12 - The Cave
Claire klingelt bei Loupine zuhause. Sie wird eingelassen. Loupine wohnt in einer hellen Dachwohnung am Rande Bozemans. Die Terrasse, auf welcher sie im Sommer oft noch einen Drink nehmen, ist mit Schnee überdeckt, die Pflanzen vor der Kälte geschützt. Große Fenster lassen das Licht herein und ziehen den Blick hinaus in die weite Prärie und auf die Stadt.
Die sehr moderne und geschmackvoll elegant eingerichtete Wohnung beweist einmal mehr den Stil, den Loupine auch im Leben gerne zur Schau trägt. Sogar ihr Computer und die Kaffeemaschine sind in Purple, violett ist die vorherrschende Farbe, neben dem schwarzen Stein der Küche, dem dunkelbraunen Holzboden und den weißen Wänden.
Die Schwestern setzen sich auf die Couch. Zu trinken gibt es bei Loupine keinen Kaffee, sondern ausgefallene Drinks, denen sie eigene Namen gibt. "Möchtest du lieber einen 'Daemon's Kiss' oder einen 'Devil's Pee'?"
"Ist das eine Frage?" Claire schüttelt lachend den Kopf. Loupine zuckt mit den Schultern, mixt zwei Küsse und trägt sie zum Tisch.
Claire betrachtet ihr Glas kritisch, sie dreht es zwischen den Fingern. "Die sind undurchsichtig schwarz. Will ich wissen, was da drin ist?"
"Fragst du das jeden Mann, bevor du ihn küsst?"
"Cheers, Schwesterherz!", antwortet Claire lachend. "Auf die Männer, die wir liebten und auf die Männer, die wir töteten."
"Das nenne ich mal einen Trinkspruch! Cheers! Was führt dich zu mir in den Purple Tower?"
Claire stellt ihr Glas auf den Beistelltisch. "Oh Gott, wie das klingt! Das erinnert mich an den Deppen, der unser Präsident wein möchte. Der hat auch so einen Penisverlängerungsturm."
"The Orange Man? - Ja", lacht Loupine, "stimmt, nur dass meine Mähne echt ist!"
Beide lachen. Dann trüben sich Claires Gesichtszüge. "Ich will mit dir über den Stein reden. - Loupine, ich habe ihn verloren. Ich schäme mich so."
Loupine stellt ihr Glas auf den Couchtisch, lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander. "Das ist schlecht, Schwesterchen. Das ist sogar richtig Kacke - verzeihe meine rüde Ausdrucksweise."
Claire hebt den Kopf und schafft es sogar, ihre Schwester anzugrinsen. "Seit wann entschuldigst du dich für das, was du sagst? Wirst du alt?"
"Ich übe für meine Stelle als Rektorin. Denn wenn wir die Haussmann gekillt haben, wird das Büro leer sein. Aber zurück zum Stein. Wann hast du ihn verloren? Kannst du dich erinnern?"
"Nein. Das muss noch vor der Geburt gewesen sein. Ich wollte ihn Laurie gleich umlegen, doch ich konnte ihn nicht finden. Eventuell habe ich ihn in Area 51 verloren."
"Hast du Danny schon gefragt? Vielleicht hat er ihn bei den Unterlagen gefunden."
"Ich habe mich bisher nicht getraut."
Loupine schüttelt ihre blonde Mähne und stupst Claire in die Seite. "Du bist doch sonst so mutig! Was ist mit dir?"
"Ich und mutig? Wie kommst du darauf?" Claire wirkt besorgt und betrübt.
"Na, du trinkst das hier, ohne zu wissen, was drin ist. Das nenne ich mutig!" Loupine lächelt ihre Schwester an und leckt danach verführerisch ihre Lippen.
Claire verzieht ihren Mund zu einem Schmunzeln. "Ernsthaft, Schwester, was trinken wir hier? Es schmeckt lecker."
"Brombeeren, Blueberries, Vanille, etwas Rotwein und Pfeffer. Die dämlichen Vampire mischen noch Blut darunter, aber mir schmeckt er besser ohne. Ich beiße einen Mann auch nicht in die Lippen, wenn ich ihn küsse. Wie findest du ihn?"
"Elektrisierend, süß, verführerisch; als explodierten meine Hormone wie die Bubbles in diesen modernen Drinks in den Bars. - Du meinst also, Danny könnte das Amulett gefunden haben?"
"Haben sie dich damals, als Danny dich aus der Zelle geholt hat, jemals wieder in die gleiche Zelle zurückgebracht?"
Claire denkt nach, sie erinnert sich nur schwach. "Nein. Ich war zuerst im Untersuchungsraum, danach in einer Art Spitalzimmer, aber abgeschlossen."
