ꕤ Kapitel 9 ꕤ

Eine Krähe zum Nerven
𝙹𝚎𝚛𝚎𝚕𝚢𝚗
ꕤꕤꕤꕤ

𝚂𝚒𝚎 saß besorgt neben Cassia, die ohnmächtig am Boden lag. Utopa hatte ein Kissen unter ihren Kopf gelegt, damit er nicht auf dem kalten Stein lag.

„Ich glaube, du hast es ein wenig übertrieben, Utopa"
„Ich wusste nicht, wie ich es anders machen sollte. Die Zeit drängt."

„Ich weiß" Jerelyn seufzte. Sie wäre lieber noch länger geblieben, für Cassia.
Wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, hatte sie sehr glücklich gemacht. Die zwei würden sicher gute Freundinnen werden.
Dann wäre das ganze Hexending für Cassia auch nicht mehr so schwer, mit jemandem an ihrer Seite.

„Ich wollte doch bloß helfen" Utopa wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht.
„Das hast du doch bereits. So glücklich wie heute, war Cassia schon lange nicht mehr"
„Sie scheint mir ein sehr kluges Mädchen zu sein, dessen Talent niemand anerkennt."

Da konnte Jerelyn ihr hundert prozentig zustimmen. In der Jugendlichen steckte so viel mehr als der Dorftrottel, als den sie alle abgestempelt hatten.
Cassia sorgte sich um Andere. Sie hatte Einar, obwohl er sie nicht gut behandelt hatte, nicht zurückgelassen.
Und alles, was sie sich wünschte, war ebenso respektiert und geliebt zu werden.

Da veränderte sich Cassias Aussehen. Ihre Haut wurde glatter, kindlicher und sie schrumpfte.
Kaum einen Augenblick später sah sie wieder so aus wie immer.

„Du hast es auch gesehen, oder?", hakte Utopa nach, die sie überrascht anschaute.
Jerelyn nickte. Utopas Hilfe musste mit Cassias angeborenen Fähigkeit zusammengeprallt sein.
„Das erklärt zumindest, von wem sie abstammt"
Jerelyn schüttelte den Kopf. „Das ist doch unmöglich, Xania ist doch schon seit über fünfzig Jahren tot und sie hatte keine Schülerin."
„Aber, wer soll es sonst sein? Walera ist doch für die Zukunft zuständig, oder?"
„Schon... seltsam"

„Wartet auf mich", murmelte Cassia. „Ich bin nicht so schnell"
Sie schien endlich wieder wach zu werden. Jerelyn fragte sich, worüber sie sprach. Sie würde auf etwas mit ihrer Familie tippen.

Langsam öffnete Cassia die Augen. Das Waldgrün wirkte noch etwas glasig.
Sie rieb sich über die Stirn.
„Bin ich... eingeschlafen?" Sie klang tatsächlich etwas schlaftrunken. „Wieso war mir so... schwindlig?"
„Ist ansonsten bei dir alles gut?" Tiefe Sorge lag in Utopas Blick.

„Schon, mein Kopf tut noch ein bisschen weh. Ansonsten, ganz okay"
„Hast du nicht genug geschlafen in den letzten Nächten?", fragte Utopa unauffällig.
„Eigentlich schon. Es hat sich allerdings wie schlafen angefühlt. Ich hatte einen schönen Traum" Cassia starrte sehnsüchtig aus dem Fenster, hinter dem zwischen den Bäumen langsam die Sonne unterging.

