13 - Metamorphosis
Laurie hält sich noch im Dunkeln, lässt sich etwas zurückfallen. Sie kann Kevin und Chu sehen, ängstlich in einer Nische kauernd. Die Fackeln lassen keine deutliche Sicht zu, gespenstisch flackern Licht und Schatten, als ob Gut gegen Böse kämpft. An den Schwefelgeruch hat sie sich inzwischen gewohnt, doch da ist noch mehr: Moder, Verwesung, Tod.
Loupine und Claire knurren, sprungbereit umkreisen sie den mächtigen Wolf. Ihr Fell sträubt sich, fletschend lassen sie die scharfen Eckzähne im Fackellicht glänzen, keine Sekunde lassen sie den Gegner aus den Augen. Suren tut es ihnen gleich, kann jedoch nicht beide beobachten. Er fixiert Loupine, die etwas Größere von ihnen.
"Da seid ihr ja endlich", erklingt die unheimliche Stimme aus dem Nichts. "Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet, Claire. Und du hast deine Schwester mitgebracht; ich betrachte das als ein Geschenk. Aber hast du auch meine Tochter?" Laurie erschrickt bei diesen Worten. Ihr Stein schimmert dunkelblau; sie begreift, dass das Böse sie nicht sehen kann, solange sie die Kette trägt.
Claire knurrt; auch ihre Stimme erklingt, ohne dass sie spricht. "Sie ist nicht deine Tochter! Das war sie nie; sie ist zu gut für dich."
Schallendes, schrilles Gelächter lässt die Höhle erzittern. "Du bist also bereit, für sie zu sterben und diese Teenager sowie deine Schwester mit in mein Reich zu nehmen? - Erkennst du Suren wieder? Die arme Seele, die euer gieriger Vater einst zu der Bestie gemacht hat, die er heute ist?" Der große Wolf blickt zurück.
"Suren ist keine gefallene Seele. Du wirst ihn heute verlieren, kurz bevor wir dich in dein Loch trieben, aus dem du so fürchterlich hervorstinkst. Zeig dich, wenn du dich traust und lass Suren aus dem Spiel."
Der große Wolf dreht den Kopf zu Loupine zurück, fixiert sie. Ein Blitz schießt aus einem Stalaktit und trifft ihn an der Schulter. Er heult auf, dann stellt er sich kampfbereit zwischen die Schwestern.
Es ist Claire, die ihm als erste an die Kehle springt. Loupine greift ihn von der Seite an. Er knurrt, schüttelt sich, die Angreiferinnen fliegen an die Felswände und jaulen auf. Mit dieser Kraft haben sie nicht gerechnet. Sie stehen blitzartig wieder bereit, scheinen sich in Gedanken abzusprechen, was zu tun sei. Ihre Körper schmerzen bereits.
Dennoch greifen sie erneut an, beißen zu, reißen Stücke seines Fells und Fleisches von seinen Knochen, doch er bleibt stehen, schüttelt sich nur. Sein Blut tropft auf den Boden, hinterlässt zischend kleine Rauchwolken, als sei es Lava und kein Blut. Immer wieder beißen Claire und Loupine zu, ohne Erfolg. Suren braucht sie nur einmal mit seiner Pranke zuzuschlagen, damit die Angreiferinnen weggeschleudert werden. Er ist ihnen überlegen, denn er hat noch nicht zu kämpfen angefangen, sondern sich bisher nur gegen die lästigen Wölfe gewehrt.
Er erwischt Claire mit der Schnauze, hebt sie hoch und beißt zu, Knochen splittern. Suren schüttelt den Kopf und öffnet dabei den Kiefer. Claire fliegt in hohem Bogen gegen den Stalaktit, aus dem zuvor der Blitz geschossen war; sie fällt benommen zu Boden und bleibt liegen. Suren stellt seine Pranke auf sie, die Krallen bohren sich in ihren leblosen Körper.
Unterdessen hat Loupine es geschafft, Suren am Hinterbein zu verletzen, er knickt ein. Sein Oberschenkelknochen steht als Splitter aus dem Fell. Erneut jault er auf; Loupine beißt wieder zu. Da trifft sie der Prankenschlag am Hinterkopf. Auch sie fliegt quer durch die Höhle und trifft hart auf den Fels, Blut spritzt, Loupine sackt zu Boden wie ein Bündel Fell, das der Gerber fallen lässt.
