ꕤ Kapitel 15 ꕤ
𝙶𝚞𝚝𝚜𝚑𝚊̈𝚞𝚜𝚎𝚛 𝚜𝚝𝚞̈𝚛𝚖𝚎𝚗 𝚏𝚞̈𝚛 𝙰𝚗𝚏𝚊̈𝚗𝚐𝚎𝚛
𝙹𝚎𝚛𝚎𝚕𝚢𝚗
ꕤꕤꕤꕤ
„𝙷𝚊𝚋𝚎 ich schon gesagt, dass ich diesen Plan für absolut töricht und lebensmüde halt? Ich hätte da eine andere, effizientere Lösung...
„Mindestens dreißig Mal und nein, das machen wir nicht", erwiderte Jerelyn, die neben George herflog.
„Könntet ihr mir vielleicht mal verraten, was ihr vorhabt?", bat dieser wie schon viele Male zuvor.
„Es gibt einen Grund, warum wir dich nicht einweihen. Du wirst schon sehen."
George murmelte etwas Unverständliches und deutete dann nach vorne. Ein unnatürlich helles Grün blitzte zwischen den Bäumen hervor, als ob das Mondlicht es anleuchtete.
„Das ist der Westflügel. Wir sind da. Verratet ihr mir jetzt den Plan?" Hoffnungsvoll schaute er sie an.
Jerelyn hatte ein schlechtes Gewissen, aber sie durfte nichts sagen. Seine Reaktion musste echt sein, denn Einars Schauspielkünste waren... begrenzt und sie selbst war auch kein Experte.
„Wir schleichen uns durch die alte Hintertür, die du erwähnt hast, ins Gut und ich werde uns dann zum Labor führen. Einar wird für Ablenkung sorgen, indem er ein paar Wachen mit fremden Stimmen verwirrt."
„Die können was erleben" Ausnahmsweise hörte sie Vorfreude in seiner Stimme.
„Das Labor wird aber bestimmt bewacht sein", warf George ein und wies auf die kleine Seitentür, die wenige Fuß entfernt war.
„Das ist deine Aufgabe. Du musst sie eventuell irgendwie ablenken oder betäuben oder was auch immer. Dir fällt bestimmt etwas ein. Im Zweifelsfall bittest du sie um einen Tanz."
„Moment, ich soll was? Hast du den Verstand verloren?" George war so abrupt stehen geblieben, dass Cassia prompt in ihn hineingelaufen war.
„Entschuldigung äh... Onkel" Das Wort ging ihr noch nicht so leicht über die Lippen.
„Jeder hat seine Aufgabe und deine ist die Ablenkung der Wachen"
„Das schaffe ich doch nie im Leben. Also nein, das mache ich nicht"
„Vielleicht haben wir Glück und Einars Ablenkung genügt. Ich wollte es dir nur sagen, für den Fall der Fälle."
„Aha" George klang nicht sonderlich begeistert.
„Los jetzt, wir dürfen laut Aurelia keine Zeit verlieren. Je eher die Machenschaften des Lords beendet sind, desto besser."
Cassia öffnete die Tür und Jerelyn flog hindurch und George folgte ihr schließlich nach kurzem Zögern.
„Mir ist nicht wohl bei der Sache", ließ er sie wissen.
„Mir auch nicht", gestand Cassia ihm. „Aber ich möchte auch nicht mein Leben verlieren oder lebenslang eine Sklavin sein. Da ist mir das hier lieber."
Jerelyn staunte über ihren Mut und ihre unerschütterliche Hoffnung, dass sie es wirklich schaffen könnten.
Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits den Plan des Gebäudes, die Menschen darin und Einar, der auf dem Weg zum Ostflügel war.
Der Lord musste sich in Sicherheit wiegen, denn Jerelyn hatte mit deutlich mehr Wachen gerechnet.
Trotzdem waren es zu viele bewaffnete Menschen für ihren Geschmack. Besonders im zweiten Stock des Hauptgebäudes.
𝙸𝚗𝚝𝚎𝚛𝚎𝚜𝚜𝚊𝚗𝚝...
Sie liefen durch einen unterirdischen Gang, der laut George noch von den vorherigen Besitzern des Grundstücks übriggeblieben war. Er vermutete, dass es vielleicht die Überreste einer inzwischen verfallenen und abgerissenen Burg sein könnten. Ein Fluchtweg hatte seinen Eltern sicherlich gefallen und sie hatten keinen Grund darin gesehen, ihn zu verbarrikadieren.
Immer wieder führten kleine, in Nischen verborgene Wendeltreppen in das Erdgeschoss.
George hatte mit einem Zündholz einen dicken Stock angezündet und leuchtete ihnen den Weg.