"Dann haben sie die Zelle bestimmt gereinigt. Wenn dein Stein dort verloren ging, haben sie ihn gefunden. Und weil du ein verdächtiges Wesen warst, haben sie ihn wahrscheinlich untersucht, nichts gefunden, und danach werden sie ihn zu deinen Akten gelegt haben. Du solltest Danny fragen."
"Das werde ich tun. Findest du es richtig, Laurie mitzunehmen, wenn wir losschlagen?" Nun wirkt Clair besorgt. Sie kennt ihren Gegner und weiß genau, was er ihnen antun kann, wozu er in der Lage ist.
"Deine Tochter ist bereit. Ja, sie muss dabei sein. Ohne sie wird Suren seine Gefangenen nicht freilassen. Wenn das Böse jedoch aufkreuzt, sollte sie den Stein haben. Wir müssen ihn finden. Hat Danny schon etwas gefunden, wo Suren sich versteckt haben könnte?"
"Nein, weder er noch der Sheriff haben eine Ahnung. Sie haben die Schule mehrmals durchsucht, aber nichts gefunden."
"Er muss dort sein; er hat keine andere Wohnung oder Möglichkeit hier in Bozeman. Hast du zufälligerweise Lauries Zeichnungen mit dabei?"
Claire stellt ihr leeres Glas beiseite und beginnt hoffnungsvoll zu strahlen. "Das könnte ein Hinweis sein. Vielleicht haben wir die Zeichen falsch gedeutet. Sieh her." Claire greift nach ihrer Tasche, zieht die Papiere daraus hervor und legt sie auf den Tisch. Beide wühlen darin, drehen sie, deuten sie und ordnen sie.
"Was ist das hier für eine Tür? Ist die bei euch zuhause?", fragt Loupine plötzlich, als sie die kleine Tür auf einer der Zeichnungen aus dem Kino entdeckt.
"Nein, die kenne ich nicht. Sieht sehr alt aus."
Loupine lehnt sich erneut zurück. "Na, dann würde ich sagen, wir haben den Hinweis. Finde diese Tür und wir finden Suren und die Kinder."
Claire macht mit ihrem Telefon rasch ein Bild von der Zeichnung und schickt es ihrem Mann, zusammen mit dem Vermerk "Tür finden; auf Schulgelände!" - "Hoffen wir, dass er etwas entdeckt."
***
Kevin ist erwacht; er fühlt sich besser, doch nachdem ihm Chu alles erklärt hat, ist er wieder bleich geworden. "Der Teufel persönlich? Meinst du das ernst?"
"Ich befürchte ja, Kev. Wir haben echt Talent darin, uns in die Scheiße zu reiten." Enttäuscht lehnt sie sich an den Fels. Ihr schwarzes Haar fällt über ihre Schulter bis auf die Brust. Ihr Shirt ist schmutzig, die Jacke hat sie längst abgelegt. Trotz ihrer Trauer und der ausweglos scheinenden Situation sieht sie stark und kampfbereit aus.
Kevin wirft Chu einen erstaunten Blick zu, betrachtet sie lange und stellt fest, wie attraktiv sie aussieht. Dann lächelt er: "Diese Worte aus deinem gebildeten Mund? Das hätte eher zu Laurie gepasst. Meinst du, sie wird uns holen?"
"Ich gehe fest davon aus. Loupine und Claire werden herkommen, ob sie allerdings Laurie mitbringen, weiß ich nicht."
Die Fackeln lodern auf, das Licht wird orange, die Temperatur steigt. Aus dem Nichts erklingt die fürchterliche Stimme, die in den Ohren schmerzt. "Suren, wo bist du, Ziegenhirt?"
"Ich bin hier." Er tritt aus einer seitlichen Nische in die Höhle hinaus. "Was willst du noch?"
"Ich muss dich warnen. Sie werden hier sein, bevor meine Tochter ihre Kraft befreit. Du bist zu schwach geworden, Suren. Du brauchst mehr Energie. Die Schwestern sind zu stark für dich."
"Ich werde dir das Mädchen liefern, aber ich werde nicht mehr töten."
Die Fackeln lodern meterhoch auf, der Rauch breitet sich in der ganzen Höhle aus. "Falsch, Ziegenhirt! Das war nicht der Deal - als hättest du eine Wahl! Erinnere dich an dein Kind! Siehst du, wie es im Maul des Wolfes zerbricht? Siehst du das schreiende Gesicht deines Weibs, als er ihr den Leib aufriss? Hörst du die Schreie? Riechst du das Blut? - Erinnere dich daran, warum du lebst, Ziegenhirt. Deine Atemzüge tust du nur der Rache willen!"