"Neeiinn!" schreit Laurie aus voller Kehle und stellt sich auf die Treppe. Der Wolf dreht sich hinkend um, seine gelben Augen fixieren Laurie, aus seiner Schnauze tropft Blut. Wankend schreitet er auf Laurie zu; dann bleibt er stehen, als hinter ihm Loupine knurrt. Sie hat sich wieder erhoben und in Angriffsstellung gebracht, sprungbereit. "Laurie, nicht!" erklingt ihre warnende Stimme, doch Laurie geht bereits langsam auf Suren zu. Sie spürt die Kraft aus dem Stein, die in ihren Körper eindringt.
Auf einmal ist überall in der Höhle Feuer; die Wände beben und aus dem Rauch erhebt sich eine unförmige Gestalt, einem Drachen ähnlich, mit Krallen und Flügeln, die roten Augen leuchten stärker als das Feuer. "Genug jetzt! Da bist du ja, Luzie! Gebt mir meine Saat! Ziegenhirt, zerreiße diese beiden Wesen und bringe mir meine Tochter!"
Laurie fühlt die glühende Sonne in ihrem Körper. Sie wird hochgehoben, in ihrem Kopf sieht sie sich mir Loupine auf der Bank sitzen, sie sieht Kevin im Kino, sie sieht ihre Mutter, wie sie als Retterin auftaucht und sie sieht ihren Vater, wie er ihr Haar wuschelt. Die Bilder verschwimmen, werden milchig. Wie in Trance scheint Laurie wegzutreten.
Aus der Nische beobachten Kevin und Chu die Szene. Das personifizierte Böse, die Drachengestalt, steht neben dem übermächtigen Wolf. Dahinter liegt Claire noch immer regungslos am Boden, während Loupine schlotternd vor Schmerz vor ihrer Schwester steht. Der Drache lacht und stakst auf Laurie zu, die sich windet und krümmt, mächtiger wird. Ihre Freunde werden Zeugen davon, wie aus dem quirligen Mädchen ein furchterregender Wolf wird. Chu fasst Kevins Hand, beide zittern, als sie die Metamorphose beobachten.
Laurie ist ein Wolf. Laurie spürt ihre Kraft; die Seele kehr von einer unendlichen Reise zurück in den veränderten Körper, nimmt Besitz davon und fühlt sich mit jeder Sehne wohl. Als sie wieder klar sehen kann, fixiert sie die zwei Monster vor ihr. Sie kommunizieren in Gedanken. "Du willst spielen? Suren, nennen sie dich. Du hast meine Mutter und meine Tante verletzt. Das war dein letzter Fehler, Suren. Du kennst mich nicht; ich werde dir Schmerzen zuführen."
"Du hast keine Ahnung, was Schmerzen sind, Welpe. Deine Mutter war die Brut des Mörders meiner Familie. Spüre ihren Schmerz." Suren setzt zum Sprung an, so gut er das mit seinem verletzten Bein kann. Seine Zähne bohren sich in Lauries Fell, doch sie ist bereit und hat den Angriff erwartet.
Mit einem einzigen gezielten Prankenhieb schleudert sie den gewaltigen Wolf gegen die Felswand. Dann stürzt sie sich auf ihn. Immer wieder beißt sie zu, reißt Stücke seines Fleisches von den Knochen; dann liegt der Wolf zerfetzt vor ihr. Er ist tot.
Das Monster breitet seine Arme und Flügel aus, wird mächtiger. "Brav gemacht, Luzie! Du bist es, meine Tochter; ich bin stolz auf dich. So lange habe ich auf dich gewartet. Nun komm zu mir und erfahre die ganze Macht, die ich dir geben kann. Die Welt wird dir gehören!"
Laurie stellt sich sprungbereit vor das Wesen. Verachtend und voller Hass speit sie Reste des Wolffleisches vor seine Füße. Ihre gelben Augen ruhen auf seinen roten. Die Blicke kreuzen sich, doch Laurie kann die Kälte nicht mehr spüren; im Gegenteil, sie verspürt eine wohlige Wärme, eine bisher nicht gekannte Energie der Freude und der Liebe. "Nein, das werde ich nicht tun!" Ihr Amulett leuchtet nun stark dunkelblau, wie ein blauer Stern.
Das Wesen blinzelt, der Schein des Steins blendet es. "Du gehörst mir! Ich habe dich gezeugt und erschaffen!"
Laurie verspürt eine unermessliche Wut, doch die Liebe zu ihrer Familie und ihren Freunden ist stärker. "Nein, das hast du nicht! Mein Vater steht hinter mir und ich liebe ihn. Du bist nicht von dieser Welt. Verschwinde, bevor ich dich vernichte! Mein Leben gehört der Liebe." Bei diesen Worten erklingt ein markerschütternder Schrei, schrill, vibrierend.