Soweit Jerelyn sehen konnte, lagen zwischen ihnen und dem Hauptgebäude noch sieben Zimmer. In einem davon schlief jemand auf einem Sofa, eine Weinflasche in der Hand.
Auch wenn derjenige vermutlich nichts mitbekommen würde, sollten sie das Risiko nicht eingehen.
Einar war inzwischen im Ostflügel angekommen und hatte es bereits geschafft, ein paar Soldaten so zu verwirren, dass eine Schlägerei zwischen ihnen entfacht war. Jerelyn konnte sein breites Grinsen vor sich sehen, während er kehrt machte und sich in Richtung des Hauptgebäudes schlich, immer im Schatten der Wand.
An Ende entschieden sie sich für den Ausgang im Arbeitszimmer. Er war am nächsten zur Haupttreppe und am einfachsten zu nutzen. Die Tür war in einem ausladenden Schrank und von dicken Wintermänteln verborgen.
Selbst zu dritt, war es etwas eng darin. Cassia wollte die Tür öffnen, um „der stickigen Luft zu entkommen", aber Jerelyn hielt sie zurück.
Zwei Wachen liefen gerade an ihrem Zimmer vorbei, bevor sie wieder umkehrten und ihren Kameraden von der anderen Seite entgegen marschierten.
„Jetzt"
Cassia öffnete den Schrank von innen und sie huschten in das Zimmer und zur Tür. Der Boden war so freundlich, nicht zu knarzen.
Die Wachen bogen um eine Ecke und Jerelyn gab George das Signal, dass sie das Zimmer verlassen könnten. Sie mussten sich beeilen und zur Haupttreppe hinüber, weil sie sonst von den Wachen, die von der anderen Seite kamen, erwischt werden würden.
Weitere waren vor dem Haupteingang und dem Tor zum Innenhof positioniert. Drei standen in der Empfangshalle und tranken irgendetwas zusammen. Sie wankten ein wenig, als wäre das nicht ihre erste Runde.
Auf leisen Füßen schlichen sie die steinerne Treppe — wer hatte so etwas in seinem Haus? — nach oben.
Es hatte bisher alles gut geklappt.
Zu gut.
Berauscht von dem Sieg hatte Jerelyn nicht auf die zweite Treppe geachtet.
Vier Wachen, die fröhlich miteinander scherzten, prallten mit ihnen zusammen.
𝙱𝚎𝚒𝚖 𝚍𝚛𝚎𝚒𝚖𝚊𝚕 𝚟𝚎𝚛𝚏𝚕𝚞𝚌𝚑𝚝𝚎𝚗 𝚃𝚎𝚞𝚏𝚎𝚕, 𝚠𝚊𝚛𝚞𝚖 𝚑𝚊𝚋𝚎 𝚒𝚌𝚑 𝚗𝚒𝚌𝚑𝚝 𝚊𝚞𝚏𝚐𝚎𝚙𝚊𝚜𝚜𝚝?
Im ersten Moment waren die Männer ebenso verwirrt.
„Darf ich Sie um einen Tanz bitten?", fragte George und streckte — ganz der vornehme Gentleman — die Hand aus.
Cassia verstand es sofort und umrundete die perplexen Wachen und stürmte in den zweiten Stock.
Die Männer hatten sich wieder gefasst und organisierten sich. Zwei von ihnen nahmen George in die Zange, der ein pikiertes Gesicht aufsetzte und sich beschwerte, dass sie keine Manieren hätten.
Die Anderen schnappten Cassia mit Hilfe zweier Männer, die von oben herunterkamen.
„Das war ja ein toller Plan", zischte George, der eisern festgehalten wurde, Jerelyn wütend zu.
„Welcher Plan?", höhnte einer der Wachen, die mit Cassia ankamen.
„Was sollen wir nun mit euch machen? Erst foltern oder gleich umbringen?" Ein jüngerer Mann zog seinen Dolch und näherte ihn bedrohlich an George's Hals.
„Ganz ruhig", knurrte ein Anderer und streckte einen Arm aus. „Der Lord wird entscheiden, was mit ihnen geschieht." Er wandte sich an Cassia. „Sag deinem Federvieh, dass es mitzukommen hat und wenn es versucht zu fliehen, ist der Opa da drüben fällig."
„Sie kann euch verstehen", erklärte Cassia kleinlaut.
„Umso besser"
Der Anführer, der sie gerade bedroht hatte, ließ Cassia und George die Treppe hinauf zerren. Die Beiden wehrten sich nicht und auch Jerelyn selbst folgte ihnen gehorsam.
Unter den Schrägen des Daches befand sich ein weitläufiger Raum, der in einem tristen grau tapeziert war.
