Wiedersehen in Walhalla

Caja

Ihre Augen wanderten zwischen Harolds Wachhunden und Adalar hin und her.
Eisiges Schweigen herrschte zwischen ihnen, doch von draußen drangen die Geräusche einer Schlacht herein und das obwohl jene in einiger Entfernung zum Zeltlager tobte.

Sobald das Getose ausgebrochen war, hatte Caja versucht sich von ihren Fesseln zu befreien, was nur zur Folge getragen hatte, dass frisches Blut über ihr Gesicht gelaufen war, nachdem einer der Soldaten sie geschlagen und sie damit zum Stillsitzen verdonnert hatte.
Sie hatte Adalar in ihrer Sprache angefleht ihr zu helfen, sie loszumachen, damit sie an die Seite ihres Volkes eilen konnte.
Doch dem Mönchen waren die Hände ebenso gebunden gewesen wie ihr. Er hätte sich damit nur selbst in die Bredouille geritten, weshalb sie ihm nicht einmal wirklich zürnen konnte.

Mit zusammengebissenen Zähnen musste sie nun der gedämpften Geräuschkulisse des Kampfes lauschen. Sekundlich schickte sie Stoßgebete an ihre Götter, dass jene ihren Leuten beistehen würden.

Die Bilder ihrer Visionen kämpfen sich in ihr Gedächtnis. Sie sah das Blut und die Dunkelheit vor ihren Augen, die dieses Ereignis über sie bringen würde.
Trotz ihrer Vorsehung hatte sie bis zuletzt gehofft, Askwins Plan das Ganze zu beenden bevor es seinen Anfang nahm würde ihm gelingen. Doch natürlich war dem nicht so gewesen. Niemand konnte das Schicksal umgehen, sobald die Götter es erst einmal in Stein geschlagen hatten.

Das Getrappel von Hufen ertönte vor ihrem Zelt. Caja richtete sich soweit auf wie es ihr möglich war.
Henry stürmte zu ihnen nach drinnen. Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Der Krieg ließ sich nicht vermeiden!", gab er das Offensichtliche kund.

Die beiden Soldaten tauschten unsichere Blicke miteinander aus. Zwar hatten sie den Befehl erhalten hier zu bleiben und sich darum zu kümmern, dass Caja nicht entwischte, aber dennoch rangen sie mit sich, dem Ruf der Schlacht nicht direkt zu folgen.

„Wollt ihr eurem König nicht zur Seite stehen?", nutzte Caja diese Gelegenheit aus. „Euer Land braucht euch und ihr versteckt euch lieber im Lager! Pah, ihr seid mir ja glorreiche Helden!"
Diese einfache Provokation genügte, damit die beiden die Füße in die Hände nahmen und eilends zusahen, dem Krieg beizuwohnen.

Sobald Caja unter ihren Anhängern war, warf sie sich in die Fesseln. „Na los! Befreit mich schon!"

Henry stürmte sofort zu ihr und löste die Knoten. „Ich ... ich habe versucht den Überblick zu halten", stammelte er unterdessen. „Aber das Gewimmel war zu groß. Ich habe Askwin aus den Augen verloren, ebenso den König und Euren Vater. Verzeiht mir meine Unfähigkeit."

„Schon gut", meinte sie, rieb sich die Handgelenke und sah zu Adalar. „Ich brauche eine Waffe und ein Pferd."

„Nehmt mein Schwert." Askwins Knappe hielt ihr seine Klinge entgegen. Deren Griff schmiegte sich so gut in die Innenfläche ihrer Hand, als wäre sie für sie gemacht. Ihre alte Axt wäre ihr lieber gewesen, aber sie glaubte sich mit diesem Schwert ebenfalls anfreunden zu können.

„Pferde stehen zuhauf draußen", erhob nun auch der Mönch das Wort und deutete auf den Ausgang des Zeltes. Trotz der Spannung, die in der Luft lag, schien Adalar in völliger Ruhe zu sein. Hatte er keine Angst?
Caja hatte bereits bei ihrem Wiedersehen gemerkt, dass er sich verändert hatte und das zum Guten. Er war nicht länger das zitternde kleine Häschen, das sich vor den Jägern versteckte.

Sie nickte ihm zu. „Seht zu, dass ihr Hrodwyn befreit und dann hofft, dass sie klüger ist als ihr Vater."
Mit diesen Worten trat sie auf den leeren Platz. Das Lager wirkte wie ein Friedhof aus weißen und cremefarbenen Laken, die sanft von der Brise gestreichelt wurden, welche vom Meer her wehte.

„Wartet! Ich begleite Euch!" Henry stürzte hinter ihr her. „Adalar wird die Sache mit Hrodwyn ..."

„Nein." Caja wandte sich dem Jüngling zu und schüttelte entschieden mit dem Kopf. „Nein, du wirst diese Sache in die Hand nehmen. Die Prinzessin vertraut dir. Wenn ihr jemand Vernunft zureden kann sobald ihr Vater tot ist, dann bist du es."

Henry schluckte. Vermutlich hatte er genau dem entgehen wollen. „Ich ..."

