ꕤ Kapitel 6 ꕤ
Der Letzte wird der Genervteste sein
𝓔𝓲𝓷𝓪𝓻
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„𝓦𝓪𝓼 haben denn alle heute? Das ist ja furchtbar. Kennen die keine Nachtruhe?", fauchte Einar frustriert und stellte das Fell auf, als Jerelyn ihm in den Schwanz zwickte. Sie zerrte ihn nach oben und wich seinen wütenden Krallen aus. Cassia starrte mit weit aufgerissenen Augen dort hin, von wo der Schrei erklungen war.
Fackeln tauchten zwischen den Häusern am Stadtrand auf und wuchsen zu einer gewaltigen, lärmenden Menge an. Man brauchte keine guten Augen haben, um zu erkennen, dass sich dort geballte Wut und Hass zusammenbraute.
Auf ein unhörbares Signal wurde der Mob mobilisiert und kam als eine Feuerwand aus aufgehetzten Vorurteilen auf die Drei zu. Jerelyn drehte unentwegt Kreise und piekte ihn. Cassia hatte sich mal wieder in eine Salzsäule verwandelt und konnte den Blick nicht von den Menschen abwenden, die sich ihnen langsam, aber stetig näherten.
„Das waren mal meine Nachbarn", stellte sie fassungslos fest. „Diese Menschen kennen mich, seit ich klein bin"
„Tut mir leid, dass du das sehen musst. Allerdings möchte ich dich darin erinnern, dass das jetzt leider egal ist. Für die zählt alleine, dass du eine Hexe bist. Die Cassia, die du vorher warst, haben sie vergessen. Wir müssen weg, wenn wir nicht der Hölle einen Besuch abstatten wollen. Da kommen wir nämlich hin, falls wir die heutige Nacht nicht überleben."
„Solltest du nicht die Optimistin in dieser Runde sei-Autsch" Diese nervige Krähe hatte ihm mindestens dreißig seiner wertvollen Haare ausgerissen.
𝓢𝓸 𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓤𝓷𝓿𝓮𝓻𝓼𝓬𝓱𝓪̈𝓶𝓽𝓱𝓮𝓲𝓽.
„Das ist ja furchtbar, dein Bewegungsdrang. Und wehe, du berührst noch einmal mein Fell. Weißt du eigentlich wie viel Pflege es bedarf, den Glanz zu bewahren?"
Eisblock Cassia hatte es auch aus dem Winter geschafft und schaute sich hektisch um. Mücke Jerelyn flog richtungsweisend auf den Wald zu und warf immer wieder einen Blick zurück. Was hatte er nur für Reisegefährten?
Einen Trottel mit drei linken Füßen und eine Nervensäge, für die Ruhe ein Fremdwort war. Das waren ja großartige Voraussetzungen.
𝓘𝓬𝓱 𝓼𝓸𝓵𝓵𝓽𝓮 𝓳𝓮𝓽𝔃𝓽 𝓮𝓲𝓰𝓮𝓷𝓽𝓵𝓲-𝓪𝓱! 𝓦𝓪𝓼 𝓯𝓪̈𝓵𝓵𝓽 𝓲𝓱𝓻 𝓮𝓲𝓷?
Cassia hatte ihn in ihrer sinnlosen Panik am Schwanz gepackt und zog ihn wie einen Sack Mehl über die Wiese zum Wald. Gut, dass seine Prima ihn nicht sah.
𝓦𝓲𝓮 𝓮𝓷𝓽𝔀𝓾̈𝓻𝓭𝓲𝓰𝓮𝓷𝓭...
„He, loslassen", tobte er und versuchte sie an den Händen zu kratzen. Doch „Kunsttanz wäre nicht seine Stärke" wie Jerelyn es formuliert hatte. Was auch immer das bedeuten sollte. Kurz gesagt, er schaffte es dank seiner leichten Beleibtheit nicht, was ihn noch mehr frustrierte.
Nach weiteren erfolglosen Versuchen gab er schließlich auf und ließ sich zum Wald schleifen. Er redete es sich schön, indem er sich selbst überzeugte, dass er auf diese Weise nicht laufen musste. Spätestens als sein Allerwertester grob jegliche Wurzel mitnahm, zerplatzte dieser Traum so schnell wie die Nähte seines Lieblingskissen.
„Kannst du nicht aufpasch-" Er wurde unsanft von einem kleinen Bäumchen, das ihm ins Gesicht knallte, zum Schweigen gebracht. Modriges Laub verfing sich in seinem geliebten Pelz und der Gestank nach Verfaultem stach ihm in die Nase.
