, und fing an, zu schmunzeln.

»Buongiorno, figlio, sono venuta a salutarti.«

Ich verstand – wie man heute sagen würde – nur Bahnhof mit Bratkartoffeln. Aber wenigstens sah dieser geheimnisvolle Mann mich jetzt an und reichte mir aufgeschlossen beide Hände.

»Ähm, guten Tag. Mein Name ist Walther«, stellte ich mich vor und legte unsicher meine Hände in seine.

»Lo so che non capisci una parola di ciò che dico, ma non importa.«

Ich nickte einfach mal stumm. Denn anhand seiner Mimik und Gestik konnte ich zumindest erahnen, dass er meinte, dass er wusste, dass ich keinen Plan hatte, was er da gerade zu mir sagte.

»Das war Italienisch«, löste er das Rätsel schließlich auf. »Von dort kommt meine Familie ursprünglich her. Aus Florenz, wenn du es genau wissen möchtest. Geboren und aufgewachsen bin ich jedoch in Bozen in Südtirol. Setzt sich doch, mein Sohn. Reden wir ein bisschen über mich und diese Bruderschaft. Du sollst nicht das Gefühl bekommen, wir wären ein Mysterium. Das sind wir nicht. Zumindest nicht für Blutsauger wie dich und mich.«

Ein Mysterium. Ha! Auf so eine Idee wäre ich natürlich niemals gekommen. Ist schließlich ganz normal, dass ein Haufen Vampire irgendwo im Schwarzwald unter einer Burgruine hausen und sich wie Mönche benehmen.

Ich ließ mir meine abfälligen Gedanken, gegenüber dieser mir immer sonderbarer erscheinenden Vereinigung, freilich nicht anmerken. Stattdessen setzte ich mich auf einen der verzierten Stühle, die der Pater mir anbot. Er nahm mir gegenüber Platz und faltete vor sich auf dem Tisch die Hände wie zum Gebet zusammen.

»Mein offizieller Name ist Pater Horatius«, fuhr er wenige Augenblicke später fort. »Als Kind nannte man mich Horatio Giulini. Denn das war der Name der Familie, bei der ich aufwuchs.«

»Nicht Ihre leibliche Familie, wenn Sie das schon so sagen.«

Der Pater nickte. »Mein Geburtsname lautete Horatio di Damiano de'Medici.«

Ich schluckte. Der Name Medici war mir nicht unbekannt. Auf meinen Reisen hatte ich einige Male davon gehört, dennoch konnte ich nicht behaupten, zu wissen, wer diese Familie war. Der Pater bemerkte die Fragezeichen über meinem Kopf und schmunzelte.

»Die Medici sind eine einflussreiche italienische Familie, mein Sohn. Ihr Reichtum fußt im Textilhandel und auf Geldgeschäften. Aber auch Päpste entstammten bereits dem Geschlecht der Medici. Leo X. ist dir vielleicht ein Begriff?«

Ich schüttelte unsicher den Kopf. Wie gesagt, waren Kirche und Päpste kein so großes Thema in meinem bisherigen Leben.

»Nicht dramatisch. Dürfte zu lang her sein für dich und auch nicht wichtig für uns«, sprach der Pater weiter und klopfte mit seinen langen Fingern auf der Tischplatte herum. »Mein Vater war Damiano di Giovanni de'Medici. Der Zwillingsbruder von Cosimo de'Medici. Damiano wurde wenige Tage nach seiner Geburt am 10. April 1389 offiziell für tot erklärt. Aber er war es nicht, wie du siehst.«

Der Pater zeigte auf sich und nickte mit dem Kopf.

»Warum wurde Damiano für tot erklärt?«, fragte ich.

»Er war missgebildet«, antwortete er knapp. »Damianos Arme waren verkrüppelt. Das war für diese angesehene und erfolgreiche Familie natürlich inakzeptabel. Ehe jemand dieses Kind sehen und die Kunde vom Medici-Krüppel sich verbreiten konnte, wurde der Öffentlichkeit die tragische Geschichte vom plötzlichen Tod des Säuglings erzählt. Währenddessen kümmerten sich enge Vertraute der Medici um eine Ersatzfamilie für den Kleinen. Diese fanden sie bei einer verschwägerten Familie der Cousine meiner Mutter Piccarda de' Bueri. Mario und Verona Giulini in Bozen blieben ungewollt kinderlos und erklärten sich bereit, Damiano bei sich aufzunehmen. Er wuchs in einer liebevollen Familie auf und war trotz seiner Behinderung kein Kind von Traurigkeit.«

Der Pater lachte in sich hinein, bevor er weitersprach.

»Damiano schwängerte eines Tages die fünfzehnjährige Tochter einer Familie in der Nachbarschaft der Giulinis. Das war natürlich ein Skandal, wie du dir sicher vorstellen kannst! Ein Krüppel und ein Lustmolch. Ganz zu schweigen von der Schande, die das für die junge Frau bedeutete. Man schickte sie kurzerhand in ein Kloster und dort wurde einige Monate später ich geboren. Mit vollständigen Gliedmaßen, dem Himmel sei Dank.«

Der Pater stellte eine silberne Schale mit Weintrauben auf den Tisch und bot sie mir an. Dann erzählte er weiter.

»Verona Giulini kam meine Mutter ein paarmal im Kloster besuchen. Auch, um ihr von der wahren Herkunft meines Vaters zu berichten. Daraufhin versuchten die Nonnen vergeblich, die Medici zu kontaktieren. Mein Zweig der Familie existierte in deren nobler Gesellschaft aber offensichtlich nicht mehr. Sie erhielten nie Antwort aus Florenz, wodurch ich auch kein offizieller de'Medici werden konnte. So kam es, dass ich in einem Kloster geboren wurde, unter dem Namen de'Medici zwar, aber ohne Anrecht auf irgendetwas, dass sich meine Ahnen erwirtschaftet hatten. Ein gutes Jahr später verstarb mein Vater unerwartet bei einem Unfall und die Giulinis nahmen mich bei sich auf, während meine Mutter ihr Dasein weiterhin im Kloster fristete. Ich wuchs als Horatio Giulini auf. Als unehelich entstandenes Kind konnte ich jedoch schlecht Fuß fassen in der streng katholischen Gesellschaft und fand mich mit dreizehn Jahren ebenfalls in einem Kloster wieder. Das Franziskanerkloster Bozen war meine neue Heimat.«

Ich sah mich unwillkürlich in seinem Zimmer um, als der Pater dies erwähnte und er lachte abermals.

»Ganz richtig, mein Sohn. Dieser Raum widerspiegelt meine Vergangenheit als Mönch, die ich nie ablegen konnte. Die Brüder waren stets gut zu mir. Ich hatte ein streng geregeltes, bescheidenes aber dennoch gutes Leben dort. Ich möchte keinen Tag davon missen.«

Der Pater schaute verträumt in Leere, bis ich ihn mit meiner Ungeduld aus diesen Träumen herausriss.

»Wie kommt es dann, dass Sie ... ein Blutsauger sind?«, fragte ich völlig ungeniert.

»Auch das will ich dir verraten«, sagte der Pater und nahm sich eine Weintraube. Nachdem er sie geschluckt hatte, setzte er seine Erzählung fort.

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