ꕤ Kapitel 14 ꕤ
déjà anne
Cassia
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Als Cassia aus einem Brunnen Wasser trank, erschrak sie beinahe. Die Person, die ihr entgegen schaute, war nicht mehr sie selbst, oder?
Schon lange bevor sie in die Hölle gegangen waren, hatte sie nicht mehr in einen Spiegel geschaut. Es gab schlicht und ergreifend keinen.
Ihr Haar war verzottelt und verknotet. Der einstige Glanz, den ihre Mutter immer gepriesen hatte, war verloren.
Als wäre das kleine, unschuldige Mädchen in ihr verschwunden.
Staub von den Straßen im Gesicht von ihrer Flucht vor der Vereinigung.
Ein Kratzer von einem Zweig, der ihr ins Gesicht geschlagen war.
Dunkle Ringe unter den Augen von schlaflosen Nächten voller Angst, entdeckt zu werden.
Angst vor dem, was ihnen bevorstand.
Angst, dass sie sich laut Aurelia jemandem sich entgegen stellen musste, der über weit mehr Macht als sie selber verfügte.
Angst vor dem, der in der Hausnummer 2123 residierte.
Nachdem sie Viccamale entdeckt hatte, waren sie geflohen.
Sehr zu ihrem Leidwesen, aber auch dem der Vereinigung hatten sie die Treppe nehmen müssen.
Cassia hatte irgendwann komplett die Orientierung verloren. Die Zahlen nahmen kein Ende.
Ab einem gewissen Zeitpunkt fragte sie sich sogar, ob sie wirklich nach unten liefen.
In irgendeinem Stockwerk entdeckten sie das Boot, das inzwischen wie ein Piratenschiff aussah. Darin zwei verwegen dreinschauende Frauen in altmodischer Seemannskleidung begleitet von der jungen Frau mit den roten Augen, die ihnen zuwinkte.
„Anne und Mary halten die Truppe auf. Steigt ein"
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und kletterten ins Schiff, Einar als Letzter.
„Ai" Die beiden Piratinnen schwangen sich mit gezückten Säbeln und Pistolen von Bord.
Das Schiff brauste in die Tiefe, fast so als würde es fallen.
„Viel Glück", wünschte die Frau noch, bevor sich das Schiff wieder erhob.
Die Drei hetzten durch die Tür in den Eingangsbereich an einem verdutzten Napoleon vorbei zum Ausgang.
„Zum Fluss" Cassia schaffte es gerade so, die Worte zwischen zwei Atempausen hervor zu stoßen.
Einar meckerte ausnahmsweise nicht über „diese Art des Reisens", sondern stürzte sich in die Lava. Cassia und Jerelyn sprangen hinterher.
Schwärze raste an ihnen vorbei und schon waren sie im zweiten Becken und wurden sofort in den Strom zum ersten gesogen.
Roter Nebel hüllte sie ein und die Lava unter ihnen schrumpfte zu einem kleinen orangefarbenen Fleck.
„Sag die Sätze des Rituals in umgekehrter Reihenfolge und zeichne dabei ein Pentagram in die Luft", schrie Jerelyn ihr zu.
Cassia tat wie ihr geheißen und die Bewegung ihrer Finger erschienen rot leuchtend in der Luft über ihnen.
Die Schwärze über ihnen bekam Risse und Licht erstrahlte blendend hell.
Cassia schloss die Augen und öffnete sie erst, als ihr Arm gegen etwas stieß.
Eine Treppenstufe. Aus Stein.
Schummrige Dämmerung herrschte in dem Raum, welche jedoch im Vergleich zur Hölle noch hell war.
„Schnell, da hinauf" Einar sprang die ersten Stufen hinauf und Cassia folgte ihm. Jerelyn flog neben ihr her.
„Der geschlossene Eingang wird sie auch für eine kurze Zeit aufhalten. Das lässt sich nicht so schnell wieder öffnen."
Cassie nickte nur, zum Sprechen hatte sie keinen Atem.