Er vergrub seine Krallen in den Boden, was sich allerdings als töricht herausstellte, da kurz darauf Cassia auf seinem Schwanz landete. Sie musste den Halt verloren haben und rücklings auf ihn gefallen sein. Er schrie auf vor Schmerz und schlug blindlings um sich. Irgendetwas erwischte er auch. Ob es Cassia gewesen war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen.
Auf jeden Fall endete der Schmerz und er zog sofort seinen Schwanz zu sich heran. Im Mondlicht sah er, dass jener vollkommen zerknittert war und so konnte er sich doch nicht zeigen. Einar leckte hingabevoll sein Fell, bis es einigermaßen präsentabel war. Das war ja das Mindeste, was er tun konnte.
„Und nun zu dir, junge Dame. Wie kannst du es wagen, mich, Einar den Dreizehnten, so zu behandeln. Du hast den Zorn der Divinai-Dynasthie auf dich geladen. Du solltest..." Er schaute auf und verstummte sofort. Die Jugendliche hetzte — vermutlich getrieben von Angst — dutzende Fuß entfernt auf dem Pfad weiter und besaß die Dreistigkeit sich nicht einmal um zu drehen, als er nach ihr rief.
Hinter ihm vernahm er das lauter werdenden Geplärre der Dorfbewohner. Gaben die denn nie auf?
Einar hatte wirklich keine Lust, weiter zu laufen. Ihm war kalt, sein Fell war voller Blätter und außerdem hatte er Hunger. Das war ein absolut inakzeptabler Zustand.
Er fegte abseits des Weges mit der Pfote ein bisschen Laub beiseite und machte es sich — so gut es eben ging — auf dem unangenehm feuchten Waldboden bequem. Er würde seinen wohlverdienten Schönheitsschlaf nachholen.
Einar rollte sich zusammen und schloss die Augen. Sonst dämmerte er immer binnen weniger Augenblicke weg. Aber heute wollte es einfach nicht klappen.
Sein blödes Herz klopfte wie verrückt und er fühlte sich ganz aufgekratzt. Energie strömte durch seine Muskeln und seine Glieder zuckten. Mit jeder Meile, die die Meute überbrückte, nahm das Pochen in seinem Inneren zu. Als ob sein Körper ihn vom Schlaf abhalten wollte.
𝓦𝓪𝓼 𝓯𝓪̈𝓵𝓵𝓽 𝓲𝓱𝓶 𝓮𝓲𝓷? 𝓘𝓬𝓱 𝔀𝓲𝓵𝓵 𝓭𝓸𝓬𝓱 𝓷𝓾𝓻 𝓶𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓡𝓾𝓱𝓮. 𝓘𝓼𝓽 𝓭𝓪𝓼 𝔃𝓾 𝓿𝓲𝓮𝓵 𝓿𝓮𝓻𝓵𝓪𝓷𝓰𝓽?
Anscheinend schon, denn er fühlte sich wie Wasser vor einem Damm, der bald brechen würde. Sein Körper strotzte nur so vor Kraft und drängte ihn dazu, endlich los zu laufen. Dabei wollte er sich lediglich kurz ausruhen.
„Aufstehen, renn, rette dein beschissenes Leben", schimpfte eine Stimme in seinem Kopf, die gruselige Ähnlichkeiten zu Jerelyn hatte. Doch er konnte die Krähe nirgendwo entdecken. Wie ein Echo hallt dieser Ruf durch seinen Verstand und nahm jeglichen Raum ein.
Irgendwann nervte ihn sein rasender Puls, der Widerhall in seinem Kopf und das Getöse des herannahenden Pöbels so sehr, dass er sich langsam erhob. Das Blut rauschte in seinen Ohren und ein seltsames Gefühl von Erregtheit wogte in seinem Inneren.
„Ich laufe nicht weg. Das ist ein taktischer Rückzug", rief er den Menschen zu, die ihn selbstverständlich weder hören noch sehen geschweige denn verstehen konnten. Aber das war für sein Gewissen.
Darauf drehte er sich um und raste los als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Einar hätte nie gedacht, dass er so schnell rennen konnte. In seinem Stolz über sich selbst stolperte er glatt über eine Wurzel und überschlug sich mehrfach ziemlich unelegant. Zum Aufregen blieb keine Zeit, denn sein verdammtes Leben stand immer noch auf dem Spiel.
Er rappelte sich auf, ignorierte die Nadeln, die zwischen seinen Barthaaren hängen geblieben waren, und jagte weiter am Pfad entlang.
Nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckte er endlich Cassias blonden Haarschopf, der in Mondlicht weiß glänzte. Ein silbern-blauer Blitz sauste durch die Luft, den Einar bald als Jerelyn ausmachte.
Bald holte er sie ein und drosselte seine Geschwindigkeit, bis er neben ihr herlief.
„Was hat dich so lange zurückgehalten? Du warst noch für eine ganze Weile am Waldrand", stellte die Krähe fest.
Aufgeschreckt durch die Katze, die sie anscheinend gerade erst bemerkt hatte, lief Cassia glatt in einen Baum hinein. Sie schüttelte sich und eilte dann weiter, als wäre nichts gewesen. Allerdings lief sie in kleinen Kurven.
„Tut mir leid, dass ich dich am Schwanz gepackt habe. Ich konnte dich nicht einfach zurücklassen. Das macht man nicht", murmelte sie schuldbewusst.
„Woher weißt...", setzte Einar an, Cassia ignorierend, und blickte an sich hinunter, wo er die kleine Rabenfeder in seinem Brustfell entdeckte. „Verflucht, ich habe dir gesagt, dass ich nicht von dir verfolgt werden möchte." Er wischte die Feder schnell weg.
„Ich freue mich auch dich zu sehen, Einar", kam es zurück. „Aber wir haben Wichtigeres zu tun. Hopp hopp, weiter."
„Entschuldigung, ich bin kein beschränkter Karottenfresser", beschwerte er sich, setzte sich trotzdem wieder in Bewegung. Insgeheim wusste er, dass sie leider Recht hatte.
So folgte er den Beiden und schwieg beleidigt. Mit einem Hasen verglichen zu werden, nahm er jedes Mal persönlich, denn diese schafften es stets, ihm zu entwischen. Immer wenn er dachte, er würde sie erwischen, schlugen sie mehrere geschickte Haken und schlüpften ihm durch die Pfoten.
Erst das Plätschern von Wasser riss ihn aus seinen Hasenfantasien. Der Mond näherte sich seinem Höhepunkt und es glitzerte geheimnisvoll durch die Bäume. Unwohlsein machte sich in ihm bei dem Geräusch breit.
„Nur noch durch den Fluss, dann haben wir es fürs Erste geschafft", feuerte Jerelyn ihn und Cassia an, deren Erschöpfung sich bemerkbar machte. Sie wurde langsamer und stolperte deutlich öfter als vorher. Er musste sich jedoch eingestehen, dass auch in ihm die Erregung, die er anfangs verspürt hatte, nachließ und der Zerschlagenheit Platz machte.
„Wasser?" Kurz vor dem Fluss blieb er träge stehen und ließ sich zu Boden fallen. „Also nein, da mache ich nicht mit" Zumindest einen Teil seiner Würde wollte er behalten.
„Das steht leider nicht zur Diskussion. Los jetzt"
„Wasser", ächzte Cassia und sank am Flussufer auf die Knie. Sie schöpfte mit bloßen Händen die lebenswichtige Flüssigkeit und trank gierig. Das Wasser schien ihr Kraft zu geben, denn sie stand anschließend sicherer auf den Beinen.
„I-ich könnte dich auch rüber tragen", bot sie anschließend keuchend an.
Einar beachtete sie mit einem abwertenden Blick.
„Da gehe ich lieber selber", kommentierte er und hob die Nase.
„Dann wäre das ja geklärt. Beeilt euch" Jerelyn flog von einer Flussseite zur anderen und wieder zurück. Sie mied jeglichen Kontakt mit dem Wasser.
Cassia lief beziehungsweise hüpfte durch den Fluss und rief andauernd „kalt, kalt, kalt". Einar hielt jenes Verhalten erst für übertrieben, doch nur ein Schritt ins Nass überzeugte ihn vom Gegenteil. Er sah zu, dass er möglichst schnell wieder aus der Eiseskälte herauskam.
Während Jerelyn und Cassia die Spuren am Flussufer verwischten, putzte und schüttelte Einar sich abwechselnd. Der einzige Vorteil seines unfreiwilligen Bades war, dass ein Großteil des Laubes im Grunde abgewaschen worden war. Dennoch, Fellwäsche sollte man nicht vernachlässigen.
Zerschlagen ließ sich Cassia an einen Baum sinken und lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm. „Ich kann nicht mehr. Bitte, Pause", brachte sie schnaufend hervor.
„Da muss ich dem Dorftrottel ausnahmsweise zustimmen."