Erneut fuhr sie ihm dazwischen: „Du liebst sie und so wie du es mir einst geschildert hast, liebt sie auch dich. Sie wird dich brauchen, einen Menschen, der ihr nahesteht."

Zögerlich nickte er. „Fein."
Dann sah er Caja nach, wie sie sich zu den im Lager verbliebenen Pferden begab und dort nach Alva suchte.

Sie fand ihre schwarze Stute, band sie los und schwang sich in den Sattel.
Der Wind zerzauste ihr ohnehin bereits wirres Haar noch mehr, während sie den Weg an der Klippe entlang jagte, aus dem die Kampfgeräusche kamen.
Mit jeder verflogenen Sekunde wurden jene lauter. Sie konnte das Schlagen von Metall auf Metall herausfiltern, Schreie von Menschen und von Tieren hören.

Mit klopfendem Herzen erreichte sie den Hügel, von welchem aus sie in das Tal blicken konnte, in dem sich Angelsachen und Nordstämmige einen unerbittlichen Krieg lieferten.

Sie zögerte keinen Augenblick, stieg von Alvas Rücken, um die Stute nicht zu gefährden und stürmte dann zu Fuß, mit hoch erhobenem Schwert, ins Getümmel.
Durch die ganzen Schläge, die sie in den letzten Stunden abbekommen hatte, schmerzte ihr Kopf, doch davon ließ sie sich nicht beirren.
Gekonnt wich sie den ersten Hieben aus, die  nicht direkt auf sie abzielten. Sie lief den Kämpfenden auf ihrer Suche nach ihrem Vater, dem König, oder Askwin lediglich im Weg herum.

Weit kam sie allerdings nicht, bis sie von einem rücklings Stürzenden mit zu Boden gerissen und unter dessen schweren Körper begraben wurde.
Ein schmerzvolles Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als ihr erst ihr Kinn und dann der Rest ihres Leibes auf dem Untergrund aufschlugen.
Sie konnte spüren, wie warmes Blut ihr Hemd durchtränkte. Der Kerl auf ihr rührte sich keinen Millimeter mehr, weshalb es unschwer zu deuten war, dass er tot sein musste.
Unter Anstrengung rollte sie den leblosen Nordstämmigen von sich und sah ihm ins Gesicht, um sicherzugehen, dass es sich nicht um Munin oder Melker handelte.
Erleichterung durchströmte sie als sie keinen der beiden in dem Toten wiedererkannte.

Schwer atmend rappelte sie sich auf, bevor sie weitereilte.
Ihre Augen wanderten dabei unablässig zwischen den sich Duellierenden hindurch.
Bis sie an etwas hängenblieben. Ein schwarzer Schopf, der zwischen mehreren Gefallenen auf dem dreckigen Boden lag.

Ihr Herzschlag setzte aus, während sie auf den reglosen Wikinger zustürmte. Sie ließ sich neben ihm auf die Knie fallen, schirmte ihn schützend mittels ihres eigenen Körpers von dem hektischen Getrampel um sie herum ab, um ihm weitere Tritte zu ersparen.
Sanft wischte sie ihm Blut und Schlamm aus dem blassen Gesicht. „Munin! Mach die Augen auf!", flehte sie ihren flach atmenden Freund an.

Jener murmelte, als befinde er sich im Wahn, unverständliche Dinge, ehe seine Lider zu zittern begannen und er sie langsam aufschlug. Das Waldgrün seiner Iriden war hinter dem glasigen Schleier, der sie bedeckte, nur noch schwach auszumachen.
Caja wusste, was das bedeutete. Munin balancierte auf der Grenze zwischen Tod und Leben.
Wollte sie nicht, dass er starb, dann musste sie ihn hier wegbringen. Am besten zu Adalar, damit der Mönch seine Verletzungen untersuchen und behandeln konnte.

Verletzungen.

Ihre Hände wanderten über seinen eiskalten Körper und suchten nach Hinweisen, weshalb der Zustand Munins so schlecht war. Doch sie fand keine offenen Wunden, die so tief waren, dass sie der Ursprung hätten sein können.
„Du musst dich jetzt zusammenreißen, hörst du?!", rief sie ihm zu. „Ich bringe dich in Sicherheit! Ich muss nur ..." Sie versuchte ihm unter die Arme zu greifen, wurde aber sofort von einem anderen Mann in angelsächsischer Rüstung angerempelt.

Dieser richtete sogleich die Spitze seiner Klinge auf sie. Schnell riss sie Henrys Schwert nach oben, wich dem Angriff aus und versetzte ihrem Kontrahenten einen Gegenhieb. Ihr Eisen traf dabei auf die Rüstung, welche der Soldat am Leib trug und entlockte diesem ein gehässiges Lachen.
Er war so amüsiert von ihrem Versuch, dass er zu spät bemerkte, dass sie ihre Waffe drehte und ihm den Griff gegen die ungeschützte Schläfe donnerte.
Speichel und Blut spuckend ging er zu Boden.