Köpfe von Skeletten, auf deren Stirn verschiedene Namen eingeritzt worden waren, waren direkt unter einem geöffneten Fenster in mehreren Vitrinen ausgestellt, sodass das hereinfallende schwache Mondlicht ihre Augen unheimlich leuchten ließ.
In der linken Ecke des Raumes war eine Folterkammer aufgebaut, die so schaurig und grausam war, dass Jerelyn die Worte fehlten.
Sie hatte schon einiges mitansehen müssen, aber das war eine andere Hausnummer.
Auf der anderen Seite sah es eher nach einem Labor aus. Verschiedene, hauptsächlich rote Flüssigkeiten blubberten in Kesseln oder tropften durch komplizierte Rohrsysteme.
Wissenschaftliche Artikel zierten die Wände und sogar ein paar Bücher lagen verteilt auf den Tischen.
Auf einem schwarzen, einladenden Sofa, dass so gar nicht in diesen Raum passte, saß ein hochgewachsener Mann, dessen wirres, braunes Haar unter einem Zylinder hervorquoll.
Er trug einen langen, schwarzen Pelzmantel, auf dem rote Flecken waren, bei welchen es sich bestimmt nicht um Farbe handelte.
Er hatte sich zurückgelehnt und musterte die Neuankömmlinge einen nach dem anderen.
„Und ich hatte schon die Sorge, dass ich nach dir suchen müsste, liebste Cassia" Er breitete die Arme aus und lächelte. Dabei zeigte er seine Zahnlücke, wodurch es eher so aussah als würde er seine Zähne fletschen.
„Aber nun bist ganz von alleine zu mir gekommen" Er strich sich den Mantel glatt, rückte seinen Zylinder zurecht und stand auf. „Herzlichen Dank, dass du mir und meinen Männern einiges an Arbeit erspart hast."
𝙷𝚊𝚝 𝚎𝚛 𝚍𝚎𝚗 𝚅𝚎𝚛𝚜𝚝𝚊𝚗𝚍 𝚟𝚎𝚛𝚕𝚘𝚛𝚎𝚗?
Cassia schien ähnliche Gedanken zu haben, denn sie blickte den Lord verstört an.
„Äh, gerne?"
„Als kleines Gastgeschenk möchte ich nur ein wenig Blut von dir haben. Das ist ja hoffentlich nicht zu viel verlangt."
Mit einem Messer in der einen und einem Röhrchen, das auf einem Tisch gelegen hatte, in der anderen Hand schritt er gemächlich zu der Jugendlichen hinüber.
„Nehmen Sie mein Blut, werter Lord", flehte George und streckte seinen Unterarm vor.
„Ach sieh mal einer an. Aus dir ist am Ende ein Opa geworden, mein guter George. Das ist ja ein Familientreffen. Also das ich das noch erleben darf."
Der Lord spazierte gekonnt an ihm vorbei und ergriff Cassia am Arm. „Wie geht es der Schwester, George?", plauderte er ganz beiläufig, während er der Jugendlichen in die Haut schnitt.
Jerelyn wusste nicht, wer lauter schrie, George vor Wut oder Cassia vor Schmerz.
„Ja, ja, die guten, alten Wunden" Unbeirrt von dem Krach zapfte der Lord das Blut ab und tätschelte Cassia den Kopf. „Sehr tapfer, meine junge Dame, wie unsere Anne. Es ist schon vorbei. Wir bedanken uns für ihre Spende."
„Sie..."
„Oh ja, entschuldige, die Pflaster sind leider aus und ein Bonbon kann ich Ihnen auch nicht anbieten."
Er schlenderte zum Tisch hinüber und holte aus einer unscheinbaren Kiste ein Becherglas hervor, das mit einer roten Flüssigkeit — sehr wahrscheinlich Blut — gefüllt war.
„Sie sollten sich geehrt fühlen, diesen Augenblick wissenschaftlichen Erfolges miterleben zu dürfen."
„Da ziehe ich doch lieber die Hölle vor", murmelte Jerelyn und bereute ihre Worte sofort.
„Was hat sie gesagt?" Der Lord fixierte Cassia, die sich hilfesuchend umblickte.
„Sie meinte, sie sollen sich beeilen und keine großen Reden schwingen."
„Sie sollte wissen, dass dieses Projekt mit äußerster Präzession und Sorgfalt durchgeführt wurde. Da darf man im entscheidenden Moment nicht hetzen." Seine Stimme war kalt und Jerelyn wusste, dass er Cassia ihre Notlüge nicht abnahm.
„Dann sehen wir doch mal ob, die Sache mit der Goldfärbung nur ein Humbug ist." Mit ruhiger Hand schüttete er Cassias Blut in das Becherglas und rührte es mit dem Messer um. Kein goldener Glanz erschien, die Flüssigkeit blieb blutrot.