Durch eine alte Holztür gelangten sie in einen ovalen Raum, der aufwändig mit kostbaren Materialien geschmückt worden war. Das Dach wurde von einer Säule in der Mitte des Zimmers getragen.
„Ah, das Chapter House" Zielstrebig flog Jerelyn zu einer Tür, die Cassia sogleich öffnete. Der Geruch von Rauch stach ihr in die Nase. Der Flügel brannte noch, doch das Feuer wurde gelöscht.
Einar kratzte sie am Bein und rannte dann an den Außenseite von einer imposanten Kathedrale entlang, die Jerelyn später als „Westminster Abbey" bezeichnete. Sie umrundeten den Turm und verließen kurze Zeit später das Gelände des Westminster Palace.
Sie mieden die Menschenmengen, die noch immer fasziniert das Feuer betrachteten.
Nach einigen Nebenstraßen und Gassen eilten sie wieder an der Themse entlang. Dieser folgten sie durch den Stadtteil Chelsea und weiter hinaus.
Sie rasteten kurz in einem Park mit einem antiken Gebäude und setzten zügig ihre Reise fort.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt schon überschritten, als sie in einem winzigen Fischerdorf direkt an der Themse ankamen.
Cassia war kurz vorm verhungern und so kauften sie an einem kleinen Stand Fisch und ein paar Äpfel. Für mehr hatte ihr Geld nicht gereicht.
Sie teilten sich den ersten Fisch und Cassia wickelte anschließend den zweiten in Zeitungspapier ein, damit ihre Kleidung nicht entsetzlich nach Fisch stank. Von den Früchten aßen sie keinen, sondern hoben sie alle auf.
Cassia atmete tief den Geruch des Dorfes ein.
Die Fischer, die scherzend durch die Straßen zogen.
Netze, die zum Trockenen aus Fenstern hingen.
Ein älterer Mann, der sie verwirrt anstarrte.
Eine leicht salzige Note in der Luft.
Hier fühlte sie sich wie zuhause.
Das Wasser, das mit einem Eimer aus dem Brunnen holte, schmeckte dadurch umso besser.
Auch wenn ein Blick hinein genügte.
Sie sah wirklich entsetzlich aus.
Aber im Moment musste sie niemandem gefallen.
Nach dieser Stärkung mussten sie auch weiter. Es war noch ein ganzes Stück bis zu dem Landgut mit der wahren Hausnummer 2123.
Noch ein langer Weg bis an ihr Ziel.
Moment, dieser älterer Herr ist doch vorhin schon an mir vorbeigelaufen, oder nicht?
Er setzte sich auf eine Bank in der Nähe und starrte sie die ganze Zeit so komisch an.
Als wäre sie ein Geist oder so etwas Ähnliches.
Aus irgendeinem plötzlichem Impuls stand dieser auf und kam zielstrebig auf sie zu. Cassias Puls beschleunigte sich. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Sie erhob sich von den Stufen und eilte in die nächste Gasse, Jerelyn und Einar direkt hinter ihr.
Der Kerl folgte ihr.
„Anne, warte"
Das war nicht ihr Name. Es handelte sich wohl um ein Missverständnis. Sie blieb stehen und drehte sich um.
„Entschuldigen Sie, da muss eine Verwechslung vorliegen. Ich bin Edward"
Der Fremde kam unangenehm nah als ob er sich selbst von der Wahrheit überzeugen musste und musterte die Drei, einen nach dem anderen.
Mit einem Mal färbten seine Augen sich violett und sein Blick wurde glasig.
Erschrocken wich Cassia zurück. Was ging hier vor? Wer war er?
„Sir, ist alles in Ordnung?"
Seine Augen wurden langsam wieder braun und er schien aus — wo auch immer er in seinem Kopf gewesen war — zurück zu kommen.
Er schüttelte sich und öffnete den Mund.
„Du-du bist nicht Anne"
„Ach nee, du Blitzmerker", kommentierte Einar mürrisch und setzte sich hin.