„Ich war im Wald mit all meinen Geschwistern und wir haben Entdecker gespielt." Sie stockte. „Moment, dann war es für einen kurzen Augenblick schwarz. Also komplett schwarz."
„Das ist... ungewöhnlich"
Cassia nickte und fuhr fort. „Danach war wieder alles wie vorher. Naja, außer das alles irgendwie rötlicher wirkte. So wie wenn die Sonne aufgeht und die Wolken einfärbt. Sehr seltsam. Und dann, dann bin ich aufgewacht"

„Bin ich froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist" Utopa hielt eine Hand prüfend auf ihre Stirn. „Fieber hast du zumindest keines"
„Dann wäre ich jetzt nicht so munter" Cassia lächelte. „Hast du vielleicht noch Tee da?"
„So viel du möchtest"
„Danke"

Cassia richtete sich auf, während Utopa Wasser zum Kochen brachte und es anschließend — ohne irgendwelche speziellen Zutaten — in eine Tasse goss.
Die Jugendliche setzte sich an den Tisch und roch daran.

Jerelyn warf immer wieder Blicke nach draußen. Ein Gefühl in ihr sagte ihr, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas fehlte.
Während Cassia genüsslich ihren Tee schlürfte, packte Utopa ihnen ein wenig Proviant zusammen, sowie eine Landkarte, neue Kleidung für Cassia und ein paar Münzen.
„Ich kann euch leider nicht viel anbieten"
„Das ist nicht schlimm, vielen Dank", beruhigte Jerelyn sie.

𝚆𝚒𝚛 𝚖𝚞̈𝚜𝚜𝚎𝚗 𝚓𝚎𝚍𝚎 𝙷𝚒𝚕𝚏𝚎 𝚗𝚎𝚑𝚖𝚎𝚗, 𝚍𝚒𝚎 𝚠𝚒𝚛 𝚔𝚛𝚒𝚎𝚐𝚎𝚗 𝚔𝚘̈𝚗𝚗𝚎𝚗. 𝙳𝚊 𝚍𝚊𝚛𝚏 𝚖𝚊𝚗 𝚗𝚒𝚌𝚑𝚝 𝚙𝚒𝚗𝚐𝚎𝚕𝚒𝚐 𝚜𝚎𝚒𝚗.

Utopa griff nach einer Pfeife, die auf dem Kaminsims gelegen hatte, und blies kräftig hinein.
„Ich rufe euch einen Reisebegleiter für die ersten Tage", erklärte sie, nachdem Jerelyn sie etwas schräg angeschaut hatte.

„Du hast einen Vertrauten gefunden? Wie schön" Jerelyn hüpfte zu ihr hinüber und rieb ihren Kopf an Utopas Bein.
„Naja, offiziell noch nicht, aber ich hoffe, dass er von den Anderen nicht abgelehnt wird. Felix kann manchmal ein ziemlicher Sturkopf sein..."
„Das wird schon" Cassia nickte ihr zu. „Braucht eigentlich jede Hexe einen Vertrauten?"

„Es macht das Leben halt deutlich einfacher und man hat ein höheres Ansehen, aber das ist für mich nebensächlich. Ah, ich höre ihn schon"
Ein fernes Wiehern ertönte.
Dann lauter werdendes Hufklappern.
Kurze Augenblicke später schaute ein brauner Kopf durch das Fenster über dem Bett hinein.

„Was gibt's? Hast du vielleicht einen Apfel oder so?"
Utopa kicherte und kramte aus einer Kiste unter ihrem Bett einen hervor. Sie warf ihn Felix zu, welcher ihn mit dem Maul auffing und krachend zerkaute.
„Meine Freunde hier, könntest du sie vielleicht bis zum Waldrand bringen? Sie haben eine lange Reise vor sich und so wäre sie etwas kürzer."

Felix legte den Kopf schief als überlege er.
„Klar, Freunde von dir sind auch Freunde von mir"
Täuschte Jerelyn oder hatte er ihr zugezwinkert? Also bei ihr konnte er so keine Karotte gewinnen.
„Danke, wir müssen dann auch jetzt los"

„Auf Wiedersehen" Cassia drückte Utopa zum Abschied ganz fest. „Vielen, vielen Dank für deine Gastfreundschaft und die köstlichen Scones."
„Auf das wir uns Wiedersehen, Cassia" Die junge Frau erwiderte die Umarmung mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Kannst du nicht mit uns kommen?"
Jerelyn konnte gut verstehen, weshalb Cassia sich das wünschte.
„Ich würde liebend gerne, aber der Wald und die Tiere brauchen mich. Es ist meine heilige Aufgabe, sich um ihn zu kümmern. Du kannst mich ja nach deiner Reise besuchen kommen."