Kevin und Chu sehen Suren wachsen. Er verwandelt sich vor ihren Augen zu einem gewaltigen Wolf, mächtiger als ein Elefant. Seine Pfoten wirken weich, obwohl sie mühelos einen Löwen zerreißen könnten. Silbrig und schwarz glänzt sein Fell im Fackellicht. Das unwirkliche Tier steht da; Chu und Kevin trauen ihren Augen nicht. Wo vor wenigen Minuten noch ein müder, trauriger und alter Mann gestanden hat, sehen sie nun dieses majestätische und kraftvolle, jugendliche Geschöpf; definitiv nicht von dieser Welt. Der Wolf atmet langsam; er scheint sich ebenfalls mit seiner Größe auseinandersetzen zu müssen.
Er schnuppert, riecht sie und schnellt mit dem Kopf in ihre Richtung. Seine gelben Augen lauern auf ihnen, die Zähne funkeln im Licht der Fackeln, Speichel tropft auf den Boden. Das Knurren der Bestie vermischt sich mit dem Lachen, teuflischer als am Ende des Songs von Michael Jackson.
"So ist es gut, Beast. Und nun bringe mir meine Saat und vernichte die Familie!" Der klangvolle Bass verstummt.
Die Fackeln verlieren an Kraft. Der Wolf steht im Raum und fixiert die zwei verängstigen Jugendlichen.
***
Daniel Jones sitzt mit dem Sheriff in der Kantine der Schule. Jeden Winkel haben sie bereits untersucht. Sie wirken müde; die Soldaten kampfbereit, aber lustlos, auf ihren Handys tippend oder Witze reißend. Sheriff Miles würgt einen trockenen Keks runter.
"Daniel, wir haben alles untersucht. Sie sind nicht hier."
"Solange wir die Rektorin nicht gefunden haben, werden wir weitersuchen. Meine Männer werden bis zum Schluss kämpfen, wenn es sein muss."
Mark Miles schaut in die Runde, auf die gelangweilten Männer und schmunzelt. "Deine Männer wirken wenig motiviert, wenn ich das mal so sagen darf."
"Das täuscht. Ein Befehl und sie sind die tödlichste Armee, die es gibt." Sein Mobiltelefon gibt einen surrenden Laut von sich. Mühsam klaubt Daniel das flache Gerät aus der Uniformtasche, entsperrt den Bildschirm und liest die Nachricht. Dann streckt er dem Sheriff das Telefon hin. Miles nickt.
Daniel erhebt sich und blickt seine Soldaten streng an. "Männer! Wir haben ein Ziel! Diese Tür", er zeigt allen das Foto, das Claire ihm geschickt hat, "befindet sich auf diesem Gelände. Finden wir sie! Los geht's!"
Wie auf Kommando, als hätte man einen Schalter umgelegt, erheben sich die Männer, Waffen werden ergriffen, Helme aufgesetzt und die Mobiltelefone verschwinden in den Taschen. Sekunden nach dem Aufruf ist nichts mehr von Müdigkeit spürbar; pures Adrenalin, vermischt mit Moschus und Testosteron verlässt zackig den Raum - zurück bleibt der Staub eines alten Keskes und der Geruch kalten Kaffees.
Auf dem Flur betrachten Miles und Danny das Bild noch einmal genauer. Sie entdecken die Leitungsrohre an der Decke. Der Trupp bewegt sich in Richtung Keller. Zwei Soldaten nehmen den Fahrstuhl, der Rest die zwei Treppen, die nach unten führen. Die vordersten Männer tragen ihre Waffen im Anschlag.
Nur wenige Minuten später poltern die schweren Kampfstiefel über den Beton. Mit geballter Faust zeigt Daniel dem Trupp wortlos an, stillzustehen. Die Soldaten gehorchen unmittelbar. Mark und Danny betrachten das Foto und vergleichen mit dem Flur, in welchem sie sich befinden. Sie finden keine Übereinstimmung.
"Männer, wir suchen einen Flur, in welchem es an der Decke vier Leitungsrohre gibt und wo es keine Regale an der Wand hat. Gemäss der Zeichnung hier, gibt es allerdings eine Art Schrank; sieht antik aus. Wenn ihr den findet, macht ihr Meldung. Kein Zugriff ohne meine Zustimmung. Ausschwärmen!"
Die Soldaten rücken ab. Daniel und der Sheriff suchen den Flur noch weiter ab. Nur wenige Minuten später folgt die Erlösung über Funk: "Tür gefunden! Flur bei den Musikräumen! Halten die Stellung, bisher alles ruhig."
Daniel hält den Sheriff an der Schulter zurück. "Mark, halte du hier die Stellung. Greift nicht ein. Ich muss meine Tochter holen. Sie muss dabei sein, wenn wir hineingehen."
