Kapitel IV | Nächtlicher Streifzug
Die Straßenlaternen nahe der Friedhofsmauer ließen nur schwach ihre Strahlen auf die Mauer scheinen, sodass man nicht mehr viel erkennen konnte, außer die Silhouetten der einzelnen kahlen Häuser auf der Hauptstraße und die Kirche.
Beide verweilten noch einige Zeit, ohne ein Wort zu wechseln, nebeneinander auf der Mauer. Albus genoss die Ruhe, die sich wie ein unsichtbarer Schleier über die beiden legte, und die Nähe von Gellert wirkte auf erstaunliche Art und Weise enorm besänftigend. Auch Gellert genoss die Stille, die die beiden umgab, denn Gellert war bisher kein Mann vieler Worte gewesen.
Vom vorausgegangenen prassenden Regen waren Gellerts lange blonde Haare nach wie vor triefnass und die Haarsträhne, die über seiner Stirn lag, sonderte ihre nassen Tropfen ab, die sich als Regentropfen in seinen Wimpern sammelten. Mit einem Wimpernschlag liefen diese vielen Tropfen zu einem zusammen und liefen über seine blasse Wange zu seinem Mundwinkel hinunter, wo sie in einer kleinen Kuhle zum Stillstand kamen.
Trotz der schwachen Beleuchtung um sie herum, hatte Albus den Regentropfen bis zu seinem Ziel verfolgt und starrte jetzt wie gebannt den nassen Tropfen in der Kuhle an. Gellert schien zu bemerken, dass er beobachtet wurde, denn er sah seinen gegenüber jetzt mit einem verschmitzten Grinsen an. Als Albus das bemerkte, wich er beschämt dessen Blick aus. Gellert strich sich die Strähne von der Stirn, die die Sehenswürdigkeit ausgelöst hatte und ließ seine Hand wieder neben sich auf die Mauer sinken. Albus spürte, wie die Hand seinen Rumpf streifte und er zuckte erschrocken zusammen.
Mit einem Mal breitete sich eine Wärme in seinem Körper aus, die von einer großflächigen Gänsehaut begleitet war. Durch seinen trockenen Mantel spürte er die warme Hand von Gellert, die wie dessen Mantel, triefend nass sein musste.
Albus war überwältigt von dem Ausmaß, welches eine warme nasse l Hand mit sich zog, auch wenn diese ihn nur für einen kurzen Augenblick gestreift hatte.
Gellert erhob sich langsam, blieb aber zunächst gegen die Mauer gelehnt stehen, als würde er darauf warten, dass Albus ebenfalls von der Mauer aufstand. Er schien die wortlose Aufforderung nicht zu verstehen, denn Albus blieb nach wie vor auf der Mauer sitzen. Nun ging Gellert einige Schritte voraus, blieb dann aber erneut stehen und drehte seinen Kopf nach hinten. Jetzt schien Albus die Aufforderung zu verstehen und er bewegte sich auf Gellert zu.
Nebeneinander schlenderten sie über die schmalen Gänge des Friedhofes zum Tor, welches immer offen stand, über die verlassenen Straßen Godrics Hollows.
In der Dunkelheit wirkte der Ort einsam, kaum ein Licht brannte in den vielen Fenstern der Häuser, die entlang der schmalen Straße aufgereiht waren. Als sie am Haus der Dumbledores vorbeigingen, spähte Albus im Vorbeigehen durch jenes Fenster, in dem als einziges im Haus noch ein Licht brannte.
Es war das Schlafzimmer von Ariana. Albus erkannte seinen Bruder, der neben dem Bett seiner Schwester stand. Nur wenige Sekunden später verließ er das Zimmer und das Licht wurde ausgeschaltet. Er hatte Ariana ins Bett gebracht. Aberforth hatte mal wieder das getan, was Albus vermasselt hatte. Eine Welle schlechten Gewissens überkam ihn und unsicher sah er wieder auf den Weg, den er gemeinsam mit Gellert ging.
Nach einer Weile gelangten sie an eine Weggabelung, an der Albus ohne nachzudenken den rechten Weg wählte.
Gellert blieb stehen. Der rechte Weg war allem Anschein nach ein häufig genutzter Weg, denn auf dem Weg wuchs kaum eine Pflanze, kaum ein Unkraut; alles war plattgetreten. Beide Wege führten zwar in einen großen Wald, der linke Weg hingegen wirkte auf den ersten Blick geheimnisvoll, mysteriös, er schrie förmlich danach begangen zu werden, er weckte die Sehnsucht, ihn entlangzulaufen.
Albus hatte nicht bemerkt, dass Gellert hinter ihm stehen geblieben war, weshalb Gellert Albus am Arm zurückhielt, als dieser den rechten Weg einschlagen wollre. Er drehte sich um und sah Gellert an. „Was ist los?“, fragte der junge Dumbledore.
„Warum gehen wir dort entlang? Der Weg dort wirkt so spießig. Dieser wirkt doch viel schöner und geheimnisvoller“, sagte Gellert und deutete mit der Hand auf den linken Weg.
„Der Weg führt aber nirgendwo hin. Der rechte ist ein Rundweg. Auf dem Linken kommt man nur in den Wald dort drüben“, entgegnete Albus rasch.
„Willst du denn irgendwo hin?“ wollte Gellert wissen.
„Da ist nichts weiter als eine verlassene Hütte, die fast zerfallen ist und ein versiegter Brunnen, der schon seit Jahrhunderten kein Wasser mehr gegeben hat. Seit der letzten großen Hexenverfolgung“, fügte Albus hinzu. „Klingt doch spannend. Und da ist es dann wenigstens ruhig“, antwortete Gellert begeistert.
Irgendetwas verbarg Gellert in sich, was es nicht anders möglich machte, ihm zu folgen. Er wirkte so überzeugend, so als wäre alles, was er erzählte der einzig richtige Weg, weshalb Albus sich mitziehen ließ und sie vom rechten Weg abkamen und gemeinsam den Linken einschlugen.
Beide blickten geradeaus, in die Ferne, in der man durch die Dunkelheit kaum noch etwas erkennen konnte. Die Straßenlaternen waren ohnehin nicht sonderlich zuverlässig und je weiter sie sich von dem Dorf entfernten, desto schwächer wurde die Beleuchtung, ohne die es immer schwieriger wurde, sich zurechtzufinden, ohne den schmalen Pfad zu verlieren.
Selbst der Mond war nicht zu sehen, sodass nicht einmal er seine Strahlen auf den Pfad, abseits des kleinen englischen Dorfes werfen konnte.
Den zwei jungen Zauberern blieb nichts anderes übrig, als ihre Zauberstäbe hervorzuholen und sie auf den Weg zu richten, damit diese ihn erleuchten konnten.
Die Lichtkugeln spiegelten sich schwach auf dem nassen Weg, doch die Dunkelheit sog ihre Strahlen wie ein schwarzes Loch fast gänzlich wieder in sich auf. Der Wald rückte immer näher und man konnte immer deutlicher das Rascheln der Bäume hören, die Regentropfen, die von den Blättern herunterprasselten, das Quietschen mit den Schuhen auf dem nassen Waldboden und das Geräusch der Pfützen, durch die sie hindurchwateten. Es wirkte fast unheimlich, diese Geräusche des vor ihnen liegenden Waldes zu hören, den Geruch des warmen Sommerregens zu spüren, der sie wie einen Schleier umhüllte, aber trotz alledem nichts, oder wenigstens kaum etwas vor Augen zu sehen, außer die Umrisse des mächtigen Waldes, der sie immer mehr umschloss.
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