„Jammerschade, finden Sie nicht?"
Cassia und George nickten zögerlich.
„Ja, da bin ganz bei ihnen. Aber am Ende zählt das Ergebnis, nicht wahr?"
Erneutes Nicken.
Der Lord rief in seinem üblichen, geschwollenen Ton einen Soldaten zu sich, der es gar nicht eilig genug hatte, bei ihm zu sein.
„Sie, mein Lieber, werden einen entscheidenden Schritt zu diesem Projekt beitragen. Sie haben die Ehre, mein Proband zu sein."
Ehrfürchtig ging der Mann mittleren Alters in die Knie und öffnete den Mund.
Lord Wincanton goss ihm einen Schluck in den Mund. Jerelyn hielt den Atem an. Was würde jetzt geschehen? Warum gab er diese unglaubliche Macht an einen gewöhnlichen Soldaten?
„Wie fühlen Sie sich?"
„Mir ist ziemlich schwindlig", gestand er und wankte.
„Ich danke Ihnen für Ihren Dienst" Der Lord schloss ihn die Arme und darauf sackte der Mann zusammen.
Der Hausherr zog das Messer aus seiner Brust und betrachtete den am Boden liegenden Soldaten. Keinerlei Reue oder Schuldgefühle konnte Jerelyn in seinem Gesicht erkennen.
Nur Enttäuschung.
„Schade, dann muss ich wohl noch ein Leben nehmen."
Er wandte sich zu den Soldaten, die noch immer Cassia und George festhielten.
Alle starrten ihn angsterfüllt an.
„Es besteht kein Grund zur Sorge, meine werten Herren. Es geht auch ganz schnell, versprochen."
𝚂𝚎𝚑𝚛 𝚋𝚎𝚛𝚞𝚑𝚒𝚐𝚎𝚗𝚍
Jerelyn flog aufgeregt hin und her, bis einer der Soldaten sie anschrie, still zu halten. Auch in seiner Stimme war die Furcht nicht zu überhören.
„Liebste Cassia, wäret Ihr so gütig und würdet mir diesen einen Tanz schenken?" Der Lord streckte ihr die Hand hin, wie ein Herr, der seine Dame zum Tanz aufforderte.
„I-ich"
Ein lautes Fauchen ertönte und ein schwarzer Blitz sauste durch das Fenster in den Raum.
„Niemand vergreift sich an Cassia", brüllte Einar und biss den Wachen, die die Jugendliche festhielten, in die Beine.
Ein warmes Glücksgefühl durchströmte Jerelyn bei seinen Worten.
Cassia riss sich los und schaute sich blitzschnell nach einem Ausweg um.
Sie fand ihn.
In Windeseile kletterte sie auf die Vitrinen mit den Schädeln hinauf und schwang sich durch das Fenster auf das Dach.
Keine Sekunde später hatte einer der Wachen den mutigen Kater gepackt und Andere folgten Cassia nach draußen.
„So geht es auch" Der Lord zuckte mit den Schultern und befahl seinen Männern, ebenfalls aufs Dach zu klettern.
Kaum im Freien stellte Jerelyn bestürzt fest, dass Cassias Fluchtversuch nur von kurzer Dauer gewesen war.
Die Wachen hatten sie umzingelt und an den Dachrand getrieben.
„Die Vergangenheit wiederholt sich, nicht wahr, George?" Lord Wincanton, der inzwischen auch auf dem Dach war, spazierte zu Cassia hinüber.
„Lass sie in Ruhe" George wehrte sich erfolglos gegen die Wachen.
„Wie süß. Du willst mich aufhalten? Ach George, du solltest es doch eigentlich besser wissen."
„Der Kreislauf schließt sich" Er strich der Jugendlichen eine Strähne aus dem Gesicht
„Irgendwelche letzten Worte, Dorftrottel?"
„Ähm ich", brachte Cassia nur hervor.
„Sehr langweilig", meinte der Lord, einen Hauch von Enttäuschung in der Stimme, bevor er die Jugendliche vom Dach stieß.
Ihr schriller Schrei hallte durch den Innenhof.
Einar jaulte und Jerelyn kreischte auf.
𝙽𝚎𝚒𝚗, 𝚗𝚎𝚒𝚗, 𝚗𝚎𝚒𝚗!
„Cassia" George stürzte zum Dachrand und Jerelyn musste ihn sehr zurückhalten, nicht hinterher zu springen.
Der Anblick von Cassia war grausam.
Blut floss unter ihrem Körper hervor, dessen
Glieder unnatürlich verdreht waren. Besonders aus ihrem Schädel strömte die rote Flüssigkeit hervor.
„Was hast du getan?"
ꕤꕤꕤꕤ
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