Das fragende Gesicht des Sheriffs lässt Daniel unkommentiert zurück und rennt bereits die Treppen hoch in Richtung Ausgang.
***
"Wir haben es! Kommt her!" Das steht unter dem Foto, das Daniel seiner Frau etwa eine halbe Stunde später geschickt hat. Claire und Loupine rasen in der violetten Corvette zur Highschool; der beigefarbene Prius blieb auf dem Besucherparkplatz stehen, als sich Loupine geweigert hat, in den Wagen zu steigen.
"Wenn das hier vorüber ist, Schwesterchen, müssen wir dir einen passenden Wagen kaufen!"
"Halte du deine Schleuder auf der Straße, meine Liebe, oder Suren muss uns nur noch vom Teerbelag lecken!"
"Bereit, die Heldin zu spielen?" Loupine wirft Claire einen kämpferischen Blick zu.
"Lass knacken!"
Mit quietschenden Reifen erreichen sie schleudernd den Parkplatz vor der Schule. Glücklicherweise sind am Wochenende keine Schüler anwesend. Claire sieht einige Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Army, dazwischen entdeckt sie auch den Tahoe ihres Mannes. "Ich denke, Daniel hat Laurie schon hergebracht."
Daniel steht am Eingang, neben ihm Laurie. "Da seid ihr ja. Die Tür, die Laurie gezeichnet hat, befindet sich im Keller unter der Sporthalle; hinter einem Regal versteckt."
Claire fasst ihre Tochter mit beiden Händen an der Schulter, als wollte sie ihr letzte Anweisungen geben. Sie befindet sich bereits im Kampfmodus, doch sie stockt, starrt auf Lauries Hals. An einer einfachen Kette baumelt ein runder, blauer Stein; das verlorene Amulett. Claire greift danach. "Woher hast du das?"
"Dad hat es mir gegeben. Er sagte, ich soll es tragen. Keine Ahnung, was das bedeutet. Loupine, ist das der Stein, von dem du geredet hast?"
"Ja, meine Liebe", sagt indessen Claire, während Loupine nur nickt und lächelt, "das ist dein Amulett. Lege es nicht ab, egal, was da drinnen gleich geschehen wird, hörst du? Es kann dein Leben retten." Claire küsst ihre Tochter auf die Stirn. Dann dreht sie sich zu Daniel und Loupine um. "Bereit?"
"So was von! Mach Sitz Danny - jetzt sind die Frauen dran! Wenn einer hier rausrennt, und es ist nicht einer der Guten, erschießt ihn!"
Daniel sieht, wie seine Offiziere fragende Blicke austauschen. Lachend erteilt er Einsatzbefehle; sie beziehen Stellung. Dann öffnet Loupine die Tür.
Der Schwefelgestank dringt beißend heraus, die Wände sind von stark lodernden Fackeln gesäumt und beleuchtet. Die schreckliche Melodie, welche Laurie in ihren Träumen gehört hat, dringt klar erkennbar zu ihnen hoch. Die Bässe lassen die Flammen der Fackeln rhythmisch zittern, dazwischen ist das tiefe Knurren eines Wolfes hörbar.
Claire und Loupine gehen voran, Laurie folgt ihnen. In Gedanken hört sie den Anfang von AC/Dc's Hells Bells. Ihre Haare stellen sich auf, doch um den Mund formt sich ein fieses Lächeln, als ob sie spürte, was sie unten erwartet. Stolz, ein Teil davon zu sein und gleichzeitig unsicher, ängstlich, folgt sie ihrer Mutter und Tante. Schritt für Schritt. Nebel steigt auf und umhüllt sie kurz, obwohl es immer heißer wird.
Nur kurz blickt Laurie zurück, ihr Vater schließt soeben die Tür. Loupine und Claire sind Wölfe, als Laurie sie das nächste Mal anblickt. Sie schreiten hungrig die Treppe hinab, tasten sich auf ihren Pfoten weiter, hinter ihnen folgen Laurie, Daniel und zwanzig schwerbewaffnete Soldaten. Als sie um den weiten Bogen schreiten, können sie die Höhle überblicken. In deren Mitte steht der gewaltige, knurrende Wolf. Es scheint, als lächle er, als er Loupine und Claire erblickt, welche neben ihm wie frischgeborene Welpen aussehen.
Der Wolf neigt sein Haupt, schließt dabei kurz die Augen; so wie man sich auf ähnliche Weise vor einem japanischen Kampf begrüßt. Er ehrt seine Gegnerinnen, welche die Geste erwidern. Danach teilen sie sich auf, schleichen von zwei Seiten auf den Bösewicht zu. Keine von ihnen deutet auch nur mit einer Faser ihres Körpers an, erstaunt über seine Größe zu sein, denn das hätte sie verraten.
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