„Hat der Kater gerade gesprochen?"
Fassungslos starrte der Fremde von ihr zu Einar.
Da hat er ja etwas angerichtet... Moment, hat er ihn wirklich verstanden?
„Was soll er denn gesagt haben?", fragte Cassia vorsichtig nach. Eine Vorahnung machte sich in ihr breit. Eine Vorahnung, von der sie nicht wusste, ob sie sich darüber freuen oder davor fürchten sollte.
„Er, er hat mich als Blitzmerker bezeichnet"
„Das war noch die höfliche Variante", wies Einar ihn zurecht, der einfach nicht seine Schnauze halten konnte oder wollte. Vermutlich beides.
„Da schon wieder"
„Was haben unsere edlen Vorfahren verbrochen, solche Erben zu haben?" Einar hatte seinen Hang zur Dramatik wiedergefunden, nachdem er ihn beinahe in der Hölle verloren hatte. Das wäre allerdings kein so großes Drama gewesen, wie Cassia fand.
„Entschuldige, Einar ist ungefähr so freundlich wie eine Kratzbürste an schlechten Tagen"
„Du kannst ihn auch verstehen?"
„Manchmal wünsche ich mir, ich könnte es nicht" Cassia seufzte.
„So ein Zufall, das wünsche ich mir manchmal auch", murrte Einar beleidigt.
„Ich..." Der Mann ließ sich auf den Stufen vor einem Haus nieder und stützte den Kopf in die Hände. Kurz flackerte ein wenig violett in seinen Augen. Er rieb sich über die Stirn. „So intensiv war es noch nie"
„Was?"
„Diese Bilder... seit Jahren... vergebens..."
„Bilder?" Jerelyn landete neben ihm, woraufhin er aufgeschreckt beiseite rutschte.
„Noch ein sprechendes Tier"
„Ich würde eher sagen, noch ein Mensch, der uns versteht", gab sie keck zurück. „Was genau meinst du mit den Bildern?"
Er atmete tief ein und aus.
„Immer wenn ich andere Menschen länger intensiv anschaue, sehe ich Bilder, Erinnerungen aus ihrem Leben. Am Anfang war es total undurchsichtig, aber mit der Zeit konnte ich mehr und mehr erkennen."
Cassia lauschte interessiert. Das klang stark nach einer Fähigkeit, wie sie selbst eine besaß.
„Ich weiß, es klingt verrückt, aber... da du mit Tieren sprichst... ich heiße übrigens George Babington", stellte er sich schließlich verlegen mit einer angedeuteten Verbeugung vor.
„Ich bin Cassia. Glaub mir, dass klingt weniger verrückt als das, was ich in den letzten Tagen so gesehen und gehört habe."
George zog eine Augenbraue nach oben als würde er ihr nicht wirklich glauben.
„Was hast du vorhin gemeint mit vergebens?", hakte Jerelyn nach.
„An die sprechende Tiere muss ich mich noch gewöhnen" George blickte kurz zu Boden, bevor er ihr direkt in die Augen schaute.
„Ich suche seit Jahren meine Nichte Elena, also die Tochter meiner Schwester Anne. Du siehst ihr wirklich sehr ähnlich. Dasselbe Waldgrün, das voller Leben erblüht" Seine Augen leuchteten auf, doch das Licht verschwand ebenso schnell wieder. „Du bist nicht die, die ich suche. Dafür bist du viel zu jung. Es muss wohl ein Zufall sein."
„Tut mir leid, ich hätte dir gerne..." Cassia unterbrach sich selbst.
Moment, das wäre jetzt zwar ein ziemlich großer Zufall , aber...
„Meine Mutter heißt Elena... und ihre Mutter, also meine Großmutter, habe ich nicht gesehen. Meine Mutter ist immer ganz traurig geworden, wenn wir Fragen zu ihr gestellt haben."
George starrte sie an.
„Cassia, ich glaube, ich bin dein Großonkel."
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