Auch sie ließ sich wieder nach unten sinken, versuchte es erneut Munin anzuheben, doch musste feststellen, dass er schwerer als ein mit Steinen gefüllter Sack in ihren Armen lag.
Sie wollte nicht aufgeben, zog und zerrte an ihm, musste schlussendlich aber doch resignieren. Niemals würde sie ihn hier wegbekommen, wenn er zu benommen war, um mitzuhelfen. „Verdammt, Munin! Wach auf! Du musst ..."

Er gab erneut ein Gemurmel von sich, das in den Kampfgeräuschen um sie herum unterging.
Sie beugte sich dicht an seinen Mund heran, um zu verstehen, was er ihr mitzuteilen versuchte. „Ich kann ...", war alles, was sie beim ersten Mal zusammensetzen konnte.
Er versuchte es noch einmal.
„Ich kann meine Beine nicht bewegen."

In diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sein Zustand war nicht dem eines Menschen zuzuschreiben, sondern dem eines Pferdes.
Es hatte ihm aller Wahrscheinlichkeit nach das Rückgrat gebrochen. Ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben war.

Tränen stiegen ihr in die Augen und sie spürte wieder diesen unbändigen Hass in ihr. Hass auf Harold, der all das zu verantworten hatte.

„Bitte, Caja ... bitte lass mich ... lass mich nach Wallhalla gehen", hauchte ihr Freund ihr entgegen und ließ sie verzweifelt den Kopf in den Nacken legen und ihren inneren Schmerz hinausschreien.

Dann wandte sie sich ihm wieder zu, nahm sein Gesicht in ihre beiden Hände. „Ich liebe dich, hörst du? Und wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich dir."
Es gab keinen inneren Kampf, den es mit sich auszufechten galt. Caja wusste, dass es das einzig Richtige war, Munin von seinem Leiden zu erlösen. Selbst wenn er die Genesung überstehen würde, wäre er verloren und nie mehr der selbe. Ein Wikinger, der die Axt nicht mehr heben, nicht mehr segeln und plündern konnte, war bereits tot.

Sie legte ihm seinen Speer in die Hand, bevor sie die Spitze ihres Schwertes an seine Brust legte. „In Walhalla werden wir an einem Tisch sitzen, mein Freund. Dann werden wir gemeinsam lachen, den Trunk der Götter trinken und über unser Leben reden. Bis dahin ... mögen die Götter dich mit offenen Armen willkommen heißen und dich in ihren Reihen aufnehmen."

Kaum merklich nickte er ihr zu. Das Zeichen, das er bereit war.
Es bedurfte nicht an viel Druck, um die Klinge in sein Herz gleiten zu lassen.
Seine Augen weiteten sich für einen Moment. Er stöhnte auf. Dann wich jegliche Regung aus seinen ermattenden Gesichtszügen.

Caja wollte weinen. Der Schmerz, der sich in ihrem Inneren auftat, war nicht auszuhalten und doch blieb ihr dafür keine Zeit.
Sie platzierte einen Abschiedskuss auf der Stirn ihres toten Freundes und schwor sich seinen Leichnam sofort nach dem Kampf vom Feld zu holen und ihm eine ordentliche Feuerbestattung zukommen zu lassen.

Dann erhob sie sich auf die wackligen Beine. Hoffentlich war es ihrem Vater nicht ähnlich ergangen. Wenn sie ihn auch noch verlor ... Nein! Daran wollte sie nicht denken! Sie durfte nicht!

Ihr Kopf drehte sich nach links und nach rechts, in der Hoffnung Melker zu entdecken.
Und als würden ihr die Götter eine Entschädigung für den Verlust ihres engsten Freundes schenken wollen, lichtete sich das Kampfgetümmel mit einem Mal genau an der Stelle, an der eben jener und Harold sich einen ungleichen Zweikampf lieferten.

Ihr Vater kniete auf dem Boden, wehrte die Hiebe des Königs nur noch mit größter Mühe ab.

„Nein!", brüllte sie so laut, dass man es bis an die Küsten Nordlands hören musste. Ihre Beine trugen sie schneller zum Geschehen hinüber, als es Alvas Hufen jemals hätten tun können.

Sie war bereit Harold das Schwert in die Brust zu rammen, seinen Leichnam zu bespucken und vor Freude auf ihm zu tanzen.

Laut grölend raste sie auf ihn zu, ihre Waffe fest in den Händen haltend.
Doch es war nicht ihr Schwert, das dem Leben des Königs ein Ende setzte.

Bevor sie ihn erreichte, durchbohrte ihn eine andere Klinge. Er taumelte rückwärts, Blut ran aus seinem Mundwinkeln und seine Augen weiteten sich.

Askwin erschien in seinem Rücken. Das Gesicht kreidebleich, als könnte er nicht begreifen, was er da gerade getan hatte. Dass er den Tod des Königs von Angelland zu verantworten hatte.

Doch nur die Dauer eines Herzschlags später schien er sich wieder zu fangen. Seine Stimme brüllte über das Schlachtfeld hinweg: „Der König ist tot! Wir ziehen uns zurück!"

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