„Schade" Cassia war die Enttäuschung an zu sehen. „Pass gut auf dich auf."
„Du auch. Ah, Moment, das hätte ich beinahe vergessen."
Utopa eilte zu dem Werktisch vor dem Vorratsregal und blies die Kerze aus. Anschließend reichte sie sie Cassia.
„Damit du weißt, dass du nie im Dunklen stehst."

„Oh danke" Cassia umarmte sie noch ein letztes Mal.
„Bis dann" Utopa öffnete die Tür und wie aufs Kommando kam Felix um die Ecke.
Cassia schnürte sich den Beutel um, warf sich einen Mantel über und stieg dann auf.
„Oh, ich habe ganz vergessen zu fragen, ob du überhaupt reiten kannst" Peinlich berührt blickte Utopa zu Boden.
„Keine Sorge. Es gibt Weniges, was ich gut kann, aber Reiten gehört dazu."

„Ich glaube, in dir steckt viel mehr als du denkst" Utopa lächelte ihr zu. „Halte an deinen Träumen fest. Sie sind es definitiv wert."
„Danke. Wenn ich zurückkomme, will ich mehr von deinem Michael hören" Cassia zwinkerte ihr zu.
„Ermutige sie nicht auch noch"
„Liebe soll doch etwas Schönes sein? Warum sollte man es ablehnen?" Cassia grinste sie frech an.
Auch wenn es Jerelyn ein wenig nervte, dass ihr Rat so einfach ignoriert wurde, freute sie sich auch. Dieser Besuch hatte Cassia sehr gutgetan.

„Wo darf es denn hingehen, die Damen" Felix ahmte den hochtragenden Akzent eines Butlers nach.
„Richtung London, bitte"
„Selbstverständlich, Liebes"
Dieser Hengst hatte es faustdick hinter den Ohren. Der versuchte ernsthaft, mit ihr zu flirten.
Cassia kicherte wie ein kleines Mädchen und auch Utopa grinste, bevor sie rein zufällig die Tür schloss.

𝙳𝚒𝚎 𝚜𝚒𝚗𝚍 𝚖𝚒𝚛 𝚓𝚊 𝚝𝚘𝚕𝚕𝚎 𝙵𝚛𝚎𝚞𝚗𝚍𝚎

Nachdem Cassia sich eingefangen hatte, drehte sie Felix mit geschickten Bewegungen. Jerelyn flog neben ihnen her.
„Woher weißt du das eigentlich?"
London? Utopa vermutet, dass Aurelia zur Hausnummer 2123 geflohen ist."
„Aha" Cassia klang nicht sehr überzeugt.
„Das ist ja eine sehr genaue Adresse, wenn ich das so sagen darf", mischte Felix sich ein.

„Das ist ein Codewort, selbstverständlich"
„Ja, natürlich, da hätten wir auch selber draufkommen können" Die Art, wie Felix das sagte, fand Jerelyn sehr unhöflich. Denn die Ironie war nicht zu überhören.
„Gemeint ist die Hölle, der letzte Zufluchtsort für Hexen."
„Na dann verstehe ich, weshalb ihr nach London wollt. Das soll die Hölle sein"

Stellte er sich absichtlich doof an oder wusste er es wirklich nicht?
„Nein, der einzige unentdeckte Eingang zur Hölle ist in London."
„Ich finde es immer noch sehr passend."
Dieser Felix ging ihr gehörig auf die Nerven. Und warum war Einar so still? Das passte doch gar nicht zu ihm. Er hätte sich schon längst...