„Nenn sie nicht so. Sie heißt Cassia", wies Jerelyn ihn zurecht. „Wir müssen nur noch ein ganz kleines Stück am Fluss entlang gehen und dann ein paar Schritte in den Wald. Dann könnt ihr euch ausruhen, versprochen"
„Hattest du nicht gesagt, nur noch über den Fluss?", beschwerte er sich. Diese Krähe hielt sich nicht an ihre Worte, unerhört.
„Hier entdecken sie uns doch sofort. Es ist nicht mehr weit", spornte Jerelyn sie an. Widerstrebend erhob Cassia sich und er tat es ihr nach kurzem Zögern gleich. Mit letzter Kraft schleppte er sich weiter.
„Mir ist kalt und meine armen Pfoten schmerzen", nölte er, während sie sich durch das hohe Gras schlängelten.
„Du bist doch kein Junges mehr", tadelte Jerelyn ihn. „Entschuldigung, sein geistliches Alter stimmt nicht mit seinem körperlichen Alter überein."
„Genau, ich bin nämlich schon 173 Jahre alt", fügte er hinzu, unwissend was genau die Krähe meinte.
„Sag ich ja" Jerelyn seufzte.
Einar war sich nicht sicher, ob er stolz oder beleidigt sein sollte. Etwas an der Art, wie sie gesprochen hatte, hatte ihn irritiert. Er entschied sich für genervtes Schweigen und trottete mürrisch neben Cassia her.
Schließlich flog Jerelyn zu einer ausladenden Tanne hinüber. „Hier können wir schlafen", meinte sie.
„Endlich", brummte er und ließ sich, sobald er angekommen war, an Ort und Stelle auf den Boden fallen. Keine Augenblicke später schnarchte er zufrieden.
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Die restliche Reise verlief ohne Zwischenfälle. Abgesehen davon, dass der Waldboden mal zu hart, mal zu weich war und das Essen nicht dem Niveau entsprach, welches Einar gewohnt war.
Cassia nahm alles stillschweigend hin. Einar stellte fest, dass sie eine angenehme Zeitgenossin sein konnte. Keine Sticheleien, keine gemeinen Kommentare. Im Gegenteil, er musste zugeben, dass ihre ausgeprägte Fantasie bewundernswert war. Manchmal zeichnete sie kleine, erstaunlich detailreiche Bilder mit der Asche auf größere Steine.
Von Jerelyn konnte er das hingegen nicht behaupten.
Deswegen schwieg er auch beleidigt, als er die als unförmiger Stein getarnte Hütte entdeckte. Jerelyn brauchte eine Ewigkeit, um zu merken, dass sie bereits zu weit waren. Dem Dorftrottel Cassia war es sowieso nicht aufgefallen.
„Kann es sein, dass wir bereits an der Hütte vorbeigegangen sind?" Verwirrt ließ Jerelyn sich auf einem niedrig hängenden Ast nieder und schaute sich um.
„Wenn du nicht so blind wärest, hättest du es auch gesehen", spottete er und schaute sie herablassend an.
„Warum hast du nichts gesagt?", fuhr Jerelyn ihn an und erhob sich sofort in die Luft, um zurück zu fliegen. Cassia folgte ihr kommentarlos.
Als sie schließlich ankamen, wandte die Krähe sich direkt an ihn. Die Wut in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Du musst draußen bleiben", wies Jerelyn ihn an und deutete mit dem Schnabel auf einen Baumstumpf in der Nähe. Anschließend piekte sie ihn zur Strafe, woraufhin er fauchte.
Einar betrachtete das morsche Holz und beschloss, dass er lieber Waldnadeln als irgendwelche widerlichen Pilze im Fell hatte.
Das feuchte Moos kam noch weniger in Frage.
„Du gehst mir sowieso auf die Nerven, da kann ich mir eine Pause von dir nehmen."
Eigentlich hätte er sich gerne in der Hütte aufgewärmt, aber das würde er niemals zugeben.
„Du kannst auch gehen, Dorftrottel. Von dir habe ich auch genug", fauchte er gereizt, als er die Jugendliche noch vor der Hütte stehen sah.
„Wenn du ein Baum werden willst, dann bitte woanders", fügte er hinzu, da sie sich nicht bewegte.
Zitterte sie etwa?
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Bequemlichkeit ist der Gegner des Fortschritts.
𝓤𝓷𝓭 𝓰𝓾𝓽𝓮𝓼 𝓔𝓼𝓼𝓮𝓷 𝓲𝓼𝓽 𝓭𝓮𝓻 𝓖𝓮𝓰𝓷𝓮𝓻 𝓭𝓮𝓻 𝓚𝓻𝓪𝓷𝓴𝓱𝓮𝓲𝓽, 𝓸𝓭𝓮𝓻 𝔀𝓪𝓼?
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