"Du wagst es, deinem Vater und Schöpfer zu widersprechen? Dein Schicksal ist längst besiegelt! Du sollst über die Dunkelheit herrschen, das ist deine Bestimmung."
Je länger der Schlagabtausch dauert, desto sicherer und überlegener fühlt sie sich, es scheint, als ob sie wachse, währenddessen das Monster kleiner wird. "Und wieder liegst du falsch, Monster. Ich gebe dir eine letzte Chance. Verzieh dich und komme nie wieder oder ich zerreiße dich wie deinen Ziegenhirten hier zu meinen Füßen!" Laurie lässt ein Knurren fahren, ein blauer Blitz schießt aus dem Stein gegen die Höhlendecke, der Stalaktit fällt polternd herunter, die Flammen der Fackeln lodern in Richtung der Kreatur.
Das Wesen hebt seine Klauen, daraus schießen heiße, gelbe Flammen, sie treffen Laurie an der Seite, doch sie macht einen Satz auf die Kreatur zu, schnappt nach ihr. Mit einem gewaltigen Knall und einem gleißenden, blauen Blitz verschwindet die Kreatur, zurück bleibt der fürchterliche Gestank und raumfüllender Rauch.
Der Spuk ist vorbei. Loupine fällt hin, legt sich zur Seite. Von der Treppe her stürmen Danny und einige Soldaten, unter ihnen Sanitäter, herbei.
Laurie, immer noch als Wolf, dreht sich um, sie beginnt, ihre Mutter und ihre Tante zu lecken. Claire und Loupine verwandeln sich zurück, Laurie schaut sich in der Höhle um und entdeckt die völlig verängstigten Freunde in der Nische. Sie dreht sich ihnen zu, macht erste Schritte, dann wird sie erneut hochgehoben und schwebt. Sanft landet sie als Mensch vor Kevin und Chu.
Daniel und die Soldaten sichern die Höhle; die Sanitäter kümmern sich um Claire, die verletzt am Boden liegt. Loupine, auch sie hinkend und blutend, steht lächelnd neben Daniel und schüttelt ihm dankend die Hand. "Deine Tochter liebt dich! Geh zu ihr, stolzer Vater! Und lass dir von niemandem etwas anderes einreden."
Laurie umarmt ihre Freunde. Chu streichelt Lauries Haar. "Steht dir gut, die Strähne!"
"Welche Strähne?" Laurie betrachtet ihre dunklen Haare. Auf der linken Seite ist eine graue Strähne erkennbar, von der Haarwurzel bis zu den Spitzen.
"Ein Souvenir an heute, Wölfchen", erklärt ihr Loupine lachend. "Du kannst stolz sein auf dich. Du hast das Böse in die Schranken gewiesen, mit deiner Liebe zu deiner Familie und deinen Freunden! Komm her, ich will dich knuddeln!" Laurie fällt Loupine in die Arme.
"Nicht so schnell, Wölfchen. Ich bin verletzt - mal wieder."
"Wo ist Mom?"
"Auf dem Weg ins Spital, Laurie. Sie wird schon wieder; einige gebrochene Rippen, einen gebrochenen Arm - nichts Tragisches. Wir werden sie schon morgen wieder abholen können."
"Was ist mit Suren?", fragt Chu traurig. "Er hat mir seine ganze Geschichte erzählt. Und nun ist er tot. Ich bin nicht sicher, wie ich darüber denken soll."
"Das Amulett wird ihn leiten. Er wurde von Laurie getötet, in einem ehrlichen Kampf. Er wird seinen Weg gehen können, denke ich", erklärt Loupine.
"Laurie, du hat deinen Wolf gefunden! Du warst riesig!" Kevin himmelt seine Freundin an.
"Ach ja?", entgegnet sie ihm schnippisch, "dann sei bloß vorsichtig, dass du immer gut zu mir bist. Wer weiß, was ich sonst mit dir anstellen würde." Sie blinzelt ihm zu. "Hey, Leute, ich bin so froh, dass es euch gut geht. Ich hatte solche Angst um euch."
"Und wir erst! Wir dachten, Loupine und deine Mom würden uns retten - und dann kamst du und hast den Typen zerrissen wie die Weihnachtsdekoration am siebten Januar." Kevin grinst, Chu rollt mit den Augen und Laurie lacht.
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