𝙼𝚘𝚖𝚎𝚗𝚝, 𝙴𝚒𝚗𝚊𝚛?

Jerelyn schaute sich um. Die Hütte lag bereits hinter ihnen, aber der Kater war nirgends zu sehen.
„Wo ist eigentlich Einar?" Sie flog zu Utopas Haus zurück, doch Einar war wie vom Erdboden verschluckt.
Das hatte ihnen gerade noch gefehlt.

Auch wenn sie es nicht zugab, sorgte Jerelyn sich um ihn. So unerträglich er auch manchmal war, würde sie doch nie vergessen, wie er sich damals um sie gekümmert hatte.
Als alles noch so trostlos und sinnlos erschien.
Nachdem sie den größten Fehler ihres Lebens begangen hatte.
Da war er für sie da gewesen. Ohne zu fragen und ohne eine Gegenleistung.
Deswegen mussten sie ihn jetzt finden.

Egal wie dringlich es war, Aurelia zu finden. Einen Gefährten ließ man nicht im Stich.
„Wir müssen umkehren, Felix. Einar fehlt"
„Ah, der" Der Hengst klang nicht wirklich begeistert. „Von dem habe ich... nur Gutes gehört."
„Mir ist egal, was du von ihm hältst. Wir. suchen. ihn. Jetzt" Ihre Stimme war scharf. Zorn klang in ihr mit.

Schnaubend drehte Felix um.
„Wo geht es lang, Werteste?"
„Folg mir" Sie ignorierte seinen Ton und flog dorthin, wo sie seine Anwesenheit spürte. Sie hatte wieder eine Feder in seinem Pelz versteckt und wusste so immer, wo er war. Normalerweise benutzte sie ihre Fähigkeit nicht, aber heute konnte sie von Glück sprechen, dass sie jene besaß.

Er bewegte sich.
Er kam auf sie zu.
Wo um Himmels Willen war er gewesen? Weshalb war er weg gegangen?
War sie vielleicht zu hart gewesen?
Aber er wusste ja, dass sie es eilig hatten und seine Aktion hatte sie verlangsamt.

Jerelyn wich einem Ast aus und flog unter einem anderen durch.
Unter ihr galoppierte Cassia auf Felix, sodass Blätter und Nadeln aufstoben.

Endlich erspähte sie den Kater in der Ferne.
Er rannte als wäre der Teufel hinter ihm her, schlug Haken.
Manchmal stolperte er, rappelte sich aber sofort wieder auf und jagte im selben Tempo weiter.
So schnell hatte sie ihn das letzte Mal rennen sehen, als die wütenden Dorfbewohner hinter ihnen her gewesen waren.
Jerelyns Sorge wuchs.
Es gab nicht viel, was Einar dermaßen in Panik versetzen konnte.
Irgendetwas wirklich Schreckliches musste passiert sein.

Einar hatte sie inzwischen entdeckt und raste zielgerichtet auf sie zu.
Er kam schließlich rutschend und schlitternd vor Felix zum Stehen. Ihm hing wie ein Hund die Zunge heraus und er keuchte.

Nachdem er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, schaute er sie alle drei nacheinander an. Seinen bernsteinfarbenen Augen konnte sie den Ernst der Lage ansehen. Und auch die Angst.

„Viccamale weiß es"

ꕤꕤꕤꕤ
Es ist schön, wenn man auch mal über die negativen Eigenschaften anderer hinwegsehen kann. Das kann nicht jeder...
𝙰𝚕𝚜𝚘, 𝚗𝚊𝚓𝚊, 𝚠𝚊𝚜 𝚜𝚘𝚕𝚕 𝚒𝚌𝚑 𝚜𝚊𝚐𝚎𝚗... 𝙹𝚊, 𝚜𝚝𝚒𝚖𝚖𝚝 𝚜𝚌𝚑𝚘𝚗

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top